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Meeting / Die Zeugen
Protagonist zu sein heißt „ja“ zum Geheimnis zu sagen
Vicky Aryenyo

Die Krankheit und die Einsamkeit hatten sie zur Verzweiflung gebracht. Dann kamen Rose und die freiwilligen Helfer vom Meeting Point. Eine Begegnung, die das Leben neu hervorbrachte.

Ich bin sehr glücklich, hier zu sein. Ich bringe euch die Liebe Ugandas, meiner Familie und der ganzen Familie des Meeting Point International. Ich möchte mit euch die Reise meines Lebens teilen!
Ich bin in einem Dorf im Osten Ugandas aufgewachsen, wo ich alleine mit meiner Mutter lebte. Irgendwann ist sie an einem Tumor erkrankt. Und da ich die Einzige war, die noch für ein Auskommen sorgen konnte, musste ich mit der Schule aufhören, um ihr zum Überleben zu helfen. In fand in Kampala eine Stelle als Buchhalterin in einem Krankenhaus. Dort blieb ich zehn Jahre. Dann heiratete ich und bekam zwei Kinder. 1992, während meiner dritten Schwangerschaft, begannen die Probleme mit meinem Mann: Er wollte, dass ich das Kind abtreibe. Er sagte, dass unsere Ehe zu Ende sei, wenn ich mich weigern würde, das Kind abzutreiben. Ich konnte das alles nicht verstehen, und so entschied ich mich, das Kind auszutragen. Ich muss leider sagen, dass mein Mann es ernst gemeint hatte, denn er verließ mich tatsächlich. 1996 zeigte mein kleiner Sohn dann die Symptome von Tuberkulose. Die Ärzte erklärten mir, dass sich die Krankheit entwickelt, wenn das Immunsystem nicht mehr im Stande ist, dagegen anzukämpfen. Ihrer Meinung nach würde sich das Immunsystem erholen, sobald mein Sohn wieder essen würde. Das Leben ging weiter. Aber einige Monate später bekam ich Herpes, das Symptom einer anderen Krankheit. Damals war aber niemand im Stande, mir die Wahrheit zu sagen.

Warum gerade ich?
1997 fühlte ich mich völlig elend und musste aufhören zu arbeiten. Das Leben wurde sehr schwierig. Die Krankheit schritt fort, bis ich eines Tages am Boden lag und erst im Krankenhaus wieder zu mir kam. Dort fragte man mich, ob ich bereit sei, einen Aids-Test machen zu lassen. Natürlich stimmte ich zu. Ich hatte ja keine andere Wahl! Das Ergebnis lautete HIV-positiv. Das war eine sehr schwierige Zeit. Ich fragte mich: «Warum gerade ich?» Ich war rechtmäßig verheiratet und meinem Mann immer treu geblieben. Damals verstand ich, weshalb er diese Schwangerschaft nicht wollte: Wahrscheinlich wusste er, dass ich dadurch erkranken würde oder ein krankes Kind zur Welt bringen würde. Dass ich zwei Wochen später wieder aus dem Krankenhaus entlassen wurde, war schon ein Wunder. Denn ich sah viele Menschen um mich herum sterben. Ich wusste aber nicht, dass dies der Beginn neuen Unglücks sein sollte. Als ich wieder zu Hause ankam, entdeckte ich, dass mein Sohn schwer erkrankt war. Ich bat darum, dass auch er einen Aids-Test machen könne, und der lautete ebenfalls: HIV-positiv. Damals litt ich noch mehr. Ich fragte mich: «Warum gerade er?» Er war vom Mutterleib an durch seinen Vater zum Sterben verurteilt, ich dagegen hatte ihn bis zu seiner Geburt geschützt. Aber dieses Schicksal verfolgte ihn weiterhin. Wenn mein Mann erkrankt wäre, hätte ich mich vielleicht darüber gefreut, weil er der Grund von alldem war. Er aber erfreute sich bester Gesundheit. Er hatte wieder geheiratet und sorgte sich überhaupt nicht mehr um uns.
Ich konnte Gott einfach nicht verstehen. Wenn nur ich erkrankt wäre, hätte ich es noch ertragen können, aber ich konnte es nicht aushalten, dass auch mein Sohn die Krankheit bekam. Es schien mir so, dass Gott sich in Schweigen hüllte. Bis 2001 habe ich wie auf einem anderen Planeten gelebt, keiner meiner Freunde besuchte uns mehr. Was hatte ich ihnen angetan? Wir hatten kein Geld mehr, niemand lächelte uns an, alle hassten uns, als ob wir uns die Krankheit alleine zugezogen hätten.
Eines Tages ist jemand in mein Haus gekommen. Es waren Freiwillige vom Meeting Point International, die wahrscheinlich erfahren hatten, dass hier im Dorf jemand im Sterben lag. Sie erzählten mir von ihrer Tätigkeit und ermutigten mich, mich ihnen anzuschließen. Aber für mich waren das nur Lügenmärchen! Ich war diesen Leuten vorher ja noch nie begegnet ... Mir schien es unmöglich, dass sie mir wirklich helfen wollten, ich meinte, sie spielten das nur vor. Sie kamen mehrmals. Ich aber weigerte mich einfach, ihnen zuzuhören und igelte mich in mich selbst ein. Inzwischen gingen meine älteren Kinder nicht mehr in die Schule. Auch das dritte Kind hatte die Schule aufgegeben, weil der Lehrer es «Skelett» nannte und die ganze Schule es auslachte. Ich hatte niemanden, mit dem ich diesen Schmerz hätte teilen können, und als ich darum bat, mit dem Lehrer zu sprechen, hinderte man mich daran, ihn zu Gesicht zu bekommen.
Die Freiwilligen hatten Rose von meiner Situation erzählt und eines Tages brachten sie sie zu mir nach Hause. Rose setzte sich neben mich. Ich rückte von ihr weg, denn ich verströmte einen unangenehmen Geruch. Aus Nase und Mund traten Eiter aus. Ich war noch lebendig, aber mein Körper schien schon kurz davor, sich zu zersetzen. Ich rückte immer weiter von ihr weg, aber Rose setzte sich immer wieder neben mich, bis ich einfach nicht mehr wusste, wohin ich mich noch setzen sollte. Rose sprach zu mir, aber ich hatte mein Herz verschlossen. Eines war sicher: Ich erwartete mir keinerlei Hilfe von ihr. Nachdem Rose dann wieder gegangen waren, erinnerte ich mich aber an einen Satz von ihr, der mein Leben berührt hatte: «Wenn du nicht zum Meeting Point International kommen willst, dann gib mir zumindest deinen Sohn, damit er leben kann.» Diese Worte hallten in meinen Ohren wider, sodass ich eines Tages beschloss, zum Meeting Point zu gehen.

