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Briefe
Briefe Februar 2009
Zusammengestellt von Paola Bergamini

Eine neue Mutterschaft
Lieber Don Carrón,
am 13. September feierten wir unser 25-jähriges Hochzeitsjubiläum in der Gemeinschaft von Montetauro (eine christliche Gemeinschaft von geweihten Laien – unseren Memores ähnlich – die im Gebet und im Dienst an teils Schwerkranken ihre Berufung leben). Unser Sohn Carlo lebt seit acht Jahren in dieser Gemeinschaft. Er ist mittlerweile 23 Jahre alt und von einer ziemlich schweren Form von Autismus betroffen. Der Tag unserer Jubiläumsfeier war sehr schön, denn es war mir vom ersten Moment an klar, dass all dies nur durch die Gegenwart Christi, durch Gnade, möglich war. Die Messe begann mit dem Lied Il disegno von Claudio Chieffo, das uns in den besonderen Momenten unserer Familiengeschichte begleitet hat – von der Hochzeit bis zur Taufe unserer drei Kinder. Als ich die ersten Töne des Liedes vernahm, wurde mir mit Klarheit bewusst, dass uns der Herr nie allein gelassen hat in all diesen Jahren, von denen viele von der Krankheit Carlos gezeichnet sind. Diese Krankheit war und ist eine große Prüfung, für uns und für unseren Glauben. Wir standen in jedem Augenblick vor der Herausforderung uns für den Herrn zu entscheiden, also gegen alle Hoffnung zu hoffen. Dies drängte uns dazu, uns ständig Ihm anzuvertrauen. Wir versuchten deshalb, das Positive in dem was uns geschah, zu suchen, selbst wenn uns das Leiden unseres Sohnes und unsere Hilflosigkeit den Atem verschlug und wir versucht waren, enttäuscht zu verzweifeln. An jenem Tag unseres Jubiläums war alles viel klarer: Er war dort, wie in jedem vergangenen Augenblick und für immer. Was geschehen ist, jeder Tag, der vergeht, lebt in meinem Herzen wieder auf und gibt somit meinen Tagen eine Weite, stärkt in mir den Wunsch, dass mein Blick immer fähiger wird, die Gegenwart Christi mit derselben Gewissheit anzuerkennen. Ich bete weiterhin um die Heilung unseres Sohnes und hoffe weiterhin. Meine Hoffnung ist kein Gefühl, sondern seine lebendige Gegenwart unter uns, die sich ständig, wenn auch sehr behutsam, angesichts unserer Freiheit zeigt. So kann ich nicht anders, als Ihm jeden Tag für all das zu danken, was Er in meinem Leben vollbracht hat, nicht trotz allem, sondern in allem. Innerhalb dieses Leidens waren wir von einer großen Liebe getragen. Als ich meinen Sohn anfangs diesem Ort anvertraute, erlebte ich dies beinahe so, als würde ich mein Muttersein aufgeben. Es war für mich in jedem Falle wie ein Versagen. In diesen Jahren bat ich den Herrn, mein Herz zu verwandeln, ich wünsche mir, dass aus diesem Leiden etwas Schönes für meine ganze Familie entstehen würde. Ich wünschte mir eine glückliche Bestimmung. So hat mir der Herr Tag für Tag den vollkommenen und wahren Sinn meines Mutterseins enthüllt. Zunächst half er mir, meine Hilflosigkeit anzunehmen. Doch dann verhalf er mir, das zu erfahren, was Giussani als Jungfräulichkeit bezeichnet: die Liebe zum anderen, zu meinem Sohn, ohne ihn zu besitzen. Angesichts meines Bedürfnisses schickte Er Engel, ließ Ereignisse geschehen, antwortete auf meine Nöte in unerwarteter Weise. Die Frucht dessen ist es, dass mein Mann und ich gelernt haben, uns gern zu haben, uns viel mehr zu lieben, als zur Zeit unserer Hochzeit. Dies ist ganz und gar nicht selbstverständlich.
Valeria

Der Antrieb des Seminars der Gemeinschaft
Lieber Don Carrón, ich bin Arbeiter in einer Keramikfabrik und erfahre am eigenen Leib die dramatische Situation der Wirtschaftskrise. Seit über einem Monat ist unsere Arbeitszeit gekürzt und diese Gehaltskürzung macht mir am Monatsende sehr zu schaffen. Nachdem mich anfänglich Wut und Verzweiflung ergriffen hatten, kam ich zum Entschluss, diesen Moment nicht tatenlos, nicht ausgeliefert zu durchleben: die Arbeit, die für mich bestimmt war, wollte ich noch besser erledigen, noch genauer und kreativer. Das Seminar der Gemeinschaft und die Freunde helfen mir in dieser Situation. Es ist keine theoretische Anwendung der Worte, die wir lesen, sondern diese Worte sind wie ein «Motor», der meine Schritte antreibt, indem sie meinem Alltag Sinn geben. Für mich bedeutet dies, in dramatischer Weise ganz eingetaucht in die Wirklichkeit den Gehorsam zu leben, um mich nicht auf Situationen zu verkürzen, die mich sonst übersteigen würden. In der Treue zum Seminar der Gemeinschaft habe ich in mir eine menschliche Dichte entdeckt, die mir bisher unbekannt war. Im Abendteuer verbunden.
Massimo, S. Clemente (Rimini)

