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Aufmacher
Deine Arbeit ist ein Werk
Bernhard Scholz, Julián Carrón

Aufzeichnung der Beiträge von Bernhard Scholz und Julián Carrón bei der nationalen Versammlung der Compagnia delle Opere, Mailand, 16. November 2008.

Bernhard Scholz
Die derzeitige Situation hat uns in eine Sackgasse geführt und wir müssen wieder auf den richtigen Weg zurückfinden. Er wird sicher mühsam und steil, aber dafür ist es der richtige Weg. Er geht nämlich von der Arbeit selbst aus und macht uns bewusst, dass all unser Tun einen unendlichen Wert besitzt. Wir hatten das heutige Thema schon vor der Finanzkrise gewählt. Denn uns war seit langem bewusst, dass etwas schief läuft, dass man von der Profit-Orientierung und Gewinnfixierung wegkommen und zu einer neuen Wertschätzung der Arbeit zurückfinden muss. Wir haben alle Mitglieder des Leitungsgremiums gebeten, uns Fragen zu dem Thema schicken. Davon haben wir zwei ausgewählt. Die erste Frage, die ich Don Carrón stellen möchte, berührt ein Thema, das in vielen Beiträgen zur Sprache kam und einen existenziellen Widerspruch betrifft: Einerseits wird die Arbeit als Strafe erlebt, eine Art von unvermeidlichem Unglück, dem man sich unvermeidlich ergeben muss; andererseits lebt man die Arbeit als emotionalen Höhenflug, besonders in Momenten des Erfolges für die Karriere oder das Unternehmen. Einige konsumieren die Arbeit auch als Droge, um daraufhin in tiefe Depression zu verfallen. Deshalb geht es um die Frage, wie kann man die Arbeit als ein freies Subjekt leben, das nicht von den Umständen abhängt, sondern in der Lage ist, diese anzugehen? Welche Bedeutung hat die Arbeit?

Julián Carrón
Die Arbeit kann, wie du sagst, entweder als Höhenflug oder als Strafe erfahren werden. Jeder lebt die Arbeit so, wie er mit sich selbst umgeht, denn die Arbeit ist Ausdruck des Ich. In der Arbeit vollzieht sich genau dasselbe wie im Leben, besonders dann, wenn man sich selbst auf bestimmte Art und Weise wahrnimmt. Denn wenn wir uns als autonom und selbstgenügsam verstehen, und nur von uns ausgehen, durchleben wir alle Höhenflüge und Momente der Niedergeschlagenheit. Darin kommt das Paradoxon des Menschen zum Vorschein: seine Größe, die ihn gigantische Dinge anstreben und verwirklichen lässt, und seine Kleinheit, die ihn sich seiner abgrundtiefen Unangemessenheit bewusst werden lässt. Der Mensch, der sich selbst alleine, autonom, ohne Beziehungen versteht, hängt fast unausweichlich von diesem Wechselspiel von Höhenflügen und Depressionen ab; Momenten, in denen er den Himmel berühren kann und sich Gott zu sein wähnt, und Momenten, in denen er zum Abgrund niedersteigt und sich als Nichts betrachtet. Wie viele werden in diesen Tagen der Finanzkrise diese Erfahrung gemacht haben!
Auch die Bibel kennt dieses Paradoxon, wie wir es in aller Deutlichkeit im Psalm 8 beschrieben sehen: »Seh ich den Himmel, das Werk deiner Finger, Mond und Sterne, die du befestigt. Was ist der Mensch, dass du an ihn denkst, des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? Du hast ihn nur wenig geringer gemacht als Gott, hast ihn mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt, Du hast ihn als Herrscher eingesetzt über das Werk deiner Hände, hast ihm alles zu Füßen gelegt« (Ps 8, 4-7).
