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Briefe
Briefe Dezember 2008
Zusammengestellt von Paola Bergamini

Andenken an einen Freund und Vater
Am 11. November verstarb in Como Monsignore Alessandro Maggiolini. Bis 2006 war er der Bischof der Stadt. Er lehrte Fundamentaltheologie an der Katholischen Universität Mailand und er war einer der fünf Verfasser des Katechismus der katholischen Kirche. Als Freund Don Giussanis stand er der Erfahrung der Bewegung immer nahe. In Como hatte er Erasmo und Innocente Figini kennen gelernt und verfolgte mit großer Zuneigung, wie ihr Netzwerk von Pflegefamilien (die Organisation Cometa, A. d. Ü.) entstand. Deshalb veröffentlichen wir die Briefe von zwei Jugendlichen von Cometa, die in den letzten Jahren Freunde von Bischof Maggiolini geworden sind.
Meine Begegnung mit dem Bischof war für mich eine Begegnung der Wiedergeburt. In der Tat: Dank ihm konnte ich das werden, was jede Person zu werden ersehnt, nachdem sie Jesus Christus begegnet ist: Christ. Damals, als ich ihn kennen lernte, ging es ihm noch ziemlich gut. Als ich ihm davon erzählte, was ich werden wollte, sagte er mir seine Unterstützung zu. Er stellte mir Franca und Carlina zur Seite, zwei Memores. Als er sich anbot, mich zu taufen, war ich darüber sehr froh. Am 15. Juli des vergangenen Jahres empfing ich die Sakramente. Für ihn war ich nicht bloß eine Freundin, sondern eine Nichte. Als er vor mir stand, war es, als ob ich vor Christus persönlich stünde, so bewegt war ich. Er lebte auch eine großartige Freundschaft zu meinen Eltern und zur Cometa. Er sagte mir immer, ich sollte Serena, Erasmo und den ganzen Rest der Bande seine Grüße ausrichten. Wer hätte gedacht, dass wir Freunde werden würden? Ich erinnere mich daran, wie er am 15. August kam, um in der Cometa die Heilige Messe zu Ehren der Gottesmutter zu feiern. Er sprach dabei über die Liebe unserer Eltern, er sagte, dass wir großes Glück haben, denn er hatte seinen Vater nie kennen gelernt, und er sagte zu uns, dass es Jesus ist, der uns Eltern geschenkt hat, die uns lieben wir ihre leiblichen Kinder. Dieses Jahr gingen Luisa und ich fast jeden Samstag zu ihm, um ihn zu besuchen, und wir gingen auch mit unseren Pflegeeltern Erasmo und Serena oft zu ihm, um zu beichten. Wir dachten an ihn, als wir zehn Tage lang jeden Abend den Rosenkranz beteten, damit es ihm besser ginge. Die Nachricht von seinem Tod hat mich sehr geschmerzt. Ich wollte es im ersten Augenblick einfach nicht glauben, aber dann bin ich unvermittelt in Tränen ausgebrochen, als ich an all’ die Momente dachte, die wir gemeinsam erlebt hatten. So viele Dinge von ihm haben sich mir im Herzen eingeprägt. Ich will eines davon erzählen. Obwohl er im Rollstuhl saß und obwohl das Wetter schlecht war, ging er in den Dom, um die Beichte zu hören. Auch als er im Krankenhaus war, nahm er mir die Beichte ab. Er war ein Mensch, der seinen Glauben bis auf den Grund lebte, indem er sich in den Dienst am Nächsten und an Jesus stellte. Der Herr sagte: «Wer das Leben um meinetwillen verliert, wird das ewige Leben haben». Der Tod bringt den Menschen zu Gott. Bischof Maggiolini war sich der Auferstehung sicher und erwartete die Umarmung von Jesus und Maria, von seinem Vater, seiner Mutter und von seinem Bruder. Dies ist das Zeugnis der Liebe, das er mir und den Freunden von Cometa hinterlassen hat. Meine Freundschaft mit ihm wird nie zu Ende gehen, weil ich weiß, dass er mich vom Himmel aus anschaut. Uns allen hat er dieses Zeugnis hinterlassen, damit wir unseren Mitmenschen davon erzählen können. Ich spüre ihn in meiner Nähe, als ob er mein Schutzengel wäre. Ich mag ihn gerne und werde ihn immer mögen.
