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Die Geschichte von CL - Elio Ciol
„Ich habe die Bewegung durch den Auslöser meiner Kamera kennen gelernt“
Rodolfo Balzarotti

Das Foto hielt gleichsam das Herz der gerade entstandenen Bewegung fest: Die Jugendlichen der Gioventù Studentesca in Varigotti. Jetzt kehrt der Fotograf dieser Bilder mit einer Ausstellung nach Mailand zurück. Sie erzählt von ihm und von den frühen Jahren in der Nähe des Gründers von CL.

Das Foto des „Raggio“, der Versammlung auf dem Turm von Varigotti aus dem Jahr 1962 ist fast historisch zu nennen. Es gehört zu den bewegenden Bildern in der Geschichte der Bewegung von Comunione e Liberazione. Das nicht nur, weil es in Handgröße auf kleinstem Raum die gesamte Bewegung von damals abbildet. Heute kann man nur beeindruckt und bewegt sein, wenn man an den großen Baum denkt, der aus jenem Samen gewachsen ist. Es zeigt aber noch mehr. Ich dachte, das Foto ist eine Art „Ikone“, wenngleich auch in der modernen, säkularen, laizistischen Sprache der Fotografie. Was man sieht ist keine zufällige Menge von jungen Leuten. Im Bild erscheint eine Ordnung unter den Personen, gewissermaßen angezogen auf ein Zentrum hin, wenn man so sagen will, sich einfügend im fast perfekten Kreis des mittelalterlichen Turms. Und gleichzeitig scheint sich diese „Krone“ auf das Unendliche der Oberfläche des Meeres auszudehnen, gegen das es sich lehnt, mit einem kontrollierten Spiel von Licht und Dunkel. Wie könnte man besser das Ereignis der Communio, der Gemeinschaft als das tiefe Antlitz des Ich darstellen, dessen letzte Dimension das Unendliche ist? Das ist „Comunione e Liberazione - Gemeinschaft und Befreiung“ – Jahre bevor der Begriff entstand.

Die Faszination der Wahrheit
Es war so, dass diese „Ikone“ ihren „Ikonografen“ gefunden hatte, ein menschliches Auge, das in der Lage ist, die tiefen Dimension des Sichtbaren zu ergreifen. Das war Elio Ciol. Er gehört heute zu den international renommiertesten italienischen Fotografen. Geboren wurde er im Friaul, in der Provinz von Pordenone, wo anlässlich seines 80. Geburtstags etliche Feiern und Veranstaltungen stattfanden. Dieses Jahr wird er mit der Ausstellung „Die Faszination der Wahrheit“ auch nach Mailand kommen. Die Ausstellung ist eine Initiative der William Congdon Foundation und wird vom „Kulturzentrum Mailand“ unterstützt, das sie in seinen Räumlichkeiten in der Via Zebedia vom 15. April bis zum 15. Mai zeigen wird. Ciol kehrt so erstmalig nach Mailand zurück, wo er Anfang der 60er Jahre Don Giussani und die Gioventù Studentesca (GS) getroffen hatte. In der Via Sant’Antonio hörten die Mitglieder von GS die Lektionen des „Gius“ und dort wird am 15. April die Ausstellung bei einem Treffen mit dem Fotografen eröffnet.
Ich fragte ihn, wie er die Bewegung kennen lernte. „Anfang der 50er Jahre näherte ich mich auf Anraten meines Pfarrers der „Cittadella von Assisi“ an. Dies war eine Laienbewegung, die von Don Giovanni Rossi gegründet wurde, um eine christliche Präsenz in Kunst und Kultur zu fördern. „Man bat mich dort, für die Zeitschrift La Rocca zu fotografieren“. 1959 kam es zu einer entscheidenden Begegnung. „Da traf ich William Congdon, der gerade durch die Cittadella zum Katholizismus konvertiert war. Ich sollte Fotos von seiner Taufe machen. Er war ein außergewöhnlicher Mensch, denn ich hatte noch nie einen Künstler getroffen, der wusste, dass er Künstler war…in dem Sinne, dass er immer wie ein Künstler sprach. Das war sein Leben, er konnte nur dafür handeln und arbeiten. Sein Künstlerdasein war ein Dienst, eine Berufung zum Dienst an den anderen durch seine Kunst.“ Damals traf Ciol auch Paolo Mangini, einen der Freiwilligen der Cittadella, der ihn bat, die Werke von Congdon für das Buch Nel mio disco d’oro zu fotografieren, das damals entstand.
Im Jahr nach der Veröffentlichung dieses Buches kommt es zu einer Kehrtwende. Paolo Mangini lernte Don Giussani kennen und verlässt die Cittadella, um bei GS eine neue Heimat zu finden. William Congdon folgte ihm. Und auch Ciol wurde häufig gebeten, die ersten Schritte der beiden Freude auf diesem neuen Weg zu begleiten. So entstand die bekannte Fotosequenz von Varigotti von 1962: Die Versammlung auf dem Turm und das Beten der Laudes am Strand. „Mich berührte die Intensität und das Schweigen. Es war nur natürlich, die Tatsache des Schweigens, der Ordnung und des Unendlichen des Raumes zu erfassen. Jene Bilder sind entstanden wie alle meine Bilder, als Dinge, die über mich herfallen, die mir ins Auge fallen. Etwas berührt mich, auch wenn ich noch nicht genau weiß, um was es sich handelt und ich nur später mir dessen bewusst werde.“