Es geht also darum, die Größe und Kleinheit des Ich anzuerkennen. Der religiöse Mensch lebt dieses Paradoxon, wie wir im Psalm sehen, innerhalb einer Beziehung, die ihn unterstützt und dieses Paradoxon erhellt, indem sie die Illusion verhindert, sich in Abhängigkeit vom Erfolg entweder Gott zu wähnen oder aber ein Nichts. Dies ermöglicht, in Frieden zu arbeiten, in Frieden voranzuschreiten und der Arbeit einen Sinn zu geben, der darin besteht, wie der Psalm sagt, mit dem Schöpfer bei der Vervollständigung Seines Werkes zusammenzuarbeiten. Diese Beziehung gibt dem Menschen Halt. Sie ermöglicht es ihm, in jeder Situation neu anzufangen und eine Antwort auf die Frage zu finden: Wie kann man die Arbeit als freier Mensch leben, ohne Sklave der Umständen zu sein? Die Antwort hängt weder von der Art der Arbeit ab, noch von ihren Bedingungen, sondern vom Grad der Menschlichkeit des Subjektes.
Bei einem anderen Treffen, an dem vielleicht auch einige von euch teilnahmen, habe ich einen Brief zitiert, den ein Junge seiner Freundin geschickt hatte unmittelbar vor einem chirurgischen Eingriff, bei dem er starb. Er musste eine Prüfung ablegen und schrieb Folgendes: »Wir alle haben eine Prüfung in unserem Leben abgelegt und es ist sicher nichts Außergewöhnliches. Das dachte ich, bevor ich Menschen kennen gelernt habe, die mich durch eine regelrechte Revolution zwangen, mich zu fragen, wie ernsthaft ich mein Leben lebe. Wie ihr wisst, muss ich in wenigen Tagen für eine Rückenmark-Transplantation ins Krankenhaus und ihr werdet euch fragen, was das mit meinem Examen zu tun hat? Wenn ich nicht der Bewegung angehörte, wenn ich bei der Bewegung nicht gelernt hätte, das Studium als eine fantastische Gelegenheit zur Suche nach Wahrheit zu betrachten, meinem Leben einen Sinn zu geben und mir ein umfassendes Urteil darüber zu bilden, hätte ich mich schon längst beruhigt zu Hause verkrochen, in Erwartung meiner Einlieferung ins Krankenhaus. Vielleicht hätte ich das eine oder andere Buch gelesen oder die Zeitung. Aber im Grunde hätte ich meine Tage vertan mit der passiven und verzweifelten Suche nach einem Zeitvertreib für die Wartezeit vor dem Krieg (denn es ist wie in den Krieg zu ziehen). Während ich für das Examen lernte, war es nicht die freie Zeit, die meine Tage füllte, sondern ich füllte sie aus mir selbst heraus. Nicht die Leere diktierte den Rhythmus meines Lebens: Ich selbst habe das getan, ich war Herr und Patron meiner Tage. Ich studierte Zivilprozessrecht, ging Tag für Tag die verschiedenen Themen durch und war glücklich darüber, noch Herr meiner Tage und schließlich meines Lebens zu sein [das ist Protagonismus: bis zum letzten Augenblick!]. Wäre ich träge gewesen und hätte abgewartet, wie die Zeit verging, wäre ich ihr Sklave geblieben, hätte mich verbraucht, ohne mir dessen auch nur bewusst zu sein. Heute macht mich glücklich, das Examen in Zivilprozessrecht bestanden zu haben, aber schon gestern war ich stolz auf mich, fühlte ich mich als Mensch verwirklicht, denn ich wusste, dass ich gegen alle Hoffnung hoffte.«
Dies bezeugt, worin die Nützlichkeit des Lebens und auch der Arbeit besteht: »Der Nutzen [dessen, was man tut, wie wir im zitierten Beispiel sehen] ist unabhängig von dem, was man tut, sondern gebunden an das Bewusstsein, mit dem man es tut, und das ist die Freiheit! Wenn der Wert einer Handlung in den Umständen der Handlung besteht, dann gibt es keine Freiheit mehr, denn wir hängen vom Zufall ab. Das Bewusstsein dessen, was man macht, führt hingegen dazu, [dass man frei lebt].«
Und so ist die Arbeit und auch die Prüfung keine Strafe, sondern Teil des Weges zur Bestimmung, das heißt zur Fülle des Ich. Im Lichte des anschließenden Todes dieses Jungens versteht man, welche Tragweite dieses Handeln hatte, diese Art zu handeln. Wer hätte je gesagt, dass er sich auf diese Weise vorbereitete, den letzten Schritt auf die Bestimmung zuzugehen? Aber er lebte dieses Bewusstsein schon, das ihn frei werden ließ, sogar von der Krankheit. Aber damit dies möglich ist, ist es notwendig, dass jeder, wie dieser Junge, einen anderen findet, der ihn einführt, in dieser Haltung zu leben, die er uns bezeugt: als Herr der Situation, nicht als Sklave oder Untertan. Um die Arbeit in Freiheit und nicht als Strafe zu leben, muss man, wie er, die Bedeutung der Arbeit verstehen.
