Logo Tracce


Meeting / Die Zeugen
Wir Menschen ohne Heimat können überall eine Heimat aufbauen
Bernhard Scholz

Als Don Giussani im August 1982 von einer Privataudienz bei Papst Johannes Paul II. zurückkam, erzählte er uns, dass ihn folgende Feststellung des Papstes am meisten beeindruckt habe: «Ihr habt hier keine Heimat, wenn ihr dieser Gesellschaft nicht angeglichen werden könnt.» Don Giussani fügte hinzu: «Zehn Jahre sind wir mit der Arbeit über die christlichen Werte vorangeschritten und haben darüber Christus vergessen, wir haben Ihn nicht richtig erkannt. Das eigentliche Problem besteht aber darin, Christus kennen zu lernen und zu erkennen.» Dann stellte er sich die Frage: Was aber bedeutet es, Christus zu kennen? Was bedeutet es, als Christen in der Gesellschaft zu sein?
Ich habe CL 1980 durch vier italienische Studenten kennen gelernt, die nach Freiburg kamen. Was mich am meisten erstaunte, war, vier Personen zu begegnen, die sehr unterschiedlich und zugleich vollkommen eins waren. Ich fragte mich: Wie ist es möglich, wirklich ganz sich selbst und vereint mit den anderen zu sein? In jenen vier Studenten nahm ich genau diese Verheißung wahr. Deshalb las ich alles, was es von Don Giussani auf Deutsch gab, und versuchte, so schnell wie möglich Italienisch zu lernen.
Giussani stellte mich selbst ins Zentrum. Er sprach nicht über den Katholizismus oder über gesellschaftliche Mechanismen, sondern über mich. Wenn er sprach, teilte er sich selbst mit, denn er verkörperte das, was er sagte. Er forderte uns beständig heraus, uns selbst ernst zu nehmen. Und gerade daraus ging eine Offenheit für alles hervor. Je mehr du vorangehst, desto mehr bemerktest du, dass du dir selbst nicht genügst, denn du machst dich nicht aus dir selbst heraus.
Giussani bestand auf der Vernünftigkeit des Glaubens und er betonte: «Die christliche Verkündigung ist die Verkündigung dessen, was du selbst letztlich bist; denn Christus ist dein eigentlicher Bestand.» Doch unmittelbar darauf mahnte er uns, nicht von unserer Unfähigkeit auszugehen, hierauf eine Antwort zu geben, sondern von der Frage, warum «in der Abhängigkeit die größtmögliche menschliche Authentizität besteht.»
Giussani unterstrich, dass wir nicht heimatlos sind, weil wir an Jesus Christus glauben, sondern weil wir anerkennen, dass Er der Existenzgrund unserer Person und der Wirklichkeit überhaupt ist. Hierin lag auch die tiefe Übereinstimmung mit der Enzyklika Redemptor hominis von Papst Johannes Paul II.: Die Größe und Unverkürzbarkeit des Menschen fallen mit der Liebe zu Christus zusammen. Alles muss von hier aus seinen Ursprung nehmen.
Giussani stellte also das Subjekt ins Zentrum und nicht das Projekt, das wir uns erwartet hatten (das Projekt eines besseren Lebens, einer besseren Gesellschaft, einer besseren Politik ...). Sein tiefstes Bestreben war es, dass wir freie Menschen werden. Und das führte uns nicht aus der Welt heraus, sondern erst richtig in sie hinein. Daraus entstanden dann die Werke, Schulen und anderen Aktivitäten ... Und dabei entdecken wir das große Paradox: Die vordergründige «Heimatlosigkeit» erlaubt uns, überall zu Hause zu sein, ja sogar, überall eine Heimat aufzubauen.