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Aufmacher
Aus dem Glauben die Methode
Luigi Giussani

Zusammenfassung eines Gesprächs in der Versammlung der Verantwortlichen mit Luigi Giussani im November 1993

Eine Frage der Methode
Unsere Gemeinschaft ist bestimmt durch eine Methode. Man kann sagen, dass die »Genialität« unserer Bewe­gung ganz in ihrer Methode liegt. Darum ist sie vor allem eine »Genia­lität« der Erziehung. Denn die Me­thode ist der Weg, auf dem ein Mensch zum Bewusstsein der Erfahrung ge­langt, die ihm vorgeschlagen wird. Gerade die Bewahrung der Authen­tizität der Methode, ermöglicht es, den Inhalt unserer Erfahrung zu über­mitteln.

Der Ursprung der christlichen Methode ist der Glaube
Die Methode hat ihren Ursprung im Glauben, der das Anerkennen einer außergewöhnlichen, auf die Bestimmung bezogenen Präsenz im eigenen Leben ist. Im Glauben kommt der ganze Horizont des Lebens ins Spiel, und zwar durch die Beziehung mit ei­ner Gegenwart, die dem Herzen ent­spricht. Die Entsprechung des Her­zens mit all dem, was geschieht, müsste eigentlich normal sein. Doch ist dem nicht so. Außerhalb einer Begegnung mit einer außergewöhnlichen Gegenwart ist es unmöglich, der tragischen Feststellung zu entgehen: »Nichts Neues unter der Sonne«.
Die Quelle der Methode liegt darin, dass ich auf eine nicht vorherzusehende und großartige Gegenwart stoße, die die Vernunft buchstäblich als »über­menschlich« anerkennt.
Das Wesen der Methode liegt folglich darin, jener personalen Wirklichkeit zu folgen, die in das Ereignis einer außergewöhnlichen Gegenwart ein­führt. Die Nachfolge ist die vernünftigste Haltung vor dem christlichen Er­eignis. Die heutige Kultur hält es für unmöglich, sich selbst und die Wirklichkeit zu erkennen und zu verän­dern, indem man »nur« einer Person folgt. In unserer Zeit wird die Person nicht als Instrument der Erkenntnis und der Veränderung betrachtet, weil die Erkenntnis verkürzt als analytische und theoretische Reflexion und die Veränderung als Praxis und Anwendung von Regeln verstanden wird. Demgegenüber ha­ben Johannes und Andreas, die ersten beiden, die sich auf Jesus einließen, gelernt, sich selbst und die Wirklich­keit auf eine neue Art zu erkennen und zu verändern, gerade indem sie je­ner außergewöhnlichen Person folgten. Von dem Augenblick jener ersten Begegnung entwickelte sich die Methode in der Geschichte.

Die Evidenz und die Freiheit
Die Evidenz dieser Außergewöhnlich­keit der Präsenz, der Johannes und Andreas begegnet sind, zeigt sich im Augenblick und bindet für die Ewigkeit. Andererseits reift die Überzeu­gung in der Zeit. Jesus erschien den Leuten als der von den Gesetzesleh­rern »Verfluchte«, als der von den Schriftgelehrten und Pharisäern Geächtete, als das »zweideutige« Individuum, dem alle Schlechtes nach­sagten. Und dennoch erwies es sich denselben Leuten als offenkundig, dass Er dem Herzen mehr entsprach als seine Verleumder. Es handelt sich um eine Evidenz, um eine offensichtliche Entsprechung mit dem Herzen, die nicht Gegenstand weiterer Argu­mente sein kann.
Die Evidenz ereignet sich im Augen­blick. Für Johannes und Andreas, die ihn sprechen sahen, war evident, dass jener Mensch ganz unvorhergesehen in außergewöhnlicher Weise ihrem Her­zen entsprach. Die Über­zeugung ist hingegen Frucht der Zeit, das heißt buchstäblich Frucht einer Wiederholung, einer beständigen Bitte. Es handelt sich um eine Wiederholung, die »überzeugt«. Dabei müssen wir die Freiheit des Menschen im Augenblick des Ereig­nisses hervorheben: Sie stimmt ihm entweder zu oder zieht sich zurück. In der Zeit zeigt sich dann, welche Haltung die Freiheit vor der Evidenz eingenommen hat: ob sie sich verschloss oder offen war. Alles hängt von der ursprünglichen Haltung vor den Dingen ab: ob der Mensch die Augen offen hält oder ob er sich, wie ein Kind aus Trotz, die Arme vor die Augen schiebt. Was im Leben geschieht, bringt unver­meidlich die am Ursprung gewählte und eingenommene Haltung zum Vor­schein. »Das Leben des Menschen – so sagt der heilige Thomas – besteht in der Zuneigung, die es ursprünglich trägt und in der es seine größte Be­friedigung findet.« Und Romano Guardini sagt dazu: »In der Erfahrung einer großen Liebe […] wird alles, was geschieht, zu einem Ereignis in seinem Umfeld«.