Welche Bedeutung hat die Arbeit? Wenn ich den Sinn einer Handlung verstehen will, muss ich den Zusammenhang zwischen meinem Tun – gleich wie umwälzend oder einfach –, und der Bestimmung verstehen, also der Erfüllung des Lebens, die Fülle des Ich. Dies schließt eine angemessene Wahrnehmung meiner selbst ein. Der Mensch besteht aus einer Sehnsucht nach dem Unendlichen. Giussani hat dies vor vielen Jahren folgendermaßen beschrieben: »Die Arbeit ist Ausdruck unseres Seins. Dieses Bewusstsein lässt den Arbeiter, der sich acht Stunden lang über dem Schreibtisch müht, genau wie den Unternehmer, der ganz darauf ausgerichtet ist, sein Geschäft weiterzuentwickeln, durchatmen. Aber unser Sein – das, was die Bibel „Herz“ nennt: Mut, Zielstrebigkeit, Mühe – ist Durst nach Wahrheit und Glück. Es gibt keine Arbeit, von der demütigen der Hausfrau bis hin zur genialen des Projektplaners, der sich dieser Bezugnahme entziehen kann, auf der Suche nach einer vollen Erfüllung, einer menschlichen Erfüllung: Es ist der Durst nach Wahrheit, der von der Neugier ausgeht, um sich hineinzuvertiefen in das geheimnisvolle Rätsel der Suche; Durst nach Glück, der von der Instinktivität ausgeht und sich ausdehnt hin zu jener würdevollen Konkretion, die allein den Instinkt davor bewahrt, sich vom falschen und flüchtigen Schein betrügen zu lassen. Dieses Herz setzt jeden in Bewegung, gleich welches Vorhaben er ausführt.« (L. Giussani, L’io, il potere, le opere, Marietti, Genova 2000, S. 91-92).
Wer diese elementare Wahrheit über das Leben versteht, wird sich zum einen bewusst, dass es diese Sehnsucht nach Erfüllung ist, die uns zum Arbeiten antreibt; zum anderen aber wird man sich bewusst, dass keine Erfüllung dieser Arbeit, kein noch so guter Ausgang oder Erfolg, ausreichen kann, um diese Sehnsucht nach Fülle, die wir in uns vorfinden, zu erschöpfen. Es erscheint geradezu pathetisch, wenn nicht gar tragisch, dass jemand, der etwa große Erfolge in der Forschung hat, etwas so Offensichtliches vernachlässigen kann. Wer dies vernachlässigt, empfindet die Arbeit schließlich als Strafe. Dies überkommt den Menschen dann, wenn er denkt, er könne sich in dem, was er tut, verwirklichen. Die Erwartung des Herzens kann nicht an seinen Realisierungen gemessen werden. Darin besteht die einzigartige Größe des Menschen.