«Du hast einen Wert»
Als ich dort ankam, sah ich, dass die Leute Musik machten und gerade tanzten! Ich konnte es einfach nicht verstehen, dass Kranke tanzen und fröhlich sein konnten. Ich sagte mir: «Das ist nicht möglich!» und ging wieder nach Hause. Die Freiwilligen schauten weiterhin nach meinem Sohn und letztendlich gelang es ihnen, über ihn auch an mich heranzukommen: Als sie ihn auf die Therapie vorbereiteten, begriff ich, dass ich mich ihnen anvertrauen konnte, und so ging ich häufiger zu ihnen.
Eines Tages lud mich Rose in ihr Büro ein. Sie schaute mir in die Augen und sagte: «Vicky! Du hast einen Wert, der viel größer ist als die Krankheit! Du kannst es schaffen, du musst nur die Hoffnung wieder finden.» Ich verharrte ganz still, während sie mich weiter anschaute. Sie sagte nur diese Worte, aber ihre Augen sagten viel mehr als ihr Mund und sie luden mich ein, ihr zu glauben. Es war so, als würden sie mir sagen: «Es gibt etwas über dir, auf das du deine Hoffnung setzen musst!» Sie schaute mich mit den Augen der Liebe an, die für mich wie ein Strahl der Hoffnung waren. Unterdessen wiederholte sie mit den Lippen nur diese Worte: «Du wirst sehen, dass die Therapie deinem Sohn das Überleben ermöglicht. Du musst die Hoffnung wiederfinden! Du musst sehen, wie deine Kinder wachsen!» Ich aber dachte: «Auch wenn mein Sohn gerettet wird, wo werde ich das Geld für das Essen hernehmen? Wie kann ich überleben, welches Wunder muss denn dafür geschehen?» Einmal, als ich wieder zu Hause war, bewegte sich etwas in meinen Augen, wie ein Film. Seitdem ich von meiner Krankheit wusste, hatte ich mich ganz in mich selbst zurückgezogen, weil ich von allen Leuten zurückgewiesen wurde. Diese Worte aber waren die ersten, die seither jemand zu mir gesagt hatte. Ich spürte in mir etwas, das ich nicht ausdrücken kann. So schaute ich auf jene Augen, die zu mir sprachen. An jenem Tag war ich Rose begegnet. Ich hatte sie vorher schon so viele Male getroffen, aber ich hatte niemals eine Begegnung mit ihr gehabt. Auch jetzt, da ich euch das erzähle, sehe ich sie wieder, wie in einem Film.

