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Eröffnungstag / Erzbischof Marx
Das Abenteuer der Freiheit
Rheinard Marx

Die Bewegung begeht in diesem Monat den vierten Todestag von Don Luigi Giussani. Als Zeichen der Wertschätzung der Bewegung und ihres Gründers hat der Münchner Erzbischof, Reinhard Marx, die Eucharistiefeier zum diesjährigen Eröffnungstag gehalten. Wir dokumentieren die Einleitung und Predigt der Eucharistiefeier am 8. November 2008 in der Münchner Bürgersaalkirche im Wortlaut.

Einleitung - Eucharistiefeier mit der Bewegung Comunione e Liberazione

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes! Amen.
Der Friede sei mit Euch! Und mit Deinem Geiste.
Liebe Mitbrüder im priesterlichen Dienst,
liebe Schwestern und Brüder der Gemeinschaft Comunione e Liberazione, die ich auch in den letzten Jahren immer wieder aufmerksam verfolgt habe in ihren Schriften und in dem, was an Zeugnis in die Kirche hinein geschenkt wurde: Sehr dankbar ist die Kirche für das, was sich hier an Bewegung vom Heiligen Geist her entwickelt. Wie wichtig ist es zu erkennen, dass der christliche Glaube kein Gedankengebäude ist, dem man folgt, sondern eine Person, der wir uns anvertrauen, ein Ereignis, das wir feiern – miteinander. All das ist gerade für Ihre Bewegung von außerordentlicher Bedeutung.
Wir feiern hier die Eucharistie zu Beginn Ihrer Begegnung, dort wo Pater Rupert Mayer, der große Apostel Münchens, gewirkt hat. Er kannte natürlich die Bewegung Comunione e Liberazione noch nicht, aber vieles entdecken Sie bei ihm wieder. Wie überhaupt da, wo wir uns wirklich auf Christus einlassen, die Ergänzung der Vielfältigkeit der Bewegungen, der geistlichen Gaben und Charismen, nicht voneinander getrennt steht sondern zueinander führt. So hat Pater Rupert Mayer ein geistliches Leben geführt, ganz geprägt auch von der Erfahrung: ich muss dieses geistliche Leben zum Zeugnis werden lassen, in dieser Stadt. Für die Armen, für die Kranken, für die Menschen in Not – er hat hier in großartiger Weise gewirkt, und das Volk hat es nicht vergessen. Es gibt kaum einen Ort in München, der so stark geprägt ist von der Zuwendung des ganzen Volkes durch alle Schichten der Bevölkerung hindurch. So ist es gut, dass wir uns hier treffen zur Feier der Eucharistie und den Herrn anrufen in unserer Mitte. Er ist das Ereignis unseres Lebens. Er ist die Person, auf die wir zugehen, die in unserer Mitte ist und die wir grüßen im Kyrie-Ruf.

Predigt anlässlich der Eucharistiefeier mit der Bewegung Comunione e Liberazione
8. November 2008 - Bürgersaalkirche München [1]
Lesung: Phil 4, 10-19
Evangelium: Lk 16, 9-15
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes! Amen.
Liebe Schwestern und Brüder! Freiheit ist das große Thema der Neuzeit. Sie haben Ihre Tagung, Ihre Begegnung, mit dem Wort überschrieben «Abenteuer Freiheit». Das klingt gut. Freiheit, das Abenteuer des Lebens, das entspricht den Sehnsüchten vieler Menschen – besonders junger Menschen. Sich frei auf den Weg machen und sich ins Abenteuer des Lebens stürzen. Die Möglichkeiten ausprobieren, die in einem stecken, bis an die Grenzen dessen gehen, was uns möglich erscheint und vielleicht darüber hinaus – jedenfalls im Denken und in der Sehnsucht noch darüber hinausgehen.