Daher gibt es nur einen Weg, um die Arbeit nicht als Strafe wahrzunehmen, sondern so, wie uns dieser Junge bezeugt, als Weg zur Bestimmung, das heißt als Schritt hin zu dem Einzigen, der das Herz des Menschen erfüllen kann: dem Geheimnis. Deshalb sagte Don Giussani, dass das Werk, die Arbeit »letzten Endes eine offene Bitte an den religiösen Sinn ist. Das gilt für den, der glaubt, wie für den, der nicht glaubt. Denn der religiöse Sinn wohnt jedem Menschen inne.« (ibidem, p. 92). Und die Tragik besteht darin, dass wir denken, diesen Aspekt aus dem Horizont des Lebens löschen zu können.
Um diese Tragik zu vermeiden, muss jeder bereit sein, das Geheimnis, von dem die unendliche Bedürftigkeit des Herzens zeugt, anzuerkennen und jeden Schritt im Leben in Beziehung mit ihm zu gehen. Nur wer die Herausforderung dieser schwindelerregenden Situation annimmt, kann verstehen, was der Sinn der Arbeit ist. Dann ist er auch in der Lage, die Mühe, die dies einschließt, auf sich zu nehmen, ohne sich von möglichen Rückschlägen entmutigen zu lassen.
Um uns auf unserem Weg zu begleiten und uns den Sinn der Arbeit zu enthüllen, ist das Geheimnis Fleisch geworden. Jesus von Nazareth ist Sohn dessen, von dem er selbst sagt: »Mein Vater arbeitet bis jetzt« (Joh 5,17). Das heißt mein Vater ist ewiger Arbeiter und indem er Mensch wurde, hat er uns gezeigt, wie wir die Arbeit leben sollen. Indem wir uns in ihn hineinversetzen, können wir die Arbeit so leben, wie er sie lebt, das heißt als Beziehung zum Geheimnis.
Dass wir es hier nicht mit einer Einbildung zu tun haben, bezeugt uns die Tatsache, dass dies einen neuen Begriff von Arbeit in die Geschichte eingeführt hat, eine Liebe zur Arbeit. Daran hat uns der Papst neulich erinnert: »In der griechischen Welt galt die körperliche Arbeit als Sache der Unfreien. Der Weise, der wirklich Freie ist allein den geistigen Dingen hingegeben; er überlässt die körperliche Arbeit als etwas Niedriges den Menschen, die zu diesem höheren Dasein in der Welt des Geistes nicht fähig sind. Ganz anders die jüdische Tradition: Alle die großen Rabbinen übten zugleich auch einen handwerklichen Beruf aus. Paulus, der als Rabbi und dann als Verkünder des Evangeliums an die Völkerwelt auch Zeltmacher war und sich den Unterhalt mit der eigenen Arbeit seiner Hände verdiente, ist hier keine Ausnahme, sondern steht in der gemeinsamen Tradition des Rabbinentums. Das Mönchtum hat diese Überlieferung aufgenommen; der Hände Arbeit gehört konstitutiv zum christlichen Mönchtum. Benedikt spricht in seiner Regula nicht eigens über die Schule, obwohl Unterricht und Lernen praktisch darin vorausgesetzt sind, wie wir sahen. Aber er spricht ausdrücklich über die Arbeit (vgl. Kap. 48). Und genauso Augustinus, der der Mönchsarbeit ein eigenes Buch gewidmet hat. Die Christen, die damit in der vom Judentum vorgegebenen Tradition fortfuhren, mussten sich dazu noch zusätzlich angesprochen sehen durch das Wort Jesu im Johannes-Evangelium, mit dem er sein Wirken am Sabbat verteidigte: „Mein Vater arbeitet bis jetzt und auch ich arbeite“ (Joh. 5, 17). Die griechisch-römische Welt kannte keinen Schöpfergott; die höchste Gottheit konnte