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Briefe
Briefe September 2008
Zusammengestellt von Paola Bergamini

Glaubensweg
Hallo Julián, ich komme seit wenigen Monaten zum Seminar der Gemeinschaft, nachdem ich 25 Jahre fern von der Kirche und dem Glauben gelebt habe. Ich hatte mich aus Gründen entfernt, die Don Giussani gut dargestellt hat: Für viele besteht die Beziehung zwischen uns und dem Göttlichen nur aus Worten. Mir verblieben nur einzelne «Spuren». Sie waren Teil eines Puzzles und mir gelang es nicht, sie zusammenzuführen. So ließ ich zu, dass mein Leben im totalen Agnostizismus weiterlief. Ich war überzeugt, dass ich mit der Vernunft alles erklären und mein Leben kontrollieren und beherrschen könnte.
Das ging so weiter bis zum Tod meiner Tochter im Januar dieses Jahres. Plötzlich fanden die «Spuren» ihren Platz. Der Schleier, der mich hinderte, diese als das zu erkennen, was sie waren (der Ausdruck des Geheimnisses in der Wirklichkeit), öffnete sich. Angefangen mit einem Lächeln eines Kindes, das ich zufällig auf der Straße traf, bei einer Hochzeit, bei meiner Freundschaft mit Menschen von der Bewegung, bei der Geburt meiner Tochter, bis hin zum Tod der anderen … es war unmöglich, in diesen Ereignissen nicht das Handeln des Geheimnisses zu erkennen.
Der Instinkt hätte es wohl gewollt, dass ich in der Verzweiflung versinke, in der Wut, in der Resignation, im Mitleid, dass ich vielleicht sogar alles verfluche. Die Vernunft jedoch hat schließlich das Puzzle der Spuren des Geheimnisses zusammengefügt, die mein Leben umgaben und sich in diesem zeigten. Es hat mich gezwungen, dem Ereignis als Mensch gegenüberzutreten, um meine Frau und unsere Familie zu unterstützen, um Werte und Vertrautheit wieder zu entdecken. All das kann man verlieren, wenn man es als selbstverständlich ansieht, dass sie vorhanden sind – auch wenn man sie ständig vor Augen hat.
Die Vernunft wollte es, dass ich die Intuitionen und Gedanken, die durch dieses Ereignis hervorgerufen wurden, vertiefe. Meine Freiheit führte mich schließlich zur Entscheidung, mich im Alter von 36 Jahren wieder ins Spiel zu bringen und zum Seminar der Gemeinschaft zu gehen … Niemand hat mich dazu gezwungen. Für mich war es eine natürliche Konsequenz daraus, vielleicht endlich die Vernunft auf richtige Art und Weise einzusetzen. Ich hätte es aber auch bleiben lassen können … mein Leben wäre gleichermaßen vorangeschritten. Es war eine freie Wahl, bestimmt von der Vernunft und dem Bewusstsein, dass sie mich zu dem bringen würde, was ich aus Faulheit, Zerstreutheit, Hochmut und Stolz immer vermeiden wollte: zum Glauben.
Ich kann nicht beten, ich kann nicht singen, ich kann gerade mal das Vater Unser und das Gegrüßet seist du Maria, ich kenne die Evangelien nicht. Aber all das, was ich in diesen Monaten gehört und erlebt habe, im Seminar und bei den Exerzitien, war außergewöhnlich. Und es überzeugte mich mit Gefühl und Vernunft vom Wert meiner freien Wahl. Dank all dem habe ich einen Glaubensweg begonnen, der mich dazu brachte, die Beziehung zu Jesus, zur Wirklichkeit, zu den Menschen und zum Unendlichen wieder aufzunehmen.
Dario

Wie Johannes und Andreas
Als meine Schwester und ich die DVD über Don Giussani angeschaut haben, konnten wir uns in der Begegnung von Johannes und Andreas wiederfinden. Denn die beiden waren dort, um zu fischen, als Jesus kam und zu ihnen sagte, sie sollten ihm folgen. Und sie folgten ihm. So war es auch für mich und Paolina. Wir hatten ein gut organisiertes Leben und trafen Christus. Er hat uns herausgefordert und wir haben alles aufgegeben, um ihm hinterher zu gehen.
