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CL - USA
Hoffnung dank einer Gegenwart
Michelle Riconscente

Gesellschaft, Studium, Arbeit und Familie. Über die christliche Erfahrung in diesen Bereichen sprach man auf einem Treffen von CL in Nordamerika vom 16.-19. Januar 2004. Tage auf denen sich die Einfachheit des Christentums neu dokumentierte als Begegnung, die das Ich aufblühen lässt und es auf die ganze Wirklichkeit hin öffnet. Motto des Treffens, zu dem 350 Verantwortliche aus den Gemeinschaften in über 100 Städten der USA und Kanada kamen, war der Ausspruch des römischen Rhetors Marius Victorinus anlässlich seiner Bekehrung: «Als ich Christus begegnet bin, habe ich mich meine Menschlichkeit entdeckt.» Einige Beispiele zur Veranschaulichung.

Gesellschaft

«Die Erfahrung des Christentums, so wie wir sie machen, ist eine Erfahrung, die es uns ermöglicht, mit beiden Beinen auf dem Boden der Tatsachen zu stehen.»

Julián Carrón

Eine Kellnerin bringt Wasser, während am Mikrofon die Beiträge aufeinander folgen. Sie hört zu und schenkt ein. Irgendwann bleibt sie stehen und sagt zu einem der Anwesenden: «Aber kann ich hier auch mitmachen? Weil, wissen Sie, das interessiert mich; und dann hätte ich gern, dass auch mein zwanzigjähriger Sohn teilnimmt.» Diese Episode, die sich in dem großen Hotel in Minneapolis abspielte, das die Versammlung der Verantwortlichen der Bewegung in Nordamerika beherbergte, ist kein Einzelfall. Sie belegt eine neuartige Art und Weise der Christen, in der Wirklichkeit zu stehen. Egal ob in gewöhnlichen oder in extrem dramatischen Situationen. «Voriges Jahr, als wir alle gemeinsam ein Tischgebet sprachen, wartete Alexandra, die Kellnerin, mit dem Servieren des Kaffees. Sie habe uns ja nicht stören wollen. Wir kamen ins Gespräch. Sie kam aus Frankreich und war als Saisonarbeiterin in den USA, um Englisch zu lernen. Sie sagte mir, dass sie Minnesota langweilig fand, also habe ich sie zu mir nach Hause eingeladen. Sie war überrascht, nahm aber an. Damit begann eine Freundschaft, die letzten September in die Entscheidung gemündet ist, sich taufen zu lassen.

Weiteres Beispiel: Vor den Weih-nachtsferien hatte Fedis Lehrerin den Schülern gesagt, dass sie ihren Mann ‘rausschmeißen’ wolle. «Alle Mädchen haben sie in ihren Vorhaben bestärkt: ‘machen Sie weiter, fühlen Sie sich frei!’ Aber jedesmal, wenn sie von Trennung sprach, erzählte ich ihr von meinen Eltern und von ihrer Beziehung zueinander, seit meine Mutter krank geworden war. Die anderen Mädchen denken, ich sei blöd, aber als ich von den Ferien zurückgekommen bin, sagte die Lehrerin zu mir, dass sie ihren Mann nicht mehr aufgefordert habe zu gehen, vor allem weil sie sich wünschte, so bei ihrem Mann zu sein wie meine Eltern beieinander sind, und so bei ihren Kindern zu sein, wie meine Mutter bei mir ist. Ich weiß, dass ich Grenzen habe, aber ich wurde von etwas Größerem ‘heimgesucht’.»

Im Norden Kaliforniens unterrichtet Holly in einer Schule, die dieses Jahr mit dem Tod eines Lehrers und zweier Schüler in der letzten Klasse fertigwerden musste. «Etwas, das mir absolut bestätigt hat, dass Christus da ist, ist die Tatsache, dass ich das alles mit meinen Schülern und meinen Kollegen angehen konnte, ohne sentimental zu werden. Die Kraft dazu kam nicht allein von mir, sondern auch von der Begleitung durch die Gemeinschaft.»

Im ganzen Land war der Irakkrieg eine Herausforderung zur Stellungnahme. In einer Gemeinschaft in Texas traf man sich, um über das Flugblatt ‘Nein zum Krieg, ja zu Amerika’ zu sprechen (vgl. Spuren Juni 2003. «Auch wenn wir mit dem Flugblatt nicht 100%ig einverstanden waren, hat es uns allen doch geholfen, die Wirklichkeit anders zu betrachten, mit den Augen der Bewegung und der Kirche. So haben wir gelernt, auf andere Weise uns selber anzuschauen, unsere Beziehung zu Christus und unsere Freunde. Zum ersten Mal in der Geschichte unserer kleinen Gemeinschaft hier in Houston waren wir herausgefordert von der Tatsache, dass Christus und die Kirche (durch unsere Bewegung) etwas sind, was alle Aspekte der Wirklichkeit betrifft. Auch solche Aspekte, die normalerweise hier in den USA nicht zu dem zählen, was die Leute sich unter religiöser Erfahrung vorstellen. Bei dieser Gelegenheit haben wir erfahren, dass Christus der ‘Eckstein’ ist.»