Freiheit ist ein zentraler Begriff, ein Schlüsselbegriff auch der ganzen biblischen Überlieferung. Es ist ein Wort, das uns fasziniert, das aber immer wieder neu betrachtet werden muss, damit wir nicht in die Irre gehen, damit wir unter Freiheit nicht etwas verstehen, was den Menschen letztlich in eine Sackgasse hineinführt. Als ich damals Weihbischof wurde, vor jetzt 13 Jahren, musste ich auch überlegen, welches Leitwort, welchen Wahlspruch ich denn aussuchen würde. Und ich habe sehr schnell das Wort genommen, das mich seit Studienzeiten vom heiligen Paulus besonders inspiriert: «Wo aber der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit.» Der Grund: weil ich den Eindruck hatte, wir haben es zu wenig fertiggebracht, in unserem Zeugnis als Kirche, in unserem Engagement in der Welt deutlich zu machen, dass wir die Hüter der Freiheit sind und nicht umgekehrt; weil manche gar nicht mehr verbinden können «katholische Kirche», «christlicher Glaube» und «Freiheit»; dass sie das für einen Gegensatz halten, für etwas das gar nicht miteinander vereinbar ist. Ja, dass man die wahre Freiheit erst erringen kann, wenn man die Zwänge des Glaubens hinter sich gelassen hat.
Liebe Schwestern und Brüder, es ist ja anders. Vielleicht hilft uns ein Blick in das, was uns die Kirche heute in der Heiligen Schrift anbietet für den Samstag dieser Woche, um dem, was Freiheit eigentlich ist, näher zu kommen. Eine Freiheit, die nicht einfach Beliebigkeit bedeutet, die nicht einfach heißt, alles einmal ausprobieren, alles auf mich beziehen. Eine Freiheit, die wirklich hineinführt in den Raum eines Abenteuers, das letztlich geprägt ist von der Liebe. Denn wir wollen keine Freiheit, in der die Liebe nichts zählt. Schauen wir auf das, was uns der heilige Paulus heute im Philipperbrief mit auf den Weg gibt. Nach der Tradition ist Paulus ja im Gefängnis und von dort schreibt er der Gemeinde in Philippi. Und er schreibt sehr kühn: «Mir fehlt nichts.» Ein ganz wichtiger Gedanke. Janis Joplin, manchen von den Älteren vielleicht noch als große Rocksängerin der 70er Jahre bekannt, hat einmal gesungen «Freedom is just another word for nothing left to lose.» Also Freiheit heißt, nichts zu verlieren haben. Das klingt sehr nach Paulus. Da ist etwas daran. Alles gefunden haben. Aber wir sagen, wie wir es eben schon in der Begrüßung gehört haben: «Wir haben alles gefunden, aber nicht irgendetwas. Wir haben eine Person gefunden, die alles ist.» Wie es im Römerbrief heißt: «Wie sollte Er, Gott, uns mit Christus nicht alles schenken.» Er hat in Jesus Christus alles gegeben, also kann man mir nichts mehr wegnehmen, also fehlt mir nichts. «In alles bin ich eingeweiht», sagt der heilige Paulus, «ob ich gefangen bin, ob ich krank bin, ob ich geschlagen werde, ob ich verkündigen kann, meine Freiheit, die Christus ist, die kann mir niemand nehmen.»
Das ist ein ganz wichtiger Punkt, glaube ich, um zu begreifen, was christliche Freiheit bedeutet. Wir gehen aus von der Erfahrung, dass wir in Christus das ganze Leben gefunden haben. Alles, was Gott uns schenken kann, ist uns in Ihm geschenkt. Und deswegen kann uns nichts mehr genommen werden. Selbst das Leben, das uns genommen wird durch den Tod. Der Tod, hat keine Macht mehr über uns im Blick auf das, was wir gefunden haben in Ihm. Wenn wir das doch deutlicher verkündigen könnten! Wenn wir deutlicher den Gedanken der Freiheit mit dem Gedanken der Erlösung, der Befreiung verbinden könnten. Chesterton hat einmal sehr schön formuliert: «Ja, wir Christen, wir fühlen uns wie aus einem Schiffbruch Gerettete. Wir sind am Strand und sagen, wir haben es geschafft. Wir sind gerettet aus dem Schiffbruch dieser Zeit und sind an Land und geborgen bei Ihm, wahrhaft frei.»
