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Der Papst in Frankreich
Im Herzen der Kultur
Silvio Guerra

Am 12. September war der französische Mathematiker Laurent Lafforgue unter den 700 geladenen Gästen, die Papst Benedikt XVI. im Collège des Bernardins empfingen. Er berichtet, weshalb diese Begegnung nicht nur für ihn eine Gnade war.

«Eine Gnade.» So beschreibt einer der wichtigsten Mathematiker der Welt, Laurent Lafforgue, die Ansprache Benedikt XVI. am Collège des Bernardins. Lafforgue, der 2002 die begehrte Fields-Medaille, eine Art Nobelpreis, erhalten hat, ist mit 41 Jahren bereits Mitglied der Akademie der Wissenschaften von Paris. Am Tag vor dem Besuch des Papstes in Frankreich hatte er dessen Recht, zur akademischen Welt zu sprechen, verteidigt. Heute erzählt er, weshalb er von den Worten Benedikt XVI. so beeindruckt war.

Was nehmen Sie aus der Rede im Collège des Bernardins mit?
Die Intelligenz und die Einfachheit eines vernünftigen Gedankens, der zum Kern der wesentlichen Fragen vordringt, ist ein Segen. Eine solche Lehre tut jedem gut, der sie hört.

Warum ist die wichtigste Frage immer noch die Beziehung zwischen Glauben und Vernunft?
Die Begegnung und der Austausch zwischen Glauben und Vernunft werden aktuell bleiben, solange es Menschen gibt. In unserer Zeit war und ist ein solcher Austausch sicher konfliktträchtig. Deswegen ist unsere Gesellschaft – und im tiefsten auch jeder Einzelne von uns – so zerrissen. Wie alle wirklich wichtigen Fragen wird auch jene nach der Beziehung von Glauben und Vernunft nie vollständig erschöpft sein, sondern bedarf einer unendlichen Vertiefung.

Die ganze Ansprache am Collège des Bernardins war auf das letzte Fundament jeder wahren Kultur ausgerichtet ...
Für Benedikt XVI. ist dieses Fundament «die Suche nach Gott und die Bereitschaft, ihm zuzuhören». Auf dem Platz vor dem Invalidendom hat er gesagt: «Niemals verlangt Gott, dessen bevollmächtigter Zeuge der Apostel hier ist, vom Menschen, seine Vernunft zu opfern! Niemals tritt die Vernunft in einen wirklichen Gegensatz zum Glauben!» Gerade deshalb ist eine wahre Kultur möglich. Auf dem Flughafen von Tarbes-Lourdes-Pyrénées hat der Papst darauf hingewiesen, er «betrachte die Kultur und ihre Vertreter als bevorzugte Vermittler im Dialog zwischen Glaube und Vernunft, zwischen Gott und dem Menschen.» Ich würde gerne etwas vorlesen, was nichts weniger ist als die Definition der Kultur mittels ihres tiefsten Daseinsgrundes: Das letzte Fundament der Kultur besteht darin, Ort des Austauschs von Glaube und Vernunft zu sein. Papst Johannes Paul II. hat 1980 vor der UNESCO erklärtt, dass «die Nation durch die Kultur und für die Kultur» besteht. Diesen Satz, den Benedikt XVI. in seiner Ansprache an die Bischöfe Frankreichs zitiert hat, können wir so verstehen: Jede geschichtliche Nation verkörpert eine besondere Form des Dialogs von Glaube und Vernunft, von Gott und Mensch.

Inwiefern kann diese Diskussion bei der Herausforderung, heutzutage zu erziehen, eine Hilfe sein?
Um zu erziehen, muss man vor allem eine Vorstellung vom Ziel des Menschen haben. Letzteres besteht, wie der Papst auf dem Platz vor dem Invalidendom in Erinnerung gerufen hat, in der «Glückseligkeit, ewig mit Gott zu leben». Im Collège des Bernardins hat er illustriert, wie diese Suche nach Gott die Kultur rechtfertigt, aufbaut und ihr eine Richtung gibt. Er hat dies auf sehr konkrete Weise getan, indem er von Grammatik, profanen Wissenschaften, Schulen, Bibliotheken, Gesang, Musik und Hermeneutik sprach. Die Kultur wird per defintionem in dem Moment, wo sie sich entwickelt, weitergegeben. Diese Weitergabe der Kultur ist Gegenstand der Erziehung. Somit stellt die Ansprache des Heiligen Vaters das letzte Fundament der Erziehung wieder her.

