Wort unter uns
Der kühne Wille, die Welt menschlicher zu machen
Luigi Giussani
Wesentliches bei der Bildung einer christlichen Persönlichkeit.
Ein Text, in dem Luigi Giussani die Kennzeichen eines reifen
christlichen Lebens und seine möglichen Auswirkungen für das Leben
der Welt auf den Punkt bringt
Vorbemerkung
Den Glauben zu bezeugen ist die Aufgabe unseres Lebens. Denn
der Christ hat eine besondere Aufgabe im Leben. Sie besteht nicht in der
Ausübung eines bestimmten Berufes, sondern im Glauben: im Zeugnis
für den Glauben, innerhalb des je eigenen Standes.
Sei es in der Familie, sei es im Beruf, die ''eigentliche``
Aufgabe in allem ist das Glaubens- zeugnis. Dafür sind wir
auserwählt worden.
Johannes der Täufer verkündete in seinem
prophetischen Wirken, dass das Heil schon gegenwärtig sei, und zeigte es
den Menschen. Wir können die Haltung, die unsere Aufgabe als Christen von
uns erfordert, mit der seinen vergleichen.
Wir bringen unsere Persönlichkeit als Christen - gleich
ob wir Priester, Ordensleute, Arbeiter oder Akademiker, Familienväter
oder was auch immer sind - dann zum Ausdruck, wenn wir kundtun, dass das Heil
schon gegenwärtig ist, und indem wir es allen zeigen, es allen bezeugen.
Folgende Punkte scheinen mir bei der Erfahrung des
Christentums, wie wir sie machen, wesentlich:
1. Christus ist das Heil in der Geschichte und in der Existenz
Ein vom Leben getrennter Glaube ist letztlich nutzlos und
verliert sich, so wie auch ein Leben ohne Glauben unfruchtbar, zwecklos und
ohne allumfassendes Ziel ist. Glauben heißt anerkennen, dass Jesus
Christus das in der Geschichte und in der Existenz gegenwärtige Heil ist,
gegenwärtig, wie es Ehefrau oder Ehemann sind, Mutter oder Vater,
Freunde, Arbeitskollegen, oder wie die Ereignisse, von denen die Zeitungen
berichten, auch wenn von Seiner Gegenwart keine Zeitung spricht.
Das Heil betrifft nicht nur das Jenseits, es betrifft den
ganzen Menschen, den diesseitigen und den jenseitigen, auf Erden und im
Himmel. Und das um so mehr, als der Himmel die offenbar gewordene Wahrheit der
Erde ist. Und die Wahrheit der Erde ist Christus, wie der heilige Paulus im
Kolosserbrief sagt: "In Ihm hat alles Bestand`` (Kol 1,17).
Christus ist die erschöpfende Bedeutung, zum Beispiel
des klaren Himmels heute Abend, meiner Person, unser aller, der ganzen Welt.
Christus als Heil zu bejahen bedeutet daher, einen Weg aufzuzeigen, innerhalb
dessen sich alles verwirklichen und vollenden muss.
Die Zeit ist uns gegeben, um diesen Glauben, dieses
Bewusstsein reifen zu lassen, um die Anerkennung Seiner Gegenwart reif werden
zu lassen.
Christus ist für die Geschichte das, was die Sonne
für den anbrechenden Tag ist: die Morgendämmerung. Jemand, der noch
nie die Sonne gesehen hätte, der in immerwährender Nacht gelebt
hätte, wäre voller Staunen, wenn er zum ersten Mal die
Morgendämmerung sehen würde. Die Dinge würden beginnen, Gestalt
anzunehmen, wenn auch verschleiert und noch verschwommen. Wenn sich dieser
Mensch auch noch nicht die Sonne in der Mittagsglut vorstellen kann, beginnt
er dennoch zu ahnen, dass sich gerade etwas Neues ereignet, dass die
Morgendämmerung ein Anfang ist: der Anfang des Tages.
Die Erde, das Leben, die Geschichte sind für den
Christen wie der Anfang, wie die Morgendämmerung jenes hellen Tages,
für den Gott uns bestimmt hat. In der christlichen Erfahrung fängt
inmitten der Nacht, in die die Menschen versunken sind und in der sie die
Dinge gleichsam nur tastend erkennen, etwas an, durch das alles beginnt, eine
Bedeutung zu gewinnen. Der klarste Beweis dafür ist, dass dies auch
für die banalsten und alltäglichsten Dinge zutrifft. So erhält
auch die ''Routine`` eine Dimension der Erhabenheit und der laetitia, der Freude.
