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Der Pontifex aus der Sicht von Sandro Magister
«Er erinnert mich an den hl. Augustinus»
Roberto Fontolan

Er ist Theologe und Seelsorger zugleich. Er zieht die Massen an und bringt sie zum Nachdenken. «Aber vor allem weiß er, dass die Frage, mit der die Kirche steht und fällt, Jesus Christus ist.» Eine Bilanz dieser ersten Jahre des Pontifikates aus der Sicht eines laizistischen Beobachters.

Sandro Magister zählt nicht nur in Italien zu den angesehenen und kompetenten Vatikanexperten. Er schreibt für L’espresso und ist Autor der Internetseite www.chiesa, der Online-Zeitung der Herausgebergruppe von La Repubblica. Sie zählt über hunderttausend Leser, über die Hälfte davon im Ausland.

Am 19. April 2005 betritt Benedikt XVI. die Bühne ...
Obwohl Kardinal Ratzinger nicht zu den Favoriten der Medien weltweit zählte, war seine Anwärterschaft auf die Nachfolge von Johannes Paul II. in den oberen Rängen der Kirche beachtlich gewachsen. In der Zeit davor hatten einige Faktoren den Vorabend des Übergangs des Pontifikates gekennzeichnet; etwa die Konferenz zu Europa und dem Christentum, die am Abend des 1. April 2005 in Subiaco stattfand. Johannes Paul II. lag bereits im Sterben, aber Ratzinger verzichtete nicht darauf, offensichtlich weil er sie als ein Zeichen von großer Bedeutung in einem entscheidenden Moment betrachtete. Zu erwähnen ist auch die Meditation, die er zuvor anlässlich des Kreuzweges geschrieben hatte, ein äußerst gehaltvoller Text. Abschließend möchte ich seine Präsidentschaft als Dekan des Kardinalskollegiums, der Versammlung der Kardinäle im Hinblick auf das Konklave, anfügen. Die Souveränität, mit der er diese Treffen leitete, brachten ihm viel Zuspruch. Die Bestätigung zeigte sich dann vor allem bei der Wahl, die schnell und eigentlich ohne Gegner abgehalten wurde. Aber dies bedeutete nicht automatisch eine anhaltende Unterstützung mit der gleichen Stärke und Intensität. Ich sehe in der Kirche einen eher schwachen Konsens, der heute etwas größer ist als am Anfang.

Was sind die grundlegenden Wegstücke dieser drei Jahre?
Benedikt XVI. zeigte sich der Welt sofort mit einem besonderen Profil. Er versuchte nicht, die Ausdrucksformen seines Vorgängers aufzunehmen, stattdessen hat er einen eigenen «Stil» benutzt, der ihn als das auszeichnet, was er immer war, ein Theologe, der Papst wurde. Dies hat sich in der Geschichte der Kirche nicht so häufig ereignet. Ich glaube, der erste Papst, der so beschrieben werden kann, ist Leo der Große. Benedikt XVI. setzt seine außergewöhnliche theologische Kompetenz nicht dazu ein, um in den Akademien oder bei den Experten der Theologie Gehör zu finden, sondern um den Einfachen die großen Wahrheiten des christlichen Glaubens nahe zu bringen – wohlgemerkt ohne diese zu vereinfachen. Offensichtlich wird dies, wenn er auf dem Petersplatz Priestern, Jugendlichen oder Erstkommunionkindern auf Fragen antwortet. Die Antworten sind nie banal, sondern stets eindrucksvoll und anspruchsvoll. Er ist ein Papst, der Dinge von großem Gehalt sagt und die gewöhnlichen Menschen zum Denken anregt. Man kann das leicht nachprüfen, wenn man sich bei seinen Predigten unter die Menge mischt – ich mache das oft. Es herrscht eine eindrucksvolle Aufmerksamkeit, seine Worte werden in einer Stille aufgenommen, die beeindruckend ist, denn außer seiner Stimme sind nur die Geräusche der Brunnen zu hören. Die Menschen erwarten stets, dass er etwas Bedeutendes sagt. Überraschend ist auch bei einem Papst, der als kühl beurteilt wird, dass die Zahl der Besucher bei seinen öffentlichen Begegnungen sogar jene der Treffen mit Johannes Paul II. übertrifft.

