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Meeting /Wissenschaftsausstellung
Von Eins bis Unendlich - Im Herzen der Mathematik



„Ich versuche nicht, mir einen Gott vorzustellen; es genügt, mit Ehrfurcht vor der Struktur der Welt zu stehen, soweit sie sich von unseren unzureichenden Sinnen erfassen lässt.“ (Albert Einstein, The Quotable Einstein, Princeton University Press, 1996).

Einer der tragischsten Brüche in der Moderne ist der Bruch zwischen Wissenschaft und Glauben. Obwohl es unter den Protagonisten der Naturwissenschaften in den letzten Jahrhunderten viele tiefgläubige Menschen gab, herrschte lange Zeit ein Klima der gegenseitigen Fremdheit, wenn nicht gar der Abneigung und des Kampfes gegeneinander. In der Postmoderne ist ein vielfältiger Prozess der Wiederannäherung zu beobachten, zu dem nicht zuletzt die Päpste des 20. und 21. Jahrhunderts wesentlich beigetragen haben. Wenn jede Seite das eigene Wesen und Betätigungsfeld und dessen Grenzen neu verstanden hat, kann ein Dialog wiederaufgenommen werden.

Diesem Ziel dient auch eine Ausstellung, die auf dem nächsten Meeting in Rimini (22.–28. August) zu sehen sein wird und die Herausforderung aufnimmt, Wesen und Betätigungsfeld der Mathematik einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Leitgedanke der Ausstellung ist es, eine Gelegenheit zur Begegnung mit der Mathematik zu schaffen, auch für diejenigen, die sie seit langem beiseitegelegt haben als etwas, „was nichts für mich ist“.

Die Begegnung beginnt mit dem Staunen angesichts einfacher, aber ungewöhnlicher Probleme, an denen deutlich wird, wie eine Lösungsidee uns von Natur aus als etwas Schönes berührt. Das ist der Ausgangspunkt, um sich auf das Geflecht aus Wahrheit und Schönheit einzulassen, das die ganze Mathematik durchzieht. Dies wirft viele Fragen auf, auf welche die Ausstellung Antwortansätze zu geben sucht: was bewegte die Mathematik im Laufe der Geschichte? Worin besteht ihre Methode der Suche nach Wahrheit? Welche Beziehung hat sie zu den experimentellen Wissenschaften? Warum lauert in der Mathematik hinter jeder Straßenecke das Unendliche und welche Rolle spielt es? Was ist ein Beweis? Gibt es heute in der Mathematik noch Neues zu entdecken? Ist die Abstraktion ein Feind der Beziehung zur Wirklichkeit oder kann sie ein mächtiges Werkzeug zu ihrem Verständnis sein?

Dem Besucher wird ein Keim mathematischer Erfahrung angeboten, ein kleiner Samen des Staunens über ihre Struktur aus „ehrwürdigen Theoremen, strengen Beweisen, hervorragenden Anwendungen“, in denen sich eine Schönheit zeigt, wie sie der Philosoph und Mathematiker Pawel Florenski formuliert: „Die Schönheit ist nicht etwas, worin man unmittelbar eindringen kann. Oder besser und genauer gesagt, man kann auch sofort in sie eindringen, wenn man zuvor eine Zeit lang vor ihr gestanden und ihre verschiedenen Elemente allmählich aufgenommen hat, und diese sich organisch zu einem Ganzen gefügt haben.“

Eine der Verantwortlichen der Ausstellung, die Mailänder Mathematiklehrerin Raffaella Manara, erklärt: „Am Anfang stand der Gedanke, einen Weg aufzubauen, der es ermöglicht, in die Erfahrung dessen einzutreten, der sich mit Mathematik beschäftigt. Das Thema des Meetings 2010 (Jene Natur, die uns große Dinge ersehnen lässt, ist das Herz, A.d.R.) war eine ausgesprochen klare Aufforderung. Wir wollen zeigen, dass die Kenntnis der Mathematik eines dieser ‚großen Dinge‘ ist. Die Mathematik ist kein Trick und keine Magie, wie man angesichts mancher ihrer erstaunlichen Phänomene meinen könnte: den Eindruck hat man, solange man nicht versteht, wo diese herkommen, und genau darin besteht die Arbeit des Mathematikers. Aber um das zu verstehen, bedarf es einer Methode, es reicht nicht, einfach nur zuzuhören. Es geht um einen Weg der Entdeckung, der Wahrheit, der Schönheit. Es ist natürlich einfacher, nach magischen Aspekten zu suchen: die Geschichte ist voll solcher Versuche, das ganze Mittelalter hindurch und vor allem in der Renaissance.“