Es kommt ein zweiter Gedanke hinzu, der uns im Evangelium vor Augen gestellt wird. Jesus spricht hier in verschiedenen Gleichnissen. Gestern das Gleichnis vom ungerechten Verwalter. Heute schließt er daran an. Aber die Sinnspitze des Wortes ist: «Entscheidet Euch! Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon!» Da ist auch etwas drin von der Freiheitsidee der biblischen Überlieferung. Von der Freiheitsidee, die uns in Christus begegnet: Sich zu entscheiden.
Wir könnten auch so sagen: Die Freiheit vollendet sich erst in der Liebe. Das Intensivste, was ein Mensch auf Erden sagen kann, ist: «Ich liebe Dich». Das ist der freieste Akt eines Menschen. Entweder in der Liebe zwischen Mann und Frau, in der Freundschaft, in der Familie – oder auch in der Liebe zu Gott. Wenn ich dieses Wort gesagt habe, in voller Freiheit – nur ein Mensch kann das tun, nur eine freie Person kann lieben – dann bin ich im selben Augenblick absolut gebunden. Das ist das Geheimnis der wahren Freiheit. Zu sagen «Ich liebe Dich» und es bleibt folgenlos, dann ist dieser Satz gelogen. Dann ist er Betrug. Zu sagen, «Ich liebe Dich», das bedeutet eine Bindung, die so intensiv ist, wie nichts sonst auf dieser Welt.
Und das gilt auch im Blick auf Gott. Wie könnten wir in voller Freiheit sagen «Gott, ich liebe Dich», «Jesus ich liebe Dich», und dann meinen, alles könnte weitergehen wie vorher? Freiheit und Liebe gehören zusammen. Freiheit und Bindung sind kein Gegensatz. Die Freiheit vollendet sich in der Liebe. Der absolut freie Akt des Menschen, zu sagen «Ich liebe Dich», ist der der intensivsten Bindung und der Verlässlichkeit. Dann ist nicht mehr alles möglich. Dann ist dies die Bindung, die mir den Raum der Freiheit eröffnet, in dem ich das Abenteuer meines Lebens leben kann. Weil ich diese Rückbindung habe. Weil ich diese Liebe gefunden habe, diesen Bund gefunden habe, diese Gemeinschaft gefunden habe.
Comunione e Liberazione: Im Grunde genommen ist in diesen beiden Worten auch sehr gut ausgesprochen, was das Tiefste des christlichen Menschenbildes ist: Dass der Mensch nicht allein auf dieser Welt ist. Dass seine Freiheit nicht sein persönliches Eigentum ist, ein persönlicher Anspruch, sondern ein Geschenk, aus dem wir leben und das sich erst vollendet in der Communio mit den anderen. Das Ich und das Du und das Wir gehören zusammen. In Freiheit. Aber dann auch in der Liebe, die sich binden kann. Ein Mensch, der sich nicht binden kann, mit dem wollen wir nichts zu tun haben. Ein Mensch, der sich alle Türen offen lässt, der ist unerträglich für uns. Wir wollen einen Menschen kennen lernen, der lieben kann, in Freiheit. Das ist das Kostbarste, was der Mensch auf Erden erleben kann: Einem anderen Menschen zu begegnen, oder anderen Menschen zu begegnen, die in voller Freiheit sagen: «Ich liebe Dich.»
Liebe Schwestern und Brüder, daraus wird dann die Freiheit, die uns auch ermöglicht, die Bindung zu Christus zu leben und sie anzunehmen: «Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon!» Entscheidet Euch! Ihr könnt Euch nicht alle Türen offen halten! Heute so, morgen anders. Das geht im menschlichen Leben nicht. Daran werden wir krank. In einer Beziehung, die nicht verlässlich ist, nützt das Reden von Freiheit überhaupt nichts. Sie führt uns in die Irre und macht uns krank, wenn wir die Liebe nicht erfahren, die Bindung, die Verlässlichkeit, dass das Wort steht. Und das gilt auch für unseren Glauben. Das gilt für unsere Beziehung zu Christus, der uns einlädt in die Liebesgemeinschaft mit Ihm hineinzugehen. Insofern könnten wir sagen, der christliche Glaube spricht vom größten Liebesabenteuer. Vom Liebesabenteuer Gottes in Christus mit den Menschen. Er wirbt um uns. Er spricht uns an. Und wir können in Freiheit antworten: Ich liebe Dich – ich versuche es. Hilf mir!