Wie erklären Sie sich diese unspektakuläre Popularität?
Es gibt einen autobiographischen Bezug. Ich denke da an die Katechese über den heiligen Augustinus. Benedikt hat darin ein Profil nachgezeichnet, das das eigene geistliche Abenteuer wiedergibt. Das zeigte sich, als er unterstrich, dass Augustinus nach der Bekehrung zum Christentum davon träumte, sich mit einigen Freunden in eine klösterliche Gemeinschaft zurückzuziehen, um sich dort vollkommen dem Studium und der Kontemplation zu widmen, dies aber nicht machen konnte, weil er zum Bischof von Hippo ernannt wurde ...
Das scheint mir autobiographisch. Der Professor, der einen ruhigen, dem Studium gewidmeten Lebensabend verbringen wollte, wird dazu berufen, die Weltkirche zu führen. Aber, wie Augustinus, Theologe und Seelsorger zugleich, versucht er, seinen innerlichen Reichtum und den seines Studiums den einfachen Menschen zu überbringen. Er weiß genau, dass es eine brennende Frage unter den Menschen gibt, die heute Opfer der großen kulturellen Desorientierung sind: Die heutige Massenkultur zerstört die Gewissheit und führt zur Verwirrung.

Sehen Sie darin den Grund für die so große Feindseligkeit bei seinen Gegnern?
Man kritisiert ihn, ohne über das zu diskutieren, was er sagt. Die Gegner ahnen, dass er zu anspruchsvolle Dinge sagt, und lehnen deshalb eine Diskussion ab. Sie ziehen sich einfach auf das Vorurteil zurück, der Papst sei antimodern. Benedikt erörtert große Themen, die auch Johannes Paul II. angesprochen hat. Und auch er wurde lange kritisiert und nur gegen Ende seines Lebens von den Medien «angenommen». Zugleich zeigt Benedikt, wie unabdingbar und wie tief verwurzelt diese Fragen in den wesentlichen Fragen der geschichtlichen Gegenwart sind. Er erörtert alles, er zeigt, dass alles zusammengehört, dass alles verbunden ist. Er spricht von Gott und dem Tod, was wäre entscheidender? Eine Diskussion über diese Fragen kann man nur vermeiden, wenn man sie ignoriert. Dabei trägt er selbst paradoxerweise zum kommerziellen Erfolg seiner Gegner bei, wie man in den Buchhandlungen sehen kann.

Wie ist sein Dialog mit den Mächtigen in dieser Welt?
Gewiss wurde die immense Autorität, die die Kirche unter Johannes Paul II. erlangt hatte, nicht geschwächt, auch wenn für Benedikt «religiöse Geopolitik» kein Angelpunkt seines Pontifikats darstellt. Seine wichtigsten Reden sind nicht die vor einem diplomatischen Corps, weder wenn er Botschafter empfängt noch wenn er reist. Seine Vision zeichnet sich mehr durch die Theologie der Geschichte als durch Geopolitik aus. Unter diesem Gesichtspunkt ist er eher augustinisch als thomistisch. Denn es handelt sich dabei um De Civitate Dei. Die Stadt Gottes ist mit der irdischen Stadt verwoben, und zwar auf untrennbare Art und Weise, ununterscheidbar im Verlauf der pilgernden Kirche. In dieser Welt, in der alles verwoben und verwirrt ist, weckt er das Bewusstsein der Menschen auf, welche sonst nicht in der Lage wären zu unterscheiden. Die Beziehung zur Außenwelt ist in erster Linie eine religiöse und kulturelle, aber keine politische. Denken wir an die Beziehung zu den muslimischen Ländern. Er vertritt die These, dass es zwischen den Religionen, besonders zwischen Christentum und Islam, nicht darum gehen kann, eine unmögliche und sinnlose theologische Vermittlung zu versuchen; jede Religion hat ihren Glauben, muss diesen aufrechterhalten und muss deutlich und ohne Kompromiss für sich sprechen. Das Einverständnis muss stattdessen auf dem Gebiet zu Stande kommen, das allen gemeinsam ist, ganz egal welcher Religion sie angehören: Die wesentlichen Grundsätze, die im Herzen jedes Menschen eingeschrieben sind, das heißt die Zehn Gebote oder die Menschenrechte. Man kann sie unterschiedlich bezeichnen, aber für ihn sind es diese Grundsätze, die ein fruchtbares Einverständnis bilden können.

