Logo Tracce


Gefängnis
«Seit du zurückgekommen bist, scheinst du ein wirklich freier Mensch zu sein.»
Paola Bergamini

Auf dem diesjährigen Meeting waren auch Strafgefangene. Einer von ihnen sagte dort: «Ich kann es kaum erwarten, zurück ins Gefängnis zu gehen, um das zu erzählen, was ich gesehen habe.» Doch wie hat sich das Leben nach der Rückkehr ins Gefängnis verändert? Hiervon erzählt der folgende Bericht.

«Es war etwas Großes, eine Explosion, irgendwie», erzählt Franco auf seinem Gabelstapler. Seine Augen leuchten, während er das Foto anschaut, das ihn zusammen mit Vicky zeigt. Franco, 44 Jahre, zweimal lebenslänglich, war einer der zehn Häftlinge, die auf dem Meeting die Ausstellung über die Gefängnisse betreut haben. Seit der Woche in Rimini sind 20 Tage vergangen. Im Hochsicherheitsgefängnis von Padua hat das Leben wieder begonnen, für ihn wie für die anderen neun: Wecken, Frühstück, Arbeit am Fließband, Mittagessen … alles wie vorher? «Ich wollte eigentlich gar nicht zum Meeting», berichtet Franco. «Ich hielt das für eine Verschwendung der wenigen Tage, die ich hatte; ich hätte sie mit meiner Mutter verbracht, die mich seit Jahren nicht mehr gesehen hat. Stattdessen hat diese Woche mein ganzes Leben umgekrempelt. Anfangs dachte ich, alle spulten ein Drehbuch ab, alle waren so freundlich und entgegenkommend. Aber im Laufe der Tage kam ich dahinter, dass sie mich wirklich gern hatten. Ich fühlte mich angenommen, verstanden, aber nie veruteilt. Ich konnte es nicht erwarten, ins Gefängnis zurückzukehren, um allen zu erzählen, was ich erlebt hatte, die Gefühle, die ich nach so vielen Jahren wieder empfinden konnte.» «Ja, das kennen wir gut. Er kann nicht einen Augenblick still sein!», kommentiert Michele, der inzwischen dazu gekommen ist. «Wir nehmen ihn damit auf den Arm, aber es ist wahr, er ist anders. Ich habe noch eine Menge Jahre abzusitzen, aber von dieser Erfahrung zu hören, hat auch in mir ein bisschen Hoffnung geweckt. Dass es draußen ein bisschen was Gutes gibt. Das Böse, das du getan hast, bleibt in dir. Wer weiß, vielleicht fahre ich nächstes Jahr auch zum Meeting.»

Franco arbeitet weiter, ist aber nicht still: «Wenn ich erzählt habe, warum ich im Gefängnis sitze, fühlte ich mich unwohl, schämte ich mich, lud aber gleichzeitig eine riesige Last ab. Die Gefängnismauern verstecken dich, du fühlst dich unbeobachtet, du musst dich niemandem stellen. Das wahre Verbüßen beginnt genau dann, wenn du draußen bist, wenn es Wahrheiten gibt, die zu erzählen weh tut, aber denen man nicht ständig ausweichen kann. Ich bin nicht mehr der Gleiche wie vorher.»

In Rimini hatte das die Dame bemerkt, die sich ihm am Ende der Führung genähert und zu ihm gesagt hatte: «Ich hoffe, dass der, der meinen Sohn ermordet hat, so werden kann wie Sie und so wie Sie verstehen kann, wie viel Unheil er angerichtet hat.» Franco war gerührt und lief davon, und überlegte ernsthaft, vorzeitig ins Gefängnis zurückzukehren. «In dem Augenblick habe ich begriffen, dass das Leben eine Herausforderung ist», erinnert er sich. Dann, während wir gehen, blickt er nochmals auf das Foto, lächelt und sagt zu seinem Kameraden: «Komm, wir müssen bis Mittag mit der Arbeit fertig sein.» Und zu mir: «Wir sehen uns nachher.»

Bevor ich zum Mittagessen gehe, mache ich eine Runde durch die anderen Fabrikhallen und stelle allen, die mir über den Weg laufen, dieselbe Frage: «Was haben sie vom Meeting erzählt?» Die Antwort ist immer dieselbe: «Das muss eine schöne Erfahrung gewesen sein. Sie haben sich verändert. Sie hören nicht auf zu erzählen. Auch ich möchte nächstes Jahr …»

