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Don Giussani am Berchet-Gymnasium
Erziehen: das Überquellen einer Fülle
Alberto Savorana

Am 12. Februar versammelten sich verschiedene Schülergenerationen des Berchet-Gymnasiums in der Aula der Mailänder Schule in der Via Commenda. Zusammen stellten sie über 50 Jahre Geschichte dar. Sie waren im Namen von Don Giussani zusammengekommen. Nach den einführenden Worten des Direktors Innocente Pessina wollte der Schulrat zum dritten Jahrestag des Todes von Don Giussani, «mit einer Gedenktafel an eine so bedeutende Persönlichkeit erinnern, die hier unterrichtet hat.» Bei seiner Einführung zu Beiträgen des Mailänder Psychoanalytikers Claudio Risé, eines heutigen Schülers von Don Julian Carrón, betonte Pessina, dass es angesichts des so genannten Erziehungsnotstands besonders dringlich sei, sich an einen Meister wie Don Giussani zu entsinnen. Wer mit Jugendlichen arbeite, könne dies bestätigen. «Fast jeden Tag begegne ich Eltern, die mir von ihrer Ohnmacht gegenüber der Zerbrechlichkeit und dem Unbehagen berichten, aber auch von ihrer Resignation», so Pessina. Zugleich beklagte er aber auch die Haltung vieler Lehrer: «Ich sehe so viele Lehrer, die sich damit zufrieden geben, einige Informationen und Fähigkeiten und etwas Disziplin zu vermitteln. Das ist alles sehr wichtig und auch richtig, aber ich glaube, dass die Aufgabe der Schule eine ehrgeizigere ist: die Erziehung. Aber zum Erziehen muss man an die Dinge glauben, die man macht und die man sagt, denn die Erziehung vollzieht sich über eine persönliche Beziehung, in der sich der Erwachsene als Zeuge anbietet, mit seinem eigenen Credo. Wenn der Erzieher selbst leer ist, dann vermittelt er nur Leere.»
Was ist das also, die Erziehung? Rektor Pessina antwortete mit einem Vergleich von Don Giussani: «Die Erziehung ist das Überquellen einer Fülle, das Überfließen von etwas, das zu voll ist, von etwas, was du in dir hast, das dich so sehr überzeugt, dass du es nicht für dich behalten kannst, und notwendigerweise jemandem mitteilen musst, wodurch du ihn damit \\'ansteckst\\'.» Er habe Don Giussani nicht kennengelernt so Pessina, «aber ich stelle ihn mir als eine so reiche und so erfüllte Person vor, die so tief von den eigenen Werten überzeugt war, dass sie nicht umhin konnte, sie anderen mitzuteilen.»
Grußworte kamen auch vom Präsidenten der Lombardei, Roberto Formigoni, der damals in Lecco zur Schule ging. «Wir hatten das Berchet-Gymnasium nie gesehen, aber durch die Worte von Don Giussani, durch seine Erzählungen, durch seine Gefühle sahen wir diese Aula hier, die Korridore, die Treppen, die Lehrer, die Schüler, die Debatten, das Leben, den Ausbruch von etwas Unerwartetem und Überraschendem, das auch uns berührte und fesselte. Don Giussani hat mir nie etwas aufgedrängt; seine Worte waren immer eine Herausforderung an die Freiheit und den Gebrauch der Vernunft.» Bischof Luigi Negri, ein ehemaliger Schüler von Don Giussani in der Klassenstufe E, richtete ebenfalls Grußworte an die Versammlung: «Als ich die Treppen hier hinaufging, dachte ich bei mir: Schau, was für eine Eingebungskraft Don Giussani gehabt hat! Die Eiche ist schon ganz in der Eichel enthalten. In jenen Jahren, im täglichen Dialog zwischen einem großen Meister und unserer Jugend, hat sich das Wunder des Übergangs des Glaubens von seinem Herzen zu unserem vollzogen, und zwar auf eine Weise, die unser ganzes Leben geprägte, so dass wir unseren Beitrag zur Eiche geleisteten, die seinem Herzen entsprossen ist. Sie fordert auch das Klima von heute heraus und blickt guten Mutes in die Zukunft.»
