Film - The passion
Die sakrale Dimension realistischer Darstellung
Marco Bona Castellotti
Viel wurde über Gibsons Film Die Passion Christi geschrieben.
Ein Kunsthistoriker zieht sein eigenes Fazit mit Blick auf den Realismus
im Werk von Caravaggio, von dem sich der australische Regisseur nach
eigenem Bekunden inspirieren ließ
Die Debatte über den Film Die Passion Christi von Mel Gibson vollzog sich
mehr auf ideologischer als ästhetischer Ebene. Was nicht verwunderlich ist,
denn so laufen die Dinge, den Gesetzen der kollektiven Hysterie folgend, heute
eben.
Die wenigen Urteile ästhetischer Natur wurden mit solchen ethischer Natur
verflochten und brachten meist äußerste Entrüstung zum Ausdruck.
Vergleichbar sind sie mit den Aussagen der Moralisten der Gegenreformation
(etwa den unversöhnlichen Kunsttheoretikern, die durchsetzten, dass die
Nackten der Sixtinischen Kapelle bedeckt werden sollten).
Mancher Laie und mancher Katholik von heute macht dabei
mindestens ebensoviel Wind wie einst rückständigste Klerikale, wenn
es um die Darstellung des Heiligen ging, denn genau darum geht es in diesem
Film dank Mel Gibson endlich wieder. Die realistische Darstellungsweise des
Films hat ihre Wurzeln in einem tiefgründigen Realismus, von dem
zahlreiche Strömungen der darstellenden religiösen Kunst geprägt
worden sind. Als realistischer Film steht er zugleich in einer Reihe ganz
unterschiedlicher Werke der Filmgeschichte der Nachkriegszeit. Dies kommt vor
allem in dem Bestreben nach möglichst wahrheitsgetreuer Darstellung der
geschichtlichen Ereignisse zum Ausdruck. Einer Darstellung, die das ganze
Ausmaß an Brutalität zum Ausdruck bringt – ganz so wie es
übrigens die nachtridentinischen Traktate zum Thema der Darstellung des
Heiligen vorschreiben. Dennoch lässt der Film auch Raum für Reisen
ins Reich der Phantasie - unverzichtbar für jegliche filmkünstlerische
‘Fiktion’.
Kontraste von Licht und Schatten
Für gewisse realistische Szenen
– etwa die flash backs – beruft sich Gibson nach eigenen Aussagen
auf die Malerei Caravaggios. Ich würde hingegen sagen, dass es sich um
einen der zahlreichen Fälle von ‘Pancaravaggismus’ handelt,
das heißt um den ebenso überzeugenden wie anregenden Gebrauch des
Kontrastes von Licht und Schatten, nicht aber um Zitate caravaggesker Inhalte
im philologischen Sinne. Darauf
zielte Pasolini mit seinem Film La ricotta ab, der ganz von einem florentiner
Manirismus geprägt ist.
Aber ist natürlich hochinteressant,
dass ein moderner, stattlicher Australier wie Gibson sich auf einen antiken
Bergamasken wie Caravaggio beruft, und dabei ein Werk von solch religiöser
Aussagekraft erschafft. Es ist der Gegenbeweis dafür – wenn es
dessen überhaupt bedürfte –, dass der von einigen der
Häresie beschuldigte Caravaggio sich auch heute noch bestens für
religiöse Darstellungen eignet. Man müsste hier
selbstverständlich präzisieren und die künstlerische
Sensibilität Gibsons einer Frühform des caravaggesken Realismus
zuordnen, die freilich mitunter charakterbildend für den großen
Maler war. Gemeint ist die Art der
figürlichen Darstellung der mittleren Jahrzehnte des 16.Jahrhunderts, als
insbesondere der leidenschaftliche Streit unter den spanischen Mystikern
kulturprägend wurde.
Ikonographische Revolution
Es ist bekannt, dass Gibson die Bücher
der deutschen Mystikerin Anna Katherina Emmerich zu Rate gezogen hat, die
einige der grausamsten Szenen des Leidens Jesu ganz detailliert beschrieben
hat. Eine derart blutige Betrachtung der schmerzreichen Geheimnisse in der
Kunstgeschichte findet sich in
zwei geographisch wie zeitlich recht weit voneinader entfernten Gebieten: in
dem von deutscher Kultur geprägten Teil Europas des 15. Jahrhunderts und
im Spanien des 17. Jahrhunderts. Dass Gibson die bildhauerische Tätigkeit
dieser Kulturen, vornehmlich aus Holz und Terracotta gebildet, kennt, ist eher
unwahrscheinlich. Auch kann ich mir kaum vorstellen, wie er auf sogenannten
heiligen Bergen in den Alpen herumschlenderte, wo die Künstler mit ihren
hyperrealistischen und lebensgroßen Darstellungen der Passionsszenen
nicht an Blut gespart haben. Gibson ist von Natur aus Realist – dies
beweist er in jedem seiner Filme; seine Kultur steht sogar in Gegensatz zu
jeglicher Form von Idealisierung. Dies unterscheidet ihn von dem entrüsteten
Regisseur Franco Zeffirelli, Autor eines ästhetisierenden,
florentinisch-platonisch geprägten Films über Christus. Zeffirelli
bleicht das Rot des Blutes daher in Rosa.
Nüchtern betrachtet kommt dem Film von Gibson also eine große
Bedeutung zu. Sein Autor hat die zeitgenössische figürliche Darstellung
auf beeindruckende Weise revolutioniert. Denn er hat das Heilige wieder
thematisiert und es in eine Vorstellungswelt übertragen, die für immer
gültig bleiben wird, sei es in den Bildern oder im Gedächtnis der
Millionen Zuschauer, sei es im Repertoir der Ikonografie. Gibson hat damit den
heiligen Bildern ihren Wert zurückgegeben, der seit dem 17. Jahrhundert
unablässig bekämpft wird. In diesem Sinne ist Die Passion Christi ein
echtes Kunstwerk, mag es zartbesaiteten und übersensiblen Gemütern nun
gefallen oder nicht.
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