CL - Exerzitien
«Christus: der Sinn des Lebens»
Stanislaus Rylko
Auszüge aus der Predigt von Erzbischof
Stanislaus Rylko, Präsident des Päpstlichen Laienrats bei der
Heiligen Messe am Samstag, den 24. April
Das Stück, das wir gerade aus dem
zweiten Johannesevangelium gehört haben, hat große Suggestivkraft:
das Dunkel des Abends, das von einem starken Wind bewegte Meer, eine einsame
Barke, beladen mit müden und verschreckten Jüngern. Aber, um ihnen
die Angst zu nehmen, versichert ihnen die Stimme des Herrn, der sich ihnen
über die Wellen hinweg nähert: „Ich bin es, fürchtet euch
nicht.“ Diese Szene beschreibt die Kirche, die seit 2000 Jahren im
bewegten Weltenmeer kreuzt. Von wie vielen widrigen Winden wurde sie in der
Geschichte geschüttelt, wie viele Gefahren hat sie überwinden, wie
viele Herausforderungen entgegennehmen müssen. Wie oft schien es, dass der
apokalyptische Drache über sie triumphieren und in strahlendem Hochmut das
kommende Ende ankündigen würde. Wie oft haben ihr die eigenen Kinder
tiefe und schmerzhafte Wunden zugefügt aufgrund ihrer menschlichen Zerbrechlichkeit
und ihrer Sünde. Immer aber konnte man inmitten all dieser Stürme
diese beruhigende Gegenwart spüren, und immer wieder tönte ihre
Stimme: „Ich bin es, fürchtet euch nicht.“ Das Geheimnis der
Kirche liegt in diesen Worten, die unmittelbar auf die unerschöpfliche
Quelle ihres Lebens und ihrer Kraft verweisen. Im Buch „Warum die
Kirche?“, das ihr gut kennt, behauptet Don Giussani mit großem
Nachdruck: „Das Wort Kirche steht für ein historisches
Phänomen, dessen einzige Bedeutung darin besteht, dem Menschen Gewissheit
über Christus zu ermöglichen, eine Gewissheit, die sich auf das
„Ich bin es“ stützt und darauf, dass es sonst nirgendwo zu
finden ist.
Die Gegenwart Christi anzuerkennen bedeutet
für die Christen, ihm zuzugehören, ihm zugehören.
Christus zuzugehören ist eine
ständig offene Frage unseres Lebens; es genügt nicht, diese Wahl
einmal zu treffen und sie dann als selbstverständlich anzusehen. Die
Entscheidung, Christus zuzugehören, muss Tag für Tag erneuert werden,
in dem wachsenden Bewußtsein, dass die Entscheidung für diese
Zugehörigkeit, die sich in allen Bereichen unserer Existenz abspielt, unsere Persönlichkeit und unsere
Identität als Christen formt: wir sind die Seinen, wir gehören ihm an
und sind Teil des Volkes, das Seine Kirche ist. Wie wichtig ist es, sich in
Zeiten wie diesen daran zu erinnern, da die Verwirrung so dramtische
Ausmaße annimmt, dass der Mensch die Idee des Zugehörens selbst
fürchtet, ugleich aber zu tausenden, oberflächlichen,
zerstückelten und zerstückelnden ersatzformen der Zugehörigkeit
gedrängt wird! Wie wichtig ist es, sich daran zu erinnern, dass nur die
Zugehörigkeit zu Christus unsere Zerbrechlichkeit schwacher und
zerstreuter Wesen in die volle Menschlichkeit starker und kohärenter
Männer und Frauen verwandelt. (...) Seit nunmehr 50 Jahren kreuzt das
kleine Schiff eurer Bewegung im großen Weltenmeer, Jahren, in denen sich,
wie es immer kommt, Stürme, gute Brisen und Gegenwinde abwechselten. (...)
Ihr wisst gut, wie wichtig im Leben einer
Bewegung das Gedächtnis an die Ursprünge ist, an das Quellereignis,
aus dem die Bewegung entstanden ist. Aber das Gedächtnis darf nicht damit
verwechselt werden, sentimental der Vergangenheit anzuhängen.
Gedächtnis bedeutet vielmehr sich einzusetzen, die Reichtümer des
empfangenen Geschenkes - also das Charisma der Bewegung - immer mehr zu
ergründen und der Wille, dem Charisma treu zu bleiben. Dieses
Jubiläum ist daher der rechte Zeitpunkt, sich eng um die Person eures
Gründers zuversammeln, über die großen Werke zu staunen, die Gott
im Leben jedes einzelnen und jeder einzelnen von euch durch die Bewegung in der
Kirche und in der Welt hat wahr werden lassen wollte und von neuem mit
Dankbarkeit sein Charisma zu empfangen, um es mit noch größerer
Überzeugung, mit neuem Schwung zu leben. Die Szene in der Christus
über das Meer geht ruft einen weiteren Umstand in Erinnerung, den man
nicht vergessen darf und sich immer vergegenwärtigen muss: die Kraft einer
Kirchenbewegung geht gerade und ausschließlich aus den Worten des Herrn
"Ich bin es." hervor. All das, was wir zum Wohl der Kirche und des
Menschen zu tun fähig sind, entsteht nicht aus uns und stützt sich
weder auf unsere Großartigkeit noch auf unsere Intelligenz. Die Quelle
ist Er, das Fundament ist Er! Nicht zufällig hält Don Giussani mit
großer Leidenschaft fest: "Christus, Grund der Existenz, Christus
Ursprung unserer Kreativität, wirksam nicht kraft von Interpretationen,
sondern unmittelbar. (...) Der ganze Rest - dass die Existenz in Bewegung
gesetzt wird sowie die Kreativität - kommen danach, aber Christus als
Grund der Existenz und Beweggrund der Kreativität, das muss wiedergewonnen
werden. Es ist wie der leidenschaftliche Wunsch, die ursprüngliche
Reinheit des Lebens unserer Bewegung wiederzugewinnen. Und dies ist die
Herausforderung zum 50. Jubiläum von CL, die es anzunehmen gilt: "Ich
bin es, fürchtet euch nicht." Diese Worte Christi klingen für
euch in besonderer Art in dem persönlichen Brief an, den Johannes Paul II.
kürzlich an Monsignore Giussani richtete. (…)
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