Zuvor gefiel mir nichts und sogar die Gesellschaft der Freunde und der Familie wurde mir nach geraumer Zeit lästig. Deshalb tendierte ich immer dazu, mich zu Hause zu isolieren, um zu lernen.
Allerdings nahm mein Wunsch zu studieren ab. Ich wollte gute Noten haben, um bewundert zu werden. Gerade zu diesem Zeitpunkt lernte ich die Bewegung kennen.
Am Anfang blieb ich bei den Grenzen der Personen stehen, auch wenn ich viele schöne Dinge sah, und von dem beeindruckt war, was die Personen sagten. Das Seminar der Gemeinschaft wurde für mich zu einem wesentlichen Bestandteil meines Lebens. Christus riss mich mit.
Dann fand das Treffen mit Cleuza und Marcos statt. Sie waren nach Rio gekommen, um über Politik zu sprechen. Das Treffen war für mich gleichsam ein weiterer Schlag ins Gesicht, um aufzuwachen. So wandelte sich die Apathie in mir zu einer Leidenschaft. Ich entwickelte eine Leidenschaft, wie ich sie zuvor für nichts und für niemanden empfunden hatte. Eine Leidenschaft für Christus. Meine Fehler blieben, ich machte weiterhin die gleichen Dinge, aber alles war anders. Das geschieht heute jeden Tag. Ich mache die gleichen Dinge mit einem anderen Blick und das verändert jeden Tag.
Das Treffen mit Cleuza und Marcos änderte die Wahrnehmung, die ich von der Wirklichkeit hatte. Es war eine viel zu ideologische Wahrnehmung. Aber nicht nur das brachte mich dazu, mich ihnen anzuschließen, es war ihre Einfachheit und die Art und Weise, alle Aspekte der Wirklichkeit als ein Geschenk anzusehen.
Es war auch die Art, wie sie sich an die Bewegung banden und sich hingaben, indem sie CL sogar die Organisation übergaben, die sie ins Leben gerufen hatten.
Bevor ich die Bewegung getroffen hatte, war ich verloren, weil ich nichts fand, was mich glücklich machen konnte. Es war nur die Freude eines Augenblicks. Ich wusste, dass ich traurig war, aber ich wusste nicht, wie verzweifelt ich war. So antwortete ich auf die Frage der Exerzitien: «Was sucht ihr?», nicht mit Gedanken, sondern mit einer Zustimmung zu dem, was ich getroffen hatte. Es ist das, was ich tatsächlich suche und worauf ich meine Hoffnung setze. Er ist es, der mich erneuert, Er ist es, der mich aufrecht erhält: Christus.
Luana, Rio de Janeiro

Faszinierende Blicke
Liebe Freunde, das Meeting von Rimini ist erst seit kurzem vorbei. Ich möchte aber die Erfahrung, die ich in diesen Tagen als Freiwilliger im Pressebüro machte, im Herzen bewahren. Am Anfang zeigte sich ein Anflug von Stolz: immerhin trugen wir mit unserer (meiner!) Arbeit in diesen Tagen dazu bei, dieses großartige Meeting durchzuführen. Auch wir waren Protagonisten. Aber dann rückte die Frage in den Vordergrund: Protagonist von was?
Ich wurde mir dessen so bewusst, denn wenn der Bettler der Protagonist der Geschichte ist – wie Don Giussani sagt –, dann war das, was mich in diesen Tagen froh (und aufmerksam) machte, die Tatsache, auf der Suche nach der Wahrheit in meinem Leben zu sein und dabei von den Begegnungen begleitet zu werden.
Ich habe Personen gesehen und gehört, die als wahre Menschen leben und die uns bezeugen: «Es ist möglich, so zu leben!». Diese Wahrheit nahm ich, über die Worte hinaus, auch durch die Blicke auf. Der Blick von Franco und seinen Freunden: Sie sind Häftlinge, aber dennoch frei, weil sie zu Protagonisten des eigenen Lebens wurden. Dies war möglich dank der Arbeit und der Freundschaft dessen, der ihnen zu verstehen half, dass nicht einmal die schlimmsten Dinge das letzte Wort über uns haben. Das Verlangen nach dem Unendlichen kann uns nicht genommen werden, kein Gitter kann es einsperren.
