Editorial
«Ein gewisser Pazifismus schürt nur neuen Hass auf den Straßen»
Luigi Giussani
Als Editorial ein Artikel von Don Giussani aus
dem Corriere della Sera vom 25. Februar mit dem Titel
Sehr geehrte Redaktion,
In der Irakfrage spielen die entgegengesetzten Lager viele Argumente
und Vorwürfe gegeneinander aus. Dabei scheinen die Argumente oft
schlagender als die Vorwürfe zu sein. Die entscheidenden Aussagen
sind dann etwa: «Gleich welche Fehler die Vereinigten Staaten
machen, sie dürfen nicht von Bomben und Terrorismus zerstört
werden» oder: «Bei der Zerstörungskraft moderner Bomben
dürfen diese in keinem Fall der Willkür eines Tyrannen wie
Saddam überlassen bleiben.»
Sicherlich hat der recht, der fordert, dass sich alle Nationen der
Entscheidung der UNO unterstellen. Da aber eine Entscheidung, die einem
bestimmten Lager vollkommen gerecht würde, unmöglich scheint,
wird der Irak dazu verleitet, zu sagen: «Wenn die UNO auf Seiten
der USA und Großbritanniens stehen, respektieren wir sie nicht.»
Anderseits bekräftigen die Vereinigten Staaten und
Großbritannien: «Wir respektieren die UNO, wenn sie das
unterstützt, was wir sagen.» Beide Seiten haben somit ihre
Gründe, die sie zu der Aussage drängen: «Uns bleibt
nur der Krieg.»
Der einzige Weg aus diesem entsetzlichen Missverständnis besteht
darin, anzuerkennen, dass die eigentliche Lösung des Problems nicht
in Diskussionen und Verhandlungen besteht, selbst wenn dies
selbsternannte Friedensstifter behaupten und so de facto zu den
erbittertsten Kriegstreibern werden. Denn jede der kriegführenden
Seiten geht doch von der Annahme aus, der jeweils andere wolle mit
einem Krieg seine eigene Macht ausbauen oder der Übermacht des
anderen ein Ende setzen: den Befürwortern eines Militäreinsatzes
im Irak gehe es nur um die Erhaltung ihrer eigenen Macht; denen, die
sich den USA entgegenstellen, gehe es aber um die Erringung einer
Macht, über die sie derzeit noch nicht verfügten. Scheinbar
vermag nichts diesen Interessensgegensatz aufzulösen - außer
eben dem Einsatz von Gewalt. Damit würde aber das Recht des
Stärkeren triumphieren. Wer den anderen zum Schweigen zu bringen
weiß, der setzt sich durch. Eine Logik, die übrigens die
Anführer gewisser Friedensbewegungen nachdenklich stimmen
sollte, wenn sie nicht nur zusätzlich Hass schüren wollen.
Die Lösung
besteht nicht darin, sich auf die eine oder andere Seite zu schlagen.
Bei gesellschaftlichen Entscheidungen von einer gewissen Tragweite
kommt es darauf an, das Urteil über Gut und Böse auch im
Hinblick auf die Notwendigkeit der Erziehung der Menschen, und zwar
von Jung und Alt, zu fällen. Denn alle Menschen müssen ihre
Fähigkeit, das Gute und Rechte zu tun, aktivieren. Eine
Menschheit, die nicht dazu erzogen ist, den Menschen als Mensch zu
ehren und zu achten, d. h. wirkliche Gerechtigkeit walten zu lassen,
verstrickt sich immer mehr in dem Unheil, das sie selbst hervorruft.
In der Folge fühlt sie sich dann gezwungen, gegen die
selbstverursachten Übel vorzugehen. Dabei dient ihr das
vermeintlich gerechte Vorgehen im Kampf gegen das Böse zum
Vorwand dafür, selber Böses zu tun, also denselben Irrtum
zu begehen, den man eigentlich bekämpft, in diesem Fall den
Krieg. Die dramatische Lage, in der sich die Menschheit derzeit
befindet, besteht nicht eigentlich darin, dass die USA den Irak
zerstören wollen, um Vorteile daraus zu ziehen, oder darin, dass
Saddam den Westen bedroht, sondern vielmehr darin, dass keine Seite
eine Erziehung besitzt, die der Größe und der Tiefe des
Kampfes angemessen wäre, der sich hier unter den Menschen
abspielt. Wir haben es also mit einem Problem der Erziehung zu tun
und der einzige, der davon spricht, ist der Papst: niemand kann
nämlich über andere richten, der nicht dazu erzogen ist,
wahre Einheit und Gerechtigkeit zu stiften.