Studium

«Wir geben unserer Sehnsucht authetischen Ausdruck, wenn wir bitten und betteln.»
Julián Carrón

Die Gemeinschaften von CL-Studenten (CLU) sind in den USA für gewöhnlich sehr klein, meist bestehen sie nur aus ein oder zwei Personen pro Campus, der ohne weiteres vierzigtausend Studenten zählen kann. Solche Umstände zwingen dazu, alle Seiten des Studentenlebens nicht nur als notwendigr Übergangszeit bis zu einer künftigen Zeit der Erfüllung zu leben, sondern als Suche nach Sinn schon in der Gegenwart. Das hat einige dazu gebracht, in ihrer Umgebung etwas zu wagen. Diesen Herbst haben Katie, Mary und Brian in Kalifornien eine Begegnung auf ihrem Campus organisiert, über den Sinn, an der Uni zu sein. Für Katie war die Erfahrung die, «mich selbst ins Spiel zu bringen mit etwas, von dem ich weiß, dass es mich glücklich macht», indem sie Freunde und Professoren einlud und Hunderte von Flugblättern an Passanten verteilte.

In Texas haben Luca und Vittorio auf das Thema der Exerzitien des CLU im letzten Mai gesetzt: «Die Antwort auf unsere Sehnsucht ist Fleisch geworden» und haben Monsignore Albacete eingeladen. Hundertzwanzig Leute kamen zu seinem Vortrag, den er zusammen mit ihrem Pfarrer hielt. Nachdem dieser Monsignore Albacete gehört hatte, verzichtete er auf seinen eigenen Beitrag und begann, Fragen zu stellen! Be der Diskussion sagte Luca: «Zu sagen, was uns beschäftigt ist einfach: Arbeit, Studium, Mädchen! Die Art und Weise, diese Probleme anzugehen, lerne ich von Monsignore Albacete, der Freundschaft mit euch, von dem, was Don Giussani uns sagt. Ich habe verstanden, dass unser Ausgangspunkt die Sehnsüchte sind, auf die man eine Antwort sucht. Die Leute nehmen dasd durchaus wahr und man sieht ihnen an, dass sie glücklich sind über das, was ihnen geschehen ist.»

Auch die Fotografiestudentin Jennifer aus Kalifornien neldete sich zu Wort. Im letzten Oktober wurde bei ihrer Mutter, einer Anhängerin der Scientology-Church, Krebs diagnostiziert. «In der Folge blieb ich viel zu Hause bei meiner Mutter und dabei konnte sie die Zuneigung meiner Freunde zu mir und zu ihr sehen. Nach acht Jahren hat sie endlich verstanden, was es bedeutet, frei zu sein.» Eines Tages war Jennifer dabei, wie ihre Mutter erklärte, dass sie, nach der Lehre von Scientology, an Krebs erkrankt sei wegen eines Fehlers, den sie gemacht hatte. «Als ich diese Worte hörte, konnte ich nicht schweigen. Ich fragte sie, welche Entscheidung ihr den Krebs eingehandelt habe, und sie antwortete, dass es die Entscheidungen in Bezug auf die Familie gewesen seien. Ich habe ihr geantwortet, das sie mich gut aufgezogen habe, dass ich sie lieb habe und dass es nicht wahr sei, dass sie wegen ihrer Entscheidungen an Krebs erkrankt ist.» «In diesen Monaten, ob ich nun bei meiner Mutter gewacht, eingekauft oder die Hunde ausgeführt habe, habe ich Christus gebeten, gegenwärtig zu sein, und ich war glücklich wie seit Jahren nicht mehr. Mich beeindruckte die Tatsache, dass ich morgens aufstehen konnte aufgrund „einer inneren Explosion des Faktums Christi“, wohlwissend, dass meine Mutter schwer krank ist, wobei ich aber dennoch zugleich das Leben sehr intensiv gelebt habe.»

