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Kirche - Papst Johannes Paul II.
Die Befreiung Christi in der kirchlichen Gemeinschaft
Johannes Paul II.

Ansprache des Papstes an die Mitglieder der Bewegung Comunione e Liberazione in der Audienz am 31. März (aus L´Osservatore Romano, deutsche Ausgabe, 4. Mai 1979 / Nr. 18)

Liebe, junge Freunde!
Seid willkommen! Eure spontane Begeisterung und Freude, mit der ihr mich in dieser Aula empfangen habt, ist ein Zeugnis aufrichtiger Liebe und ein deutlicher Ausdruck des tiefen Glaubens, den ihr in das mir von Christus anvertraute kirchliche Dienstamt habt.
Eure Anwesenheit heute ist für mich eine große Freude. Und ich kann auch nicht sagen, dass wir einander zum ersten Mal begegnen: Ich weiß nicht, wie oft wir schon früher zusammengetroffen sind. Ich erinnere mich an all die Begegnungen in Polen. Und ich muss sagen, dass jene Begegnungen ihre Früchte getragen haben, denn heute beim Hereinkommen wusste ich nicht, wer denn nun in dieser Aula ist: «Sind es italienische oder polnische Jugendliche?», habe ich mich gefragt.
So viele Begegnungen: Ich erinnere mich noch gut an jene in Kroscienko und dann auch an eine in Krakau.
Jetzt aber soll von eurer Pilgerfahrt gesprochen werden. Ich habe mich immer für einen recht treuen Pilger gehalten, treu zu Tschenstochau und zu Jasna Góra; aber ich habe auch hier Leute getroffen, die zweimal zu Fuß von Warschau nach Tschenstochau gepilgert sind. Ich dagegen habe das nur einmal gemacht und auch das nicht von Warschau, sondern von Krakau aus und das ist ein ganzes Stück kürzer. Ihr wart also oft als Pilger in Polen. Ihr kommt nach Kroscienko, ihr kommt überall hin im Sommer, wenn polnische Jugendliche so genannte «Oasen», d.h. Versammlungen und Exerzitien veranstalten. Ihr kommt gern und ihr verbringt diese Tage mit ihnen. Und dann kommt ihr, um an dieser Wallfahrt von Warschau nach Tschenstochau teilzunehmen. Die Entfernung beträgt, wenn ich nicht irre, 250 Kilometer, und der Weg ist keineswegs leicht.
Im vergangen Jahr war die Zahl der italienischen Pilger am höchsten und ich glaube, jene Pilger waren zum größten Teil junge Leute eurer Bewegung.
Einmal, so erinnere ich mich - vielleicht ist es gut, dass ich mich erinnere und es nicht ablese, aber es soll für den Augenblick die letzte dieser Erinnerungen sein - einmal also kam in Krakau nach jener Wallfahrt von Warschau nach Tschenstochau eine Gruppe, eine italienische Gruppe, in meine Kapelle im erzbischöflichen Haus in Krakau und sie sangen gut polnisch. Ich konnte es nicht mehr unterscheiden: Sind es nun die von Comunione e Liberazione oder sind es die von unserer Bewegung für die Kirche, die lebt? Und so begegnen wir uns heute nicht zum ersten Mal.
Ich kann euch nur sagen, dass diese Begegnung heute für mich vor allem eine ganz große Freude ist. Und ich hoffe, dass es eine solche Freude immer geben wird.

Vertrauen in die Jugend der ganzen Welt
Ich möchte euch zeigen, welchen Trost und welche Befriedigung mir diese Begegnung mit euch bereitet. Ich hatte schon wiederholt Gelegenheit, das Vertrauen, das ich in die Jugend setze, zu bezeugen; ich habe das überall getan: in Polen, in Mexiko, in Italien. Ich habe Vertrauen in die großherzige Begeisterung der jungen Menschen für alles Edle und Große, in ihre spontane und uneigennützige Opferbereitschaft für die Ideale, an die sie glauben. Dieses Vertrauen bestätige ich heute euch gegenüber aufs Neue, denn ihr glaubt an Christus, auf den die Welt ihre wahre Hoffnung setzt, weil Er «das wahre Licht ist, das jeden Menschen erleuchtet» (Joh 1,9). Ihr habt euch vorgenommen, die erneuernde Botschaft des Glaubens in jede Umwelt zu tragen, in die zu leben, zu dienen, zu lieben euch die Vorsehung bestimmt hat, weil ihr davon überzeugt seid, dass man im Evangelium auf die Fragen, die den Menschen bedrängen, die befriedigende Antwort finden kann. Euer Vorschlag hat Zustimmung gefunden, wenn auch unter Widerständen und Einwänden, und ich weiß, dass ihr deswegen auch gelitten habt.
