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Predigt von Don Julián Carrón am Eröffnungstag von CL in der Lombardei am 27. September 2008 in Mailand
Predigt beim Eröffnungstag 2008 in Mailand
Julián Carrón

«“Was meint ihr? Ein Mann hatte zwei Söhne. Er ging zum ersten und sagte: Mein Sohn, geh und arbeite heute im Weinberg! Er antwortete: Ja, Herr! ging aber nicht. Da wandte er sich an den zweiten Sohn und sagte zu ihm dasselbe. Dieser antwortete: Ich will nicht. Später aber reute es ihn und er ging doch. Wer von den beiden hat den Willen seines Vaters erfüllt?”. Sie antworteten: “Der zweite”»1.
Jesus stellt hier keine abstrakten Überlegungen an, sondern spricht von den Menschen, die er vor sich hat. Er wendet sich an die Priester und an die Ältesten des Volkes und fragt sie, welcher der Söhne wirklich gehorcht und das tut, was der Vater will. Diese Frage steht für die Alternative zwischen den beiden grundsätzlichen Haltungen, die wir gegenüber Jesus einnehmen können. Da sind zum einen die Priester, Schriftgelehrten oder Pharisäer, die lange Zeit immer Ja gesagt haben. Denn sie haben das Gesetz im Ganzen ernst genommen. Doch als der Einzige kam, dem sie wirklich hätten antworten müssen, nämlich Jesus, sagten sie Nein. Auf der anderen Seite sind zum Beispiel die Zöllner oder die Prostituierten, die als Sinnbild für die Sünder stehen. Sie beachteten das Gesetz absolut nicht, doch als sie Jesus begegneten, wurden sie seine Anhänger. Und Jesus sagte dazu etwas Schreckliches: Diese Sünder werden in das Reich Gottes eingehen, die Anführer des Volkes und die Priester hingegen werden nicht dorthin gelangen.
Auch wir heute könnten wie manche Angehörige des Volkes Israel gewisse Vorschriften und Gebote erfüllen und uns dabei dennoch nicht an das halten, was der Herr in diesen Tagen unter uns geschehen lässt. Dann wären wir gegenüber der Weise, wie das Geheimnis uns heute anspricht, nicht fügsam. In unserer menschlichen Anmaßung kennen wir immer schon den Weg und die Richtung und wissen, welches Gesetz zu erfüllen ist. Und so verlieren wir das aus dem Auge, was Er auch heute vor unseren Augen geschehen lassen kann. Wir erkennen gerade Jenen nicht, den der Herr uns in dieser Stunde schickt, um sich unserer Nichtigkeit zu erbarmen. Die anderen hingegen, die Zöllner, glaubten Ihm. «Ihr habt es gesehen [es ist ja nicht so, dass sie nichts gesehen hätten: Sie haben Gottes Handeln gesehen, und zwar deutlich] und doch habt ihr nicht bereut und ihm nicht geglaubt.»2
Bekehrung heißt Jenen anzuerkennen, der uns hier und jetzt anspricht. Wir können also entweder dabei verharren, dass wir den Weg schon kennen und unser Lebensgesetz schon haben und deshalb bereits wissen, wie das Leben richtig zu führen ist. Oder wir können uns bekehren, das heißt glauben und eine Gegenwart anerkennen, die mitten unter uns ist und die zu uns spricht.
Dies ist die bleibende Herausforderung des Ereignisses, durch das Christus immer gegenwärtig und unser Zeitgenosse ist – unser Zeitgenosse! Christus wirkt auch heute, nicht um uns Unannehmlichkeiten zu bereiten, sondern aus Erbarmen mit unserer Nichtigkeit, damit unser Leben nicht verloren geht.
Bitten wir Don Giussani um jene Einfachheit, die er (und mit ihm so viele, die uns der Geist heute schenkt) uns vorgelebt und so vielfältig bezeugt hat.

1Mt 21, 28-31a
2Mt 21, 32b