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Zeitgeschehen / Israel
Wer uns die Gabe des Friedens schenken kann
Giorgio Paolucci

n Gaza schweigen die Waffen wieder. Aber die wesentlichen Fragen bleiben offen. Gibt es einen Ausweg aus dem Konflikt? Was können die Christen tun? Wir haben die Fragen an Pierbattista Pizzaballa, den Kustos im Heiligen Land gestellt. Er antwortete ausgehend vom Realismus von Papst Benedikt XVI.

Das Feuer des Krieges in Gaza und in Israel ist vorerst erloschen, aber die grundlegenden Fragen bleiben ungelöst. Wie kann man dem Dunkel von Gewalt und Hass und gegenseitigen Beschuldigungen entkommen? Welche Rolle können die hier wohnenden Christen in dieser schwierigen Übergangszeit spielen? Der aus Bergamo stammende 44-jährige Franziskaner Pierbattista Pizzaballo, im Jahr 2004 von der katholischen Kirche zum Kustos des Heiligen Landes ernannt, blickt von Jerusalem aus auf die Ereignisse dieser Wochen und hält die Hoffnung auf Frieden lebendig. Er unterstreicht den Realismus und die Vernünftigkeit der Worte Benedikts XVI.

Auch in der «Nachkriegsphase» scheint man weiter aneinander vorbeizureden. Im Übrigen ist die Lage so kompliziert, dass keiner für sich in Anspruch nimmt, eine Patentlösung der Krise zu besitzen. Welche Bedingungen sind unabdingbar für einen neuen Versuch, einen dauerhaften Frieden zu erreichen?
Als Erstes, jede Art von Gewalt zu beenden, und zwar von Seiten des Militärs wie von Seiten der Milizen. Wenn die Waffen nicht schweigen, ist jede Verhandlungslösung brüchig. Dann muss man miteinander sprechen und die Rechtmäßigkeit der jeweiligen Gesprächspartner anerkennen. Dabei ist die Rolle der Vermittler und der Diplomatie wesentlich. In der arabischen Welt kann Ägypten wegen seines Ansehens eine Schlüsselrolle spielen. Im Westen werden die ersten Schritte der neuen amerikanischen Regierung wichtig sein, die immer schon großen Einfluss auf Israel hatte, während Europa eine Rolle als Vermittler besonders gegenüber den Palästinensern spielen kann. Europa muss aber in der Lage sein, mit einer Stimme zu sprechen und nicht vielstimmig, wie es leider oft geschieht. Schließlich gibt es als überparteiliche Instanz die UN, die allerdings im Nahen Osten an Glaubwürdigkeit verloren hat. Jedenfalls ist diplomatische Arbeit eine notwendige aber keine hinreichende Bedingung. Für einen dauerhaften Frieden ist noch vieles andere nötig.

Was ist also nötig?
In diesen Jahren sind tiefe Wunden entstanden. Man muss mit sehr starken und tief sitzenden Ressentiments rechnen. Die politischen Anstrengungen müssen begleitet werden von Bemühungen auf gesellschaftlicher Ebene, von der Entwicklung einer neuen Mentalität, bei der Erziehungseinrichtungen und die Medien eine entscheidende Rolle spielen können. Die große Mehrheit der Israelis und der Palästinenser ist es Leid, weiter mit Gewalt und Unsicherheit zu leben und mit Ungewissheit auf die Zukunft zu schauen. Es wächst der Wunsch nach Frieden, aber die Regierenden waren bisher unfähig, solide und dauerhafte Antworten auf diesen Wunsch zu geben.

Benedikt XVI. hat mehrfach eine multilaterale Aktion zugunsten einer, wie er sagte «schwierigen aber unentbehrlichen Aussöhnung» angemahnt. Er fordert dazu auf, unaufhörlich um das Geschenk des Friedens zu beten und zu bitten. Wie realistisch ist diese Haltung?
Schauen wir auf das Geschehen der vergangenen Wochen, dann ist offensichtlich, dass die Logik des Machtgebrauchs und der Rache kurzatmig und immer hektischer reagiert. Wir müssen tief durchatmen. Das setzt aber die Bereitschaft zu einer über menschliches Maß hinausgehenden Logik voraus, und dazu erzieht uns das Gebet. Um Frieden zu beten ist kein Zeichen für Nachgiebigkeit. Es ist im Gegenteil Zeichen für den Wunsch nach einem Wandel, der in der Tiefe der Herzen wirkt und zugleich anerkennt, dass dieser Wandel nur von einem Anderen kommen kann, der die Herzen der Menschen zu bewegen vermag. Einem Anderen, der gegenwärtig und Protagonist der Geschichte ist, der die Fähigkeit verleiht, mit dem anderen, «anders als wir selbst», zusammenzuleben. In diesem Licht wird immer offensichtlicher, dass die Einstellung Benedikts XVI. von authentischem Realismus geprägt ist. Denn sie berücksichtigt alle Faktoren der Wirklichkeit – angefangen bei der erforderlichen Bemühung der internationalen Gremien und ihrer Sekretariate sowie dem Angehen der ungelösten Probleme, die seit langem auf dem Verhandlungstisch liegen – bis hin zur einzelnen Person.