Der Papst sagte, dass «die Wurzeln der europäischen Kultur in der Suche nach Gott» bestehen. Bedeutet dies in einer laizistischen Kultur, vor allem in der französischen, nicht eine Diskriminierung all jener, die auf der Suche sind, ohne automatisch zu wissen, dass sie Gott suchen?
Seit einigen Jahrzehnten sind wir alle Zeugen der Selbstzerstörung der Kultur und der Schule im Westen. Dieser Prozess geschah so rasch und radikal, weil der größte Teil der Vertreter der Kultur seit langer Zeit in seinem Inneren aufgehört hat, ihr zu glauben. Deshalb haben die Kultur und das Wissen (wie viele andere Aspekte des Lebens) ihr letztes Fundament verloren. Ich glaube, ich habe noch nie eine geeignetere Rede gehört, um das letzte Fundament der Kultur wiederzufinden oder eine, die sich so für Grammatik und Literaturwissenschaft eingesetzt hat. Worte, die der Papst bei Jean Leclercq gefunden hat: «Eschatologie und Grammatik sind im abendländischen Mönchtum inwendig miteinander verbunden [...] Das Verlangen nach Gott [...] schließt [...] die Liebe zum Wort mit ein».

Die Laien werden einwenden, dass die Grammatik und Literaturwissenschaft ohne jeglichen Gottbezug auskommen können.
Das stimmt. Aber warum ist in den letzten Jahrzehnten die Lehre von Grammatik und Literaturwissenschaft so beschädigt worden? Um zu beweisen, dass die Kultur und ihre Weitergabe ohne Gott auskommen, muss man nur eines tun, nämlich eine laizistische Kultur und laizistische Schulen errichten, die diesen Namen verdienen! Ein umfangreiches Programm ... Der Papst bezeugt die Wahrheit dessen, was er sagt, durch die erstaunliche Qualität seiner Gedanken und seines Lehramtes. Es ist an uns Katholiken, uns des Beispiels, das er uns gibt, würdig zu erweisen.

Der Papst hat hervorgehoben, dass das Wort «in die Weggemeinschaft des Glaubens» hineinführt. Auf dem Meeting von Rimini im Jahre 2007 haben Sie vom «gemeinschaftlichen Charakter der Arbeit der Mathematiker» gesprochen. Letztere werden durch die Suche nach der Wahrheit geeint. Sehen Sie in den Aussagen des Papstes eine Weiterentwicklung Ihrer Ideen?
Die Mathematiker bemühen sich, Wahrheiten zu finden, die nicht von ihnen abhängen. Diese Wahrheiten werden dann mit den anderen geteilt; so entsteht eine gemeinsame Verbindung. Aber Benedikt XVI. spricht von etwas wesentlich Stärkerem: «Das Wort, das den Weg der Gottsuche öffnet und selbst dieser Weg ist, ist ein gemeinsames Wort» und «es macht uns so auch wach füreinander».
Kurz gesagt, das Wort selbst stiftet communio. Von dieser Gemeinschaft ist die Verbindung der Mathematiker notwendigerweise nur ein unvollständiges und unvollkommenes Abbild.

Was hat Sie an der Reise Benedikt XVI. am meisten beeindruckt und welchen Stellenwert hat sie für Ihre Erfahrung als Christ?
Sie hat eine große Bedeutung. Der wichtigste Moment für mich war die Messe auf dem Platz vor dem Invalidendom, am Gedenktag des Heiligen Johannes Chrysostomus mit dem Beinamen «eucharistischer Lehrer». In der Predigt hat der Papst auf wunderbare Weise unsere Herzen daran erinnert, dass die Eucharistie das Zentrum des christlichen Lebens ist. Ich bin überzeugt, dass dieser Besuch sich für die ganze Kirche, aber auch für die französische Gesellschaft, als bedeutsam erweisen wird, indem er dauerhafte Früchte hervorbringt.

Was denken Sie als Mathematiker?
Es ist oft unbequem, ein christlicher Mathematiker zu sein. In meinem Umfeld sind Christen selten. Dies ist eine Folge der dramatischen geschichtlichen Trennung zwischen Glauben und Vernunft. Alle – oder fast alle – anderen haben ein Bild der Kirche, das von den Medien vorgegeben wird. Sie sind überzeugt, dass der Katholizismus keinen intellektuellen Reichtum bietet und verachten ihn deshalb. In Wahrheit kennen sie ihn gar nicht. Viele der christlichen Gemeinschaften, die ich kenne, wurden zu einem Desinteresse gegenüber diesem Reichtum der Tradition der Kirche gebracht. In Folge dessen hat sich ein Anti-Intellektualismus breit gemacht, was ebenfalls eine Folge der Trennung von Glauben und Vernunft ist. Als christlicher Mathematiker fühle ich mich daher sowohl unter den Christen als auch unter den Mathematikern fremd. Allerdings haben sogar meine Mathematiker-Kollegen nach der Ansprache im Collège des Bernardins – trotz ihrer Vorurteile – anerkennen müssen, dass sie es mit einem großen Geist zu tun haben, der zumindest Beachtung verdient. Die christliche Gemeinschaft hat hingegen ein außerordentliches Beispiel dafür gesehen, wie Intelligenz mit Einfachheit und Demut in den Dienst Christi gestellt wurde. Ich kann gar nicht sagen, wie sehr mich dies erfreut.