Der religiöse Sinn in der Schöpfung
Ich zitierte einen Kommentar eines Schriftsteller, der aus derselben Provinz kommt, Carlo Sgorlon: „Man könnte sagen, dass Ciol ein Künstler des Seins, nicht des Werdens ist; der Dauer, nicht des Augenblicks, des Schweigens und nicht des Lärms, der Reinheit und der Morgendämmerung der Dinge und nicht der Schatten und der Dunkelheiten unserer Zeit, die mit Gewalt und Verbrechen angefüllt sind“. Ich merke an, dass es eine kaum zufällig zu nennende Übereinstimmung zwischen seinem Verständnis der Fotografie und der Pädagogik von Don Giussani gibt, der, indem er mit Nachdruck auf dem Schweigen und der Ordnung bestand, zum Sinn des Seins und der Gegenwart erzog. Ciol pflichtete mir bei: „Don Giussani hat mich um einen Abzug für ihn persönlich gebeten, als er mein Bild der kleinen Kirche mit den schwarzen Furchen der gepflügten Erde gesehen hat. Er hat es dann im Sitz von GS, damals in der Via Statuto aufgehängt. Der Name des Bildes war Rorate coeli. Diese Idee der Ordnung und der Anordnung habe ich nach und nach entdeckt, als ich meine Aufnahmen sah und sie kalibrierte, denn es reicht, ein wenig die Kamera anders auszurichten und alles ändert sich. Darüber hinaus bin ich von Jugend an daran gewöhnt das Wesentliche der Dinge zu ergreifen. Wenn man aus der Dunkelkammer kommt, wird man vom Licht geblendet und sieht fast nichts mehr. Da habe ich mich daran gewöhnt, das Profil, das Muster und die Struktur der Dinge zu erfassen. Weiter zurück liegt noch ein Vorfall aus dem Jahre 1944, während der Besetzung durch die Deutschen. Ein deutscher Sanitätsoffizier kam, um seine Filme zu entwickeln, in das Labor meines Vaters und ich habe dort fantastische Fotografien meines Landes gesehen, von einer Schönheit, die ich bis dato nicht zu erfassen in der Lage war. Das war eine Art Ohrfeige, als ob jemand mir gesagt hätte: „Wach auf, schau hin!“. Da habe ich verstanden, was die Fotografie ist, nämlich eine Art zu sehen, und zwar das Skelett der Dinge zu sehen. Das erschafft etwas. Aber diesen religiösen Sinn, dieses Interesse für das Territorium, für die Schöpfung und für die Ordnung habe ich auch in der Landbevölkerung angetroffen: diese Reihen von Bäumen, diese Geometrie. Wer hat ihnen je beigebracht, das Holz in Bündeln anzuordnen, als wären das Kunstwerke. Das ist eine betrachtende, religiöse Haltung. Der Arbeit wegen zog ich im Jahre 1963 nach Mailand, da habe ich Don Giussani häufiger gesehen. In diesem Jahr hatte ich einige Fotos in der kommunalen Bibliothek ausgestellt. Die Ausstellung hieß „Das Schweigen“. Maretta Campi hat in der Zeitschrift von GS eine Rezension darüber geschrieben.
Ich frage ihn, was ihn an Don Giussani am meisten beeindruckt hat. „Die Freude, mit der er das Leben genießen konnte, wie etwa die Freude daran, in Gemeinschaft Mittag zu essen. Die Bilder von der Abschiedsfeier für Pigi Bernareggi und die anderen, die nach Brasilien aufbrachen machen das deutlich. Don Giussani lacht inmitten der Jugendlichen aus vollem Herzen, so als ob er einer von ihnen wäre. Danach brachten wir sie zum Flughafen Linate. Auf der Rückkehr habe ich ihn in tiefes Schweigen fallen sehen. Wir verstanden, wie stark er die Schwierigkeit und die Verantwortung dieses Zeitpunktes wahrgenommen hat. Genau, das war diese Fähigkeit von der herzlichsten Freude zur inneren Einkehr und zur Ernsthaftigkeit überzugehen. Wenn er die Versammlung leitete, oder wenn er eine Lektion hielt: Es war, als ob ihm in diesen Augenblicken bewusst war, dass etwas sehr wichtiges vor sich ging, geradezu etwas Heiliges. Ich erinnere mich noch an eine andere Episode. Ich war gemeinsam mit Mangini, Congdon und anderen in Subiaco, es war wahrscheinlich 1964. Er kam aus Rom zurück und war sehr traurig. Ihm war mehr oder weniger befohlen worden, Gioventù Studentesca aufzulösen. Ich habe ihn sofort gefragt: „Wie haben Sie denn darauf reagiert?“. Er schwieg. Dann verstand ich, dass er einen so tiefen Sinn für die Autorität der Kirche hatte, dass er die Auflage akzeptierte, wenngleich unter Schmerzen.