Unter Widerständen und Einwänden also habt ihr erlebt, wie andere Jugendliche zu euch gestoßen sind und sich an eure Seite stellten. Ihnen hat euer Beispiel neue Horizonte der Hingabe, der Selbstverwirklichung und der Freude eröffnet.
Ihr konntet also mit Händen greifen, wie sehr unsere Welt Christus braucht. Es ist wichtig, dass ihr weiterhin mit Demut und Mut sein erlösendes Wort verkündet. Denn nur von diesem kann die wahre Befreiung des Menschen kommen. Der hl. Johannes hat das sehr einprägsam formuliert: «Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er di Macht, Kinder Gottes zu werden» (Joh 1,12). Das heißt Christus ist die Quelle der Kraft, die dem Menschen innerlich umgestaltet, das Prinzip jenes neuen Lebens, das nicht schwindet und nicht vergeht, sondern für das ewige Leben dauert (vgl. Joh 4,14).
Nur in der Begegnung mit ihm kann daher jene Unruhe gestillt werden, in welcher - wie ich in meiner kürzlich veröffentlichten Enzyklika schrieb - «das schlägt und pulsiert, was zutiefst menschlich ist: die Suche nach der Wahrheit, der unstillbare Durst nach dem Guten, der Hunger nach Freiheit, die Sehnsucht nah dem Schönen, die Stimme des Gewissens» (Redemtpor Hominis, Nr. 18). Es ist daher logisch, dass «die Kirche, die versucht, den Menschen gleichsam mit den Augen Christi selbst zu betrachten, sich immer mehr bewusst wird, die Hüterin eine großen Schatzes zu sein, den sie nicht vergeuden darf.» (ebd.)
An dieser Bewusstseinsbildung und den sich daraus ergebenden Verpflichtungen teilzunehmen, ist jeder Christ aufgerufen. Also auch ihr, liebe junge Leute, die ihr für eure Bewegung den Namen Comunione e Liberazione gewählt habt, (ich muss gestehen, dass mir dieser Name sehr gefällt, und zwar aus verschiedenen Gründen: aus einem theologischen und einem ekklesiologischen Grund. Dieser Name ist sehr eng verbunden mit der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Kirche. Zudem gefällt er mir wegen der Perspektiven, die er eröffnet, die persönliche, innere Perspektive und die soziale Perspektive: Comunione e Liberazione, Gemeinschaft und Befreiung. Und er gefällt mir wegen seiner Aktualität, denn das ist die Aufgabe der Kirche heute: eine Aufgabe, die eben genau in dem Namen Comunione e Liberazione ihren Ausdruck findet). Mit diesem Namen also habt ihr gezeigt, dass ihr euch gut der tiefsten Erwartungen des modernen Menschen bewusst seid. Die Befreiung, nach der sich der Welt sehnt, ist - das habt ihr erkannt - Christus. Christus lebt in der Kirche. Die wahre Befreiung des Menschen erfolgt daher in der Erfahrung der kirchlichen Gemeinschaft. Deshalb ist der Aufbau dieser Gemeinschaft der wesentliche Beitrag, den die Christen für die Befreiung aller leisten können.
Das ist eine zutiefst wahre Erkenntnis: Ich kann euch nur ermuntern, daraus folgerichtig alle logische Konsequenzen zu ziehen. Die Kirche ist ihrem Wesen nach ein Mysterium der Gemeinschaft ja, ich möchte sagen, sie ist eine Aufforderung zur Gemeinschaft, zum Leben in der Gemeinschaft. Und zwar in der vertikalen wie in der horizontalen Gemeinschaft; in der Gemeinschaft mit Gott selber, mit Christus, und in der Gemeinschaft mit den anderen. Erst die Gemeinschaft ist Ausdruck einer vollen Beziehung zwischen Mensch und Mitmensch.
