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Briefe
Briefe März 2010
Zusammengestellt von Paola Bergamini

Weshalb nicht das ganze Dorf einladen
Baselice ist eine kleine Gemeinde mit einer kleinen Gemeinschaft von CL, die vor allem aus Müttern besteht. „Angesichts des Erdbebens in Haiti, reichte uns keine Gefühlswallungen oder fremde Hilfe. Wir gingen davon aus, dass unsere Gemeinschaft in Haiti präsent ist: Wir alle waren mit Fiammetta und den Freunden der Hilfsorganisation Avsi dort. Unsere Zugehörigkeit weckte das „Ich“ von jedem von uns und wir fragten uns: Was können wir tun? Wir sind Familienmütter, lasst uns also ein Mittagessen vorbereiten, zu dem wir das ganze Dorf einladen.” Gesagt, getan! Am 7. Januar kamen 170 Personen an einem Tisch zusammen. Zehn Mütter und zwei Köche standen am Herd, 15 Jugendliche aus dem Dorf bedienten in professioneller Kleidung die Tische und das Essen wurde serviert. „Heute essen wir nicht für uns selbst“, sagte die Eigentümerin des Saales, „sondern um uns selbst und den Freunden, die unserer Einladung gefolgt sind, zu verdeutlichen, dass es eine andere Art und Weise gibt, mit den Menschen in Haiti mitzufühlen und sich für diese zu engagieren.“ An den Tischen fanden sich Personen, die sonst nie zusammen gegessen hätten, vielleicht Angehörige unterschiedlicher Parteien, oder Familien, die untereinander nicht in Einklang waren. Ein Schauspiel der Menschlichkeit! Der Bürgermeister bedankte sich: „Baselice ist stolz auf diese Mütter.” Eine solche brüderliche und fröhliche Atmosphäre hatte man in dem Dorf seit langem nicht mehr gesehen. Die unvermeidbare Frage war: Woher kommt dieses ungewöhnliche Ereignis? Die Mütter gaben eine Antwort darauf. „Ich bin froh, weil ich Jesus dienen konnte“, sagte Raffaella. „Was geschieht, ist viel größer als ich“, so Maria. „Wir wurden angetrieben, indem wir der Einfachheit unserer Gemeinschaft gehorchten und viele Leute aus dem Dorf wurden vielleicht durch die Sympathie für unsere Gemeinschaft angetrieben“, sagte Pina. „Alle jene, die zu dem Essen gekommen sind, sind für einen neuen Sinn und Zweck hier: Das Verlangen, das Geschenk einer Freundschaft zu kosten, die sich auch gegenüber der Bevölkerung von Haiti gezeigt hat“, so Anna Lina.
Tonino, Baselice (Bn)

Heiligengebet hinter Gittern
Liebe Freunde, wir sind seit mehr als 15 Jahren im Gefängnis, wo wir dramatische Erfahrungen erlebten, die uns aber nie so weit brachten, konkret daran zu denken, dem Ganzen ein Ende zu bereiten. Denn, wenn es schien, als könne nichts mehr die Dinge ändern, machten wir Erfahrungen und es kam zu Begegnungen, die unseren langen und schwierigen Weg erleuchteten. Der Weg, den wir zurücklegen müssen, ist lang, da wir zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt sind. Aber wenn man anfängt, sein eigenes Bewusstsein zu erweitern, ein Bewusstsein, das über die Grenzen der allgemeinen Vernunft hinausgeht, ist eine starke Hand zu spüren, die uns hält, die führt … Der Glaube an Jesus Christus. Zusammen mit dieser Kraft gewinnt man Hoffnung, Freiheit und Gehorsam und auch die Armut nimmt einen unermesslichen Wert an. In diesen Tagen fand in Padua ein außergewöhnliches Ereignis statt, die Zurschaustellung der sterblichen Überreste unseres heiligen Antonius. Wie gerne wären wir dort gewesen! Wir wollten ihm nahe sein, um ihn unsere ganze Zuneigung und Hingabe spüren zu lassen! Einige unserer Gefährten hatten die Möglichkeit zu ihm zu gehen. Seien wir ehrlich, ohne böse zu sein, wir haben sie darum beneidet, denn aufgrund unserer Haftstrafe wurde uns diese Möglichkeit verwehrt. Da wir begierig danach waren, ließen wir uns von ihnen das Empfinden und die einzigartige Schönheit dieser Begegnung erzählen. Die Luft, die man einatmete und den Segen, den sie bei einer ähnlichen Gelegenheit bekommen hatten. Jedoch waren auch wir auf irgendeine Weise in der Basilika bei Antonius, denn durch die Gebete war unsere Seele dort und wir sind sicher, dass er diese erhörte, so wie er auch unsere Gegenwart spürte. Wir spürten die seine sehr, hier zwischen diesen Mauern aus Beton und vergitterten Fenstern, die unseren Leib gefangen halten, aber nicht unseren Glauben und unsere Seele. Auch das ist Gehorsam, immer ja zu Jesus zu sagen, dabei auch dieses Leiden zu akzeptiere und uns mit unseren Gebeten dem Willen des Herrn zu unterwerfen.
