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Don Giussani - Der fünfte Todestag
Das Charisma der Erfharung
Alberto Savorana

Sohn (und Interpret) der ambrosianischen Tradition, mit vollkommener Hingabe an die Jugendlichen. LUCIANO PAZZAGLIA erklärt, warum Don Giussani einer der größten christlichen Erzieher ist.

Luciano Pazzaglia lehrt an der Fakultät für Bildungswissenschaften der katholischen Universität Sacro Cuore in Mailand und gehört zu den profiliertesten Stimmen der italienischen Pädagogik. Er ist Direktor des Archivs für die Geschichte der Erziehung und Bildung in Italien (Brescia), und gibt die Zeitschrift Annali di Storia dell’educazione e delle istituzioni scolastiche (Jahrbuch der Geschichte der Bildung und der schulischen Einrichtungen) heraus. Außerdem gehört er zum Vorstand des Internationalen katholischen Verbandes der Bildungswissenschaften ACISE (Association Catholique Internationale Sciences de l’Education) und leitet die Bücherreihe „Lehrmeister“ im Verlag La Scuola di Brescia.
Zum fünften Todestag von Don Giussani erläutert er in Tracce die Aktualität des Erziehungsvorschlages.

In welchem Sinne scheint Ihnen das Denken Giussanis originell? Und was waren die Gründe, ihn in die neue Reihe „Lehrmeister“ aufzunehmen, in der etwa auch La Pira, Montini oder Lazzati erscheinen?
Mit der Reihe „Lehrmeister“ wollten wir einige Gestalten von Erziehern darstellen, die den neuen Generationen die christliche Botschaft als angemessene und überzeugende Antwort auf ihre inneren Bedürfnisse vorschlagen. Damit folgen wir den Richtlinien der italienischen Bischofskonferenz, die Erziehung bei der Evangelisierung als wesentlichen Moment einer künftigen pastoralen Tätigkeiten aufzunehmen.
Es geht also nicht um Pädagogen im engen Sinne, sondern um Erzieher, die mit ihren Vorschlägen und persönlichen Zeugnissen für die jungen Leute eine Leitfigur darstellen; für junge Menschen, die sich mit Fragen der persönlichen Reife in dem schwierigen sozialen und kulturellen Umfeld von heute auseinandersetzen müssen.
Aus diesem Blickwinkel haben wir Giovanni Battista Montini, Giorgio La Pira, Giuseppe Lazzati vorgestellt, und bald darauf Chiara Lubich, Carlo Maria Martini, Don Primo Mazzolari und Monsignor Oscar Romero veröffentlicht. Da konnte natürlich ein Werk zu Don Luigi Giussani, dem Autor eines bedeutenden erzieherischen Vorschlages und Gründer der jungen Bewegung Comunione e liberazione, nicht fehlen.

Als Don Giussani vor rund 50 Jahren als Lehrer am Mailänder Berchet Gymnasium begann, nannte er als Merkmal seiner erzieherischen Methode: „Aufzuzeigen, inwiefern der Glauben den Bedürfnissen des Lebens entspricht, und zwar in einer Welt, in der alles das Gegenteil behauptete“. Ist diese Auffassung noch aktuell?
Die Eigenart, auf die Sie anspielen, gehört sicherlich zum erzieherischen Einsatz Don Giussanis. Ich selbst habe einige Monate Philosophie am Berchet Gymnasium unterrichtet. So konnte ich sehen, welche Ergebnisse sein Wirken unter den jungen Leuten zeitigte. Und das geschah in einem Umfeld, wo alle meinten, der Glauben sei bestenfalls ein Problem, mit dem man sich allein auseinandersetzen sollte.
Was an Don Giussani beeindruckte, war seine priesterliche Nächstenliebe, seine absolute Hingabe im Dienst der Erziehung, mit der er sich betraut fühlte. Er bezeugte den Glauben an das Evangelium in vollkommener Übereinstimmung mit dem eigenen Leben. Er hat das Verdienst, nachdrücklich ein christliches Verständnis des alltäglichen persönlichen und gemeinschaftlichen Lebens verbreitet zu haben. Dabei zeigte er, inwiefern dieses Verständnis den Erwartungen und Bedürfnissen, die die menschliche Seele prägen, vollkommen entspricht.
Gerade in jenen Jahren wurde das Problem – natürlich in einem größeren Zusammenhang − in den Diskussionen der großen Konzilsversammlung aufgenommen. Das Konzil betonte in seinen Abschlussdokumenten die Notwendigkeit eines kreativen und wirkungsvollen Apostolats, und empfahl eine Erziehungspraxis, die nicht kontrovers, sondern geduldig und großmütig sei.
Welchen Einfluss hatte die ambrosianische Tradition, in der Don Giussani aufwuchs, auf seine Pädagogik?
Die ambrosianische Tradition ist im Bereich der Erziehung reich an Kirchenmännern und vor allem an Hirten, die sich durch ihr pädagogisches Charisma ausgezeichnet haben. Ich will hier nur an Gestalten wie die heiligen Ambrosius und Karl Borromäus erinnern oder, um uns der heutigen Zeit zu nähern, an die Kardinäle Andrea Ferrari, Ildefonso Schuster, Giovanni Battista Montini und Carlo Mario Martini.
Ihre pastorale Tätigkeit hat das Leben der Diözesen zweifellos belebt und verstärkte eine besondere Sensibilität gegenüber Fragen der Erziehung. Unter diesem Aspekt ist Don Giussani sicherlich ein Sohn dieser reichen Tradition. Natürlich weist er in der Ausarbeitung seiner Ideen eigene Charakteristiken auf. Man darf sich also nicht wundern, dass sein Vorschlag sich anderen zur Seite stellt und sich in einigen Fällen auch in dialektischer Beziehung zu ihnen befindet. Wir wissen aber auch, dass einer der Reichtümer der ambrosianischen Tradition in Erziehungsfragen darauf zurückzuführen ist, dass sie mehrere Richtungen aufnahm und unterstützte. Daraus lässt sich auch die Vielfalt der erzieherischen Einrichtungen und jugendlichen Bewegungen erklären, die sich auf ambrosianischen Boden entwickelten, um das christliche Volk als Ganzes zu bilden.

Die italienische Bischofskonferenz hat den „Erziehungsnotstand“ als wesentliche Zukunftsfrage aufgegriffen − nicht zuletzt auch aus der Sorge von Benedikt XVI. Was kann die jahrzehntelange Erfahrung Don Giussanis als Erzieher dazu beitragen?
Don Giussani kann uns daran erinnern, dass wir Erzieher brauchen, die selbst die Erfahrung vom Reichtum der christlichen Wirklichkeit gemacht haben und deshalb fähig sind, die Faszination durch das Zeugnis ihrer persönlichen Überzeugung weiterzugeben.