All dies kommt zum Ausdruck in jenem christlichen Akt, den
die Kirche ''Opfer`` nennt. Im Horizont der Endgültigkeit, die einen
solchen Akt kennzeichnet, gibt es nicht mehr ''kleine`` und ''große``
Dinge; alles wird vielmehr verwandelt innerhalb der Unermesslichkeit der
Beziehung mit Christus. Wer feststellt, dass das nicht bloß Worte sind,
sondern Lebenserfahrung, beginnt zu begreifen, worin die Auferstehung besteht,
worin die neue Schöpfung besteht, die bereits begonnen hat.
Dies heißt nicht, dass Schwäche und Sünde
verschwinden, sondern dass sich die Verzweiflung auflöst und dass der
Mensch durch all sein Böses hindurch und in dessen ständiger
Überwindung voranschreiten kann.
Als die Jünger zu Christus gingen und Ihn fragten: ''Bist
Du der, der kommen soll, oder müssen wir auf einen andern warten?``,
antwortete Er mit der Verheißung des Jesaja: ''Blinde sehen wieder, ...
Taube hören`` (Mt 11,3-5). Es war eine Botschaft, die von den von Herzen
Demütigen verstanden werden wollte, sie war nicht eigens für die
Schlauen und Intelligenten gemacht, auch wenn sie für alle offen war. Das
Jahr der Gnade des Herrn hatte begonnen: Seine Botschaft war eine Hoffnung,
die das ganze irdische Leben zu einem Fest machen konnte.
Das Erste und Bedeutendste, was durch eine christliche
Persönlichkeit hindurchscheint, ist das lebendige Bewusstsein, dass das
Heil (beziehungsweise die Befreiung, die Begriffe sind austauschbar) sich an
einem Ort verwirklicht, der im Leben des Menschen bereits gegenwärtig
ist: in Christus.
Das Gegenteil dazu bestünde darin, das Heil - das
heißt die Bedeutung des eigenen Handelns und des Handelns anderer, die
Bedeutung der Zeit und der Arbeit - in etwas zu suchen und festzumachen, das
von Menschenhand gemacht ist. Dies geschieht in unserem persönlichen
Leben, wenn wir z.B. jammern, dass unsere Träume, unsere Ansprüche
sich nicht erfüllen. Wir sind enttäuscht, weil wir unsere Hoffnung
allein auf die Kräfte des Menschen gesetzt haben. In der Nazi-Zeit
beispielsweise folgten tatsächlich viele Hitler, als sei er Gott, ja man
könnte sogar sagen, dass sie ihn anbeteten. Das gleiche gilt für
jene, die ihr Heil auf Lenin oder auf irgendeinen anderen Führer gesetzt
haben oder setzen. Der Führer ist in der Tat die Verkörperung der
Ideologie als Verkündigung einer Hoffnung, die in das Werk menschlicher
Hände gesetzt wird.
Es ist dies eine Alternative zum Christentum, es ist der
Standpunkt der ''Welt``, nicht aber der Standpunkt des Christen, weil der
Christ von Natur aus ''weltlichen`` Hoffnungen gegenüber skeptisch ist.
2. Die Wirklichkeit Christi ist in der Kirche gegenwärtig
Diese Gegenwart, die die Wirklichkeit Christi ist, findet
sich in der Gemeinschaft der Glaubenden, also in der Kirche. In der Kirche, so
wie Christus sie gegründet hat: mit der Autorität des Papstes, der
Hierarchie und dem geheimnisvollen Gestus des Sakraments, einem Gestus, der
auf das ganze Leben ausgreift, weil das Sakrament erzieherischen Wert für
das ganze Leben hat.
Seine Hoffnung und sein Heil auf Christus zu setzen, bedeutet
auch, seine Hoffnung innerhalb der christlichen Gemeinschaft beurteilen zu
lassen: in dem Stück Kirche, welches innerhalb des Umfeldes entsteht, in
dem wir leben, das vielleicht klein, kleinkariert oder voller Mängel ist,
denn es besteht ja aus Menschen wie wir, aber - wenn es der bestehenden
Autorität treu ist - ist es doch Funktion der
ganzen Kirche und ein Wegweiser für uns.