Marino und Alberto, Padua

Alleine im Auto
Kürzlich bin ich 60 Jahre alt geworden – von GS fühlte ich mich schon im Alter von 16-17 Jahren angezogen. Ab diesem Zeitpunkt war ich immer bei GS, dann bei CL, auch wenn ich später, bedingt durch Arbeit und Familie, sozusagen nur am Rande stand. Diese Art der Zugehörigkeit führte aber nicht zum Wachstum meiner Person. Ich ging jedenfalls zur Messe, betete und hatte mich von dem, dem ich begegnet war, nicht losgesagt. Ich war aber wie zerstreut und mit etwas anderem – der Arbeit – beschäftigt. Unternehmer zu sein, hat mich 26-27 Jahre lang in Atem gehalten. Dann bemerkte ich, dass es eng wurde und ich an den Dingen zu ersticken drohte. Du stehst plötzlich wie vor einer großen Leere und merkst, dass du alles brauchst. Was tun? Beruflich sitze ich viel im Auto, und als ich dort alleine war, fing ich an, Christus um Hilfe zu bitten. Ich tat es, indem ich mit Ihm sprach, ich bat Ihn, mir Gesellschaft zu leisten, denn ich war sehr allein. Seitdem erfahre ich ein Übermaß der Gnade. Es schien geradezu, dass er auf meine schmerzhafte Frage gewartet habe. Ich habe wirklich die Liebe Gottes zu mir als ein Geschenk Seiner berührten Person erfahren. Die Umstände, die dazu geführt haben, dass ich nach dem Zusammensein mit ihm fragte, wurden für mich zur Rettung. Kurz nachdem ich begonnen hatte, Ihn zu bitten, geschahen in der Firma einige bedeutende Dinge – die Vorboten der derzeitigen Krise. Nichtsdestoweniger bin ich weiterhin dort, das Unternehmen musste nicht schließen. Es hat nicht den Anschein, als ob sich die Angelegenheiten, mit denen ich mich beschäftigen muss, demnächst zu einem guten Ende führen lassen. Ich bitte beharrlich, dass sich bald eine Lösung zeige, aber dann sage ich: „Herr, wenn diese Dinge in mir den Wunsch nach Dir wachhalten, dann nimm sie mir nicht. Es ist O.K. so! Mit Dir kann man immer in allem sein.“ Mit der Krise ist die finanzielle Liquidität ein Riesenproblem. Es fehlt Geld und die Gehälter müssen bezahlt werden! Man spart an der Reinigung der Büros, indem man selbst putzt, man lässt sich auf der einen Seite für etwas nicht bezahlen und erfindet etwas auf der anderen Seite, um Geld zusammenzubekommen. Was ist also die Armut, die Loslösung, die Hingabe? Hier wird offenbar, wie sehr wir diese Gegenwart und die Gesichter der Freunde brauchen, die uns diese Gegenwart bezeugen. Die Frage entsteht: „Wie ist es möglich, seine Gegenwart zuzulassen?“ Ich bete und bitte darum, dass ich nicht von der Habsucht bestimmt werde, sondern von der Notwendigkeit, auf lebenswichtige Bedürfnisse zu antworten, und ich nehme Tag für Tag das an, was mir gegeben wird. Oft sage ich mir, dass ich wie ein Blinder bin, der auf dem Weg von einer sicheren Hand geführt wird – der jedoch nicht rennen kann, da er nur zu folgen imstande ist. Mit Hilfe der Arbeit des Seminars der Gemeinschaft, der Beiträge und des Urteils über die Erfahrung ist es weiterhin möglich, diese Gewissheit zu vertreten.
Valerio

Die Begegnung im Wartezimmer
Ich habe Marzia in Mailand kennen gelernt, wo sie im Krankenhaus behandelt wurde. In diesen so mühevollen Tagen ist unsere Freundschaft entstanden. Dasselbe war bereits zwei Jahre zuvor geschehen. In einem anderen Krankenhaus begegnete ich Marina, die wie Marzia aus Sardinien kommt, und auch mit ihr habe ich die Erfahrung einer wahrhaft unvorstellbaren Freundschaft gemacht.