Wenn wir das einmal erlebt haben, liebe Schwestern und Brüder, und wenn uns das einmal bewusst geworden ist, dann spüren wir, dass unser Raum des Lebens größer wird, weiter wird, dass wir mehr wagen können, uns auf mehr einlassen können, weil wir diese Gemeinschaft haben. Deswegen gehört die Communio, die Missio, die Gemeinschaft untereinander und mit Christus wesentlich als Voraussetzung hinzu, um wieder evangelisieren zu können, Zeugnis geben zu können in unserer Welt, in den unterschiedlichen Aufgaben, die uns gestellt sind in Beruf und Arbeitswelt, in der Politik, in Kunst und Kultur, als Bischof und Priester, als Bruder und Schwester, in den Gemeinden und Gemeinschaften.
Liebe Schwestern und Brüder, so ist das Zeugnis für das Abenteuer der Freiheit ein wesentlicher Auftrag für die Kirche heute. Dass wir uns nicht einreden lassen, dass Freiheit und Glaube ein Gegensatz ist, und dass wir versuchen, in der Verkündigung, in unserem Lebensbeispiel auch den Zeitgenossen deutlich zu machen: Hier ist die wahre Freiheit.
Am schönsten hat es Johannes Paul II. ausgesprochen am Brandenburger Tor 1996. Als er hinfuhr johlten noch einige Verrückte blasphemische Sprüche hinter ihm her. Wie peinlich für uns in Deutschland, wie sehr habe ich diese Bilder in Erinnerung! Aber er ließ sich nicht beirren und am Brandenburger Tor hielt er seine Rede über die Freiheit. Und da hat er deutlich gemacht, um was es geht und was uns auch in den Texten der Heiligen Schrift, im Philipperbrief, im Lukasevangelium gesagt wird: Es gibt keine Freiheit ohne Solidarität – ohne Gemeinschaft könnten wir sagen. Es gibt keine Freiheit ohne Wahrheit, ohne die Ausrichtung auf das Gute, auf das, was uns von Ihm her eröffnet und offenbart wird. Es gibt keine Freiheit ohne Opfer. Gerade im Blick auf das Brandenburger Tor: Für die Freiheit zu kämpfen, für die Würde des anderen. Es gibt keine Freiheit ohne Liebe. Und dann macht er eine Pause – ich höre noch seine Stimme – und sagt: «Die Freiheit hat einen Namen: Jesus Christus.» In diesen kurzen Worten hat er alles zusammengefasst, was wir als Christen zur Freiheit zu sagen haben. Diese Rede ist immer wieder ein wunderbarer Meditationstext. Ich empfehle Ihnen, diese Rede einmal wieder zu lesen, zu meditieren, zu betrachten. Sie sagt uns aus, was Freiheit ist.
Liebe Schwestern und Brüder, wir sind hier in der Bürgersaalkirche. Unter uns liegt in der Krypta Pater Rupert Mayer, auch ein Zeuge der Freiheit in einer Zeit der Unfreiheit. Morgen jährt sich zum 70. Mal in Deutschland die Reichspogromnacht. Pater Rupert Mayer war der Freie mitten in einer Zeit, in der andere Freiheitsideen die Freiheit pervertiert haben. Solche Zeugen sind uns Leitbilder. Bitten wir den seligen Rupert Mayer, dass er auch Ihnen hilft, Ihrer Bewegung und Ihrer Begegnung, das Abenteuer Freiheit wirklich zu schmecken von innen her, von Christus her, und so Zeuginnen und Zeugen der Freiheit nach innen in die Kirche hinein und nach außen in die Welt hinein zu sein. Amen.

1 Die Predigt wurde frei vorgetragen und der Stil der freien Rede weitestgehend beibehalten.