Deshalb besteht, von außen gesehen, die Methode des
Glaubens darin, eine Gemeinschaft aufzubauen und zu leben. Diese ist ein
Gefüge von Personen, die Christus als das Heil anerkennen und damit zur
ganzen Kirche gehören, die vom Nachfolger Petri geleitet wird. Christus
nicht nur als Heil für unsere Seele, sondern als Heil für das
gegenwärtige und zukünftige Leben, als Weg und Ziel: als Bestimmung.
Das Gegenteil zu diesem zweiten, für eine christliche
Persönlichkeit wesentlichen Punkt wäre es, die Beziehung zu Christus
auf die Beziehung mit dem Bild zu reduzieren, das wir uns von ihm gemacht
haben, eine individualistische Beziehung mit einem abstrakten Bild, dessen
konkreter Anknüpfungspunkt allein die Worte des Evangeliums wären,
je nach dem wie sie der einzelne deutet oder welcher exegetischen Richtung er
sich anschließt.
Die Gegenwart Christi offenbart sich dagegen durch die
Erfahrung der Kirche, innerhalb der Gemeinschaft, zu der man gehört;
deren Wert besteht folglich darin, dass sie uns an die ganze Kirche bindet und
uns auf sie hin öffnet. Es ist die Erfahrung, die Kirche an dem Ort zu
leben, an dem man steht. Die Gegenwart Christi wird dort erfahrbar, wo man die
Kirche vor Ort lebt: zu Hause, in der Pfarrei, in der Universität, in der
Fabrik, im Büro.
3. Das Bewusstsein des Glaubens als Frucht einer Begegnung
Das existentielle Bewusstsein dessen, was der Glaube ist (und
das heißt, was Christus ist), die lebendige Entdeckung des Wertes
unserer Einheit, unserer Communio (und das heißt, der Kirche), ist nicht
Frucht einer Überlegung und nicht einmal eines Studiums, es ist die
Frucht einer Begegnung.
Begegnung bedeutet das Ereignis der Beziehung zu einer Person
oder zur Wirklichkeit einer Gemeinschaft, in der es etwas so Authentisches
gibt, dass wir uns davon wie von einem Licht erleuchtet und zu einem anderen,
wahreren Leben herausgefordert fühlen.
In dieser Begegnung scheint der ganze Wert des Glaubens und
der geschichtlichen Wirklichkeit der Kirche auf, nicht abstrakt oder
theoretisch, sondern ganz real, und zwar so klar, dass unsere Person zu einer
umfassenden Antwort herausgefordert wird. Wenn eine Person wirklich von etwas
herausgefordert wird, spürt sie, dass ihr ganzes Leben ins Spiel kommt.
Wenn dem nicht so ist, wenn es nicht um alles geht, handelt
es sich noch nicht um die Entdeckung des Glaubens, sondern einfach um Formen
religiösen Wissens oder religiöser Praxis. Man kann daher
paradoxerweise sagen, dass das Christentum keine Religion ist, sondern ein Leben.
Das Gegenteil zu diesem Bewusstsein, das eine reife
christliche Persönlichkeit kennzeichnet, besteht darin, dass man die
Beziehung zu Christus und der Kirche mit einigen festgefügten Gesten und
nicht mit einer totalen Anhänglichkeit gleichsetzt - als ob Christus und
die Kirche mit bestimmten Bedürfnissen und Interessen des Lebens nichts
zu tun hätten. Wird mein Ich jedoch wirklich von etwas betroffen, dann
wird es unmittelbar und vollständig davon bestimmt und beeinflusst.
Dies nennt man Ganzheitlichkeit oder Integrität,
während die entgegengesetzte Einseitigkeit zu einem Ritualismus
beziehungsweise einem verwaltungs- oder vereinsmäßigen
Bürokratismus führt.
Christus erfüllt in der Tat meine ganze Person, die
Erfahrung der Kirche betrifft die Erfahrung meines ganzen Ichs. Christus und
die Kirche sind mein Heil, ich bin immer derselbe, ob ich esse oder trinke, ob
ich wache oder schlafe, ob ich lebe oder sterbe, wie der heilige Paulus sagt
(vgl. 1 Kor 10,31; Röm 14,8), ob ich studiere, arbeite oder was auch
immer ich tue.