Dann der Blick von Vicky auf einem riesengroßen Foto, das uns ständig begleitete und uns sagte, dass wir auch in der Krankheit ein Gegenstand der Barmherzigkeit sind und deshalb auch mit den anderen barmherzig sein können. Ich war von dem Blick Solschenitzyns fasziniert. Er war auf dem Titelbild der Ausstellung. Und man konnte ihn ebenso lebendig in seinem letzten Interview sehen. Es ist der Blick dessen, der die ganz Wirklichkeit auch in ihren schlimmsten Formen auslotete, um in jeder Sache die Wahrheit zu suchen, um Mensch zu bleiben. Wir waren von faszinierenden Blicken umgeben. Rose, Cleuza und Marcos, Shodo Habukawa, Margherite und viele andere, die ihre persönlichen Erfahrungen zum Meeting brachten. Sie hatten die irdische Wirklichkeit verändert, weil sie zum Unendlichen hin ausgerichtet waren. Mich hat beeindruckt, wie ich angeschaut wurde: von meiner Frau, die sich von mir verabschiedete und mir schöne Tage wünschte, während auch sie sich auf den Weg machte, um ihre Aufgabe erfüllen; von Laura, die aufmerksam verfolgte, was ich tat, weil sie lernen wollte; von Eugenio und von den Freunden aus dem Pressebüro, mit denen sich die Freundschaft beim morgendlichen Angelus und beim Requiem für Francesco vertiefte. Er war dieses Jahr nicht mehr bei uns, weil ihn der Ewige Vater zu sich gerufen hatte. Jeden von uns hat in diesen Tagen ein Blick beeindruckt, der in seiner menschlichen Schönheit ein Abglanz der Wahrheit war.
Angelo, Termoli

50-jähriges Priesterjubiläum
Am Montag, den 16. Juni, traf eine Freundin aus unserer Gemeinschaft eine ihr unbekannte Frau an der Bushaltestellte. Eine Stunde davor hatte diese auf einem lokalen Fernsehsender eine Sendung über die Feier anlässlich des 50jährigen Priesterjubiläums von Don Pino De Bernardis, der Verantwortliche von CL in Ligurien, gesehen, die am Tag zuvor stattgefunden hatte. «Ihr wart wirklich viele», rief die Frau. «Ja, 1500.» «Gut, das ist richtig so», antwortete die Frau, «Don Pino hat es verdient.» «Sie kennen ihn?» «Nein, aber meine Kinder haben ihn getroffen. Dieser Dialog zeigt, wie Chiavari dieses Fest erlebt hat.
An der Messe, die in der Kathedrale Nostra Signora dell’Orto gefeiert wurden, nahmen Menschen aus ganz Ligurien und aus den Gemeinschaften von Bergamo, Pavia, Padua, Gorizia, Salsomaggiore und Calangianus teil. Sie alle sind durch die Vaterschaft von Don Pino entstanden. Es waren die Freunde aus Mailand da, sowie Vertreter der Gemeindeverwaltung, der Provinz, der Region und die Bürgermeister der benachbarten Städte. Es kamen Erwachsene, die Don Pino in der Schule kennen gelernt hatten, wo er 40 Jahre lang unterrichtete, Menschen, die sich nach langer Zeit wieder zusammengefunden hatten. Alle wollten Dank sagen mit einer Zuneigung, die nur die Erkenntnis von etwas Wahrem, das sich im Leben ereignet hat, hervorbringen kann. «Du bist dir Christus gewiss», sagte Charlie bei seinem Grußwort während der Messe, «und das bezeugt deine völlige Hingabe an jede einzelne Person. Du hast uns nie bei deiner Person verweilen lassen, sondern du hast uns zu Don Giussani gebracht und zusammen mit ihm habt ihr uns geführt, um das Gesicht des gegenwärtigen Christus zu erkennen. Du hast uns beigebracht, dass die Zugehörigkeit zu Jesus bedeutet, zur Gemeinschaft zu gehören, bis hin zur liebevollen Sorgfalt in jedem Gestus. Auch in diesen Mahnungen lernten wir, wie das wahre Leben beschaffen ist.
Wir danken dir Don Pino, weil du uns das Christentum als lebendes, gegenwärtiges und faszinierendes Faktum gezeigt hast, als eine Hoffnung, die unser Leben aufrecht erhält.»
