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Ein Tag... in der Cascinazza
Vor Ihm
Fabrizio Rossi

Die Stille. Die Liturgie. Die Arbeit. 24 Stunden im 1971 gegründeten Benediktinerkloster vor den Toren Mailands. An diesem Ort, wo die Mönche Bier brauen und die Felder pflügen, hat alles einen Wert, weil es „in Beziehung zu Christus steht“.

„Siehst du diese Gabel? Es kann auch sein, dass du sie gar nicht bemerkst. Oder du kannst dich darüber wundern, dass jemand sie auf den Tisch gelegt hat. Nichts kann dir die Mühe deines Handelns ersparen: im Kloster wie an jedem anderen Ort. Was den Unterschied macht, bist du.“ Die wenigen Worte bringen das Herz dieses Ortes zum Ausdruck.
In der Cascinazza, dem Benediktinerkloster auf dem Land von Gudo Gambaredo, isst die Kommunität gerade zu Abend. Das Eisentor, das das Anwesen von den Wiesen, Feldern und Bächen des Mailänder Hinterlandes trennt, ist geschlossen. Mit dem Gebet Deo gratias haben die Mönche die Stille unterbrochen. In 24 Stunden ist die „Pause“ der einzige Moment, an dem sie frei sprechen können. Und jedes Wort ist kostbar, wie mir Giorgio gerade gezeigt hat. Er ist Mailänder und gehört zu den Ersten, die vor fast 40 Jahren diese Gemeinschaft gründeten. Heute zählt die Gemeinschaft 15 Mitglieder. Zwei kommen aus Spanien und einer aus Brasilien. Sie alle sind auf unterschiedlichsten Wegen hierher gekommen.
Bei der Versammlung im Kapitelsaal, nach einem Tag in vollkommener Stille, stellt man sich ein gewisses Durcheinander vor. Aber keine redet dem anderen dazwischen, während man sich erzählt, wie die Arbeit gelaufen ist und man sich gegenseitig hilft, einige Ereignisse zu beurteilen oder den Gebetszweck mitzuteilen: „Das ist kein Zufall“, erklärt uns Pater Sergio, der Prior: „In den freien Augenblicken wird deutlich, was uns wichtig ist. Aber auch Diskussionen fehlen nicht …“. Wie in einer Familie. Um 20.40 Uhr, kehrt die Stille zurück. Ein Mönch liest zwei Seiten eines Textes von Giussani aus einer Sammlung von Gesprächen mit Studenten. Dann wird der Tag in der Kapelle mit der Complet und dem Ave, regina caelorum beendet; im Dunkeln, vor der Ikone der Gottesmutter.
Das Leben dieser Männer ist wie der Sonnenaufgang, weil es „der Augenblick ist, in dem die Menschheit anfängt, sich selbst zu sein“, sagte ihnen Don Giussani einmal. Er schätzte seit jeher die Erfahrung der Benediktiner. So unterstützte er von Anfang an die Berufung zum Klosterleben, die in den 60er Jahren in der Bewegung gewachsen war. Sie entstand unter einigen aus der Schüler- und Studentenschaft von CL. Sie traten zunächst in Subiaco, dem vom heiligen Benedikt gegründeten Kloster ein und wechselten dann in die Cascinazza.
Männer, die gleichsam der Samen für einen großen Baum sind, wie die zwei Lärchen, die heute den Innenhof überragen. Sie wurden 1971, dem Gründungsjahr des Klosters gepflanzt, vor dem Hauptflügel des Hofes mit der Kapelle auf der einen Seite und dem Traktorunterstand auf der anderen. Ora et labora.
Neben dem Eingang, unter einem Bogengang, befindet sich eine kleine Tafel. Dort sind die Uhrzeiten angegeben. Es sind täglich dieselben: 5 Uhr Wecken. 5.20 Uhr ufficio divino in der Kapelle. Frühstück. 6.50 Uhr Morgengebet. 8.30 Uhr Heilige Messe. Danach Arbeit. Den 12 Uhr Angelus. Danach ora sesta − Mittagessen. 15 Uhr ora nona. Zeit für Arbeit und Studium. Angelusgebet. 19 Uhr Vesper und dann Abendessen, Pause und complet … Routine? „Es ist nicht wichtig, jedes Mal etwas anderes zu machen“, sagt Rafa, der Spanier, der seit vielen Jahren den Gemüse- und Obstgarten und seit neuestem auch die Klosterbienen pflegt:“Wie bei einem verheiratetem Ehepaar gibt es eine ständige Neuentdeckung, wenn sich die Faszination des ersten Tages wiederholt, an dem sie sich kennen gelernt haben.“