Arbeit

«Als ich hier angekommen bin, habe ich vom ersten Augenblick an die Leute von ihren Erfahrungen berichten hören. Hier liegt das grundlegende methodische Problem.»
Julián Carrón

Verschiedene Zeugnisse vom Arbeitsplatz belegten, dass man sich zunehmend eines Ereignisses bewusst wird: der Gegenwart Christi. Ihre Wirkung kam in diversen Beschreibungen scheinbar unmöglicher Beziehungen unter Kollegen zum Ausdruck, die dann in eine Freundschaft gemündet sind. Für Dino etwa begann alles mit einer ethischen Frage, die eine Kollegin während der Kaffeepause gestellt hatte. «Ich habe zu ihr gesagt: ‘Du kannst nicht von Ethik sprechen, ohne Christus als Gegenwart aufzufassen.’ Dreimal ist sie darauf zurückgekommen und hat mich gefragt: ‘Was heißt das?’» Seitdem haben die beiden angefangen, zusammen über das Buch Der Religiöse Sinn zu arbeiten.

Aus über 1.600 Kilometern Entfernung musste Giorgio um seinen Arbeitsplatz in einem medizinischen Labor in Chicago kämpfen. «Meinen Chef anzunehmen oder den Kollegen, der mit mir in wildem Wettbewerb um die besseren Ergebnisse steht, ist etwas, was ich versuchen kann, mit meinen Kräften zu bewältigen, aber es würde mir nicht lange gelingen. Um auf andere Weise arbeiten zu können, habe ich es vor allem nötig, selbst angenommen zu werden. Meine Freiheit liegt darin anzuerkennen, dass ich zugehöre. Dann sehe ich, dass das Leben besser ist. Zum Beispiel kann ich mit meinen Kollegen zusammenarbeiten dank meiner Erfahrung in der Bewegung, die uns verändert, uns intelligenter macht, fähiger, Beziehungen zu den anderen zu knüpfen.»

Sich seiner Zugehörigkeit bewusst zu sein, hält auch Paolo für entscheidend: «Durch meine Arbeit als Architekt habe ich in der Beziehung mit den Leuten um mich herum entdeckt, dass die Subjektivität meines Seins nur innerhalb einer Zugehörigkeit existieren kann, die meinem Alltag Wert gibt, mein Ich erhöht und bereichert.» Und Christoph, Dozent für Theologie, bemerkte: «In meinem Beruf ist das vorherrschende Kriterium die Vernunft als Maß aller Dinge. Ich bin fünfzig und mache das nicht mehr mit. Ich will nicht mehr schreiben oder lesen nach dem herrschenden Kriterium meiner Disziplin. Ich muss – und das ist ein sehr schmerzhafter Vorgang, aufgrund der rationalistischen Haltung, die inzwischen in mir Wurzeln geschlagen hat – eine neue Art und Weise wiederentdecken, von der Erkenntnis der Wirklichkeit zu sprechen, von der Vernunft und der Erfahrung. Bevor ich mit den anderen in der akademischen Welt von all dem reden kann, muss ich die Wirklichkeit gemäß meiner Erfahrung und Zugehörigkeit wiederentdecken.»

Steve, ebenfalls Professor, war gebeten worden, vor allen Studenten im ersten Semester zu sprechen. «Wir sind Träger des Sinns der Welt. Als ich gefragt habe, warum sie mich ausgewählt haben, haben sie geantwortet, dass viele Mitarbeiter des Instituts von mir beeindruckt waren. Ich habe mit Ihnen nicht explizit von Christus gesprochen. Sie konnten in mir einfach eine neue Art und Weise sehen, in der Universität präsent zu sein.»

«Vielleicht war mein größter Wunsch immer der, etwas Großes, Nützliches, Wichtiges für die Welt zu leisten. Ich habe meine Karriere der Wissenschaft gewidmet.» Über dreißig Jahre lang hatte sich Massimo, von Beruf Astrophysiker, mühsam einen Weg nach oben gebahnt, bis er schließlich eine Beschäftigung am stärksten Teleskop der Welt erhielt, dem Hubble Space Telescope. «Gestern morgen hat der Chef der NASA mein Projekt gestrichen. Hundert Millionen Dollar und fünf Jahre Arbeit hinweggefegt - in einem zehnminütigen Gespräch. Seit gestern steht mein Leben auf dem Kopf. Ich wollte etwas Großes leisten, und was ist jetzt daraus geworden? Welchen Sinn hat das, was ich und meine Kollegen in diesen fünf Jahren gemacht haben? Wenn ich darüber nachdenke, dann ist das, was bleibt, die Art und Weise, wie ich Tag für Tag vor meinem Computer gesessen und vor meinen Kollegen gestanden habe. Was sie gesehen haben, was ich gesagt und nicht gesagt habe, mein Schweigen, meine Witze, meine Fragen. Die Menschlichkeit, die meine Kollegen in mir gesehen haben, kann nicht gestrichen werden. Das Zeichen, das ich setzen wollte, ist nicht ein technisches Instrument, sondern meine Gegenwart, die Freunde, die ich getroffen habe, das, was ich in meinem Herzen trage: Christus. Und das ist die Wissenschaft unseres Lebens, unsere Arbeit.»