Am Schulter Christi angelehnt
So schöpfte ich wieder neue Hoffnung und ging zum Meeting Point. Rose hat mir zwar diese Worte nicht mehr wiederholt, aber ihre Augen sprachen zu mir, jedes Mal, wenn ich sie anschaute. Als ich sah, dass mit der Therapie wieder Leben in meinen Sohn zurückkehrte, war dies der Beginn der Freude in meinem Leben. Und ich habe angefangen, zu verstehen, dass auch ich leben konnte, egal, unter welchen Bedingungen. Jedes Mal, wenn ich das Bild von Rose vor mir hatte, dachte ich: «Wenn schon sie mich so anschauen kann, wie wird dann erst das Gesicht Gottes sein? Gott schaut mich auf gewisse Weise durch das Gesicht von Rose an. Sie hat mir ihre Schulter angeboten: Es ist Christus, der mir jene Schulter gegeben hat, damit ich mich daran anlehnen kann, wenn niemand anders für mich da ist. Christus ist zu mir gekommen und hat mir Hoffnung geschenkt, die wahre Hoffnung! Alles begann mit einer Begegnung, die mein Leben wieder auferstehen ließ. Als meine Hoffnung auferstand, begann auch mein Körper, wieder aufzuerstehen. Heute bin ich der Beweis für diese Wirklichkeit. Ich kann nicht erklären, wie all das passiert ist, aber ich habe einen Gefährten, einen Freund. Rose war immer für mich da und ließ mich verstehen, dass Christus immer an meiner Seite steht in diesem Prozess des Leidens, den ich auf keine andere Weise beschreiben kann. Ein Jahr später habe auch ich die Therapie angefangen, die ich nun zusammen mit meinem Sohn weiterhin mache. Wir haben eine Begegnung gemacht, auf die wir uns auch heute noch stützen und die uns unsere Würde wiedergegeben hat. Alles hat mit Rose begonnen, die «ja» gesagt hat zu einem Ruf. Wie in der Erzählung von den zehn Aussätzigen: Rose hat so vielen geholfen, und ich bin einer von den zehn, der zu ihr zurückgekehrt ist. (Aber wo sind die anderen neun?)

Ein Wunder? Hier: Ich bin eines
Ich konnte einfach nicht verstehen, warum sich Rose so verhielt. Allein deshalb bin ich hierher gekommen. Ich habe gesehen, dass die Bewegung lebendig ist, dass sie nicht einfach nur ein Verein ist, sondern eine Person. Die Bewegung hat Leben und bringt Leben hervor. Wir können auch Lazarus vergessen, der vor so vielen Jahren auferstanden ist ... Wenn ihr noch nie ein Wunder gesehen habt, dann schaut mich an: Ich bin eines! Denn ich war tot und ich habe das Leben wiederbekommen. Dies ist der Grund, weshalb ich eine «Sklavin» dieser Bewegung bin, die mir geholfen hat, zu verstehen, was meine Bestimmung ist, und die mich neue Hoffnung schöpfen lässt, indem sie mich auf dem Weg begleitet. Vor allem weiß ich jetzt, dass ich eine Familie habe, die Familie der Bewegung. Ich habe keine Mutter, ich habe keinen Vater, ich habe keinen Mann, aber ich habe eine Schulter, an die ich mich anlehnen kann. Ich bin eine «Sklavin» der Bewegung, wegen der Demut, die ich dort gefunden habe. Ich habe die Ausstellung über die Initiative mit Gefangenen angeschaut. Und als ich erfahren habe, dass einige Häftlinge da waren, sagte ich: «Auch ich bin eine Gefangene, auch ich bin verurteilt worden (Das Virus tötet!), aber ich habe meine Freiheit.» Alle Menschen können frei sein, man muss dafür nur eines tun: Man muss «ja» sagen, wenn der Ruf kommt. Wenn du dich weigerst, «ja» zu sagen, dann bleibst du ein Gefangener.
Als ich das Ergebnis des Aids-Tests bekam, habe ich ein Gelübde abgelegt: Ich werde niemals jemandem diese schreckliche Sache antun, die mein Mann mir angetan hat. Ich habe dieses Gelübde bis heute gehalten und ich werde es immer halten. Ich habe gelernt, dass Gott mein Mann und der Vater meiner Kinder ist. Ich habe ihn durch Rose gesehen, durch Carròn. In der Bewegung habe ich gesehen, wie Gott in meinem Haus am Werk ist. Jemand könnte mich fragen, was denn mit meinem Mann los ist: Ich bin nicht der Richter, ich habe ihm vergeben. Von diesem Augenblick an war meine Freiheit vollkommen. Wir haben gelernt, «ja» zu sagen zu dem Ruf, zu dem bitteren Kelch, den wir trinken müssen. Wir haben gelernt, «ja» zu sagen zum Kreuz, das wir tragen müssen. Und Rose ist bereit gewesen, uns dabei zu helfen. Die Bewegung ist mit uns und wir werden diese Aufgabe ganz erfüllen. Vielen Dank!