Der Vorschlag für die Gedenktafel kam von Claudio Risé. Er war ein Schüler Don Giussanis von 1955 an. «Don Giussani war ein wahrer Erzieher, mit einer großen Leidenschaft für die beiden grundlegenden Bewegungen des erzieherischen Handelns: erstens dafür, die Jugendlichen mit Wissen zu nähren und sie wachsen zu lassen, und zweitens dafür, das ans Tageslicht zu bringen, ja \\'herauszuziehen\\', was verborgen zu bleiben drohte, gänzlich untätig in der trägen und etwas schläfrigen Persönlichkeit von uns Jugendlichen. Er lehrte uns, jene Bedürfnisse anzuerkennen, die er die tiefsten Bedürfnisse des Herzens nannte, mit denen man alles erlebt und die er „Grunderfahrungen“ nannte, deren tiefste Bedeutung ich erst sehr viel später in meiner Arbeit als Therapeut mit größerer Klarheit erkannte.» Was war seine Methode? «Die Methode der Freiheit, die er aus Intelligenz und Willenskraft zusammengesetzt sah. In seiner Vision der Erziehung spielte die Vernunft eine zentrale Rolle. Er schützte uns davor, uns in einen kalten Intellektualismus zu flüchten, und zwar dank des Aufrufs zu einer im weiten Sinne verstandenen Vernunft, auch deshalb, weil er sie mit etwas in Verbindung brachte, womit sie damals nur wenige verbanden: mit dem Glauben. Er sagte, dass der Glaube eine Art und Weise ist, zur Erkenntnis zu gelangen, und das, was dabei erkennt, ist meine Vernunft. Und der Glaube kommt über einen Zeugen dazu, etwas über den erkannten Gegenstand zu wissen: über Christus, der die Abgeschlossenheit des Ichs aufbricht und dich auf die Welt hin öffnet, auf die Erkenntnis. Als Fachmann der Psyche sage ich, dass der Zeuge der Vernunft im Glauben derjenige ist, der dich von der Psychose der jugendlichen Allmacht befreit, um dich in die volle psychologische und affektive Entwicklung des jungen Erwachsenen einzuführen.“
Und dann war schließlich Marco Pisa an der Reihe, ein 18-jähriger Schüler des Berchet-Gymnasiums: «Ich habe Don Giussani nie gesehen, außer auf Fotographien. Aber an ihn zu denken ist für mich anders, als an andere Erzieher oder charismatische Personen zu denken, weil er für mich in gewisser Weise ein Vertrauter, ein Freund ist. Sein Charisma und seine menschliche \\'Wucht\\', mit der er das Christsein lebte, haben mich auf indirektem Wege, über meine Eltern, erreicht, und auf offensichtlichere Art und Weise über die Bewegung, die er hier an diesem Gymnasium ins Leben gerufen hat. Ich bin von der Begegnung mit diesen Personen auf unerwartete Weise verändert worden. Das, was ich von Don Giussani bekommen habe, ist keine Lebensphilosophie, sondern eine \\'Wunde\\', das heißt die Unmöglichkeit, mich einfach schnell mit etwas zufriedenzugeben. Diese Sehnsucht nach einer größeren Intensität des Lebens habe ich in einigen Personen gesehen, denen ich mich dann anschloss. So wird auch das Lernen zu einer Gelegenheit des Wachsens für mich und bezieht sich nicht nur auf Noten, Punkte und die Universität. Und auch der Einsatz in der Schülermitverwaltung, der das Ziel hat, die Rahmenbedingungen unserer Lebenswirklichkeit zu verbessern, bezieht sich auf dieses Wachstum. Diese Erziehung, die darauf abzielt, die Wirklichkeit auf eine tiefere und intensivere Art und Weise wahrzunehmen, ist die \\'Wunde\\', von der ich sprach, und sie ist das, was ich von Don Giussani bekommen habe. Das macht mich freier und gibt mir eine größere Gewissheit in Bezug auf den Weg, den ich eingeschlagen habe. Und dafür bin ich Don Giussani dankbar.»