Marzia ist völlig verschieden von mir. Ab und zu nahm sie mich auf den Arm, weil ich auf den Priester wartete, der mir die heilige Kommunion brachte oder weil ich mit meinen Freunden telefonierte und ihr von ihnen erzählte. Die Freundschaft hielt über Telefon und E-Mail an. Alles in Ordnung, bis zum März letzten Jahres, dann eine große Erschütterung für sie: Metastasen. Sie beginnt mit der Therapie. Wir telefonieren öfter, und irgendwann sagt sie: „Es genügt mir nicht, dich zu hören, ich muss dich sehen!“ Und so schickt sie mir die Flugtickets, um zu ihr zu kommen. Ich reise nicht viel, ich habe Flugangst und ich werde schnell müde. Dann wurde mir klar, dass man auf die Wirklichkeit dort antworten muss, wo sie einen ruft, und ich begab mich auf die Reise. Marzia ging es besser, auch wenn die klinischen Untersuchungen eine andere Prognose gaben. Ich war zu Gast bei ihr und ihrem Partner – beide waren so verschieden von mir – ganz ohne Anspruch, mit dem Wunsch, dass sie dem begegnen könnten, was mein Leben und meinen Schmerz mit Sinn erfüllt hat. Bei ihr habe ich auch die andere Sardin wieder getroffen, die zu Marzia kam, um mich zu sehen. Als wir uns ansahen, wurde klar, dass das, was uns verband, nicht der Tumor war, sondern etwas ganz anderes, das sich in unserer Freundschaft ausdrückte. Ein Keim des Guten, dort wo es nur Platz für Wut und Schmerz zu geben schien. Marzia wurde schwerer krank und die Telefonate immer drängender. Sie wollte mehr, sie war wütend über den, den sie „deinen Gott“ nannte. Eines Tages sagte sie mir: „Gott muss mir ein Zeichen senden.“ Ich antwortete ihr, dass Gott ihr ein Zeichen senden würde. Sie sagte: „Das Problem liegt darin, wie ich es erkennen kann.“ Ich bat meine Freunde, unter anderem Tommaso, der aus Sardinien stammt, um Hilfe. Er rief Marzia an und hielt den Kontakt mit ihr. Sie fing an, mich mit Fragen zu bombardieren: Wie ist es möglich, dass ein Fremder sich für sie interessiert und ihr seine Gebete und die seiner Frau verspricht? Und dann, eines Tages, völlig unerwartet: „Und das ist der Glaube? Also – wenn es das ist, dann ist es etwas sehr Schönes! Wie ist es möglich, das ganze Leben zu leben, ohne das zu kennen, was ihr kennt? Wie habe ich denn bisher gelebt?“ Voller Dankbarkeit schreibt sie mir eines Tages: „Danke, danke, danke ... vielleicht war dies das Zeichen, auf das ich gewartet habe. Und dann zuletzt der Satz, der mir den Boden unter den Füße wegzog – ausgesprochen von ihr, die sie das Leben inständig liebt: „Es ist mir nicht mehr wichtig, gesund zu werden, ich will nur noch die nötige Zeit leben, um das kennen zu lernen, was ihr kennt.“ Konnte ich mir vorstellen, dass aus dieser Begegnung im Wartezimmer des Krankenhauses und aus ihrer Frage − „Darf ich die Stationsleitung fragen, ob wir gemeinsam ein Zimmer belegen können? − du siehst nicht verzweifelt aus“ − all dies entstehen würde?
