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Editorial
Was die Liebe lehrt
Luigi Giussani

Um die Botschaft von Assisi nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.
Als Editorial bringen wir einen Beitrag von don Giussani, der am 3. Februar 2002 auf der Titelseite der italienischen Tageszeitung Corriere della Sera erschien.

Sehr geehrter Herr Chefredakteur,
wir können nicht verbergen, wie sehr uns die Art und Weise zu Herzen geht, in der Gott - durch den Papst und andere Religionsoberhäupter - die Menschen von Heute ganz unmissverständlich zur Besinnung gerufen hat. «Gerechtigkeit, denn es gibt keinen wahren Frieden ohne die Achtung der Würde der Personen und der Völker. Und dann auch Vergebung, weil die menschliche Gerechtigkeit der Brüchigkeit und den Grenzen der Egoismen von Einzelpersonen und Gruppen ausgesetzt ist.» rief Johannes Paul II. in Assisi, und er tat dies in der Gewissheit, dass Gott allein Gerechtigkeit schaffen kann. All dem habe ich, wie gesagt, mit Erregung beigewohnt, vor allem wegen des Elans des Papstes und der gespannten Aufmerksamkeit bei den Vertretern der anderen Religionen.
Wer immer nach einer Erziehung sucht, die schon bei den Eltern ansetzt, damit sie Frucht, gute Frucht, bringen kann, möge erkennen, dass er beim Papst gut aufgehoben wäre. Seine Menschlichkeit wirft ein so klares Licht auf die Geschichte, dass sie uns zur Richtschnur wird - und das umso mehr, je mehr sich die Herzen vieler Menschen, auch vieler gläubiger Menschen verhörten. Auf diese Weise erfüllt der Papst das Herz aller Gläubigen mit der Barmherzigkeit Christi, «der unser Friede ist. Er, der die beiden Teile (Juden und Heiden) vereinte, indem Er durch sein Sterben die trennende Wand der Feindschaft niederriss» (Eph. 2,14).
Eines ist sicher: folgt man wirklich der Auffassung, dass Gott die Barmherzigkeit ist, dann kann das Menschen dazu erziehen, zu leben, was in allen christlichen Katechismen mit dem Wort `Caritas' bezeichnet wird. Keineswegs möchte man dann die Haltung anderer geringschützen; vielmehr möchten wir unsere Eigenheit in aufrichtiger und aktiver Achtung für alle anderen bejahen. Dann nämlich könnten die Argumente, die sich dem Gespür der Gläubigen erschließen, auf breite Zustimmung bei dem erzieherischen Instinkt stoßen, der niemandem je ganz abhanden kommt, auch nicht der Schule oder den Zeitungen. Möge so die Macht der Zerstörung schwinden, denn die Aufrichtigkeit, die sich in einer solchen Haltung ausdrückt, ist eine intensive und vollständige Teilhabe an der Wahrheit des Lebens. Eine Aufrichtigkeit also, die «nicht zur Gegenüberstellung und noch weniger zur Verachtung des andern antreibt, sondern zum konstruktiven Dialog, in dem jeder, ohne in irgendeiner Weise dem Relativismus oder Synkretismus nachzugeben, sich noch stärker der Pflicht der Zeugenschaft und Verkündigung bewußt wird.»
Der Gott, der am Kreuz starb, um wiederaufzuerstehen, mache die Vernünftigkeit offenbar, die alle christlichen Gemüter - insbesondere die Jugend und die Mächtigen - in diesem Aufruf zur Besinnung erblicken müssen, den er Herr uns vernehmen lässt.
Der Papst ist Realist und hat deshalb alle zum Gebet eingeladen. Das Gebet stellt ja nicht einen letzten Versuch des menschlichen Dranges dar, die ersehnte Antwort zu erhalten, bevor er angesichts der entmutigenden Umstände endgültig verstummt, Beten «heißt nicht, vor der Geschichte und den Fragen, die sie aufwirft, zu fliehen».
Das Gebet, das heißt die an Gott gerichtete Bitte, ist wie ein Stoßtrupp des Menschen, mit dem er sich - eben nur in bestimmter Hinsicht unbewaffnet - in die tägliche Schlacht stürzt.
Dem Heiligen Vater ist für das Vorbild zu danken, das er Christen und auch Nicht-Christen stets gegeben hat auf dem Schlachtfeld, das diese Welt ist.