sich ihrer Vision nach nicht mit der Erschaffung der Materie gleichsam die Hände schmutzig machen. Das „Machen“ der Welt war dem Demiurgen, einer untergeordneten Gottheit vorbehalten. Anders der christliche Gott: Er, der eine, der wirkliche und einzige Gott ist auch Schöpfer. Gott arbeitet; er arbeitet weiter in und an der Geschichte der Menschen. In Christus tritt er als Person in die mühselige Arbeit der Geschichte ein. […] Gott selbst ist der Weltschöpfer, und die Schöpfung ist nicht zu Ende. Gott arbeitet […] [es erscheint uns fast als Scherz]. So musste nun das Arbeiten der Menschen als besondere Weise der Gottebenbildlichkeit des Menschen erscheinen, der sich damit am weltschöpferischen Handeln Gottes beteiligen kann und darf. Zum Mönchtum gehört mit der Kultur des Wortes eine Kultur der Arbeit, ohne die das Werden Europas [Achtung, wir sprechen von der Mystik], sein Ethos und seine Weltgestaltung nicht zu denken sind. Zu diesem Ethos müsste freilich gehören, dass Arbeit und Geschichtsgestaltung des Menschen Mit-Arbeiten mit dem Schöpfer sein will und von diesem Mit her ihr Maß nimmt. Wo dieses Maß fehlt und der Mensch sich selber zum gottartigen Schöpfer erhebt, kann Weltgestaltung schnell zur Weltzerstörung werden.« (Benedikt XVI, Ansprache von Papst Benedikt XVI. an die Welt der Kultur, Begegnung im Pariser Collège des Bernardins, 12. September 2008)
Wir sind in viele Aspekte der Arbeit eingebunden: entweder gibt es diese modernen »Mönche«, die diesen Sinn der Arbeit haben und zu dieser Art von Arbeit erziehen können, oder aber es wird schwierig, Jugendliche, die oftmals völlig indifferent leben, in diese Erwachsenenwelt einzuführen, damit sie mitarbeiten an der Bestimmung aller.
Die Begegnung mit Christus erspart uns also nicht die Arbeit, sondern versetzt uns wie die Mönche in die richtige Haltung, um sie als Menschen und nicht wie Sklaven zu leben. Er selbst enthüllt uns den vollen Sinn der Arbeit; daher können wir beginnen, auf erfüllte Weise zu arbeiten, als Ausdruck unserer Liebe zu Christus, weil diese Liebe es ist, die ermöglicht, mit einem Sinn und einer Bedeutung zu arbeiten, die unserem Menschsein entsprechen.

Die zweite Frage, die wir stellen wollen – und in der wir viele andere Fragen zusammengefasst haben – betrifft die Arbeit als einen Weg der Erkenntnis. Wir ahnen, dass die Arbeit uns in die Bedeutung der Dinge einführt, in die vertiefte Kenntnis unserer selbst. Wie ist es also möglich, diesen erzieherischen Aspekt der Arbeit richtig zu leben, das heißt das Arbeiten zu lernen und als Lernender zu arbeiten.


Ich würde darauf in drei Punkten antworten.
1. Um das Arbeiten zu lernen, müssen wir dafür verfügbar sein, eine Arbeit innerhalb der Arbeit zu tun. Es braucht eine Erziehung, die uns eine andere Erfahrung von der Arbeit vermittelt, die menschlicher ist und die fähig ist, das Leben zu verwirklichen und zu erfüllen, wie ich vorher schon sagte. Ansonsten wird die Arbeit für uns zum Grab, zu einer Verurteilung. Wir ersticken darin und warten nur darauf, dass sie endlich herum geht, damit wir anfangen können zu leben, wenn die Freizeit beginnt. Bei den meisten ist dies der Fall.
