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Thema- Der Papst bei der UNO
Im Herzen des Imperiums
Riccardo Piol

Vom 15. Bis 20. April besucht Benedikt XVI. die Vereinigten Staaten. Zu den wichtigsten Augenblicken des Besuches gehört der Vortrag vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen. Ein Zeugnis vor der gesamten Welt für den Wert des Lebens, der Freiheit und die Würde des Menschen.

«Wenn ich im Vatikan um eine Audienz bitte, komme ich nicht, um den König des Vatikanstaates zu sehen, sondern das Oberhaupt der katholischen Kirche». Auch wenn diese Anmerkung von Dag Hammarskjöld, Generalsekretär der UNO von 1953–1961 abgedroschen erscheinen mag, hilft sie uns doch, den besonderen Charakter des Heiligen Stuhls innerhalb der Vereinten Nationen und anderer internationaler Organe zu verstehen, an denen die päpstlichen Gesandten und vatikanischen Beobachter teilnehmen. Im Glaspalast von New York, beim Europarat in Straßburg oder bei der OSZE in Wien, nehmen die Repräsentanten des Heiligen Stuhls eine Funktion ein, die Kardinal Tauran in einer lectio magistralis von 2002 (als er noch vatikanischer Außenminister war) mit folgenden Worten umschreibt: «Das Subjekt, das mit den Akteuren des internationalen Lebens in Kontakt tritt, ist weder die katholische Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen, noch der Vatikanstaat, – ein kleiner Staatsapparat, der mit einem Minimum an Territorium die geistige Freiheit des Papstes garantiert –, sondern der Heilige Stuhl, das bedeutet der Papst und die Römische Kurie, geistige und universale Autorität, einziges Zentrum der Gemeinschaft; Souveränes Objekt mit internationalen Rechten; mit religiösem und moralischem Charakter.»

Universal durch Geschichte und Berufung
Der Heilige Stuhl ist die einzige konfessionelle Institution auf der Welt, die diplomatische Beziehungen unterhält und Inhaber echter internationaler Statuten ist. Die Gründe für diese Einzigartigkeit lassen sich gut verstehen, wenn man den transnationalen Charakter der Kirche berücksichtigt – universal in ihrer Definition –, wenn man an die internationale Dimension ihres Oberhauptes denkt – der Papst wird von einem Konklave aus der ganzen Welt gewählt, um seinerseits eine weltumspannende Regierung auszuüben –, aber vor allem, wenn man auf die Geschichte schaut. Denn die Kirche hat mit der Ausübung ihrer internationalen diplomatischen Beziehungen schon lange vor der Geburt der UNO begonnen, sogar noch bevor die Nationen entstanden und der Pontifex eine weltliche Macht beanspruchte. Es begann im Jahre 453, als der heilige Papst Leo der Große einen seiner Gesandten mit zahlreichen Begleitschreiben zum Patriarchen Marcianus und Kaiser Theodosius schickte. Ein apostolischer Nuntius ante litteram, jener Julian von Kos. Er war der Erste einer ununterbrochenen Reihe von päpstlichen Diplomaten, die besonderer Ausdruck der Aufmerksamkeit des Papstes gegenüber den verschiedenen Ortsgemeinden sind und der vollen Staatsbürgerschaft des Heiligen Stuhls in der internationalen Gemeinschaft.
Der Heilige Stuhl unterhält heute diplomatische Beziehungen zu 176 Staaten, also nur zu einigen weniger als den 192 Mitgliedsstaaten der Generalversammlung der UNO. Denen, die ihn aus dem Glaspalast drängen oder auf den Rang einer Nichtregierungsorganisation herabstufen möchten – was letztmalig in einem Artikel des Economist aus dem vergangenen Jahr geschah, – würde es genügen, mit diesen Zahlen zu antworten. Dass der Heilige Stuhl von der internationalen Gemeinschaft als moralische Autorität sui generis anerkannt wird, ist ein Faktum.
Er hat seit dem 6. April 1964 einen festen Sitz bei den Vereinten Nationen mit dem Status eines «ständigen Beobachters», nimmt somit an der Generalversammlung teil mit einem Rede- und Widerspruchsrecht, allerdings ohne Stimmrecht, was ihn von den Mitgliedsstaaten unterscheidet. 2004 wurden diese Vorrechte durch die neue UN-Resolution 58/314 bestätigt und erweitert. Im Laufe der Jahre erweiterte der Heilige Stuhl seine Vertretung in dem größten multilateralen Organismus der Welt auf vier Diplomaten. Mit dem Besuch von Benedikt XVI. sind es bereits 3 Päpste, die vor der Generalversammlung das Wort ergriffen haben, einer von ihnen sogar bei zwei Gelegenheiten.