Laura, Falconara Marittima (An)

Nur Christus besiegt den Tod
Lieber Don Carrón, meine Frau Elena ist am 24. Oktober im Alter von 35 Jahren plötzlich verstorben und hat ein achtjähriges Kind hinterlassen. Vor 25 Jahren habe ich die Bewegung kennen gelernt. Die Begegnung mit diesen Leuten hat für immer meine Weise, den Alltag zu leben, verändert; das auch dank einer Begabung eines „umfassenden Blicks“. 1993 schloss ich mein Studium ab. Seitdem ich 1996 Elena kennen lernte, habe ich die 15 Jahre bis zu ihrem Tod nur für die Karriere und meine Familie gelebt. Ich nahm nicht mehr am Leben der Bewegung teil, weder an den Messen noch an sonst einem Gestus. Ich hatte nur ein wiederkehrendes, ständiges Bedürfnis, jene Erfahrung der Hingabe, die mir vor Jahren Freiheit gegeben hatte, wieder aufleben zu lassen. An dem Tag, an dem Elena starb, wurde mir tragisch bewusst, dass sie der Grund all dessen war, wofür ich lebte. Auf dem Heimweg von der Arbeit sah ich die Schaufenster an, um mit ihr alles zu teilen, was ich gesehen hatte. Ebenso existierten der Erfolg in der Arbeit, das Geld, das Haus in Mailand, das Haus am Meer und das Boot nur, weil Elena da war. In dem Augenblick, als Elena nicht mehr da war, bemerkte ich, dass ich vor allem für sie (und somit für mein Kind) lebte. Aber wenn es so war, dann entstand das Bedürfnis eines „vernünftigen Grundes“, der mir erlaubte, weiterzugehen. Beim Begräbnis sagte Don Emilio in seiner Predigt: «Es gibt keine Worte, die auf solche Ereignisse eine Antwort geben könnten. Aber es gibt eine Haltung, mit der wir diesen Ereignissen ins Gesicht sehen können. Zur Erklärung dazu ein Gleichnis: Es ist als wenn ein Vater gerade nach Hause gekommen wäre und seinem Kind, das auf ihn wartet, eine Ohrfeige gäbe, so dass das Kind weinte. Was aber würde nun das weinende Kind machen? Würde es weglaufen? Wohl kaum! Es würde höchstwahrscheinlich verzweifelt den Vater umarmen und fragen: „Warum? Warum denn?“» Dieses Kind bin ich. Traurig und bestürzt frage ich mich nach dem Warum, aber innerhalb einer Umarmung. Auf dem Begräbnis habe ich mich zum Sarg meiner Frau umgedreht und dann die Anwesenden betrachtet, die Matteo, meine Verwandten und mich mit mitfühlendem und liebevollem Blick anschauten. In diesem Augenblick wurde mein Herz mit einer Ruhe erfüllt, die mich fast heiter stimmte, denn ich hatte verstanden, dass Elena zur Erfüllung ihrer Bestimmung gelangt war, und ich war da, neben ihr, um sie dabei zu begleiten. Das war die Bedeutung unserer Ehe. Und dabei war nicht so wichtig, das Warum des Ganzen zu verstehen; wichtiger war anzunehmen, dass im Geheimnis eines Nicht-Verstehens das alles so geschehen konnte, wie es geschehen war. „Von der Vernunft zum Glauben“, sagte einmal Don Giussani. Ich verstehe langsam: im Verlust einer Person, die ich mehr als alles andere in meinem Leben geliebt habe, stand die Behauptung von etwas Unverständlichem, Irritierendem, Störendem, aber Gegenwärtigem. Wie der Tod. Der Übergang zum Glauben wäre ohne diesen neuen Bewusstseinsschritt nicht möglich gewesen: Auch wenn ich akzeptiere, dass Elenas Tod zum Geheimnis des Lebens gehört, wird dadurch nicht die Dramatik aufgelöst, die ich für unerträglich hielt. Stattdessen hat dann die beständige, diskrete und stetige Gegenwart alter und neuer freundlicher Gesichter dies ermöglicht. Die Fähigkeit, eine Liebe zu bezeugen, die die eigene Person übersteigt, hat die Gegenwart eines konkreten Freundes deutlich gemacht, der einen nie allein lässt. Daraus entsteht ein fast banales Bewusstsein: wenn es wahr ist, dass Christus den Tod besiegt (wie ich häufig gehört hatte, mir erschien es aber immer abstrakt und völlig formal), jetzt ist das lebendige Erfahrung. Christus, die Gemeinschaft Christi, besiegt den Tod im Geheimnis seiner Gegenwart durch seinen Leib, die Leute, die Freunde. Christus wird Gegenwart eines Leibes, der sich mir nähert, mich berührt, mit mir am Samstagabend isst, mit meinem Sohn zum Kino mitkommt, der mich zum Grab begleitet, mit mir singt, spricht und mir erlaubt, den Tod meiner Frau als ihre größte Liebesgeste zu erleben, die sie lebendig nie hätte ausdrücken können. Nichts kann mehr so sein wie früher. Jetzt verstehe ich das. Aus diesem Grund bin ich sicher, dass ich weitererzählen muss, was mir passiert ist. Dabei geht es nicht um das, was geschehen ist, sondern um das, was dieses Ereignis mit sich bringt. Ich lerne Leute kennen, die mich fragen, wie das alles möglich sei. Eine so unverkennbare Freude mit einem gleichzeitig unvermeidlichen Schmerz darin. Und die Antwort kann nur die Botschaft sein: die Gegenwart Christi durch seinen mystischen Leib, die Kirche, die Weggemeinschaft der Bewegung, die Weggemeinschaft der Menschen, mit denen wir den Alltag teilen. Das ist heute Christus für uns, für mich. Nichts kann mehr so sein wie früher.
Maurizio, Agrate B. (Monza Brianza)