Editorial
Das Gebet - es hat Vorrang bei dem, der echte Alternativen wahrnimmt, die im eigenen Herzen beginnen
-
Jemand hat einmal gesagt, die Gewalt sei die Hebamme der Geschichte. Die
Gewalt: Motor, des Fortschritts und Hebel der konkreten geschichtlichen
Veränderungen. Allein ein Gewaltakt vermöge es, die allgemeine Lage
der Dinge zu ändern. Ganze Generationen sind von verschiedenen Ideologien
in diesem Geist erzogen worden. So kam es, dass die Gewalt weltweit um sich
griff und es immer noch tut. Jede Bluttat gebiert stets weitere, grausamere,
verwegenere Bluttaten. New York, Bali oder Moskau mögen als Beispiel
dafür stehen. Ebenso die vielen Kriege und Verfolgungen. Was jedoch
zunehmend auffällt, ist, dass in dieser Gewalt meist nicht die Wut einer
rasenden Menge zum Ausbruch kommt; dahinter steckt vielmehr das
wohldurchdachte Werk kühler Berechnung. Sucht man nach den Gründen
für solches Tun, drängen sich einem unversehens andere Gewalttaten
auf, die von den Opfern oder (was nicht dasselbe ist!) von den Regierungen der
Opfer begangen wurden, um gegen die Urheber der Gewalt vorzugehen. Beinahe
ohne es selbst zu merken, gerät man bei diesen Gedanken dazu, solches
Handeln zu rechtfertigen. Wir werden in die Spirale der Gewalt mit hinein
gezogen.
Die Welt erstickt im Hass. Wie lähmendes Gas dringt dieser Hass selbst
in unsere intimsten Beziehungen ein. Dies nicht zur Kenntnis zu nehmen
wäre naiv. Die Möglichkeit, dass der Mensch dem Menschen zum Wolf
wird, homo homini lupus, ist heute nicht weniger real als in vergangenen
Zeiten. Die Ursache dafür liegt nicht allein in der Menschennatur, die -
wie wir Christen wissen - wegen der Sünde
für das Böse anfällig ist, sondern eben auch in einer
Erziehung, die auf unterschiedlichste Weise die Gewalt zum geeigneten Mittel
dazu erklärt, die Wirklichkeit anzugehen und sie zu besitzen.
Das Gebet, das uns der Papst nachdrücklich gen Himmel zu richten
empfiehlt, hat nichts mit unnützen Frömmigkeitsübungen zu tun.
Es genießt einfach Vorrang bei dem, der echte Alternativen wahrnimmt,
die im eigenen Herzen, in der eigenen Vernunft ihren Ausgang nehmen.
Was begründet die Hoffnung in der Geschichte? Was ermöglicht es,
die Voraussetzungen für ein gerechtes Leben zu schaffen? Was gilt es zu
beachten, wenn sich die Dinge zum Besseren wenden sollen?
In manchen Ländern sieht man entlang der Straßen und Häuser
noch Bilder oder Statuen der Gottesmutter. Sie bezeugen einen Glauben, der
einst im Volk verbreitet war. Man hat sie dort, wo sie heute noch stehen,
aufgestellt, wie Paul Claudel schreibt, da der Mensch zum Beten keiner
besonderen Voraussetzungen bedarf. Er braucht dazu keinen Gebetsraum, muss
sich in keinem besonderen Gemütszustand befinden, braucht auch nicht
gerade das `Letzte Gericht' Michelangelos zu betrachten. Jemandem, der das
Drama in seinem eigenen Herzen kennt, genügt der unscheinbare Anblick
etwa einer Madonnenstatue, um an das großartige Geheimnis der
Menschwerdung zu denken und so mit der lebendigen Quelle der konstruktiven
Hoffnung in Berührung zu kommen. Dies gilt für die verborgenen
persönlichen Kriege, wie für die, die vor aller Augen geführt
werden. Das ``Ja'' Mariens und ihre Arme, auf denen sie einst Christus brachte
und den sie auch heute noch bringen - nämlich durch das Leben und die
Freundschaft unter den Christen - haben ein Volk hervorgebracht und in
Bewegung gesetzt. Die große Wallfahrt unserer Bruderschaft nach Loreto
war insofern ein großes Ereignis. Denn nicht die Gewalt, sondern allein
die Vertrautheit mit dem guten Antlitz des Geheimnisses rettet die Geschichte
- Stück für Stück, Ort um Ort, bis sie sich nicht gänzlich
in ihrer Bestimmung enthüllt hat. Sie macht uns aber auch
erfindungsreicher und ausdauernder in der Prüfung.
|