Die Gemeinschaft aus Chiavari und Ligurien

Das Hundertfache erfahren
Lieber Julián. Am 30. Juli starb mein Mann Alberto. Er ist in der Nacht gestorben. In seinen letzten Atemzügen standen ihm Michele, Mauro, Marisa und Guido, Giovanni und Nora, Chiara (meine Schwester), Stefano und ich bei. Unsere größten Kinder waren auf den Ferien des CLU, während Massimo, der dritte, wenige Stunden zuvor aus Australien zurückgekehrt war – rechtzeitig, um sich von ihm zu verabschieden. Alberto war Arzt: Er war sich seines Leides sehr bewusst, er kannte alles vom diesem Nichts, auf das er in der Krankheit zuging. Aber die Erfahrung, die sich im Laufe der langen Zeit seiner Krankheit meinen Augen aufdrängte – und dann, immer klarer in den letzten Monaten, als sich die Krankheit unerbittlich verschlechterte – war seine einfache aber unerschütterliche Gewissheit, dass ihm eine gute Bestimmung zuteil werden würde. «Man muss alles erbitten und für alles danken», sagte er mir einmal. Auf dem Weg zum Grabmal von Don Gius zwischen zwei Krankenhausaufenthalten hatte er keine Angst, mir zu sagen, dass er sich beschützt fühlte und dass er in diesem Schutz das Hundertfache spürte. «Und wenn einer so krank ist wie ich», ergänzte er «heißt es, dass es das Hundertfache wirklich gibt.» In dieser Zeit war er zutiefst und vollkommen mit Don Giussani verbunden. «Ich spüre ihn in meiner Nähe», sagte er mir «weil er mich, jedes Mal, wenn ich in eine Sackgasse gerate, herauszieht.» Am Samstag vor seinem Tod sagte er wörtlich unserer Tochter Irene, die einer Freundin am Telefon seinen Gesundheitszustand beschrieben hatte, dass sie zu pessimistisch sei, dass er sich wohl fühle, dass er sich sogar wundere, sich so wohl zu fühlen. Er war in Frieden (dies sagte er Marisa vor Massimo, welche zu ihm gesagt hatte, dass sie sehr wütend gewesen wäre, wenn sie in einem solchen Zustand wäre). Ich erinnere mich an zwei seiner nicht seltenen Kommentare: «Zieht um die Stadt Zion, umkreist sie und zählt ihre Türme… Siehst du» – sagte er – «auch wir können das, was Gott mit uns gemacht hat, sehen und dafür bewundert werden. Auch wir sehen in unseren Kindern und in unserer Geschichte die Mauern Jerusalems, wir zählen ihre Türme.» Und zum Benediktus sagte er mir, dass wir genau das taten, nämlich dem Herrn dienen in Heiligkeit und Gerechtigkeit vor seinem Angesicht all unsere Tage. Bis zuletzt hielt er am Leben fest, indem er uns rührend liebte, mit voller Entschlossenheit, die ganze Zeit mit uns zu verbringen, die Gott ihm zugestanden hätte. Seine ganze Ruhe der letzten Tage wurzelte in der Tatsache, dass ihm alles gegeben war und er somit nichts nachtrauern konnte, weil er alles genossen hatte beziehungsweise genießen konnte. Während Don Franco ihm am letzten Tage aus fast unerwarteter Gnade die Letzte Ölung gab, beichtete er, dass er – zusammen mit dem Herankommen eines großen Unheils – die klaren Zeichen des Heils sah, das Gott den Seinen bewahrt. «Tod, wo ist dein Stachel?» sagte er mehrmals, fast als spräche er zu sich, mit einer tiefen festen und realen Frage. Er gab seinen Geist Gott ohne Zucken hin, indem er mit seinem ganzen Sein ja sagte. Wie oft hatten wir in diesen Jahren vor dem Einschlafen gemeinsam mit den Worten gebetet, die Don Gius Don Giorgio in seiner Krankheit mitgeteilt hatte: «In deine Hände Herr lege ich meinen Geist. Gott der Wahrheit, du hast mich gerettet. Ich vertraue dir meinen Geist an.» Und so war es. Ich danke Gott, dass er, indem er ihn zu sich genommen hat, mir und meinen Kindern ein mächtiges Zeichen seiner heilenden Liebe gegeben hat.