Abi Maria

Im September des vergangenen Jahres wurden wir Freunde von Bischof Alessandro, als wir Abi an einem Samstagnachmittag zum Katechismus bei ihm begleiteten: Wir gingen hoch in sein Haus, um ihn zu grüßen. Obwohl wir ihn noch nie vorher kennen gelernt hatten, empfing uns der Bischof mit großer Freude, bat uns darum, ihm zu erzählen, wer wir waren und was wir machten. Dann verabschiedete er uns und bat uns sogleich, wieder zu ihm zu Besuch zu kommen. Von diesem Tag an sind wir fast jede Woche zu ihm gegangen, denn von jener ersten Begegnung an erhob sich eine so große Anziehungskraft, dass wir uns danach sehnten, mindesten ein paar Augenblicke am Samstag- oder Sonntagnachmittag mit ihm zu verbringen. Wir besuchten ihn zu Hause oder im Krankenhaus. Wir erzählten ihm von unserer Arbeit und von unserem Studium und wir staunten darüber, welch große Würde er dem gab und wie sehr er uns half, den wahren Wert davon zu verstehen. Manchmal las er uns aus seinen Übersetzungen von Claudel vor, und der Geschmack, mit dem er uns erzählte, was er bei dieser Lektüre entdeckt hatte, eroberte uns so sehr, dass wir uns immer beim Lernen an die Art und Weise erinnern mussten, wie er lernte. Wir wussten wohl, wie sehr er unter seiner Krankheit litt, aber niemand von uns beiden konnte glauben, dass er so viel litt, denn seine Freude über das Leben und die Leidenschaft dafür, die er in sich trug, waren so groß. In der letzten Zeit haben wir weniger mit ihm gesprochen, weil ihm das Atmen sehr schwer fiel. Aber es war überwältigend, die Freude zu sehen, mit der er uns jedes Mal empfing und zuhörte. An einem Samstagnachmittag, Mitte Oktober, sind wir zu ihm ins Krankenhaus gegangen, nachdem er sich einer heiklen Operation unterziehen musste: Ich erinnere mich gut daran, wie er an einem gewissen Punkt unseres Gesprächs sagte, dass er froh sei. Ich fragte ihn ein bisschen verblüfft, wie er es denn schaffte, unter diesen Bedingungen froh zu sein. Und er sagte zu mir: «Aber Giovanni, denk doch mal nach: Jemand, der gerade operiert worden ist und bei dem alles gut gegangen ist, wie könnte er übersehen, dass er geliebt wird? Wenn es der Wille des Herrn ist, dass ich hier bin, dann bin ich richtig zufrieden. Schau, manchmal genügt wirklich wenig, um zu bemerken, wie sehr man geliebt wird. Reicht das nicht, um froh zu sein?» Wenn ich bei ihm war, war es ganz offensichtlich, dass das, was sein Leben so schön machte, wirklich darin bestand, ganz in Christus zu sein. Deswegen ist er ein wahrer Freund, ja sogar ein Vater gewesen.
Giovanni und Benedetta

„Noch mehr“ als Gastfreundschaft
Im August war unsere Freundin Ariadne aus Los Angeles mit ihrer Mutter in Italien. Ich brachte sie mit meinen Freunden von Florenz, wo sie wohnen wollten, in Verbindung. So lernte Ariadne Chiara, Paolo, Nicoletta und viele andere Freunde der Gemeinschaft kennen. Dies brachte sie sogar dazu, nach Rimini aufs Meeting zu gehen. Bei der Rückkehr stellte mich Ariadne ihrer Mutter vor und sie begann sofort, mir für alles zu danken, woraus für sie die Reise nach Italien bestand. Dann erzählte sie mir in allen Einzelheiten von den Freunden, denen sie begegnet war. Was mich am meisten beeindruckte, war ihr Bericht vom Meeting, von den gemeinsamen Mahlzeiten, von allem, was sie dort erlebt hatte, und wie sehr sie sich aufgenommen fühlte. Dann hielt sie inne und sagte: «Ich bin Mexikanerin und ich weiß, was Gastfreundschaft bedeutet. Ich weiß wohl, was es heißt, wenn mein Haus auch dein Haus ist. Aber das, was ich hier erlebt habe, ging weit über das hinaus, was ich mir je vorstellen konnte». Dieses „weit darüber hinaus“ – so klar und greifbar –, was die Mutter von Ariadne klar und einfach erkannt und bestimmt hat, dieses „weit darüber hinaus“ sind genau die unverwechselbaren Wesenszüge des Herrn.