Vollkommene Zustimmung
Lieber Don Carrón, ich lege diesen Brief meinem Antrag um Aufnahme in die Fraternität bei, um so jeder Person in der Geschichte der Bewegung zu danken, deren Ja zu Christus es mir ermöglicht hat, ihm zu begegnen. Vor einem Jahr habe ich durch einen Studienkollegen die Bewegung kennen gelernt. Ein Jahr vor dem Abschluss meines Medizinstudiums hätte ich mir nie gedacht, der Antwort auf alles was ich suche und ersehne, begegnen zu können. Ich suchte eine schönere Art, die Freundschaften zu leben, eine wahrhaftigere Art zu lieben, Etwas, das jeden Augenblick meines Lebens erfüllte und jeder meiner Handlungen einen vollkommenen Sinn gäbe. In einem Jahr wurde mein Leben vollkommen umgekrempelt, es geschah sehr viel Schönes, ich durchlebte aber auch viele Schmerzen in der Gewissheit, nicht allein zu sein. Nun, da ich in die Arbeitswelt eintrete, weiß ich, dass ich mir wünsche «so zu leben» und die Weggemeinschaft, die mir gegeben wurde, ruft mir dies in jedem Augenblick ins Bewusstsein. Ich bitte darum, in die Fraternität aufgenommen zu werden, denn ich weiß, dass ich nicht anders kann, als mit meinem ganzen Menschsein zuzustimmen.
Margherita, Pisa

Gebrochenes Handgelenk
Ende November letzten Jahres bin ich gestürzt und habe mir das Handgelenk gebrochen. Die Ärzte sagten mir, es müsste operiert werden. Als man mich in den Operationssaal brachte, sagte der Anästhesist zu mir: «Sie haben wirklich Glück, denn die Operation wird der beste Handchirurg machen, den wir in Kolumbien haben.» Als ich zur ersten Nachuntersuchung ging, war der Chirurg nicht nur sehr froh, weil alles gut verheilte, sondern vor allem auch, weil er mich und Patrizia wiedersah. Er lud uns sogar zu sich nach Hause ein, zur Novene zum Jesuskind, was ein wunderschöner Brauch ist, der in Kolumbien Tradition hat. Wir sind der Einladung gefolgt und haben gemerkt, dass diese Familie und ihre Freunde uns mit einer überraschenden Vertrautheit und Einfachheit bei sich aufgenommen haben. Der Chirurg sagte uns: «Beginnen wir diesen Moment, indem wir zum Jesuskind beten, das die Welt verändert hat – kein Präsident der Welt hat dies bisher vermocht.» Als wir uns dann verabschiedeten und uns beim Doktor und seiner Frau für die Einladung bedankten, nahmen wir ihrerseits eine gewisse Neugierde und einen Wunsch wahr, die sich darin zeigten, dass sie immer wieder betonten, wie froh sie doch waren, uns kennen gelernt zu haben. So haben wir sie beim Abschied unsererseits zu uns nach Hause eingeladen. Am Sonntag, den 4. Januar, sind sie zum Mittagessen zu uns gekommen. Es war ein sehr schöner Moment: sie haben uns von der Zeit erzählt, als sie geheiratet haben, von ihren Kindern, von den Freundschaften und Beziehungen, die entstanden sind, dass ihre Kinder auf eine bestimmte Schule gehen, aber vor allem teilte sich uns da die Schönheit mit, katholisch zu sein. Der Doktor war froh, dass er uns kennen gelernt hatte, und er war so bewegt, dass er sagte – ohne dass er etwas von uns wusste: «Ihr seid an diesen kleinen Ort in der Welt gekommen und habt alles dafür aufgegeben. Diesen kleinen Ort zu lieben, den sonst keiner kennt, ihn vor Gott zu lieben, das ist das Christentum. Danke, dass ihr aus der ersten hierher in die zweite Welt gekommen seid». Daraufhin haben wir von unserem Charisma erzählt und ihnen die Dezemberausgabe von Spuren geschenkt und das Buch von Gemeinschaft und Befreiung. Die Menschlichkeit und die Einfachheit dieser Leute haben uns sehr beeindruckt und als sie gegangen waren, haben wir zueinander gesagt: «Da war wirklich jemand barmherzig mit uns heute, das ist die Güte Gottes, die das erlaubt hat, weil jeder von uns unendlich geliebt ist.» Nichts geschieht aus reinem Zufall, auch nicht ein Unfall: alles dient, weil alles Sein ist.
Cristina, Bogotà