Dazu muss man zuallererst tatsächlich anerkennen, dass man das Arbeiten lernen muss. Zweitens muss man auch bereit sein, dies zu erlernen, denn das ist nicht einfach. Für einen Erwachsenen ist es nicht leicht anzunehmen, dass er etwas lernen muss, von dem er glaubt, er könne es längst. Ich habe es schon oft erzählt: Aber, was mir das Leben gerettet hat, war die Tatsache, dass ich akzeptierte, das zu lernen, was ich schon zu wissen glaubte.
Hier beginnt ein Weg der Erkenntnis. In der Arbeit so wie im sonstigen Leben bricht kontinuierlich eine Frage auf: Was für einen Sinn hat das? Warum mache ich das? Und das ist dasselbe, wie wenn ich sagen würde: Was hat die Arbeit mit meiner Person zu tun, mit meiner Bestimmung, damit, dass ich mich selbst verwirklichen will?

2. Um auf diese Frage zu antworten, reicht es nicht aus, sich des eigenen Bedürfnisses bewusst zu sein und dazu bereit zu sein, eine Arbeit innerhalb der Arbeit zu machen. Wir brauchen eine Hypothese über den Sinn der Arbeit, die einen gangbaren Weg aufzeigt. Wir wissen ganz genau, dass all unsere Willensanstrengungen und Versuche nicht ausreichen. Wie viele edle Versuche hat jeder von uns schon unternommen, die schließlich traurig endeten, weil sie nicht zum erhofften Ziel führten. Jeder von uns hat viele erfolglose Versuche unternommen. Darin besteht unser Unvermögen: es bedarf einer Aufrichtigkeit sich selbst gegenüber, um dies anerkennen zu können. Deswegen müssen wir jemandem begegnen, der uns eine Hypothese anbietet, die jeder von uns in der Wirklichkeit überprüfen kann. Wie dieser Junge ihr begegnet ist. Es scheint banal, aber an dem Beispiel dieses Jungen können wir alle Faktoren erkennen, die uns helfen, das zu verstehen.
Jeder von uns hat einen Grund, warum er arbeitet, alle haben wir einen Grund, sonst würden wir nichts tun: die Familie, das Geld, die Macht, die Gesellschaft, und so weiter. Jede Hypothese muss sich durch die Erfahrung, durch die Ereignisse, durch das, was unvorhersehbar ist, überprüfen lassen. Ob man will oder nicht, unabhängig von unseren Absichten oder verbissenen Anstrengungen, mit der wir sie verfolgen, überprüfen wir in der Wirklichkeit, ob eine Hypothese mehr oder weniger trägt. Das tritt bei der jetzigen Wirtschaftslage deutlich zutage: Wie viele Hypothesen haben sich bewahrheitet, das heißt, waren nachhaltig, haben es vermocht, die Zeit und alles Unvorhersehbare herauszufordern? Der Christ ist sich dessen sehr bewusst. Deswegen baut er in dem Maße, wie sein Glaube ein Prinzip der Erkenntnis und des Handelns ist und nicht nur ein Gefühl oder eine Ethik, auf nichts von all dem. Daran hat der Heilige Vater auf der Synode erinnert: »Wir müssen uns von der Vorstellung lösen, dass die Materie, die konkreten Dinge, die wir anfassen können, die solideste, sicherste Realität sind. Am Ende der Bergpredigt spricht der Herr von den zwei Möglichkeiten, das Haus des eigenen Lebens zu bauen: auf Sand oder auf Felsen. Auf Sand baut derjenige, der nur auf die sichtbaren und greifbaren Dinge baut, auf den Erfolg, die Karriere, das Geld. Scheinbar ist dies die wahre Wirklichkeit. Aber dies alles wird eines Tages vorbei sein. Wir sehen das jetzt beim Zusammenbruch der großen Banken: diese Gelder verschwinden, sie sind nichts. Und so sind all diese Dinge – die als die wahre Wirklichkeit erscheinen, auf die man sich verlassen kann – zweitrangige Wirklichkeiten. Wer sein Leben auf diese Wirklichkeiten baut, auf das Materielle, den Erfolg, alles, was glänzt, der baut auf Sand. Nur das Wort Gottes ist das Fundament der gesamten Wirklichkeit, es steht fest wie der Himmel und mehr als der Himmel, es ist die Realität. Folglich müssen wir unseren Begriff des Realismus ändern. Realist ist der, der im Wort Gottes, dieser scheinbar so gebrechlichen Realität, das Fundament von allem erkennt. Realist ist derjenige, der sein Leben auf dieses Fundament baut, das ewig bleibt. Und so laden uns diese ersten Verse des Psalms ein zu entdecken, was Realität ist und so das Fundament unseres Lebens zu finden, die Art und Weise unser Leben aufzubauen.« (Benedikt XVI., Meditation bei der ersten Arbeitssitzung auf der XII. Ordentlichen Vollversammlung der Bischofssynode, 6. Oktober 2008).
