Aufmacher
Das Maß aller Dinge
Luigi Giussani
Mitschrift der Beiträge von Don Giussani bei zwei Treffen der
Memores Domini. 30. Mai 2004 und 13. Juni 2004
Entschuldigt bitte, wenn ich vielleicht übertreibe in meiner Sorge,
aufgrund derer ich mich zu Wort melde; ich möchte meine Dankbarkeit
für die wenigen Minuten, die ich euch zuhören konnte, zum Ausdruck
bringen: ich bin geradezu überwältigt von dieser menschlichen
Sensibilität, dieser Lebendigkeit, die so voll ist von Dingen, die ihr
erwartet, beobachtet oder schon erlebt und durchdrungen habt.
Mit meiner schwachen Stimme danke ich euch dafür und bitte euch
gleichzeitig darum, nichts verloren gehen zu lassen von dem Glück, das
euch widerfahren ist, als ihr in der Geschichte eures Lebens – und somit
in der Geschichte eurer Welt – diese Gemeinschaft gefunden habt.
Don Pino (Don Stefano Alberto, A.d.R.) hat mit der gewohnten Genauigkeit,
voller Leidenschaft und Engagement, vom Menschen gesprochen, der sich zum
Maß aller Dinge macht. Ich denke, dass unter all den Formulierungen,
mit denen ihr eure Meinung über die besprochene Situation zum Ausdruck
gebracht habt, diese Formulierung von Don Pino die vollkommenste ist.
Der Mensch als Maß aller Dinge: das ist der Feind, der einzige Feind
Christi. Der Mensch als Maß aller Dinge.
So sehr macht sich der Mensch bisweilen zum Maß aller Dinge, dass er, je
mehr er die Augen und die Ohren des Herzens öffnet und aufmerksam lauscht,
um zu vernehmen, was in das Bewusstsein unseres Lebens eindringen könnte
– nämlich die Gegenwart dieses Geistes, die Gegenwart dieser
undenkbaren Präsenz - , sein Leben dann von allen Seiten her
‘bewegt’ wird, aber nicht wirklich ‘bewegt’, sondern
‘bewegt’ wie das aufgewühlte Meer, wenn bei ruhiger See mehr
oder weniger schnell Wind aufzieht.
Dieses Wogen der Wellen unseres Herzens
angesichts des Problems, was das letzte Maß aller Dinge ist, möge
uns dabei helfen, auch den Weg zu verstehen, den es zu beschreiten gilt, damit
unser Blick auf die Welt wahrhaft erleuchtet werde und erleuchte.
Danken wir dem Herrn für die
große Gelegenheit, für die größte Gelegenheit unseres
Lebens. Er lasse uns gegenüber diesen unseren Weggefährten und
gegenüber demjenigen, der diese Gemeinschaft leitet, so dankbar sein, dass
wir niemandem irgend etwas vorenthalten und mit der Hingabe, wo immer
möglich, nicht geizen.
Ich danke euch sehr. Denn - tut mir leid -
ich wollte eben diesen Gedanken mitteilen, weil der Mensch, der sich für
das Maß aller Dinge hält, einfach derart unglücklich ist;
überall ist man dazu gezwungen, diese Böswilligkeit zu
überwinden, die man übernommen hat.
Ich danke euch wirklich sehr. Ich hoffe von
euch zu hören; ich hoffe, dass ihr mir auch von euren zukünftigen
Treffen die Mitschriften zukommen lasst, denn das ist ein Punkt, auf den wir
zurückkommen müssen, auf den ihr – zusammen mit Don Pino und
uns allen – unbedingt zurückkommen müsst.
Danke!
(An Novizen der Memores Domini)
Ich danke dir, Pino, dass du mich kurz
mitteilen lässt, wie sehr ich den Beiträgen, die ich gehört
habe, zustimme, bis in ihre letzten Nuancen hinein; mir ist klar geworden, dass
es einen gewissen Widerstand gibt, so viel Reichtum anzuerkennen und das
Geschenk, das uns gemacht wurde, zu akzeptieren. Es gibt einen Widerstand,
dessen wirkliches Wesen und wahres Gesicht zu beschreiben mir nicht recht
gelingen will; vielleicht deshalb, weil ich noch nie so stark den Unterschied
verspürt habe zwischen bestimmten Momenten, oder einem bestimmten Moment
des Lebens, und dem, was mich mit dem Leben anderer verbunden hat.
Daher möchte ich mich darauf
beschränken, meine Sorge dahin gehend zum Ausdruck zu bringen, dass eine
Treue nötig ist, die
sich Gebet nennt: eine Treue, die sich als Gebet entwickeln und verwirklichen
muss. Darüber hinaus gibt es einen Mangel von der Art, dass er dazu neigt,
auch den Rest auf gefährliche Weise zweifelhaft werden zu lassen. Die
Erfahrung des Faktums Christi dagegen – in der Form, in der Ihm vom
Willen des Vaters ermöglicht wurde, sie uns zu geben – geschieht auf
eine einzige Art und Weise: in der Treue zum Gebet. Das Gebet in seiner –
ich würde geradezu sagen – Banalität, einem schon geschehenen
Faktum anzuhängen, einer Sache, in deren Nachfolge man sich bereits
begeben hat.
Mir ist klar geworden, dass die
Beobachtungen dadurch interessant werden, dass man sich bewusst wird, was es
bedeutet, mit dem Beten zu beginnen: was dieser letzte Verweis auf eine
unausweichliche Präsenz bedeutet, auf eine Präsenz, die Don Pino
vorhin zum zentralen Punkt
seiner Betrachtungen gemacht hat. Ansonsten dominiert dieser leere Widerhall
des Nichts in meinem Ich in seiner Beziehung zu Gott, wenn es sich nicht als
Bitte und Gebet zum Ausdruck bringt.
Entschuldigt bitte, auf die Aufforderung
hin, anlässlich eines Festes in Chieti zu Ehren des heiligen Kamillus von
Lellis ein Telegramm dorthin zu schicken, habe ich mir erlaubt, im Namen aller
folgendes zu schreiben: «‘Der Glaube ist ein Gehorsam des Herzens
gegenüber jener Gestalt der Lehre, der wir anvertraut wurden’.1
Mit aller Leidenschaft meines Herzens
als Mensch wünsche ich euch,
dass eine derartige Liebe euer ganzes Leben inspirieren möge; sie werde
zur tapferen Großzügigkeit gegenüber allen Menschen, denen ihr
begegnet.»
Heute morgen war mir mein Altsein
hinderlich, ohne dass ich es hätte voraussehen können, doch ich bin
hierher gekommen und habe gesehen, dass dieses Altsein einen genau
entgegengesetzten und auf direkte Weise für mich entscheidenden Effekt
hatte, denn etwas besseres als den Beitrag heute morgen von Don Pino habe ich
selten gehört, und selten gab es in diesen Jahrzehnten ein Treffen, das so
reich und klar und gefühlsmäßig so herausfordernd war!
Gut. Ich danke euch sehr, und entschuldigt bitte.
(An Verantwortliche der Memores Domini)
1 Joseph Ratzinger anlässlich der Präsentation des Katechismus
der Katholischen Kirche, in L’Osservatore Romano, 20. Januar 1993, S.5.
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