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Die Kirche - Das Grabtuch
Angesichts der Zeichen der Passion
José Miguel Garcia

Vom 10. April bis zum 23. März wird im Turiner Dom das Grabtuch gezeigt, das gemäß der Tradition den Leichnam Jesu bedeckt hat. Wie der Abdruck entstand, bleibt ein Geheimnis. Doch kann man aufgrund der vielen Hinweise die Identität des Gekreuzigten feststellen, denn „sie stimmen perfekt mit den Überlieferungen der Evangelien überein“, so das Urteil eines Bibelforschers.

„Da kaufte dieser [Joseph von Arimathäa] Leinwand, nahm ihn herab und hüllte ihn in die Leinwand, legte ihn in ein in den Felsen gehauenes Grab und wälzte einen Stein vor den Eingang des Grabes.“ (Mk 15, 46) So knapp berichtet der Evangelist Markus vom Begräbnis Jesu. Matthäus und Lukas erwähnen ebenfalls das neue Grab und das Leinentuch (Mt 27, 59; Lk 23, 53). Es scheint, dass Johannes etwas anderes sagt: „Sie nahmen nun den Leichnam Jesu und banden ihn samt Spezereien mit Leinenbinden (othonia), wie es bei den Juden Begräbnissitte ist.“ (19, 40). Der Ausdruck erscheint erneut, als Petrus und Johannes das leere Grab besuchen (20, 3-9). Warum hat Johannes einen anderen griechischen Ausdruck verwendet und noch dazu im Plural? Tatsächlich ist dieser griechische Ausdruck ein Synonym für „Leinentuch“, denn eine seiner vielen Bedeutungen ist auch „großes Leinentuch“. Der Plural geht auf eine ungenaue Lesung des aramäischen Ursprungsbegriffs zurück. Dort findet sich ein Dualis, welcher „doppeltes Leinentuch“ bedeutet und der als Plural übersetzt wurde. Wahrscheinlich hat Johannes den Dualis deshalb verwendet, um das Leinentuch, welches den Körper Christi bedeckte, exakter zu beschreiben. Diese Charakterisierung entspricht genau dem heiligen Grabtuch von Turin: ein doppeltes Leinentuch.
Seit dem 16. Jahrhundert wird dieses Leinentuch im Dom zu Turin aufbewahrt und in wenigen Wochen (vom 10. April bis zum 23. Mai) wird es dort ausgestellt. Diese Schau erfolgt genau zehn Jahre nach jener im Heiligen Jahr. Auch Benedikt XVI. wird am 2. Mai nach Turin kommen, um eine Messe auf dem Karlsplatz zu feiern und das Leinentuch zu verehren, auf dem man mit bloßem Auge das Bild eines Gekreuzigten erkennen kann. Im Jahre 1898 entdeckte Secondo Pia, dass das Bild sich wie ein Foto-Negativ verhält. Seit dieser Zeit wurden wissenschaftliche Untersuchungen verschiedenster Disziplinen durchgeführt. Sie haben gezeigt, dass es sich nicht um ein Gemälde handelt, sondern dass sich ein Bild eingedrückt hat, dessen Entstehung immer noch ungeklärt ist. Abgesehen von jenem Bild sind überall auf dem Stoff Blutspuren verteilt. Die Wissenschaftler haben entdeckt, dass das Blut eine hohe Konzentration von Bilirubin enthält, was darauf hinweist, dass die Person grausame Qualen erlitten hat. Es gibt zwei Arten von Flecken: Blut, das aus der Wunde einer lebendigen Person stammt und Blut einer Leiche, was zur römischen Lanze passt, die Jesu Seite durchbohrt hat. Die Wissenschaftler haben gezeigt, dass es sich um das bedeutsamste archäologische Zeugnis der Todesstrafe handelt. Wer aber war das Opfer?