Christus und die Kirche inspirieren mein Handeln zutiefst,
wirken in alles, was ich tue, hinein. Deshalb ist die Begegnung ein
''Ereignis``, das nach und nach auf eine bisher nicht gekannte Weise alle
Beziehungen - zu den Dingen und zu den Menschen - beeinflusst, selbst die Art
und Weise, wie wir mit unseren eigenen Sünden umgehen.
4. Die Fähigkeit, etwas aufzubauen, als Bejahung eines ''Anderen``
Diese tiefgreifende Inspiration strebt danach, ein
andersartiges Gefüge von menschlichen Beziehungen mit allen Personen zu
schaffen, vor allem aber mit jenen, die eine solche Inspiration anerkennen,
das heißt mit den Gliedern der christlichen Gemeinschaft.
Daher erweist sich die Gemeinschaft innerhalb ihrer Umwelt
als Ort einer andersartigen, menschlicheren Menschlichkeit, deren Grundregel
die Liebe ist.
Liebe, caritas, bedeutet, dass sich die Beziehungen als
Bejahung des anderen vollziehen und nicht als Selbstbehauptung. Denn den
anderen zu bejahen, heißt größer zu werden, zu wachsen.
Konkret entfaltet sich die Liebe als Aufmerksamkeit gegenüber der Person
des anderen, die darauf bedacht ist, sich seiner Situation anzugleichen, um
zusammen mit ihm all seine Not und Bedürftigkeit zu schultern.
Dies bewirkt, dass die Gemeinschaft, die entsteht, zur Quelle
unbegrenzter Initiativen wird. Diese bringen ein kleines Stück einer
Gesellschaft hervor, die menschlich ersehnenswerter ist, in der z.B. die
Geburt eines Kindes ein Anlass aufrichtiger Freude für alle ist, in der
die Hochzeit zweier Menschen aus der Gemeinschaft gleichfalls ein Grund zum
Feiern für alle anderen ist. Oder in der den Kranken geholfen wird, in
der die Wohnungssuche einer Familie von der ganzen Gemeinschaft mitgetragen
wird, soweit es den Möglichkeiten und der Freiheit des einzelnen
entspricht. Ich spreche hier nicht von einem Ideal, sondern von Dingen, die in
der christlichen Gemeinschaft getan werden.
Die Welt und die Gesellschaft verändern sich durch
Menschen, die schon in diesem Sinne verändert sind. Es gilt jedoch daran
zu erinnern, dass eine wirkliche Veränderung allein von außerhalb
des Menschen kommen kann. Von etwas ''Anderem``, radikal Verschiedenem. Das ist
die Gnade der Gegenwart Christi, die im Geheimnis seiner Kirche anerkannt und
geliebt wird. Diese Gnade nimmt tagtäglich Gestalt an in der kirchlichen
Gemeinschaft, die im eigenen Umfeld gelebt wird.
Das Gegenteil dieser caritas ist der Moralismus. Zu denken,
dass man gerecht sein könne, indem man Verhaltensmaßregeln
beachtet, indem man das Gute tut, und dabei dem eigenen Instinkt oder der
eigenen Auffassung folgend über die Nächsten, die Allernächsten hinweggeht.
Der Nächste ist zunächst jener, den Christus uns an
die Seite gestellt hat. Niemand steht uns näher, als jene, die ebenso wie
wir Christus als das Heil anerkennen: also unsere Brüder in der Kirche.
Durch sie, das heißt durch die menschliche Erfahrung
der Gemeinschaft, so wie sie sich abspielt, werden wir fähig, uns zu
bekehren, das heißt menschlicher zu werden, gerechter, reicher an
Initiativen auch für jene, die außerhalb der Gemeinschaft stehen,
für die ganze Gesellschaft, in der die Armen in bevorzugter Weise unserer
Zuwendung bedürfen. Es ist, wie wenn ein Stein in einen Teich fällt
und konzentrische Kreise zieht, die sich immer weiter ausbreiten und
vermehren. Den Ausgangspunkt kann man jedoch nicht umgehen. Dieser
Ausgangspunkt sind alle, die Christus uns zur Seite stellt: unsere Brüder
im Glauben.