Zeuge für die Würde des Menschen»
Als erster Papst sprach Paul VI. im Glaspalast und zwar am 4. Oktober 1965. In Rom stand das II. Vatikanische Konzil kurz vor dem Abschluss und der Papst berichtete den Kirchenvätern bei seiner Rückkehr in den Vatikan, von «unserer vollbrachten Reise über den Ozean». Der Papst bediente sich damals des Pluralis majestatis. Die Notwendigkeit eines dauerhaften Friedens nach dem zweiten Weltkrieg und die Hoffnung, dass sich die UNO als angemessenes Instrument im Hinblick auf das Zusammenleben der Völker erweist, belebten diese erste Begegnung zwischen dem Pontifex und den damals 117 Mitgliedsstaaten der UNO. Dann kam Johannes Paul II.. Weniger als ein Jahr nach seiner Ernennung zum Papst besuchte der polnische Papst am 2. Oktober 1979 den Glaspalast. Seit dem Besuch von Paul VI. waren nur 14 Jahre vergangen, aber die Welt hatte sich tiefgreifend verändert: es herrschte der Kalte Krieg, das Wettrüsten und die stets lebendige Angst vor einem atomaren Konflikt. Auch bei dieser Gelegenheit richtete der Pontifex seinen Appell zum Frieden an die Nationen und Völker. Auch damals wandte sich der Nachfolger Petri an die, wie er sie nannte «Familie der Nationen», im Bewusstsein der ihm anvertrauten prophetischen Mission. Und das Gleiche tat er auch am 4. Oktober 1995 bei seinem zweiten Besuch der UNO: Er lud dazu ein, «über die Angst hinaus zu gehen», «eine Gesellschaft der Liebe» zu schaffen: Es war ein wiederholter Appell an die Freiheit des Menschen. Und die Welt war wiederum eine andere. Nicht mehr die Welt von Paul VI. und nicht einmal mehr die Welt seiner ersten Reise nach New York. Der Kommunismus war zusammengebrochen und es entstand eine immer tiefer werdende Kluft zwischen der entwickelten Welt und der so genannten Dritten Welt.
Johannes Paul II. rief zum Mut auf, «im scheidenden Jahrhundert und für das kommende Jahrtausend eine Gesellschaft aufzubauen, die der menschlichen Person würdig ist, eine wahre Kultur der Freiheit».
Am 18.April besucht Papst Benedikt XVI. den Glaspalast. In den letzten zehn Jahren hat sich der Heiligen Stuhl bei den Vereinten Nationen neue Aktionsfelder erschlossen, etwa um das menschliche Leben von Anbeginn und den Wert der Familie zu verteidigen. Zu den beklagten Problemen sind neue hinzugekommen, ohne dass man viel dafür getan hätte, die alten zu lösen. Neu sind die weltlichen Szenarien, mit denen sich Mitgliedsstaaten der UNO konfrontiert sehen. Keine Neuheit dagegen ist das Misstrauen gegenüber einem Organ, das sich bei zu vielen Gelegenheiten als unfähig erwiesen hat, Kriege und Völkermorde zu verhindern. Aber die Vereinten Nationen, gewollt oder ungewollt, sind nicht anders als die Welt, die sie repräsentieren. An diese 192 Delegierten, die einen Platz in dem repräsentativsten Parlament der Geschichte haben, wendet sich Benedikt XVI. mit seinem Beitrag. Die Betonung der Würde der Person, die Verteidigung des Lebens in all seinen Entwicklungsstufen, die Religionsfreiheit und die Bedeutung eines Dialogs zwischen den verschiedenen Kulturen, die Pflicht, sich für die Behandlung, Ernährung und Erziehung derjenigen einzusetzen, denen es am Nötigsten fehlt, der Einsatz aller, für die Freiheit des Menschen und zum Aufbau des Gemeinwohls ... der Heilige Stuhl hat sich schon immer nachdrücklich für diese Themen eingesetzt. Benedikt XVI. richtet sich wie seine Vorgänger durch die UNO an die gesamte Welt. Aber mehr als alle Worte und Appelle erinnert seine weiße Silhouette, seine Präsenz in der Mitte derer, die über die Weltgeschicke zu entscheiden haben, an die Worte Johannes Paul II. im Jahre 1995: «Ich stehe hier vor euch als ein Zeuge: ein Zeuge der Würde des Menschen, ein Zeuge der Hoffnung, ein Zeuge der Überzeugung, dass die Bestimmung jeder Nation in den Händen der göttlichen Vorsehung ruht».