Das Meeting hat dabei auch die Absicht, die Mathematik zu entmystifizieren. „Die Entdeckung mathematischer Verhältnisse und Prozesse in den Strukturen der Natur oder des Menschen ist eine außergewöhnliche Erfahrung von Geschmack und Wahrheit, aber es ist wichtig, immer und überall den Verstand zu gebrauchen. Ich gebe nur ein Beispiel. Die Welt des Mittelalters wies den Zahlen tiefe symbolische Bedeutung zu: die 8 war das Symbol des Übergangs vom Endlichen zum Unendlichen, weswegen viele Taufkirchen achteckig gebaut wurden. Aber das hat nichts mit dem Konzept der Zahl zu tun. Dass ich der 8 eine bestimmte Bedeutung zuweise, hängt nicht von der Zahl 8 ab. Wenn ich allerdings die Kathedralen verstehen will, muss ich auch diese Bedeutung durchdringen. Zugleich ist es wunderbar und noch viel schöner, die mathematische Harmonie in der Natur, den Pflanzen, den Fraktalen zu entdecken, aber es ist nichts Mysteriöses dabei. Es ist ein kleines Zeichen; wer Mathematik betreibt, wundert sich vor allem über die Möglichkeiten des Denkens. Aber nochmals, diese Möglichkeiten haben nichts Mysteriöses.“

Die Ausstellung feiert also die Wunder des Denkens, wie sie sich in der Mathematik zeigen: „Auch hier geht es um ein Denken, das aus der Erfahrung hervorgeht. Ein langer, mühsamer und faszinierender Übergang vom Sehen zum Denken. Wir werden den großen italienischen Mathematiker Ennio De Giorgi zitieren, nebst Einstein und Pater Florenski, letzterer einer der außergewöhnlichsten Vertreter der Einheit des menschlichen Forschens.“

Es ist auch der Versuch, eine Disziplin den Menschen nahezubringen, die zu Unrecht als grau oder jedenfalls als abstrakt gilt: „Eines der großen Probleme derer, die Mathematik betreiben, liegt in der Verständigung. Denn die Formelsprache ist weniger Allgemeingut als viele andere technische Sprachen, auch wenn diese oft auf ihr beruhen. Zu zeigen – auch bildlich – dass die menschliche Vernunft strukturell auf das Unendliche hin ausgelegt ist: das ist die Herausforderung, der wir uns gestellt haben, kraft unserer Erfahrung und Leidenschaft. Das anfängliche Staunen ist nur der Ausgangspunkt der wahren Erkenntnis, die Startgeschwindigkeit der ganzen Arbeit des menschlichen Herzens: was man intuitiv versteht, wird einem Prozess unterworfen, der es verstärkt und viel gewisser werden lässt, und darin verwirklicht die Mathematik eine Sehnsucht eines jeden Menschen, egal auf welchen Inhalt man das anwendet.“

Papst Benedikt XVI. hat am 19. Oktober 2006 in Verona gesagt: „Auf dieser Grundlage wird es auch erneut möglich, die Räume unserer Rationalität zu erweitern, sie den großen Fragen des Wahren und des Guten zu öffnen, und Theologie, Philosophie und Naturwissenschaft miteinander zu verbinden, im voller Achtung der jeweils eigenen Methodik und der gegenseitigen Autonomie, aber auch im Bewusstsein der ihnen innewohnenden Einheit, die sie zusammenhält.“ In diesem großen Werk ist die Mathematik mit ihrer nicht unmittelbar zugänglichen, dafür aber nicht weniger tiefen Schönheit ein Vorposten der Vernunft.

„Die Mathematik als solche ist eine Schöpfung unserer Intelligenz: die Entsprechung zwischen ihren Strukturen und den wirklichen Strukturen des Universums – welche die Grundvoraussetzung aller modernen Entwicklungen in Wissenschaft und Technologie darstellt, wie es schon Galileo Galilei ausdrücklich formulierte mit seinem berühmten Ausspruch, das Buch der Natur sei in der Sprache der Mathematik geschrieben – weckt unsere Bewunderung und wirft eine große Frage auf. Denn aus ihr folgt ja, dass das Universum selbst intelligent strukturiert ist, so dass eine tiefe Entsprechung besteht zwischen unserem subjektiven Verstand und dem objektivierten Verstand in der Natur. Damit wird die Frage unausweichlich, ob dahinter nicht eine einzige ursprüngliche Intelligenz steht, die gemeinsame Quelle des einen wie des anderen ist. So bringt uns ausgerechnet das Nachdenken über die Entwicklung der Wissenschaften zurück zum schöpferischen Logos. Die Neigung, dem Irrationalen, dem Zufall und der Notwendigkeit den Vorrang zu geben und darauf unsere Intelligenz und Freiheit zurückzuführen, wird auf den Kopf gestellt. Auf dieser Grundlage wird es auch erneut möglich, die Räume unserer Rationalität zu erweitern, sie den großen Fragen des Wahren und des Guten zu öffnen, und Theologie, Philosophie und Naturwissenschaft miteinander zu verbinden, in voller Achtung der jeweils eigenen Methodik und der gegenseitigen Autonomie, aber auch im Bewusstsein der ihnen innewohnenden Einheit, die sie zusammenhält.“

Benedikt XVI.
(Verona, 19. Oktober 2006)