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Politik
Die Richtschnur des Christen gegenüber der Politik
Giorgio Vittadini

Im Folgenden geben wir einen weiteren Beitrag zum Verhältnis von Christentum und Politik wieder. Anlass für den Kommentar sind die Parlamentswahlen in Italien. Doch ruft er Grundaussagen der katholischen Soziallehre in Erinnerung, die in einer zunehmend säkularen Welt wesentlich sind.

Im Rahmen des italienischen Wahlkampfes ist es vielleicht nicht unnütz, an einige (für Christen wie Nichtchristen) hilfreiche Kriterien zu erinnern, mit denen wir zur Politik Stellung nehmen können. Eine alte katholische Weisheit sagt, dass die Politik weder den Anspruch haben kann noch haben soll, das Glück zu bringen; mehr noch: Sie sollte nicht einmal den Anspruch erheben, allein für das Gemeinwohl zu sorgen. Wie Benedikt XVI. gesagt hat: «Auch die besten Strukturen funktionieren nur, wenn in einer Gemeinschaft Überzeugungen lebendig sind, die die Menschen zu einer freien Zustimmung zur gemeinschaftlichen Ordnung motivieren können.» (Spe Salvi 24a) Wie nämlich Don Giussani im Jahre 1987 auf einem Kongress der christdemokratischen Partei in der Lombardei hervorhob, ist in gewissen Gemeinschaften – sozialen Einrichtungen, Bewegungen, Vereinswesen – eine Erziehung zur «Beziehung zum Unendlichen, die die Person zu einem handelnden Subjekt in der Geschichte macht» eher möglich. Zu einem Subjekt also, das Werke und Vereine hervorzubringen vermag, die seiner Freiheit und seinem Einfallsreichtum Ausdruck verleihen.

Worin besteht also in diesem Zusammenhang die Rolle der Politik? Hierzu führte Don Giussani in Assago weiter aus: «Echte Politik hingegen verteidigt jede Neuheit des Lebens, sobald sie auftritt, sollte dies auch die aktuellen Machtkonstellationen verändern.» Entsprechend wird ein Staat bevorzugt, «der wirklich laizistisch ist, das heißt im Dienste des gesellschaftlichen Lebens steht, gemäß der thomistischen Auffassung vom “Gemeinwohl”, die der große und unvergessene Leo XIII. in seinem Lehramt kraftvoll wieder aufgegriffen hat.» Daher gilt es in der Politik, jegliches utopische Verhalten zu vermeiden, das im Namen moralischer und idealer Grundsätze die tatsächlichen Gegebenheiten übergeht, in denen sich Politik abspielt. Solche utopischen Haltungen ermöglichen letztlich das Aufkommen von Machtsystemen, die unfähig sind, ein freies und friedliches Zusammenleben zu ermöglichen. Heute kommt es zum Beispiel zu diesem Eigentor, wenn man politisch-ethische Unternehmungen unterstützt, die ihrem Inhalt nach ganz und gar gut sind, in Wirklichkeit aber lediglich eine Verhärtung der Debatten heraufbeschwören. Dies verringert nur die Möglichkeit, heute und in Zukunft in ausgewogener und vertiefter Weise zu Themen Stellung zu nehmen, die unverhandelbar sind, weil sie den Begriff der Person als solchen betreffen. Oder der Fehler kann auch darin bestehen, Wählerstimmen auf aussichtslose Parteien zu verschwenden und so unfreiwillig den Aufstieg von Parteien zu fördern, die von den eigenen Idealen besonders weit entfernt sind.

Wenn man hingegen die Politik nicht als Mittel für das Heil des Menschen ansieht, sondern als Kunst des guten Kompromisses im Interesse des Gemeinwohls, und dabei die wirklichen Gegebenheiten des Wahlrechts und der staatlichen Einrichtungen im Auge behält, dann sollte man vor allem jene Machtkonstellationen fördern, die mit größerer Wahrscheinlichkeit Räume lassen, in denen Familien, Bewegungen, Vereine, wirtschaftliche und soziale Unternehmungen sich entfalten können, die aus einem Blickwinkel der Subsidiarität heraus die Gesellschaft beleben. Auch heute noch ist das Prinzip der libertas ecclesiae et societatis (der Freiheit der Kirche und der Gesellschaft) die wahre Richtschnur des Christen gegenüber der Politik.