In einem Fiat über die Dörfer
Mangini schlug 1963 Ciol vor, der sich gerade in Mailand befand, eine Fotoserie über die Erfahrung der Caritativa von GS aufzunehmen. „Jeden Sonntag wurde ich in einen alten Fiat 500 Topolino gepackt und über die Dörfer und Höfe des Flachlandes der Lombardei kutschiert, wo Gruppen von Mitgliedern von GS gemeinsam mit den Kindern spielten. Ohne dass ich das gemerkt hätte, entstand ein sehr bemerkenswerter Bilderzyklus, denn er dokumentierte eine menschliche und gesellschaftliche Realität, die sich bald vollständig ändern sollte. Auch nach Jahrzehnten zeigt sich meine Fotoserie als eigenständiges Werk im Kontext der Fotografie des Neorealismus. Es sind Momentaufnahmen, die aber im Gleichgewicht sind und auch ihren eigenen Erzählzusammenhang haben“.
Als Paolo die Fotos sah, hatte er sofort die Idee, eine Ausstellung davon zu machen. Sie wurde im Juni 1963 in der Pilgerhalle am erzbischöflichen Palais eingerichtet und vom Kardinal Giovanni Battista Montini eingeweiht. Die Fotos dieses Ereignisses zeigen die Leute von GS damals sowie einen ganz aufgeregten Don Giussani, der wegen dieser wohlwollenden Geste seines Erzbischofs gerührt war. Kardinal Montini brach wenige Tage später zum Konklave nach Rom auf, aus dem er als Papst Paul VI. hervorging.