Die Kirche ist ihrem Wesen nach ein Geheimnis der Gemeinschaft der innigen und immer wieder erneuerten Gemeinschaft mit der Quelle des Lebens selbst, der allerheiligen Dreifaltigkeit. Sie ist eine Gemeinschaft des Lebens, der Liebe der Nachahmung und Nachfolge Christi, des Erlösers des Menschen, der uns ganz eng mit Gott verbindet; aus dieser entspringt dann die wahrhafte, tätige Gemeinschaft der Liebe unter uns Menschen, kraft unserer ontologischen Ähnlichkeit mit ihm.
Einladung zur Gemeinschaft. Lebt mit hochherzigem Eifer gemäß den Forderungen, die sich aus dieser Wirklichkeit ergeben. Versucht, daher Übereinstimmung zu schaffen in euren Gedanken, Gefühlen und Initiativen, geschart um eure Pfarre und mit ihnen geschart um den Bischof. Denn er ist "das sichtbare Prinzip und Fundament der Einheit in der Ortskirche (Lumen Gentium, Nr. 23). Durch die Gemeinschaft mit eurem Bischof könnt ihr die Gewissheit erhalten, auch in Gemeinschaft mit dem Papst und mit der gesamten Kirche zu stehen - in Gemeinschaft mit dem Papst, der euch liebt, der Vertrauen auf euch setzt und der viel erwartet von eurem Tun im Dienst der Kirche und so vieler Brüder, zu denen Christus mit dem Licht seiner Botschaft noch nicht gelangt ist.
Unter den Unterscheidungsmerkmalen, die mein großer Vorgänger Paul VI. in dem Apostolischen Schreiben Evangelii nuntiandi für die wahre Kirchlichkeit katholischer Bewegungen aufgestellt hat, ist eines, das aufmerksame Überlegung verdient. Die "Basisgemeinschaften", sagte Paul VI. werden ein "Ort der Evangelisierung" und "eine Hoffnung für die Weltkirche" sein, wenn sie "fest verbunden bleiben mit der Ortskirche, zu der sie gehören, und mit der Weltkirche, damit sie nicht der Gefahr erliegen, sich selbst abzukapseln, sich selbst für die einzige echte Kirche Christi zu halten und schlie0ich die anderen kirchlichen Gemeinschaften zu verurteilen" (Evangelii nuntiandi, Nr. 58).
Diese Worte sind aus einer reichen Seelsorgeerfahrung heraus gesprochen und ihr seid in der Lage, die daran erhaltene Weisheit voll und ganz zu ermessen. Macht es euch zur Gewohnheit, jede eurer konkreten Initiativen an diesen Worten zu messen; von einer solchen ständigen Verpflichtung zur Selbstprüfung hängt die apostolische Wirksamkeit eurer Tätigkeit ab, denn nur dann wird sie ein echter Ausdruck der erlösenden Sendung der Kirche in der Welt sein.

Eine innere und soziale Perspektive
Ich sagte, der Name "Comunione e Liberazione" eröffnet uns zugleich eine innere, persönliche und eine soziale Perspektive. Eine innere, weil er uns in der Gemeinschaft mit den anderen, mit denen, die uns am nächsten sind, leben lässt. Diese innere Gemeinschaft heißt uns euer Name auf einen persönlichen Weg suchen, in eurer Freundschaft, in eurer Liebe, in eurer Ehe, in eurer Familie. Darüber hinaus in unseren verschiedenen Umweltbereichen; es ist äußerst wichtig, dieses Niveau zwischenmenschlicher Beziehungen zu erhalten. Diese Eben der Gemeinschaft in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Sie erlaubt uns, eine echte Befreiung zu schaffen, weil sich der Mensch nur in der Gemeinschaft mit den anderen, nicht aber in der Isolierung befreit; nicht individuell, sondern zusammen mit den anderen, durch die anderen, für die anderen. Das ist der volle Sinn der Gemeinschaft, aus der die Befreiung entspringt. Und die Befreiung hat, wie ich schon in meiner Ansprache am Mittwoch in dieser Aula sagte, verschiedene Bedeutungen. Viel hängt dabei von der gesellschaftlichen und kulturellen Umwelt ab; Befreiung kann ganz verschieden sein. In Lateinamerika ist Befreiung etwas anders als in Italien und im übrigen Europa, etwas anderes in West- und in Osteuropa, wieder etwas anderes in den afrikanischen Ländern und so weiter. Man muss nach jener Verwirklichungsform der Befreiung suchen, die in die besondere Umwelt, in der wir leben, passt. Aber immer wird die Befreiung in der Gemeinschaft und durch die Gemeinschaft erlangt.