Carlo, Los Angeles

Seminar der Gemeinschaft inmitten von Motoren
Lieber Julián,
kurz bevor ich mein „Arbeits-Abenteuer“ in der Firma Ducati begann, fragte mich ein Freund ganz überraschend: «Was erwartest du dir von der neuen Arbeit?». Ich antwortete spontan: «Dass meine zukünftigen Kollegen Christus kennen lernen können und dass ich Karriere machen kann». Mit diesem Geist begann ich, in einer Umgebung zu arbeiten, die ganz anders war, als ich erwartete. Die meisten Kollegen waren junge Leute um die 30 Jahre, die schon von der Rente träumten und die sich völlig in die Arbeit stürzten, um nicht an den ganzen Rest denken zu müssen. Ich fragte mich, was ich tun musste, um ihnen Christus zu bezeugen. Ich ging dann zur Arbeit und dachte dabei an meine Begegnung. Und ich entdeckte, dass die erste Aktivität eine Passivität ist: Vor der Arbeit zu stehen, die von mir verlangt wurde, und vor den Personen, die mir zur Seite gestellt wurden, und dabei meine Menschlichkeit ernst zu nehmen. Zwei Jahre lang ist „nichts“ passiert, bis eines Tages Francesca, eine Kollegin, mit der ich mich angefreundet hatte, zu mir sagte: «Du bist anders als die anderen: Du siehst alles als eine positive Gelegenheit für dich». Ich schlug ihr vor, meine Freunde kennen zu lernen, ich erzählte ihr von meiner Begegnung und sie begann, zum Seminar der Gemeinschaft zu kommen. Wenige Tage später wurde Carlo, ein Ingenieur, der erst kürzlich sein Studium abgeschlossen hatte, bei uns angestellt. Er gehörte auch zu CL und ich kannte ihn noch gar nicht. Wir beschlossen kurzerhand in der Mittagspause das Seminar der Gemeinschaft zu machen – wir drei bei Ducati. Und von Treffen zu Treffen wurden wir immer mehr: Enzo, Alessandro, Rocco, Tex, Giano, Stefano, Maria Teresa und Martino stießen nach und nach zu uns. Alle sind Kollegen von uns, die wir auf unterschiedlichste Art und Weise in unserer Firma kennen gelernt hatten. Und alle waren von der Begegnung mit der Außergewöhnlichkeit Christi tief beeindruckt.
Mario, Bologna

Neubeginn
Am 5.Oktober ist der kleine Francesco gestorben, ein zweieinhalbjähriger Junge, der die Kinderkrippe von “La Carovana” (“Die Karawane”) in Modena besuchte. Sie umfasst auch Kindergarten, Grund- und Mittelschule. Ich arbeite dort seit rund einem Jahr als Lehrerin. Das tragische Ereignis stellte für die Lehrer, die Eltern der Kinder, die Kollegen aus dem Kindergarten (den die kleine Schwester von Francesco besucht) einen Neubeginn dar. Anna, die Direktorin der Grundschule und des Kindergartens war dabei entscheidend. Sie entschied, gemeinsam mit Sabrina und Giovanni (der Direktorin der Kinderkrippe und dem Direktor der Schule), einen Brief an alle Eltern zu schreiben. «Liebe Eltern, es gibt eine Frage vor allen anderen, die bei Ereignissen wie Francescos Tod, dringlich wird: Warum lebe ich? Warum arbeite ich, warum rackere ich mich jeden Tag ab, warum tue ich mir die Mühe an, Kinder zu erziehen? Die Betroffenheit genügt nicht, wie es eine Mutter sagte. Nach drei Tagen haben wir sie schon vergessen. Lasst uns nicht diese große Gnade verlieren, die uns Francesco ermöglicht hat. Lasst uns nicht diese große Gelegenheit verpassen zu entdecken, wofür es sich lohnt zu leben, zu lieben, zu leiden, sich zu freuen. Diese Frage kann aus jedem von uns wahre Menschen machen, gegenseitige Zeugen einer guten Verheißung, für die wir erschaffen wurden. Wir sind zusammen, um uns gegenseitig an diese große Frage zu erinnern und auf dem Weg des Lebens zu unterstützen. Gewisse Ereignisse bringen die Dinge in ihre richtige Dimension zurück und geben einem jeden seinen wahren Wert. Es ist so, als ob es nicht mehr erlaubt sei, oberflächlich zu sein. Dieses geheimnisvolle Ereignis fragt uns, wie wir die Zuneigung in der Familie, zu den Freunden, zu den Kollegen leben. Es fragt uns danach, was in den Beziehungen wirklich zählt. Diese Herausforderung anzunehmen, ist die schönste Erinnerung, die wir jeden Tag, jeden