Zwischen Malz und Ventilen. Eine solche Neuheit entdeckten die Mönche auch mit der Einrichtung einer Brauerei. Die Anlage ist in einem umgebauten Stall untergebracht. Allerdings ist sie noch nicht so alt. Als die Kommunität erkannte, dass ihr landwirtschaftlicher Anbau nicht mehr zum Leben ausreichte, versuchten sie es zunächst mit unterschiedlichen Unternehmungen, sogar mit dem Zusammenlöten von Mikrochips für eine Firma. „Schließlich schlug uns ein Freund vor: Warum versucht ihr es nicht mit Bier?“, erzählt Fabrizio der 41-jährige gelernte Architekt aus Alessandria. „Das eröffnete uns die Möglichkeit, einer Arbeit nachzugehen, die nicht unserem Lebensrhythmus widersprach und darüber hinaus eine alte Mönchstradition aufzunehmen.“
So gingen Fabrizio und Marco, ein Wirtschaftswissenschaftler der vor 20 Jahren aus Como zur Cascinazza kam, 2005 in die Flämische Region, um in der Westvleteren Abtei die Kunst des Bierbrauens zu erlernen. Zurück in Italien brachten die ersten Versuche allerdings noch nicht das gewünschte Ergebnis. „Das erste Mal probierten wir es in der Küche mit einem Kochtopf, und verursachten eine kleine Katastrophe.“ Doch dann klappte es, Amber, das erste Klosterbier Italiens, herzustellen. Seit neustem gibt es auch die dunkle Version Bruin.
„Aber die wirkliche Neuigkeit ist das, was unter uns geschieht“. In der Brauerei arbeiten neben Fabrizio und Marco auch Quique, der 2001 als Priester aus Madrid kam, und Pietro, der nach seinem Medizinstudium vor gut einem Jahr ins Kloster eintrat. Das heißt: ein Architekt, ein Arzt, ein Theologe und ein Wirtschaftswissenschaftler. „Jeder ist anders. Aber gerade die Arbeit lässt uns gemeinschaftlich zusammenwachsen. Deswegen hat Sergio uns vorgeschlagen: ‚Sucht euch eine Minute in der Woche und fragt euch, warum ihr zusammen seid‘. Und das ist wirklich eine ständig neue Entdeckung“.
Natürlich fehlt auch die Anstrengung nicht: „Denk mal an diejenigen, die die Bäder sauber machen“, erzählt Quique, der hier die ersten sechs Jahre nur mit Handschuhen und Putzeimer verbrachte: „So etwas würdest du dir sicher nicht selbst aussuchen … Aber es ist so, wie mir eines Tages Sergio sagte, im Gehorsam entspricht dir alles, auch wenn dir nichts entspricht.“ Natürlich dauerte es einige Zeit, dies zu verstehen: „Wie als sie mich fragten, ob ich Bier machen will. Ich habe mich ein Jahr lang gesträubt; ich habe Philosophie und Theologie studiert: was habe ich mit Malz und Ventilen zu tun? Das Wichtigste ist aber nicht, sich nicht zu widersetzen, sondern in der Beziehung mit dem Du nachzugeben. Jetzt sehe ich, dass es sich lohnt, vor Ihm zu stehen“.