Familie

«Wenn ich meine Menschlichkeit entdeckt und eine Veränderung erfahren habe, die meine Person angeht, dann deshalb, weil ich Christus begegnet bin.»
Julián Carrón

Dieses Jahr mussten viele mit schweren Krankheiten und Schwierigkeiten in der Familie und am Arbeitsplatz fertigwerden. Dies hat sich in eine Bitte an Christus verwandelt, der mit dem Hundertfachen geantwortet hat. Denken wir an BJ aus Kalifornien, dessen Geschichte beinahe unglaublich erscheint. Er hat ein Melanom, und dieses Jahr wurde bei seiner Mutter und bei seiner Schwester Nancy Krebs festgestellt. Weil sie keine Krankenversicherung hatte, bestand das ‘Ja’ für Nancy darin, die Hilfe von Fremden aus Italien anzunehmen, die ihr medizinische Betreuung verschafft, sie in ihren Häusern untergebracht und wie in einer Familie aufgenommen haben. Dort hat sie auch die Bewegung kennengelernt. «Sie haben mir gezeigt, dass Gott wirklich gegenwärtig war in der Menschlichkeit, die sie mir entgegenbrachten.» Während ihres Aufenthaltes in Italien las Nancy in Traces einen Artikel über den heiligen Riccardo Pampuri und verstand, dass er der Heilige war, den ihr Bruder BJ angerufen hatte. Bevor sie operiert wurde, fing auch sie an zu beten, und zum allgemeinen Erstaunen fanden die Ärzte keinerlei Anzeichen eines Tumors. Zusammen mit ihren neuen Freunden machte sie eine Dankwallfahrt zur Kirche des Heiligen in Trivolzio. Für Nancy und BJ war das ein Wunder, das über die physische Heilung hinausging (auch BJs Melanom ist wunderhafterweise zurückgegangen). «Inmitten der Verzweiflung geschah ein Wunder. Nicht nur Heilung, sondern Antwort auf mein ganzes Sein wurde mir zuteil.»

Ein Ehepaar an der Ostküste bekam keine Kinder. Als sie sich mit den Möglichkeiten auseinandersetzen mussten, die ihnen von der Klinik vorgeschlagen wurden, hatten sie Giussanis Worte über die Jungfrau Maria noch sehr gut im Ohr: «Sie setzte dem Geheimnis keine eigene Methode entgegen». So verzichteten sie zum großen Staunen der Ärzte auf die Möglichkeit der In-vitro-Fertilisation. «Wir haben nein gesagt, und ein Arzt hat angefangen zu fragen warum, und so entstand eine Beziehung. Diese Woche bin ich zur Klinik gegangen, der Arzt hat mir gesagt, dass er wisse, dass ich auf dem Weg zu einem Treffen war, und fragte, um was es sich handele. Ich erzählte ihm von dem Treffen hier; er machte die Tür zu, setzte sich hin und sagte zu mir: ‘Sie sind die einzige, die mit einer positiven Perspektive hierher kommt.’ In dem Maße, wie wir ‘Ja’ sagen zu den Umständen, weitet sich unsere Sehnsucht und wir lernen zu sehen, dass sie schon erfüllt ist, zum Beispiel durch die Begegnung mit einer bestimmten Person. Wir schauen auf unsere Sehnsucht nach einem Kind im Bewusstsein, dass es nicht nur für uns ist, sondern die Art und Weise, wie Gott uns dazu erzieht, am Sein teilzunehmen. Unsere Sehnsucht ist uns gegeben, um von etwas angezogen zu werden und um uns zu Protagonisten Seines Plans zu machen. Deshalb bitten wir inständig die Jungfrau Maria, dass unser ‘Ja’ für alle sein möge.»

Eines Nachmittags kam Dannys Kind von der Schule nicht nach Hause. Als sie es später wiederfanden, wie es ganz in der Nähe herumschländerte, wich Dannys Angst dem Zorn. «Ich betrat gerade sein Zimmer, und da geschah etwas mit mir: als ich die Tür öffnete, waren meine Vorwürfe wie weggeblasen. Ich sah auf meinen geliebten Sohn nicht wie auf jemanden, der möglichst gehorsam zu sein hätte, sondern wie auf jemanden, der mir gegeben ist. Diesen neuen Blick habe ich mir nicht selbst gegeben. Es war der Blick Christi auf mich selbst, voller Barmherzigkeit und Liebe.»