Der Moralismus nimmt dagegen die eigene Meinung oder ein
Vorhaben des eigenen Gewissens zum Ausgangspunkt.
5. Die Gemeinschaft - Ort des Glaubens inmitten der Welt
Wie ich bereits sagte, steht die christliche Gemeinschaft als
Ort des Glaubens innerhalb des sozialen Gefüges, sie steht in der Welt,
sie ist ein Teil dieser Gesellschaft und dieser Welt mit all ihren Problemen
und beschäftigt sich auch mit diesen.
Sie tut dies, indem sie direkt als Organisation bei
bestimmten Problemen einschreitet; sie tut dies auch, indem sie ihre Glieder
zu einer Reife erzieht, die es ihnen ermöglicht, eigenverantwortlich zu
handeln.
Deshalb ist es Zeichen der lebendigen christlichen
Gemeinschaft, dass sie im Bewusstsein ihres Glaubens an Christus und im
Bewusstsein ihrer Zugehörigkeit zur Kirche alle Probleme der Gesellschaft
angeht - entweder direkt oder durch den Einsatz der einzelnen Glieder der
Gemeinschaft.
Bei diesem Einsatz gilt es zwei grundlegende Gesichtspunkte
zu beachten.
Erstens: Die Lösung eines Problems ist falsch oder
illusorisch, wenn sie nicht die Werte der kirchlichen Gemeinschaft
berücksichtigt, die Werte, aus denen sie lebt, das heißt ihr
Menschenbild und ihr Verständnis der Geschichte.
Zweitens: Das Bewusstsein der Zugehörigkeit zur
Gemeinschaft, das Bewusstsein unserer Einheit, unserer Communio, ist
entscheidender Faktor des Bewusstseins selbst, mit dem der Christ, auch als
einzelner, die größeren oder kleineren gesellschaftlichen Probleme
angeht. Die Gemeinschaft ist dabei der ideale Bezugspunkt, der das Bewusstsein
des Christen bei seinem Einsatz leitet, wenn er die ihm sich stellenden
Probleme angeht oder die Projekte anderer Menschen guten Willens
unterstützt.
Das Gegenteil zu diesem fünften Punkt hat zwei Aspekte:
Einerseits kann man das christliche Leben als etwas in sich
Geschlossenes auffassen, das keine Auswirkung auf die Probleme der
Gesellschaft hat, das heißt man hat keinen Bezug zu dem Kontext, in dem
man lebt.
Andererseits kann man den Einfluss des Glaubens und der
Kirche auf das eigene gesellschaftspolitische Handeln auf einen rein
äußerlichen Impuls reduzieren, auf eine bloße Anregung, als
ob die kirchliche Erfahrung den Menschen dazu drängen würde, sich
für die gesellschaftlichen Probleme zu interessieren, ihn ethisch
für bestimmte Probleme sensibilisieren wollte, ohne dabei jedoch Einfluss
auf die Art und Weise nehmen zu können, in der diese Probleme angegangen
werden.
Dies ist heute sehr wichtig. Man sagt z.B., das Evangelium
dränge einen, sich für die Armen einzusetzen - und das stimmt. Aber
wenn man hier Halt macht, dann reduziert man das Evangelium auf einen rein
ethischen, moralistischen Impuls. Das Evangelium hat aber auch etwas zu der
Art und Weise zu sagen, wie man das Problem der Armut angeht, wie man es
beurteilt und sich ihm gegenüber verhält.
