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Das Zeugnis
Ein Leben, das ist
Nicola Brenna

Bei einer öffentlichen Veranstaltung erzählte ein Freund von Eluana, ein Anwalt, wie sich durch eine Frage die Art und Weise, sie zu sehen und zu verstehen, verändert hat.

Ich gehöre nicht zur Bewegung. Ich bin ein Freund von Eluana, einer ihrer vier bekannten Freunde, die im Prozess als Zeugen aussagen sollten. Bei mir kam es aber nicht zu einer Aussage vor Gericht. In all diesen Jahren unterhielt ich mich häufig mit Eluanas Vater Beppino. Als guter Freund seiner Tochter wurde ich ständig in den Fall einbezogen.
In einem Fall wie diesem reagiert man zunächst spontan, wie ich damals: Ich war 21 Jahre alt, also ein Jahr jünger als Eluana. Meine erste Reaktion war Flucht. Dann holte mich die Wirklichkeit ein. Beppino Englaro suchte mich mehrfach auf und konfrontierte mich vehement mit dieser Wirklichkeit. Von der Kirche und der Bewegung wurde immer Beppinos guter Glaube in seinem Tun unterstrichen – zu Recht.
Wann immer ich mich mit ihm austausche, taucht automatisch ein juristisches Problem auf, das selbst einen Anwalt wie mich zum Kurzschluss provoziert. Denn er hält einem stets folgendes vor: «Im bekannten Fall der Frau Maria, die eine Nekrose am Bein hatte, war sie aufgrund der Verfassung berechtigt, auf eine Behandlung zu verzichten. Eluana hingegen befindet sich in einem viel schlimmeren Zustand, weil sie ihren Wunsch nicht äußern kann – und dennoch erhält sie keine Erlaubnis zu einem solchen Verzicht». So jedenfalls stand es bis zur Entscheidung des Kassationsgerichts. Konkret heißt das also: «Dieses Mädchen ist extrem benachteiligt» – und das trifft dich einfach.
Aber noch eine andere Sache gibt es, die mich beschäftigt und mir Schwierigkeiten bereitet: Ich besuchte Eluana – vor allem am Anfang – sehr häufig. Man hat den Eindruck, als spräche man zu einer Person, die nicht zuhört, die nichts wahrnimmt. Ja bei meinem letzten Besuch kam ich mir – während ich sprach – teilweise ganz dumm vor, insofern ich nämlich nicht davon überzeugt war, mit einer Person zu sprechen, die mich wahrnehmen kann.
Ich möchte mich hier nicht rechtfertigen. Ich möchte nur, dass ihr mich als Zeuge dessen hört, der sie so kennt, wie sie früher war, der den Kampf ihres Vaters miterlebt hat, der mit verschiedenen Standpunkten konfrontiert wurde – weil ich sie ihm dargelegt habe –, und der sich in Anbetracht dieser Umstände ständig fragte: Aber – ist das Leben? Denn das Problem ist diese Frage, die ich mir als Katholik angesichts dieses Falles stellte; er ist ein Teil meines Lebens geworden und hat mich auf eine so eindeutige Weise getroffen. Die Frage lautet also: Soll das wirklich Leben sein?
Später habe ich aber eine Lösung gefunden. Denn in dem Moment, als das Urteil verkündet war, hörte ich auf, als Anwalt zu denken oder mit rechter oder linker Einstellung, als Katholik oder Nicht-Katholik. Tief im Innern fragte ich mich: Du aber, könntest Du das wirklich machen? Und die Antwort war: Nein. Ich würde das nie machen können. Also heißt das wohl: Wenn jemand tief im Innern, in sein Herz hineinschaut und spürt, dass er so etwas niemals machen könnte, dann vielleicht, weil diese Lebensform von so minimalem Bewusstseinsgrad – selbst wenn dieser Bewusstseinsgrad wissenschaftlich nicht ermittelbar ist – eben doch ein Geheimnis ist. Es ist ein Leben, eine geheimnisvolle Sache. Und ich als Mensch werde mich niemals in der Lage fühlen, es auszulöschen.