Jeden Augenblick vor Christus stehen … Mir kommt der Psalm in den Sinn, der in den frühen Stunden des Tages gesungen wurde: Vor dir schreie ich am Tag und bei Nacht .... Oder die Morgenmesse, die Pater Claudio zelebrierte. Er kam vor 35 Jahren aus Varese hierher. Heute betreut er die Novizen. Im Gottesdienst trugen die Mönche im Wechsel Fürbitten von Verwandte und Freunden vor: „Für das Studium von Silvia“, „für die Arbeitslosen“, „für das Projekt von Paolo und Pino in Novosibirsk“, „... dass Dein Antlitz diejenigen erleuchte, die verzweifelt sind“... In diesen Mauern, wo Nachrichten nur hereingelangen, wenn sie von jemandem überbracht werden, ist man über eine solche Aufmerksamkeit gegenüber den Dingen der Welt zunächst verwundert. Zumal der Postbote selbst den Osservatore Romano und die Zeitung der italienischen Bischofskonferenz Avvenire nicht gerade pünktlich abliefert. „Wir sind hier, um die Bitten der Menschen vor Christus zu tragen“, erklärt Pater Sergio. Er arbeitete in den 70er Jahren bei der Bahn und hoffte, als Gewerkschaftler im politischen Engagement eine Antwort auf seine Suche nach Sinn und Gerechtigkeit zu finden. „Man muss mit den eigenen Fragen ernsthaft umgehen, sonst bleibt man allem gegenüber gleichgültig, auch jeglicher Nachrichtensendung. Das sagte ich heute auch den Mönchen im Kapitel. Wir lasen einen Brief des heiligen Bernhard, in dem es hieß: Wir können uns nicht um die anderen kümmern, wenn wir uns selbst vergessen.“ Vor diesem Hintergrund versteht man auch den Wert der Stille: „Sie hilft uns, Seine Gegenwart zu erkennen und anzuerkennen. Das ist etwas ganz anderes als Abtötung. Du handelst angesichts von etwas Schönem: ohne Worte. Stell dir vor, im Stockwerk über uns wäre Don Giussani: Wir würden nicht einmal den Staubsauger hören, sondern wären ganz darauf ausgerichtet, ob er etwas braucht.“