Das T-Shirt vom Meeting

Zum Mittagessen treffen wir uns in einem Saal des Gefängnisses mit einigen Häftlingen und mit Mitarbeitern der Genossenschaft Giotto. Ich werfe die Frage zum Meeting erneut auf. Alberto, der mir gegenüber sitzt, hebt die Stimme: «Franco, also, das war etwas Großes, irgendwie!» Alle lachen. «Scherz beiseite» – fährt Alberto fort – «er scheint wirklich ein anderer geworden zu sein. Dieses Verständnis gefunden zu haben, ist das Wichtigste, es gibt eine positive Hoffnung, weil man mit Händen greifen kann, dass es eine Chance im Leben gibt. Auch für einen wie mich. Du musst jemanden finden, der an dich glaubt, und das ist nicht immer einfach.» «Klar habe ich mich verändert» – wirft Franco ein – «auch meine Mutter hat das bemerkt. Früher habe ich, wenn wir telefonierten, nach dem Wetter gefragt. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Jetzt vergehen die zehn Minuten blitzschnell.» «Mein Zellengenosse, ein sehr schweigsamer Typ, » – erzählt Marino – «hat mich, als er wiedergekommen ist, bis halb zwei nachts wach gehalten, damit ich ihm alles erzähle. Die Begegnungen verändern dich. Eine der Mitarbeiterinnen der Ausstellung hat mir ein T-Shirt vom Meeting geschickt mit einem Kärtchen: «Du bist eine Person, ich helfe dir.» Alvarez, ein Häftling aus Como, hatte zusammen mit Dario bei der Begegnung mit dem Justizminister Alfano vor 9000 Leuten seine Geschichte erzählt. «Wissen Sie, was mich beeindruckt hat? Den anderen in die Augen schauen zu können und einen gütigen Blick zu entdecken. Ich habe eine Hoffnung mitgenommen. Ich habe in der Ausstellung für die spanischsprachigen Gruppen übersetzt. Vorige Tage habe ich einen der Studenten angerufen, der mich während der Führungen begleitete. Er hatte nicht damit gerechnet, war aber froh darüber. Ich auch.» «Als du wiedergekommen bist, sahst du echt aus wie ein freier Mann», bemerkt Dinja. Alvarez lächelt. «Mein Zellengenosse hatte leuchtende Augen!», wirft Umberto während des Nachtischs ein. Neben ihm Ye Wu leise: «Ich habe etwas Größeres als China gefunden! Als freier Mann will ich wieder dahin, als Mitarbeiter, wenn ich hier rauskomme.»

Die Veränderung des Herzens

David erklärt: «Ich wusste nicht einmal, dass es dieses Meeting gibt. Rose hat mich berührt, als sie bei der Ausstellung gesagt hat: «Wenn ich mich ändere, ändert sich die Welt». Ich habe begriffen, dass ich mehr bin als meine Verurteilung. Es war wichtig, dass einem das jemand sagt. Dann waren da all die Leute, die kamen und sich veränderten, nachdem sie die Ausstellung gesehen hatten. Ich erinnere mich an die Frau, die anfangs wirklich wütend war und am Ende … Tränen in den Augen hatte. Sie hat sich verändert, so wie ich mich verändert habe.» Aber welche Begegnung hat euch am meisten berührt? Einhellige Antwort: die Kinder. «Mit ihren Fragen hauen sie dich um», erklärt Franco. Gerade ihn hatte ein Mädchen gefragt: «Aber warum hast du nicht daran gedacht, bevor du geschossen hast?» Er hatte weiche Knie bekommen, sich hingesetzt und gesagt: «Du hast Recht, ich hätte daran denken müssen, aber früher war ich nicht der Franco, der ich heute bin, früher dachte ich nie an das, was ich tat, und deshalb sitze ich jetzt im Gefängnis. Aber wenn ich als Kind nicht die schiefe Bahn gewählt hätte, wäre ich jetzt nicht hier mit dir, hätte ich dich nie kennen gelernt.»

«Aber auch die Jugendlichen, die mit uns bei der Ausstellung waren», sagt Sputin, «da habe ich mich wie in einer Familie gefühlt. Sie stellten mir ihre Freunde vor. Mit einigen haben wir jetzt Briefwechsel.» In einer Beziehung verändert man sich. Und die Ausstellung? «Unsere Ausstellung ist wunderschön. Auch wenn ich sie nicht ganz gelesen habe.» Dieses Unsere sagt schon alles.

Und die Wächter? Luca spricht als Erster: «Ich begleitete sie beim Essen. Nach wenigen Tagen habe ich meine Frau angerufen und ihr gesagt, sie soll zusammen mit meiner Tochter kommen. Sie durften ein Ereignis derartiger Tragweite nicht verpassen. Und apropos Kinder: Meine Tochter hat auf dem Rückweg zu mir gesagt: „Ich habe zwei Dinge verstanden: wir können alle Fehler machen, und wir haben alle das gleiche Herz.“ Das Meeting ist nicht zu Ende. Das ist für immer passiert. Ich bitte darum, dass es immer so sei.»

«Was ins Auge springt, ist, dass ihr Herz sich verändert hat», meint Gianluca, der Geschäftsführer der Genossenschaft Giotto, «Ich wünsche mir, dass mein Herz sich verändert.» Ein Moment der Stille, dann applaudieren die Häftlinge. «Die Erfahrung des Meetings war eine machtvolle Anregung hinsichtlich der Wahrheit des eigenen Lebens und betrifft alle ohne Unterschied.» «Und sie lässt uns sagen: „Ich kann es nicht erwarten, zurückzukehren!“», fährt Nicola fort, der Vorsitzende von Giotto, «es gibt etwas Wirkliches, das uns vereint.» Es ist ein Mehr, das in der Zeit bleibt, im Herzen. Und es verändert den Blick. Es ist jene Möglichkeit einer Hoffnung, innerhalb des Bösen, das wir getan haben. Es ist die Möglichkeit, frei zu sein, auch für die mit „Ende der Strafe: nie“.»

Draußen schaue ich auf die Notizen in meinem Heft: Veränderung, Hoffnung, Herz, Rührung sind die häufigsten Worte. Aber was sich mir eingeprägt hat, sind die Blicke. Sie spiegeln einen größeren BLICK wieder, eine Umarmung, die alles umfasst. Diesen Blick kannst du nicht für dich behalten, er ist ein Ereignis, das sich von Person zu Person mitteilt, so wie es bei Zachäus und der Samariterin war.