Liebe, junge Freunde, wir kommen zum Schluss dieser Begegnung und dieser meiner Ansprache. Ich weiß sehr wohl, dass ich darin nicht alle Themen, die möglich gewesen wären, berührt habe; ich habe nur den wesentlichen Punkt aufgegriffen: die Bedeutung des Namens eurer Bewegung. Aber ich hoffe, dass wir noch öfter Gelegenheit haben werden, das alles weiterzuführen und zu vertiefen. Man kann eben nicht alles auf einmal sagen; es ist auch besser, wenn die Zuhörer ein bisschen hungrig bleiben. Zum Abschluss dieser Begegnung also möchte ich euch einen Auftrag geben: Geht mit der Kirche voll Vertrauen auf den Menschen zu. In meiner Enzyklika habe ich gezeigt, dass gerade der Mensch der Weg ist, den die Kirche gehen muss, "denn der Mensch - und zwar jeder Mensch ohne jede Ausnahme - ist von Christus erlöst worden. Christus ist mit jedem Menschen, ohne Ausnahme, in irgendeiner Weise verbunden, auch wenn sich der Mensch dessen nicht bewusst ist." (Redemptor hominis, Nr. 14). Aus dieser Gewissheit möge sich euer christliches Zeugnis nähren und jeden Tag mit neuem Eifer gelebt werden!
Wir machen jetzt eine kurze Pause, um den Segen zu erteilen. Ich glaube, dass es nichts weiter zu sagen gibt, nur diesen Segen zu empfangen und ihn in unser Herz aufzunehmen. Aber vor dem Segen möchte ich mich noch an euren geistlichen Vater wenden und dann auch an euren Präsidenten, der am Anfang die Grußadresse an mich gerichtet hat, der mich eingeführt und mir dieses brasilianische Bild überreicht hat. Ich danke euch für euer Geschenk, ich danke dem Künstler, dem Maler, der es gemalt hat; ich bin ihm sehr, sehr dankbar. Und jetzt wollen wir beten und den Segen erteilen. Danach werden uns noch einige Gedanken und Worte kommen.
(Es folgt das Gebet)
Nun noch ein paar Worte, die uns während des Gebetes in den Sinn gekommen sind.
Zunächst: Ich möchte euch dafür danken, dass ihr bei meiner Einführung ins Pontifikat dabei wart. Am ersten Tag sein ihr gekommen und habt ein polnisches Spruchband mit euch getragen. Ich habe mir aber gleich gedacht: Das sind keine Polen. Ich will euch auch sagen, warum ich das erkannt habe. In der Inschrift war nämlich ein Fehler, ein Rechtschreibefehler. Das war das erste, was uns während des Gebetes einfiel.
Das zweite: Wie die Dinge nun einmal liegen, müssen wir jetzt Oto jes dien singen. Wir müssen miteinander singen, denn es stimmt, was dieses Lied zum Ausdruck bringt.
(Es folgt das Lied)
Noch ein Gedanke, noch ein Wort. Warum lasse eich ein bisschen hungrig weggehen, warum greife ich nicht sämtliche Themen auf? Weil für die kommende Woche, Donnerstag 5. April, eine Begegnung mit den römischen Studenten bei einer österlichen Eucharestiefeier im Petersdom auf dem Programm steht. Der Kardinalvikar hat gesagt: Ostern mit den Studenten. Also darf ich heute nicht zuviel sagen, damit mir nächste Woche noch etwas zu sagen übrig bleibt.
Nun aber ist es genug.