Ein Blick, der trifft
Lieber Don Carrón, vor einigen Tagen bin ich bei einer ehemaligen Kundin vorbeigegangen. Während unserer Unterhaltung erzählte sie mir Folgendes: Sie und ihr Mann waren aus beruflichen Gründen auf Sizilien und ihr ist bei der Besichtigung eines landwirtschaftlichen Unternehmens die dortige Sorgfalt, die Ordnung und die Organisation aufgefallen, die dem sehr ähnelten, was sie bei uns gesehen hatte, wenn wir in unserem Kulturzentrum bestimmte Begegnungen machten. Dann beim Abendessen hat sie den Besitzern entsprechende Komplimente gemacht und ihnen anvertraut, dass sie diese Art zu arbeiten schon bei ihren Freunden von CL gesehen hatte. Daraufhin schauten sich die Angesprochenen erstaunt an und erwiderten, sie seien auch von der Bewegung; den ganzen Abend lang haben sie sich dann gegenseitig von ihrer Erfahrung erzählt. Das, was mich daran beeindruckt, ist, wie anders doch der Blick ist, mit dem wir auf die Wirklichkeit schauen, weil wir darin das suchen, was Christus geschehen lässt, und diesen Fakten den Vorrang geben. Das wird zur Methode, wie man dann auf die Umstände des Tages schaut und in meinem Fall auf die Arbeit in der Bank. Dieser Blick ist es, der trifft und gefangen nimmt, nicht die Organisation.
Pasquale, Recanati

Ein befreiender Gehorsam
Ich habe vor einigen Monaten ein Arbeitsangebot bekommen, innerhalb meiner Arbeitsstelle zur Hälfte der Zeit in einen anderen Bereich zu wechseln. Ursprünglich hatte ich nie geplant, aus meinem Bereich zu wechseln, da mir meine bisherige Tätigkeit sehr viel Spaß machte und ich mir gar nicht sicher war, für den anderen Bereich geeignet zu sein, auch wenn er mich interessierte. Ich sprach dann mit meiner Ansprechpartnerin bei den Memores in Mailand. Entgegen meinen Erwartungen riet sie mir, die Herausforderung anzunehmen. Sie nannte mir auch mehrere Gründe und Kriterien. Das, was mich am meisten überraschte, war jedoch ihre Feststellung, dass es im Grunde um die Frage geht, wozu Christus mich herausfordert.
Damit hatte ich wirklich nicht gerechnet. Es ist schon erstaunlich, dass trotz vieler Jahre in der Bewegung, täglichen Gebets, Messbesuche und anderem mehr die Beziehung zu Christus bei den täglichen Entscheidungen oft außen vor bleibt. Ich hatte also die Möglichkeit, nach dem
Lust und Laune-Prinzip zu entscheiden, nach bestimmten Kriterien, die ich wichtig fand, und dabei, egal wie die Entscheidung ausfällt, hinterher nachzugrübeln, ob ich mich richtig entschieden habe. Oder ich hatte die Möglichkeit, einfach Christus die Entscheidung zu überlassen und darauf zu vertrauen, dass die Erfüllung meines Lebens (auch meines beruflichen Lebens) in diesem Gehorsam liegt. Die erste Entdeckung war, dass die zweite Möglichkeit mir mehr entsprach. Ich habe also gebetet: Christus, du weißt, dass ich von dieser Sache nicht hundertprozentig überzeugt bin, auch wenn es eine große Herausforderung wäre. Wenn es dein Wille ist, dass ich die Stelle bekomme, gib, dass sie mich nehmen; wenn nicht, gib, dass sie mich nicht nehmen. Das hat dazu geführt, dass ich mich völlig frei gegenüber dem Ausgang des Bewerbungsverfahrens fühlte. Ich habe mich also beworben und die Stelle bekommen.
Aber der Ausgang der Bewerbung war im Prinzip nicht so wichtig, auch wenn die neue Stelle in beruflicher Hinsicht für mich einschneidende Veränderungen mit sich bringt. Im Grunde geht es um die Beziehung zu Christus, um die Frage, welche Bedeutung Christus für mein konkretes Leben hat und die Frage, was mich im Leben wirklich glücklich macht. Bin ich diejenige, die über mein Leben verfügt und selbst am besten weiß, was für mich gut ist, oder vertraue ich mich der Führung eines anderen an? Und welche Rolle spielt dabei unsere Freundschaft? Ich habe wieder einmal verstanden, wozu unsere Weggemeinschaft da ist. Denn außerhalb dieser Gemeinschaft wird man nur selten Personen finden, die konkrete berufliche Entscheidungen aus diesem Blickwinkel heraus betrachten. Das Verrückte ist, dass ich im Gehorsam immer mehr die Erfahrung mache, dass es nicht etwas ist, was einengt, sondern was befreit. Und das gilt auch für die Konsequenzen, die aus diesem Gehorsam entstehen. Die neue Arbeit bringt nicht nur positive Aspekte mit sich. Aber da ich sicher bin, dass Christus mich an diesem Platz haben möchte, werden die Schwierigkeiten für mich zu Herausforderungen und nicht zu Hindernissen oder Einwänden.
Ulla, Paderborn