Den historischen Beweis dessen sehen wir in dem, was der Papst über das Mönchtum sagte: die Fähigkeit, Europa nach den Invasionen der Barbaren wieder aufzubauen, in einer Zeit, als alles zusammengebrochen war.
Welche ist für einen Christen die Hypothese, die wir suchen? Dieselbe, auf die er die Hoffnung auf Leben setzt: Christus als Bestand allen Seins und damit die einzige Hoffnung, die nicht enttäuscht. Für uns ist Christus der Sinn der Arbeit. Er ist die Gegenwart, die in unser Leben eindringt und es mit Zärtlichkeit und Zuneigung erfüllt. Deswegen können wir unabhängig vom Erfolg am Morgen aufstehen und zur Arbeit gehen, weil wir von einer Gegenwart erfüllt sind, die das Leben anders macht und mit der wir alles angehen können. Und in dieser Gegenwart finden wir die Energie für ein Tun, das es uns erlaubt, immer wieder neu anzufangen, selbst angesichts der Scherben dessen, was uns nicht gelingt. ER ist der Wert unseres Handelns. Deswegen »gibt es keinen Moment, der keinen Nutzen in sich trüge, keine unnütze Arbeit oder eine Arbeit, die weniger würdig wäre. Es gibt sie nicht!«, so sagte Don Giussani einmal. »Verstehen und leben nennt man im Christentum Hingabe. Denn etwas hingeben heißt, dass man anerkennt, dass der Wert dessen das Geheimnis Christi ist.«
Für uns ist die Arbeit eine Hingabe, das heißt, die Anerkennung dessen, dass ER, Christus, der Bestand von allem ist, und in dem Maß, in dem wir IHM angehören, können wir mit Ihm zusammenarbeiten, um der Welt, die wir durch unsere Arbeit verwandeln, ein menschlicheres Antlitz zu geben. Das ist die Arbeit, die aus dem Gedächtnis Christi heraus geschieht, was die gut verstehen, die verliebt sind. So sagt Guardini: »In der Erfahrung einer großen Liebe […] wird alles zum Abenteuer in seinem Umfeld« (R, Guardini, Das Wesen des Christentums). Alles, sogar die Arbeit. Jemand fragte mich einmal, wie es möglich ist, das Gedächtnis Christi in der Arbeit zu leben; ich sagte darauf spontan: »Wie kannst du die Arbeit leben, ohne an Christus zu denken?«
Wer es wagt, diese Hypothese zu überprüfen, wird sehen, dass daraus etwas Unerwartetes hervorgeht. So sagt Don Giussani: »Es ist das, was das Evangelium unter „Wunder“ versteht: das Wunder ist eine Menschlichkeit, die sich nie als Ergebnis eines Projektes oder einer Operation verwirklicht hätte. Es ist nicht die endgültige Erfüllung […], aber ein Unterpfand schon jetzt. Das Christentum sieht in dieser Welt das Unterpfand des Paradieses. Das Unterpfand besteht in einer Menschlichkeit, die dort wächst, wo wir die christliche Hypothese annehmen und in die Tat umsetzen.« (L. Giussani, L’io, il potere, le opere, op.cit., S.93).