Zwei Enzykliken, über die Nächstenliebe und die Hoffnung. Bald erscheint die dritte. Wie prägen sie das Pontifikat?
Die beiden Enzykliken sind gewiss die großen Säulen seiner meisterhaften Architektur. Diesen möchte ich einige bedeutende Reden hinzufügen. Die Rede über die Tradition in der Kirche, die er im Dezember 2005 vor der römischen Kurie gehalten hat; die Regensburger Rede und die berühmte Rede für seinen Besuch an der Sapienza-Universität. Diese fünf Texte verkörpern den grundlegenden Kern des Gedankens bei Benedikt. Persönlich halte ich Spe salvi für ein Meisterwerk. Der Weg ist aber noch nicht vollendet, wenn wir nicht auch das Buch Jesus von Nazareth in die Liste mit auf nehmen. Ein Buch über Jesus zu schreiben, heißt, sich bewusst zu werden, dass die Kirche mit der Frage nach Jesus steht und fällt, dass dieser Mensch der Mittelpunkt von allem ist. Zugleich zeigt es das Bewusstsein, dass die Figur Jesu sich in Gefahr befindet: Einerseits gibt es einen Glauben, der dazu tendiert, die wahre Identität zu verschleiern. Das zeigte sich etwa an den Protesten gegen Dominus Iesu, und zwar nicht außerhalb, sondern in der Kirche. Andererseits gibt es eine ostentative Ablehnung. Der Papst spürte die Dramatik dieser Haltungen. Er wollte ihnen entgegentreten, indem er Jesus in seiner Wesentlichkeit darstellt. Das hat er mit einem Buch getan, ein universales Instrument, mit dem alle erreicht werden können, ohne Filter und Vermittlung. Er weiß genau, dass seine Lehre nicht so leicht ankommt. Nehmen wir die Mittwochskatechesen oder die Predigten: Dabei handelt es sich um Reden, die von einer erstaunlichen Schönheit zeugen, doch erreichen sie tatsächlich nur einen kleinen Kreis an Empfängern.

Eines der großen Themen Benedikt XVI. ist die Religionsfreiheit. Leider muss man sagen, dass in dieser Frage in einem großen Teil der Welt, wo die Muslime die Mehrheit bilden, keine Verbesserung zu erkennen ist. Im Gegenteil, wenn wir an den Irak denken, müssen wir ganz offen von Verfolgung sprechen ...
Das ist eine sehr ernste Angelegenheit. Denn wir können uns durch einen einseitigen Optimismus darüber hinwegtäuschen, wenn wir nur auf die Ebene der Gelehrten und Religionsführer schauen; ein Beispiel dafür ist der «Brief der 138». Die Situation ist aber auf diesem Feld viel beunruhigender als zu früheren Zeiten. Über Jahrhunderte hatten es die Christen geschafft, in der islamischen Welt zu überleben, und gerade heute riskieren sie, in gewissen Ländern zu verschwinden. Dessen ist sich die Kirche nicht überall bewusst, viele bleiben unaufmerksam und wenden sich davon ab. Ganz zu schweigen von den Medien und den Regierungen: Es findet eine große Mobilisierung für den Buddhismus statt, die sicher angemessen ist. Aber wer kämpft für die Christen?