Vor jeder Antwort bedarf es zunächst einer Vorüberlegung. Einige Spuren der Marterung, die in das Leinentuch eingeprägt sind, sind typisch für jede beliebige Kreuzigung. Andere sind außergewöhnlich und erlauben aufgrund ihrer besonderen Merkmale die Identifizierung des Opfers. Wenden wir uns den auffälligsten davon zu. Es ist offensichtlich, dass diese Person vor der Kreuzigung gegeißelt wurde. Aufgrund der Anzahl der erhaltenen Schläge, circa 120, und ihrer Verteilung über den ganzen Körper ist offensichtlich, dass diese Strafe unabhängig von der Kreuzigung verhängt worden war. Üblicherweise wurde jemand, der gekreuzigt werden sollte, auf dem Weg zur Hinrichtungsstätte gegeißelt, um den Körper zu schwächen und das Leiden am Kreuz zu verkürzen. Wäre dies auch beim Verurteilten des Leinentuches der Fall gewesen, dann wären die Spuren der Geißelung nicht über den ganzen Körper verteilt.
Laut Joh 19, 1 und Lk 23, 25 befahl Pilatus die Geißelung Jesu als alternative Strafe anstelle der Kreuzigung, womit sich die jüdischen Autoritäten jedoch nicht zufriedengaben und seinen Tod am Kreuz forderten. Eine weitere Besonderheit: Der Kopf des Verurteilten war mit einer Dornenkrone umgeben. Die Dornen sind jedoch nicht ringförmig angeordnet, sondern überall auf dem Kopf verteilt, also in Form eines Helms, wie es bei orientalischen Kronen der Fall ist. Drei Evangelien stimmen darin überein, dass die Soldaten eine Dornenkrone flochten und Jesus auf den Kopf setzten, um ihn zu verhöhnen (Joh 19, 2; Mk 15, 17; Mt 27, 29). Das Antlitz des Gekreuzigten auf dem Leinentuch zeigt Prellungen, vor allem auf der rechten Wange, die von einem schweren Schlag mit einem harten Gegenstand herrühren. Die Evangelien berichten, dass ein Diener des Hohenpriesters Jesus mit einem Stock schlug, als dieser der höchsten jüdischen Autorität beim Prozess vor dem Hohen Rat antwortete (Mk 15, 19; Joh 19, 3). Üblicherweise zerbrach man die Beine der Gekreuzigten, um ihren Tod zu beschleunigen, dies ist bei dem Leichnam hier nicht der Fall. Die Person des Leinentuches hat einen Lanzenstoß in die Seite erhalten, womit der Tod festgestellt werden sollte. Dies belegt das aus dem Herzen des Leichnams entströmte Blut. Johannes berichtet detailliert über diesen Lanzenstoß und das Blut und Wasser aus der Wunde austraten (Joh 19, 32-34).
Ein Privatgrab. Weitere überraschende Ergebnisse sind, dass dieser als Verbrecher Verurteilte, anstatt in den Stadtgraben geworfen zu werden, in einem privaten Grab bestattet, mit Aloe und Myrrhe gesalbt und in ein kostbares Leinentuch gewickelt worden war. Die Evangelien berichten, dass Joseph von Arimathäa und Nikodemus Jesus in ein Leinentuch wickelten, wobei sie etwa 100 Pfund dieser beiden Öle verrieben (Mk 15, 42-46; Joh 19, 38-40). Schließlich ist es überraschend, dass der in das heilige Leinentuch eingehüllte Leichnam sich nicht zersetzt hat, denn auf dem Tuch gibt es keine Spuren von Verwesung.
Weitere Hinweise, auch wenn sie typisch für Kreuzigungen sind, können zur Identifizierung der Person des Grabtuchs beitragen. Am hinteren Teil der Schultern finden sich Hautabschürfungen, die vom Tragen des Kreuzes stammen. Letzteres bestand eigentlich nur aus dem patibulum oder Querbalken, der für gewöhnlich 40 Kilo wog. Die hier befindlichen Wunden der Geißelung sind zwar gequetscht, aber nicht aufgerissen, trotz der durch das patibulum verursachten Reibung. Die Evangelien berichten, dass Jesus das Kreuz aufgelegt wurde, aber da er aufgrund der vorangegangenen Marter sehr geschwächt war, konnte er es nicht alleine zum Kalvarienberg tragen. Es bedurfte der Hilfe des Simon von Cyrene (Mk 15, 21). Außerdem ging Jesus bekleidet bis zur Richtstätte (Mk 15, 20), das heißt, die Wunden kamen nicht in direkte Berührung mit dem Holz. Das Blut des Mannes auf dem Grabtuch zeigt, dass der Verurteilte durch Wassermangel starb, also großen Durst hatte. Johannes beschreibt in seinem Evangelium die Qualen, die Jesus aufgrund seines Durstes erlitt (Joh 19, 28f.).