Aber ein dritter Punkt ist wichtig.

3. Um das Ich in seiner Spannung zu unterstützen, bedarf es einer Weggemeinschaft.
»Wie ist es möglich, dass der Mensch dieses „Herz“ [diesen Elan auf das Unendliche hin] angesichts des Kosmos, aller Dinge und angesichts der Gesellschaft behauptet? Wie schafft es der Mensch – so wurde Don Giussani gefragt – sich eine Positivität zu bewahren und einen letzten Optimismus (denn ohne Optimismus kann man nicht handeln)? Die Antwort lautet: allein ist das nicht möglich, sondern nur indem man sich mit anderen zusammentut. Indem man eine wirksame Freundschaft aufbaut (durch ein Zusammenleben, eine Weggemeinschaft oder eine Bewegung). Das heißt durch eine größere Vereinigung von Energien, die auf der gegenseitigen Anerkennung gründen« Das scheint mir euer Versuch der Compagnia delle opere zu sein. »Diese Weggemeinschaft gewinnt in dem Maße Bestand wie der Grund, aus dem heraus sie entsteht, von Dauer und Stabilität ist. Eine Freundschaft, die entsteht, weil es ein gemeinsames wirtschaftliches Interesse gibt, dauert so lange, wie man daraus Nutzen schlagen kann. Dagegen erwächst aus einer Weggemeinschaft, einer Bewegung eine „Zugehörigkeit“, wenn sie aus der Intuition heraus entsteht, dass der Zweck des Unternehmens die Bedingungen des Unternehmens selbst überschreitet, und das das Unternehmen ein Versuch ist, auf etwas viel Größeres zu antworten. Kurz und gut, es ist eine Bewegung, die aufgrund der Wahrnehmung des Herzens entsteht, das uns allen gemein ist und uns als Menschen definiert.« (ebd. S. 92f.)
Und deswegen bringt der »religiöse Sinn [dieses Herz, das wir alle haben] innerhalb der Gesellschaft Bewegungen und Erfahrungen einer Einheit unter den Menschen hervor, die nicht abstrakt sind, sondern dem Wunsch folgen, etwas aufzubauen, die Gesellschaft und ihre Strukturen so zu verändern, dass sie dem wahren Bild des Menschen und dem wahren Maß seiner Bedürfnisse mehr entsprechen.« Don Giussani fährt fort: »Gerade deswegen ist es unsere erste Pflicht, Orte und Umfelder zu schaffen, in denen dieses wahre Antlitz des Menschen kultiviert wird. Der Wert unserer Gruppen besteht also darin, überall ein Umfeld zu schaffen, in dem der Mensch für das behandelt wird, was er wirklich ist. Deswegen ist es vonnöten, sich auf den anderen einzulassen: nicht ausgehend von einer Vorstellung, die wir uns im Voraus gemacht haben, sondern ausgehend von dem, was der andere von Natur aus ist.« (ebd., S. 56).
Ein Wort zum Schluss.
»Die Bewährung des Gesagten, erwarten wir nicht am Ende, wenn wir unsere Bestimmung erreichen, sondern sie erwartet uns jeden Tag in einer Wahrheit, einem Geschmack am Leben und einer Fähigkeit zum Zusammenleben [in einer Fähigkeit von neuem zu beginnen], die anders nicht möglich sind. Wenn wir den religiöse Sinn [jenes quaerere Deum, von dem der Papst als der Ausrichtung der Mönche für ihr Handeln gesprochen hat] anerkennen und versuchsweise in Demut leben, dann wird er der Weg der Person, des Ichs, des Menschen; der Weg jenes Wesens, dem die Mutter unter Schmerzen das Leben schenkt.« (ebd., S. 59).
Danke.