Augenblick, Francesco und seiner Familie schenken können». In den folgenden Tagen nahmen alle ihr alltägliches Leben wieder auf. Und es geschah etwas in den Klassen zwischen Lehrern und Schülern, im Schulhof zwischen Eltern und Lehrerinnen, im Auto und zu Hause zwischen Vätern, Müttern und Kindern... Um diese kleinen Ereignisse nicht „entgleiten” zu lassen, haben die „Freunde der Karawane” (Familien, die den erzieherischen Vorschlag der Schule unterstützen) und Anna einen Gesprächsabend vorgeschlagen, und so hat sich am Abend des 13. Oktobers das Auditorium der Schule gefüllt. «Wir sind nicht für eine Gedenkfeier zusammengekommen», unterstrich Anna, «sondern um uns zu helfen, vor dem zu stehen, was passiert ist, damit es ein Mehr für das Leben eines Jeden von uns sein kann». Es war überraschend den Beiträgen der vielen Mütter zuzuhören, die in aller Offenheit das Drama, das der Tod des Kindes in ihnen ausgelöst hat und die aufgetretenen Schwierigkeiten beim Versuch, es den eigenen Kindern zu erklären, teilten. Und noch entwaffnender war die Einfachheit und Tiefe der Kinder zu erkennen, in der Art wie sie diese Tage lebten. So berichtete etwa eine Mutter von der Heimfahrt von der Schule, im Auto. Sie sagte zu ihrem Sohn: «Ich muss dir eine schreckliche Sache sagen....», und er unterbrach sie: «Was? Vom Tod von Francesco? Mama, wir können nichts dagegen machen, aber wir können mit seiner kleinen Schwester spielen». Und eine andere Mutter: «Mit dem Tod von Francesco sind meine kleinen Gewissheiten zusammen gebrochen, ich möchte nie in die Lage seiner Eltern kommen. Jetzt bete und bitte ich für sie, denn ich brauche es...». Jenes Bedürfnis ist das wahre Bedürfnis, das Bedürfnis nach einem Anderen.
Cristina, Modena

Er wirkt
Ganz klein unten rechts auf einem der berühmten neun Chagall-Fenster der Mainzer St.Stephans Kirche sieht man, wie der Mensch von einem Engel auf die Erde gebracht wird. Dieser Mensch, den der Engel vorsichtig auf der Erde absetzt, hat keine Arme. Aber er hat einen gelb leuchtenden Leib – gelb als Zeichen für das Göttliche, das durch ihn hindurch wirkt.
Das ist nur eine der vielen Szenen, die von Marc Chagall persönlich auf die Fenster dieser Kirche gemalt wurden. Mit einer unvergleichlichen Leidenschaft wurden wir bei unserem Ausflug nach Mainz vom 84-jährigen Monsignore Mayer in diese Bilder und in die Genialität Chagalls eingeführt. Seine Begeisterung für die Person Chagalls, dessen Bilder und darin und darüber hinaus auch seine Leidenschaft und Begeisterung für Christus waren unübersehbar.
Die Führung zu den Chagall-Fenstern war der Höhepunkt eines Tages, der ganz einfach und gleichzeitig schön war: Angefangen von der Messe im Mainzer Dom über die kleinen und größeren Führungen, die einige vorbereitet hatten und die an verschiedenen Punkten in der Stadt gegenseitig vorgetragen wurden, bis hin zu einem gemeinsamen Abendessen. Unter den Freunden, die wir eingeladen hatten mitzukommen, waren Schüler, Studenten, Kollegen und Bekannte, quer durch alle Altersklassen. Doch so bei aller Verschiedenheit der Leute waren alle froh über diesen Tag. Im Vordergrund stand nicht die Verschiedenheit, sondern das einfache gemeinsame Schauen auf das Schöne, das wir gesehen hatten, sowie auf die Zeugen unter uns und vor uns. Letztlich war dieser Tag mehr als ein bloßer touristischer Ausflug. In der Reaktion unserer Freunde, die wir zu diesem Ausflug eingeladen hatten, in den frohen Gesichtern dieser Freunde zeigte sich, dass Christus durch die Wirklichkeit und auch durch uns hindurch wirkt – und das sogar dann, wenn man selbst nicht recht daran glauben will und die Größe unserer Erfahrung immer wieder reduziert.
Er wirkt wie im Bild mit dem Engel, der den Menschen auf die Erde bringt, den Menschen ohne Arme, aber mit dem gelb leuchtenden Leib, durch den Christus die Welt erreicht und durch die hindurch Er wirkt.
Julia, Hubert, Paolo, Stefan (Bruchsal/Karlsruhe)