Das Schwerwiegende
an der Problematik, die momentan auf der ganzen Welt diskutiert wird,
ist die dahintersteckende Rebellion gegen die Wahrheit, der Ursprung
der Erbsünde, deren Folgen in jedem Menschen und der Menschheit
aller Zeiten wirksam sind. Daher ist die Gestalt Christi angesichts
all dessen, was geschieht, unverzichtbar - sie kann nicht
einfach ignoriert oder übergangen werden. Hier liegt der
Schlüssel - ja, der eigentliche Schlüssel! - zur
Wahrheit über den Menschen. (Wer daher die Christenheit aus der
Geschichte verbannen will, vernichtet damit die Menschheit). Aus
diesem Grund ist der Papst unsere Autorität. Er sagt zwei
grundlegende Dinge: erstens, dass in der Geschichte der Mensch
normalerweise den Weg des Krieges einschlägt, um Frieden zu
schaffen; hingegen gilt aber, zweitens, dass es des Friedens bedarf,
um den Krieg zu vermeiden.
In einer Lage, in
der niemand wirklich Frieden zu wollen scheint und die
vorgeschlagenen Wege, diesen zu erreichen, entsprechend verfehlt
erscheinen, ist es erst recht verabscheuungswürdig, den Krieg zu
suchen: es hieße, sich dem Massaker zu verschreiben. Wir sagen
daher Nein zum Krieg, den die USA um jeden Preis in den Irak tragen
wollen. Und doch sagen wir zugleich Ja zu Amerika, weil dort die
Möglichkeit besteht, eine Erziehung zu erhalten, die die
Sehnsucht des Menschen nach Frieden und Gerechtigkeit wach hält.
Wir fühlen uns
alle etwas niedergedrückt solange die Menschheit im Namen einer
Gerechtigkeit, die ungerecht handelt, ihren unmittelbaren Instinkten
folgt. Denn um Gerechtigkeit zu schaffen muss man sich, zumindest,
korrigieren lassen. Das Problem besteht darin, die Menschen zu dieser
Einsicht zu erziehen.
Die Frage der
Gerechtigkeit ist der Grund, weshalb Christus stets von Neuem
verurteilt und verfolgt wird - und zwar in seinem
geschichtlichen Leib, der Kirche. Die beste Weise, in der ein Christ
der Welt helfen kann, menschlicher zu werden, besteht demnach darin,
in jenem Urteil zu wachsen, auf Grund dessen die Welt dann enden
wird, wenn Christus den Vorgang der «Durchsäuerung»
vollenden wird, also am Ende der Welt. Die Auferstehung Christi ist
für die ganze Geschichte bis zu ihrem Ende gleichsam der Anfang
einer «Atombombe», die die Geschichte bei ihrer
Vollendung vollkommen beherrschen wird (sie wird sie beherrschen,
weil die vollkommene Herrschaft Christi am Ende steht). Aus diesem
Grunde liegt das Ende der Geschichte auch nicht in den Händen
eines Menschen, kein Mensch wird es je herbeiführen können,
vielmehr bleibt dies dem geheimnisvollen Ratschluss des Vaters
vorbehalten.
Der Papst nennt den
Krieg ein Verbrechen. Es ist der Krieg, der durch die Erbsünde
in die Welt kommt, und der in der Welt wegen der Sünden der
Menschen herrscht, also auch wegen unserer Sünden. Nehmen wir
also den Rosenkranz zur Hand und bitten wir die Gottesmutter, worum
uns Johannes Paul II. so inständig bittet, damit möglichst
wenig Verbrechen geschehen. Das Wesentliche ist also die Reife der
christlichen Berufung. Sie ist die Entfaltung der Menschlichkeit,
deren Beispiel Christus offenbart hat (und dies rundet diesen unseren
Gedankengang wirklich ab).
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