„Ob ihr esst oder trinkt ...“. Die Glocke zum Mittagessen unterbricht uns. Sie läutet sieben Mal am Tag zum Gebet. Und sie erinnert alle an dasselbe: „Es ist das Geheimnis, das ruft. Selbst wenn du gerade in deiner Zelle einen wundervollen Text meditierst, fordert sie dich heraus, auf etwas zu schauen, was noch größer ist.“ Auf dem Weg ins Refektorium kommen wir an einem Gemälde von Letizia Fornasieri vorbei: zwei Sonnenblumen auf einem Tisch, wie eine Gabe auf dem Altar: „Dafür sind wir hier. Die Sonnenblumen erinnern uns daran, dass auch das Essen Gottesdienst ist.“ Sobald alle an der hufeisenförmigen Tafel mit dem Prior in der Mitte Platz genommen haben, werden die Speisen gesegnet. Heute gibt es Nudeln mit Tomatensoße und Kartoffel-Nuss-Auflauf. Pippo hat gekocht. Er ist Architekt und trat der Gemeinschaft 1985 bei. Während die anderen Mönche sich die Schüsseln schweigend weiterreichen, liest einer von ihnen einen Abschnitt aus der Bibel und der Regel vor oder andere Texte zur Betrachtung. Heute ist es ausgerechnet ein Artikel aus der letzten Spuren-Ausgabe, den Pater Claudio vorliest. „Tut alles zur Ehre Gottes: Ob ihr esst oder ob ihr trinkt ...“ Das gilt auch für den Kaffee. Der heilige Benedikt hatte ihn zwar nicht vorgesehen, aber auch dies schließt seine Mahnung ein: „Nehmt die Gäste auf wie Christus.“ Der Prior bietet ihn uns nach dem Mittagessen an. Dabei erzählt er die Geschichte dieses Ortes: Von den zwei jungen Mitgliedern von CL, die 1968 in das Kloster von Subiaco eintraten, und davon, dass sich die dortige Klostergemeinschaft ab 1969 weigerte, weitere Personen aufzunehmen. Schließlich fand man eine Lösung, nicht zuletzt dank der Hochachtung des Abt-Präses von Subiaco, Gabriel Brasó, gegenüber der Erfahrung jener Jugendlichen und Don Giussani.
Der Bauernhof im Süden Mailands, den der gemeinsame Freund Paolo Mangini entdeckte, wurde schließlich zur neuen Heimstatt für jene, die sich der Gemeinschaft anschließen wollten. „Gott schreibt auch auf krummen Zeilen gerade“, kommentiert Bruno, einer von denen, die nicht in Subiaco aufgenommen wurden. Vor 40 Jahren band er für den Garzanti-Verlag Bücher ein. Jetzt macht er dasselbe in der Cascinazza. Die Leitung des Klosters übernahm seinerzeit Bernardo Cignitti, ein Abt aus Savona, dem die Neubelebung des benediktinischen Lebens nach dem Konzil und unter Papst Paul VI. am Herzen lag. Am 29. Juni 1971, dem Fest Peter und Paul, denen das Kloster geweiht ist, eröffneten acht Mönche die Cascinazza. Aber schon im September starb Cignitti an einem Tumor. Er opferte sein Leben als „Humus für diese Gemeinschaft“ auf. „Für uns war − vor allem in jenen Jahren −, die Beziehung zu Don Giussani grundlegend“, erinnert sich Pater Sergio. „Er hat uns immer wiederholt, dass im Mittelpunkt der klösterlichen Erfahrung nicht eine besondere Praxis steht, sondern die Taufe: Wenn Christus für jemanden alles ist, dann ist er es für alle.“ In den 80er Jahren war die Beziehung zum neuen Kardinal von Mailand, Carlo Maria Martini, wesentlich. Ihm verdankt die Gemeinschaft die kirchliche Ankerkennung und 1990 die Erhebung zum Priorat nach diözesanem Recht.

Der Schatten des Mondes. Zu diesen Beziehungen traten mit der Zeit eine Vielzahl weiterer hinzu, auch zu Menschen, von denen man es am wenigsten erwarten würde. So besucht jedes Jahr eine Gruppe buddhistischer Mönche vom Berg Koya das Kloster in der Po-Ebene. Der US-amerikanischen Maler William Congdon fand hier eine Bleibe. An der Wand hängen zwei seiner Gemälde von der Cascinazza bei Nacht: „Das Kloster stellt das Ich dar. Der Mond ist das gegenwärtige Geheimnis, das es erleuchtet. Von dort wird der Schatten in den Hof projiziert: Denn aus jener Beziehung heraus entsteht ein Volk.“ Nach einer langen Zeit des Suchens kam Bill, wie ihn alle nennen, 1959 zum Glauben und lebte die letzten 20 Jahre in einem Nebengebäude des Klosters: „Er war einer von uns. Ein Mensch, verletzt durch das Geheimnis.“ − „Wenn du dich verliebst, bist du unruhig, bis du jene Frau wiedersiehst“, erklärt Rafa. „Du fühlst den Mangel, gerade weil es sie gibt. Umso mehr ist Christus ein Teil von dir. Deshalb erfahren wir hier am stärksten die Sehnsucht: Wir sind verletzt, weil es Ihn gibt.“

Die Stunden sind verflogen und es ist Zeit, zur Arbeit zurückzukehren. Während ich an den beiden Sonnenblumen vorbeigehe, höre ich in der Stille nur ein leises Klirren. Im Refektorium deckt jemand den Tisch.

Der Tagesablauf:

05.00 Wecken
05.15 Matutin
06.50 Laudes − Kapitel
08.30 Messe, anschließend Arbeit
12.00 Angelus – Sext – Mittagessen
15.00 Non – Arbeit
17.45 Angelus
19.00 Vesper – Abendessen
20.40 Lektüre vor der Komplet
20.50 Komplet − Ruhe