Lorenza, Mailand

Für immer
Ich passe zu Hause auf meine sieben Monate alte Tochter auf. Zuvor hatte ich die zweijährige Große zum Kindergarten begleitet. Während ich die Morgengebete spreche, denke ich an das zurück, was mein Mann und ich in dieser Zeit durchlebt haben. Als kinderloses junges Paar ergab es sich, dass wir nach wenigen Monaten ein drei Monate altes Pflegekind zu uns nahmen. Wir und unsere Familien nahmen das Pflegekind herzlich auf, mit jenem Wunsch es «für immer» zu lieben. Jede Beziehung braucht diese Zusage, auch im Wissen um den Schmerz, dass wir sie eines Tages «gehen lassen» müssten. Die Ankunft des Mädchens war für mich und meinen Mann die Erneuerung der Begegnung mit Christus durch seine Liebe und Barmherzigkeit. Wenn wir sie anschauen, mit ihrem Wunsch nach Liebe und Zärtlichkeit, können wir nicht umhin, an den zu denken, der sie gewollt hat und sie uns anvertraut. Er will ihre Bestimmung vollenden, indem er uns als Mittel ihrer Wiedergeburt erwählte. Dann kam ganz unverhofft eine kleine Schwester, um ihr Gesellschaft zu leisten. Auch das Wunder dieses neuen Lebens ist für uns nichts anderes als klares Zeichen Seiner Liebe. Das Geheimnis ist nichts Entferntes, sondern hat uns berührt. Es ist täglich unter uns. Es hat unserem Herzen auf nicht erdenkliche Weise oder Zeit geantwortet. Und daher schauen wir froh und furchtlos auf unsere Töchter und in die Zukunft, weil wir erfahren haben, dass Er uns begleitet.
Daniela, Genua


Ein Blick, der umarmt
Es war vielleicht mein zweites oder drittes Studienjahr und ich war etwa 20 Jahre alt. Wie es oft stand ich am Eingang der katholischen Universität von Mailand und unterhielt mich mit einigen Kommilitonen, aber es ging mir nicht gut: Ich hatte Probleme in der Familie und ich musste arbeiten, um mein Studium zu finanzieren. Ich war entmutigt, oder vielleicht war es eine Prüfung, die dabei war, mich aus der Bahn zu werfen, ich erinnere mich nicht so gut. Plötzlich kam er aus dem Tor der Universität heraus, entschiedenen Schrittes, in Begleitung einiger junger Leute und diskutierte leidenschaftlich. Er kommt nah an mir vorbei, bleibt stehen, schaut mir tief in die Augen und… „Ciao“. Diese vier Buchstaben haben den Tag verändert. Es war so, als ob plötzlich die Sonne einen traurigen Wolkenhimmel durchbrechen würde und alles drum herum wieder Leben und Farbe erhalten würde. Gius war so, ich hatte nie ein Wort mit ihm gewechselt, ich war eine der Dutzende von Mädchen und Jungen, die seine Vorlesungen und seine Treffen belagerten. Und dennoch, in jenem Gruß war er nur für mich. Ein Blick, der die Seele umarmt, annimmt, ermutigt, den Sinn der Dinge zurückgibt. Einen solchen Blick improvisiert man nicht, zeigt man nicht als Beruf oder aus einem Umstand heraus. Es ist eine authentische, freie, uneigennützige und bedingungslose Liebe, die aus der Gewissheit entsteht, zuerst geleibt worden zu sein. Ich habe ihn nie vergessen. Nach dem Abschluss war ich nicht mehr in der Cattolica [Kath.Universität]. Dann musste ich unerwarteterweise zurückkehren, um mich auf eine Ausschreibung zu bewerben. Ich gehe wieder dieselbe Straße, die mich täglich mit gemischten Gefühlen aus Sorge und Schwermut zur Universität führte. Ich steige aus der Metro in Cadorna aus, gehe die Via Carducci und via Terraggio entlang und sowie ich in Largo Gemelli auskomme erscheint mir die vertraute Vision des Eingangs der Cattolica… für einen Moment erlebe ich erneut jenen Moment, jenen kurzen Gruß, der mein Leben veränderte… „Ciao!“ und ich bekomme eine Gänsehaut, es sind seit jenem Tag 30 Jahre vergangen.