In einem Vortrag zum Thema ''Der Christ und der Marxist``
hörte ich einmal die These: "Wer ist der wahre Christ? Einer, der
den Armen Gerechtigkeit verschaffen will. Wer ist der Marxist? Einer, der den
Armen Gerechtigkeit verschaffen will. Daher muss der Christ heute Marxist
sein." Dieser Gedankengang war damals weitverbreitet. Eine alte Frau, die
bei dem Vortrag war, hob die Hand und fragte schüchtern: ''Aber wo liegt
dann der Unterschied?`` Nach einem kurzen Moment der Verlegenheit antwortete
der Referent: ''Der Christ sieht im Armen Christus, der Marxist nicht.`` Darauf
erhob sich ein Freund von mir, der im Saal war, und sagte: ''Dann könnte
ich also sagen, der Christ sei ein Visionär.``
Wir sollten über diese Episode viel nachdenken, weil die
Antwort bedeutsam ist. Wenn Christus nicht die Art verändert, in der wir
die menschlichen Probleme angehen, ist Christus eine Phantasie. Deshalb ist
jeder Dualismus, der zwischen religiösen oder christlichen Menschen auf
der einen und bürgerlich-politischen Menschen auf der anderen Seite
unterscheidet, in meinen Augen einer der größten Irrtümer
unserer Zeit. Viele Getaufte leben mit dieser dualistischen Einstellung, nach
der der Christ nur in bestimmten Momenten ''Christ`` ist, bei bestimmten
Beschäftigungen, vornehmlich religiöser Art. Der Glaube bleibt
für den Rest der Zeit bestenfalls ein vager ethischer Impuls, bis auf
einige besondere Gelegenheiten ist der Christ ''ein Mensch wie jeder andere auch``.
Dagegen erfüllt jene Neuheit in der Welt, die der Glaube
ist, der von der authentischen Erfahrung einer Gemeinschaft getragen wird, das
ganze Leben. Der Glaube bringt ein andersartiges Subjekt, ein neues
''Geschöpf`` hervor. Das gesamte Handeln eines solchen Menschen, sein
Urteil über die Dinge, sein Menschenbild, seine Geschichtsauffassung,
seine Beziehungen und Verhaltensweisen werden unablässig von diesem
Glauben bestimmt und geprägt.
Der Glaube erfüllt das ganze Leben, er ist ein Vorschlag
für den Alltag.
Schlussbemerkung
Ich glaube, dass diese fünf Punkte mit ihrem jeweiligen
Gegenteil Gegenstand einer Arbeit sein können, durch die man ein
lebendiges, wirkungsreiches christliches Leben entdecken kann, eines, das auch
fähig ist, unseren Zustand als sündige Menschen zum einen und als
Kinder unserer Zeit zum anderen anzunehmen.
Um ein solches ''neues`` Leben leben zu können, brauchen
wir nichts als die Gnade und die Armut des Geistes, das heißt wir
müssen nur die Gegenwart Christi in der Welt anerkennen. Die Heiligen
sind Menschen, die den Plan Gottes, das heißt die Gegenwart Christi
anerkennen, und, indem sie Seiner Gegenwart nachfolgen, versuchen, zum Wohl
der Menschheit beizutragen, entsprechend derer wahren und tiefen Bestimmung.
Während sich alle Ideologien auf den Skandal und die Gewalt stützen,
besteht die Neuheit des Christentums in dem friedvollen Wunder des Lebens
eines Menschen, der in der Gemeinschaft der Kirche alles wagt.
Vor tausend Jahren reiste der Mensch auf dem Rücken
eines Maultieres und konnte menschlicher und glücklicher sein als der
heutige Mensch, der mit Düsenflugzeugen um die Erde jagt. Der
''Fortschritt`` ist wünschenswert, aber das menschliche Wohl ist nicht
notwendigerweise mit der Entwicklung der technischen Zivilisation identisch,
die sogar im Hinblick auf die Zivilisation des Menschen das Gegenteil bewirken
kann. De facto hat sie eine große Fülle an Dingen hervorgebracht,
die den Menschen unter dem Einfluss dieser Macht sich selbst entfremden.
Das Hauptproblem besteht in der Humanisierung des Menschen,
darin, dass der Mensch wahrhaft er selbst wird. Es ist Aufgabe der
christlichen Gemeinschaft daran mitzuarbeiten, indem sie dem Glauben des
einzelnen zur Reife verhilft. Dies ist der beste Weg, um Subjekte zu schaffen,
die die technische Zivilisation für den Menschen einsetzen. Wenn wir
beten ''Dein Reich komme``, dann bitten wir um das Heil für alle Menschen
auf der ganzen Welt.
Dies ist das Ideal - das Gegenteil aller Träume, Utopien
und menschlichen Wunschvorstellungen. Es ist dieses Ideal, dem es - mal mehr,
mal weniger - gelingt, alle Schritte auf unserem Weg zu verändern.
Deshalb ist das Ideal das Konkreteste, was es gibt. Dieses Ideal liegt im
Glauben, der unser ganzes Leben ist.
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