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Editorial
Freiheit
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Doch wo hat sie ihren Ursprung?

Besonders ein Thema kehrte, von Politikern, Schriftstellern und Journalisten lanciert, in den vergangenen Wochen stets wieder. Ist unsere Gesellschaft und Kultur anderen gegenüber überlegen, insbesondere derjenigen, aus deren Schoß die Kamikazeattacken des Terrorismus hervorgehen?
Kann man zurecht behaupten, die westliche Kultur könne gar nicht mit der islamischen verglichen werden und infolgedessen könne man auch nicht sagen, der Angriff komme aus jener Richtung. Die bekannte italienische Schriftstellerin Oriana Fallaci hat sich in diesem Sinne geäußert. Kann man mit dem Journalisten Angelo Panebianco sagen, dass unseren Institutionen ein ganz anderer Stellenwert zukomme als anderen? Oder ist, um mit einem anderen Journalisten zu sprechen, wirklich die gegenwärtige Situation mit derjenigen vergleichbar, als Rom unter dem Ansturm der Barbaren zusammenbrach?
Die Diskussion wird jedenfalls angeregt fortgeführt, ungeachtet einer Menge an historischen Ungenauigkeiten und Annährungen. Doch gleich wie gelehrt, leidenschaftlich, mutig oder erleuchtet sie auch sein mögen, viele dieser Überlegungen gehen am Kern der Frage vorbei. Es genügt nicht, einfach die "Überlegenheit" gewisser Lebensweisen und Modelle des Zusammenlevebns zu konstatieren. Es kommt darauf an, zu verstehen, was der Unterschied macht, worin er bestehet.
Diesem Niveau nähert sich Oriana fallaci an anderer Stelle an, wenn sie darauf besteht, dass sie "im Geiste der Freiheit" erzogen worden sei.
Wo nun entspringt diese Freiheit, wo kann sich ein Geist der Freiheit stets neu entfalten, und somit auch wachsen, sich verbreiten, sich verteidigen? Wo wird man heute zur Freiheit erzogen?
Was ist diese Freiheit denn überhaupt? Reichen etwa Institutionen aus, um zu ihr zu erziehen? Reicht es, tun und lassen zu können, was man will, um zu wissen, was sie ist, um zu ihr erzogen zu werden?
Ein grosser Dichter, Erbe der grossen Kultur von Homer über Dante und Petrarca, hat sich einmal die Gedanken eines asiatischen - sagen wir mal afganischen - Hirten ausgemahlt. Die rede ist von Leopardi und seinem herrlichen "Nachtgesang eines Wanderhirten Asiens". Die Idee dazu kam ihm, als er das Buch eines Franzosen über das Leben jener Völker las. In seinem Gedicht stellt sich Leopardi die Frage vor, die jener Mann an den Mond und das unendliche Geheimnis der Nacht richtet: "Und ich, was bin ich?" Es ist dies die Frage des afganischen Hirten, doch es ist zugleich auch die des jüdischen Psalmisten, die frage von König David und die von Leopardi selbst.
Die Frage ist dieselbe, doch ausgehend von der Verschiedenheit der Antwort entwickeln sich - innerhalb der Dramen und Widersprüche - verschiedene Lebensgeschichten.
Für die jüdisch-christliche Tradition, der der Westen entstammt, hat jenes Geheimnis, vor dem der Mensch wie ein Verirrter und ins Leben Geworfener dasteht, im Menschen einen Sohn geliebt, ist in die Geschichte eingetreten und hat sich als positive Antwort für das fragende Ich erwiesen. Nicht in Form eines Gesetzes, das man verehren müsse, hat es sich der Person vorgeschlagen, auch nicht als ein Wesen, das vom Jenseits aus auf die Errichtung seiner Herrschaft auf Erden pocht, koste es was es wolle.
In der jüdischen Tradition und der christlichen Geschichte bildete sich die absolute Wertschätzung der Existenz des Einzelnen heraus, seiner unverkürzbaren Freiheit. Der unendliche ist mit unserer Existenz in "Beziehung" getreten, wie einsam und verlassen sie auch sein mag. Es hat der Person (sei sie begünstigt oder nicht, intelligent oder nicht, gesund oder nicht) das Fundament ihrer Freiheit enthüllt: dass sie von Gott gemacht ist, in Beziehung zu ihm steht und daher unantastbar ist.
Ein Mensch, der begreift, dass er und seinesgleichen von der Beziehung zum Unendlichen ausgemacht werden, ist dazu aufgerufen, sich und die anderen mit einem besonderen Blick zu betrachten, weil er den hohen Wert berücksichtigt, der auf dem Spiel steht; bei einer solchen Auffassung vom Ich entsteht eine Gesellschaft, die auf den Wert der Person, auf seine Verteidigung und seine Entwicklung acht gibt; es entsteht eine Gesellschaft, in der in erster Linie alles vom Menschen mit seinen Bedurfnissen abhängt, und die daher realistisch mit ihren eigenen Grenzen umgeht. Andernfalls setzt sich eine Wirklichkeit durch, in der das materielle, gesellschaftliche und institutionelle Leben nicht der Person angemessen ist, insofern sie von der Beziehung mit dem Unendlichen "charakterisiert" wird; wo Freiheit und Existenz keinen Wert haben und folglich instrumentalisierbar sind, bis hin zur völligen machtpolitischen Dienstbarmachung.
Genau an jener heute so dringend nötigen Erziehung zur Freiheit setzt unser Beitrag an.