Welches Echo hatten die Äußerungen des Papstes im Heiligen Land? Und welche Rolle können die Christen im Heiligen Land spielen?
Die Weltkirche, und besonders die Stimme des Heiligen Vaters wird im Nahen Osten viel gehört und genießt hohes Ansehen. Es wird fast einstimmig anerkannt, dass der Heilige Stuhl und seine Diplomatie von dem aufrichtigen Wunsch geleitet sind zur Befriedung des Gebietes und zur Versöhnung beizutragen. Hier im Heiligen Land gibt es immer weniger Christen. Sie sind eine ethnisch sehr «einheitliche» Bevölkerungsgruppe, die fast vollständig aus Palästinensern besteht. Wohlgemerkt, das heißt nicht, dass sie ohne Einfluss sind. Ganz im Gegenteil, sie können eine wichtige Rolle spielen.

Wie äußert sich diese Rolle?
Vor allem in der Entschlossenheit, hier zu bleiben als Keim eines neuen Lebens und um den Geist des Evangeliums Gestalt annehmen zu lassen: einen Geist, der den anderen nicht ausschließt, sondern in ihm den Teil eines gemeinsamen Heilsplans sieht. Mit ihrem Verhalten bezeugen die Christen, dass man im Menschen immer die Person sehen muss, die nicht auf irgendein Schema oder politisches Projekt verkürzt werden kann. Und das zeigt sich besonders in zahlreichen Werken der Nächstenliebe und Schulen, die von der katholische Kirche und anderen christlichen Konfessionen getragen werden. Die von der Kustodie des Heiligen Landes und verschiedenen religiösen Kongregationen unterhaltenen Schulen genießen hohes Ansehen, das sie in den Jahrhunderten ihrer Tätigkeit erworben haben. Die Früchte zeigen sich in der Kultur und im Berufsleben. Tausende von Muslimen besuchen die Einrichtungen und sie sind eine wertvolle Schule des Zusammenlebens, die für den Nahen Osten entscheidende Werte in all ihren Dimensionen vermitteln und bezeugen: Den Wert der Person, der Freiheit, der Menschenrechte, der Würde der Frau, der Achtung vor dem anderen, der Ablehnung von Gewalt. All das hinterlässt eine unauslöschliche Spur in Verstand und Herz der jungen Menschen, die diese Schulen besuchen und es trägt dazu bei, eine neue Mentalität zu erzeugen und zu verbreiten. Sicherlich ist das kein Automatismus. Wir erziehen keine Roboter. Die Freiheit wirkt eigenständig im Herzen jedes Menschen. Wenn aber junge Muslime und Christen Seite an Seite als Klassenkameraden miteinander aufwachsen und sich kennen und schätzen lernen, dann werden sie als Erwachsene eher bereit sein, Vorurteile und Misstrauen zu überwinden. Täglich geht man in unseren Werken in eine Schule des Zusammenlebens: Es ist ein Einsatz, der dazu beiträgt, einen fruchtbaren Boden für das Werden eines «Neuen Menschen» zu bereiten, den wir so sehr brauchen.

Manche befürchten ein Aussterben der Christen in wenigen Jahrzehnten. Könnte das Heilige Land zu einem archäologischen Museum des Christentums werden?
Die demographische Entwicklung zeigt, dass unser Anteil an der Gesamtbevölkerung im Vergleich zu Muslimen und Juden weiter sinkt. Und es wird auch immer schwieriger, unseren Anteil an Grund und Boden zu behalten, wegen der zunehmenden Gefahr, dass das Immmobilienvermögen der Christen von anderen gekauft wird. Aber ich glaube nicht, dass die Christen ganz verschwinden werden, dass es zur «Musealisierung» kommen wird. Wahrscheinlicher ist, dass ihr prozentualer Anteil an der Bevölkerung sinkt. Die Präsenz wird weniger sichtbar sein, das gilt besonders für Bethlehem.

Viele fragen sich: Was kann ich für das Heilige Land tun? Die Antwort ist kurz und bündig \\"beten und besuchen\\". 2008 wurde ein starker Wiederanstieg des Pilgerstroms, sowohl aus Italien wie aus anderen Ländern festgestellt. Was bedeutet das – abgesehen von dem offensichtlichen ökonomischen Beitrag – für die Christen die an den Orten wohnen wo Jesus gelebt hat?
Die Pilgerfahrten bezeugen die Zuneigung der ganzen Kirche zu ihnen und helfen ihnen Niedergeschlagenheit und das Gefühl der Einsamkeit (manchmal auch der \\"Umzingelung\\") zu überwinden, und sich als Teil einer großen Familie zu fühlen. Und nicht selten geben sie einen Anstoß über die Eifersüchteleien und Streitigkeiten unter den Christen vor Ort hinwegzusehen, die das Bewusstsein der Einheit zu schwächen drohen, das große Geschenk, das wir empfangen haben und das wir berufen sind, vor den Menschen zu bezeugen. Die Begegnungen der Pilger mit den Gemeinden die hier leben, die Partnerschaften mit Diözesen, Vereinen und Bewegungen, die daraus entstehen und sich festigen, die Unterstützung von Vorhaben zugunsten von Erziehung und Nächstenliebe: all das schafft ein Netzwerk von Beziehungen und Werken, welches das Vertrauen in die Zukunft nährt und hilft, sich als Teil eines Plans der Vorsehung zu fühlen. Es ist ein Damm gegen die wiederkehrende Versuchung auszuwandern, bekämpft den Pessimismus und nährt die Hoffnung. Es trägt dazu bei, dass unsere Brüder eine lebendige Wirklichkeit dort sind, wo das Geheimnis dem Menschen begegnen wollte.