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Aktualität/Missbrauchskandal
Vielleicht würde Er einfach sagen: „Geht hin und sündigt nicht mehr.“
John Waters

Bei aller Unfähigkeit zu vergeben und aller Schwierigkeit, den Brief des Papstes zu verstehen, bleibt die Frage: „Was würde Christus tun?“ – Die Kirche in Irland ist besonders hart vom sexuellen Missbrauch von Kindern durch Priester betroffen. Ein Kommentar des irischen Publizisten und Journalisten der Irisch Times, John Waters.

Eine der vielen sonderbarsten Aspekte der säkularen Kultur ist ihre Unfähigkeit zur Vergebung. Der US-amerikanische Golf-Star Tiger Woods – der wegen zahlreicher außerehelichen Beziehungen Schlagzeilen machte - wird immer wieder von Journalisten gefragt, was er denen zu sagen hätte, denen er Unrecht zugefügt habe. Dabei wird vorausgesetzt, dass er vielen gegenüber gesündigt hätte. Aber wen hat er denn betrogen außer seiner Frau und seinen Kinder? Er hat kein Verbrechen begangen und, was über sein Verhalten bekannt wurde, sollte einer Kultur, die seit einem halben Jahrhundert die persönliche Freiheit zelebriert, doch eigentlich nicht anstößig sein? Weil er ein „Vorbild“ sei, wird angenommen, dass seine ständige Untreue bei Fans oder Konsumenten von Sponsorenprodukten irgendwelche Schocks auslösen könnte. Als einzige Möglichkeit zur Buße gilt dann, seinen Anklägern in der Presse immer unterwürfigere Interviews zu geben.
Mir kam der Gedanke über die Vergebung angesichts der anhaltenden Auseinandersetzung in Irland über die zahllosen Missbrauchsfälle, die von katholischen Priestern verübt und die von kirchlichen Autoritäten gedeckt wurden. Es ist sehr schwer über die Verzeihung solcher Sünden zu sprechen, die, anders als die Vergehen von Tiger Woods, zu den abscheulichsten Verbrechen gehören.
Doch Christus war unmissverständlich: Wer unter euch keine Sünde hat, der werfe den ersten Stein. Das ist ein guter Ausgangspunkt für jeden Christen. Allerdings wird diese Diskussion nicht unter Christen geführt, sondern in den Medien einer säkularen Gesellschaft, in der der Staat und der bürgerliche Raum Vorrang haben. Auch von den Christen wird verlang ihren Beitrag zur Gesellschaft zu leisten und die Logik der bürgerlichen Macht zu übernehmen. Wenn sie dabei aber ein Argument aus der Logik des Christentums vorbringen erweckt dies den Eindruck, die Verbrechen der Übeltäter relativieren zu wollen.
Das ist der Grund, warum es der irischen Gesellschaft so schwerfällt, den Pastoralbrief des Papstes vom vergangenen Monat aufzunehmen. Innerhalb des Denkens der christlichen Gemeinschaft sind alle Worte des Papstes vernünftig. Aber von weltlicher Warte aus gesehen waren die wichtigen Fragen, ob der Papst die Übeltäter den staatlichen Behörden unterwerfen und er selbst die Sünder bestrafen würde. Er hat keines von beidem getan, sondern einfach die Übeltäter aufgefordert, die Verantwortung für ihre Taten zu übernehmen und mit den Behörden zusammenzuarbeiten.
Wäre Christus, wenn Er heute zu unserer Kultur sprechen würde, in der Lage, alle unterschiedlichen Aspekte dieses Dramas unter einem Blickwinkel zusammenzufassen? Könnte er das Entsetzen über den Kindesmissbrauch umarmen und dennoch zugleich die Menschlichkeit der Missbrauchenden bewahren? Könnte er das ohne Zweideutigkeit tun, ohne den Anschein zu erwecken, die Verantwortung auf die Gesellschaft und ihre allgemeine Kultur zu abzuschieben?
Wir fühlen, dass Christus eine Antwort geben könnte und dass es daher eine Antwort gibt. Wir wissen nicht, was Er sagen würde, aber wir haben eine Ahnung davon aufgrund der Art, wie er Sünder im Evangelium behandelte, dass er nämlich die Dinge nicht so sehen würde, wie wir das üblicherweise tun − sei es als Christen oder als Laizisten.
Das ist also unsere letzte Zuflucht in solchen Zeiten: nachzudenken über das, was Er uns heute sagen würde, entsprechend dem, was wir von Ihm wissen. Vielleicht würde Er einfach sagen: „Geht hin und sündigt nicht mehr.“