Eine Nachahmung in der Zeit
Ein Begriff, der die Na­tur der Methode präzisiert, ist das Wort »Nachahmung«. Er beschreibt das Grundgesetz der Natur auf jeder Ebene. Gott selbst sagte als Erster bei der Erschaffung des Menschen: »Lasst uns Menschen machen nach unserem Abbild, uns ähnlich« (Gen 1, 26). Und Jesus führte dieselbe Dynamik ein, als Er sich mit folgenden Worten an seine Jünger wandte: »Seid vollkommen, wie mein Vater im Himmel vollkom­men ist« (Mt 5, 48). Das ist menschlich unmöglich, gleichwohl liegt in jener Spannung der Nachahmung die Zu­sammenfassung des ganzen morali­schen Gesetzes des Evangeliums.
Nachfolgen bedeutet Nachfolgen und nicht Erreichen. Nachahmen bedeutet Nachah­men, nicht Verwirklichen. Die Me­thode der Nachfolge und Nach­ahmung schließt Begriff des „Werdens“ ein. Deshalb umfasst die Me­thode die Zeit.
Die Nachahmung verwirklicht sich im Vergleich. Sie ist nicht ein Zweikampf zwischen zwei Logiken, und auch nicht die Suche nach einer Bestätigung, son­dern die beständige Bitte um eine Korrektur.
NB: Es lohnt sich, die Bedeutung dieser Bemerkungen für das richtige Verständnis von Er­ziehung hervorzuheben, gleich in welchem Umfeld sie stattfindet. Barmherzigkeit und Verzeihen sind die äußersten Ausfaltungen einer neuen Beziehung in der Erziehung. Der Genius des Christentums besteht in der Verkündigung, dass Gott ein immanenter Faktor der ganzen Erfah­rung des Menschen geworden ist, auch in jener der Sünde. Barmherzigkeit und Verzeihen sind wie der göttliche Same, der aus dem menschlichen Irr­tum heraus das Leben erneuern kann.

Eine unvernünftige Versuchung
Was die erste Evidenz, das Ereignis, hervorbringt, gehört nicht al­lein zum anfänglichen Moment und er­schöpft sich nicht darin, sondern ist in jedem Augenblick der Entwicklung gegenwärtig. Deshalb umfasst die Nachfolge eine Wiederholung. Es han­delt sich nicht um einen Automatis­mus. Denn das so verstandene Leben setzt sich aus Handlungen zusammen, die in der Zeit bewusster, reicher an Glaubensbewusstsein und folglich an Menschlichkeit werden. Die Versu­chung besteht darin, sich vom Nachfolgen ab­zukoppeln, aufgrund der Anmaßung schon zu wissen, was die Nachfolge verlangt. Dadurch wird man einseitig, man weist die Kor­rektur zurück und damit löst sich auch die Spannung zur Erfüllung auf.
Der große Fehler besteht darin, dass ich die Methode unterbreche und meine, sie durch eigene Fähigkeiten ersetzen zu können. Bei näherem Hin­sehen zeigt sich, dass dies unver­nünftig ist. Wenn die Vernunft das Bewusstsein der Wirk­lichkeit gemäß der Ganzheit ihrer Fak­toren ist, zerstört jede Einseitigkeit die Vernunft und die Methode.

Die virtus: Der Gehorsam
Die virtus (die Tugend), die morali­sche Grundhaltung auf dem Weg des Glaubens ist der Gehorsam. Er drückt sich als Nachfolge einer außerordentlichen Gegenwart aus, der man begegnet ist. Er hat zwei Charakteristiken:
a) Die außerordentliche Gegenwart teilt sich uns durch eine menschliche Wirklichkeit mit: die Kirche; also durch eine Weggemeinschaft, die durch den Glauben eines Menschen entsteht;
b) gerade weil die Gegenwart, der man folgt, menschlich ist, bringt sie unvermeidlich eigene Gesichtspunkte und Temperamente zum Ausdruck, die sich von anderen unterscheiden. In dieser »Vielfalt der Inkarnation« ver­steht sich und drückt sich das aus, was wir Charisma nennen: der »End­punkt« des großen Geheimnisses der Inkarnation. Das christliche Ereignis, die Tatsache, dass Gott Mensch gewor­den ist, impliziert und begründet eine menschliche Wirklichkeit mit be­stimmten Kennzeichen. Es begründet einen Ort, durch den Er mich durch das Wirken des Heiligen Geistes erreicht.
Der Gehorsam ist folglich jene Tugend, die der Nachfolge zueigen ist. Und er zeigt sich, wenn man ei­nem bestimmten Menschen, einer be­stimmten Gemeinschaft folgen muss. Es handelt sich also dann um einen Gehorsam, wenn man der außerordentlichen Gegenwart an einem konkreten Endpunkt (Cha­risma) folgt, in dem sie gegenwärtig wird. In einer solchen Prüfung versteht man die Bedeutung des Satzes: »Es gibt kein größeres Opfer, als sein eige­nes Leben hinzugeben für das Werk eines anderen.« Gehorsam: Es gibt kein Wort, das klarer den Verdienst des Menschen Christus ausdrückt, der gehorsam war bis zum höchsten Wi­derspruch. Christus war in der Tat »ge­horsam bis zum Tod«. (Phil 2, 8)
Die Möglichkeit für unsere Gemein­schaft, in Kirche und Gesellschaft nutzbringend zu wirken, hängt nicht von dem ab, was dem Einzelnen ent­sprechend seiner eigenen Begabung zu tun gelingt, sondern von der Verfüg­barkeit für das Werk des Geistes. Dem Heiligen Geist zu ge­horchen, bedeutet letztendlich, einem Menschen, einer menschlichen Wirk­lichkeit zu gehorchen. Sie mag noch so zer­brechlich und inkohärent sein, aber Gott hat sie als End­punkt der Inkarnation gewählt, als Charisma, das in Funktion der Gesamtheit der Kirche existiert.
Aus einem so verstandenen und gelebten Glauben und Gehorsam entsteht ein neues Volk. Der Gehorsam sichert jene eheliche Einheit, die Kin­der hervorbringt. Die Unfruchtbare, die gehorsam war, hat Kinder geboren.