Diese und andere Merkmale, die aus Platzgründen hier nicht angeführt werden können, machen die Identifizierung des Opfers möglich: Jesus von Nazareth. In seiner Predigt in der Kathedrale zu Turin am 24. Mai 1998 sagte Johannes Paul II., das Grabtuch sei „Spiegel“ des von den Evangelien überlieferten Leidens und Sterbens Jesu. Wenn das Heilige Land als „Fünftes Evangelium“ gelten könne, müsse das Grabtuch als fünfte Erzählung von Jesu Passion gelten. Natürlich sei es wesentlich ausdrucksvoller als die kurzen Erzählungen, die von den ersten christlichen Schriftstellern überliefert wurden. Aber die Bedeutung jenes Leidens wird nur durch die Verkündigung der Kirche erklärt: „Im unermesslichen Leiden, welches von ihr bezeugt wird, wird die Liebe dessen, der ‚die Welt so sehr geliebt hat, dass er seinen einzigen Sohn dahin gab‘, quasi greifbar und zeigt ihre überraschenden Dimensionen. Vor ihr können die Gläubigen nicht anders, als voller Wahrheit ausrufen: ‚Herr, deine Liebe zu mir konnte nicht größer sein!‘ Daraus erwächst sofort das Bewusstsein dafür, dass die Sünde Ursache für jenes Leiden ist, die Sünde jedes einzelnen Menschen.“ (Johannes Paul II.).
Einige Bücher greifen auf die Auferstehung zurück, um die Entstehung des Bildes zu erklären. Besser gesagt: Das Leinentuch wird als Beweis für diese Tatsache gesehen. So beispielsweise die Bücher: Sindone. Il ritorno alla vita von Giuseppe Catalano und Cento prove sulla Sindone von Giulio Fanti und Emanuela Marinelli.
Herausragende Hinweise. Die Auferstehung Christi ist ein einmaliges Ereignis, deren Natur von der Kirche mit folgenden Worten ausgedrückt wird: „Am dritten Tage auferstanden, gemäß der Schrift, aufgefahren in den Himmel, er sitzt zur Rechten des Vaters“. Das bedeutet: Die Auferstehung Jesu hat nicht seine Rückkehr ins irdische Leben zur Folge, sondern seine Erhöhung in der Herrlichkeit des Vaters. Es handelt sich um ein jenseitiges Geschehen, welches dem Menschen nicht aufgrund seiner rein intellektuellen Fähigkeiten zugänglich ist. Dieses Ereignis widerfährt also dem gekreuzigten Jesus von Nazareth. Daher sollte es möglich sein, irgendeine Spur oder ein Anzeichen davon an diesem Leichnam zu bemerken. Die ersten christlichen Zeugnisse überliefern mit der Erzählung vom leeren Grab den ersten Hinweis auf die Auferstehung. Da die feindlichen Juden dies nicht leugnen können, versuchen sie, dies mit der Behauptung zu erklären, dass die Jünger ihn fortgebracht hätten. In diesem Sinne können wir das Grabtuch als ein Indiz werten, da es etwas Außergewöhnliches bezeugt: Der Leichnam, den es einhüllte, ist nicht verwest. Jener Leichnam erfuhr nicht den normalen Zersetzungsprozess, dem jeder Verstorbene unterliegt. Wie kann man dieses Phänomen erklären? Nur, indem man das Zeugnis der Jünger annimmt, welche den glorreich von den Toten Auferstandenen gesehen haben.