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Briefe
Briefe Dezember 2005
Paola Bergamini

Im Heiligen Land
Lieber Don Julián,
ich bin gerade aus dem Heiligen Land zurückgekehrt. Es war eine großartige Erfahrung! Es war eine beständige Entdeckung, eine beständige Bestätigung. Aber der Reihe nach. Seit 10 Jahren, seit meinem 18. Lebensjahr, bin ich an Multipler Sklerose erkrankt. Am 20. hatte ich eine Kontrolluntersuchung, am 25. kam das Ergebnis: Die Krankheit ist gestoppt!, nach wirklich mühsamen Jahren, schweren Krisen (seit 2 Jahren kann ich nicht mehr allein gehen). Wie Dante im Hymnus an die Jungfrau sagt: «den Bitten zuvorgekommen»! Ich war noch nicht losgezogen, und schon hatte er mich mit seinen Gnaden bedacht. Dann bin ich losgezogen mit Bonny, einer großen Freundin. Alles hatte mit einer Sehnsucht von uns begonnen, die wir mit meiner Tante teilten und von der wir absolut nicht sicher waren, sie so schnell verwirklichen zu können. Und nun fuhren wir los mit meinen Eltern, meiner Tante, zwei aus ihrer Casa der Memores domini, drei weiteren aus dem Haus der Memores in Modena ... und 300 weiteren Personen aus Norditalien. Ich nenne gleich die drei Dinge, die mich vor allem beeindruckt haben. 1. An einem der ersten Tage hat Don Lirio, der Priester, der die Wallfahrt geleitet hat, mit uns die Messe in Kapharnaum gefeiert, in der Kirche, die über den Ruinen des Hauses Petri errichtet ist. Dabei hat er eine für mich wirklich befreiende Sache gesagt: «Die christliche Moral besteht darin, zu sagen: "Ja, Christus, du weißt, dass ich dich liebe."» 2. Es ist beeindruckend zu sehen, wie das Christentum, das Heil der Welt, im wörtlichen Sinne in «Löchern» entstanden ist. Die Grotte von Nazareth, die Grotte von Bethlehem, das Heilige Grab, das ich auf allen Vieren betrat und dabei dachte: «Ich muss aller Freunde gedenken, die mich darum gebeten haben, mich an sie zu erinnern.» Dann bin ich eingetreten und meine Freude, es gefunden zu haben, war so groß, dass ich mich auf den Felsen warf, halb ausgestreckt, ihn küsste und murmelte: «Ja, ich liebe dich, nimm mich mit dir.» 3. Der Kreuzweg in Jerusalem. Don Lirio hatte vorher in der Messe gesagt, dass es zwei Weisen gebe, ihn zu gehen: entweder sentimental oder Ihn bittend. Mir ist schlagartig bewusst geworden, dass ich bevorzugt bin. Es war klar, dass es für mich nicht sentimental sein konnte. Ich saß im Rollstuhl und habe stark gelitten wegen der Schlaglöcher und der Tatsache, dass ich anderen die Mühe bereitete, mich zu schieben (es tut weh, andere gezwungenermaßen um Hilfe zu bitten). Daher habe ich lediglich gesagt: «Jesus, erlaube mir, an deiner Seite zu sein» und zu Maria: «Hilf mir, an der Seite deines Sohnes zu sein.»
Giovanna, Reggio Emilia

Kreuz und Auferstehung
Ich schicke euch den Brief, den meine Mutter mir in einer Zeit schrieb, in der es, ihren Worten nach, «sehr schwierig geworden war, auf mich aufzupassen». «An meine Tochter, die Person, die ich (nach Christus!) am meisten auf der Welt liebe. Bei der Eröffnungsfeier eines neuen Sitzes der Stiftung Cilla [nach dem Namen eines Mädchens der Bewegung aus Turin, das mit 16 Jahren starb] habe ich eines verstanden: Der Herr hat dir "Cilla" gezeigt und mit dir geteilt, damit du, gemeinsam mit den Personen, die du getroffen hast, mit der Zeit (wir wissen nicht, wann) dich lieben kannst und deine Krankheit als Geschenk leben kannst. Du hast mir mit deiner strahlenden Freude die Kraft gegeben, mich nicht damit abzufinden, sondern weiterzumachen, mich nicht an dein Wunder zu gewöhnen und das Gebet fortzusetzen, welches du verkörperst. So hast du meine Wunde wieder aufleben lassen, denn diese Wunde ist für mich die Pforte seiner Gegenwart. Das Geheimnis des Lebens besteht gerade darin, dass durch diese Wunde, dieses Kreuz sich für mich seine Gegenwart ereignen kann. Ich erinnere mich, dass Don Giussani einmal sagte, dass nicht zuerst das Kreuz und dann die Auferstehung kommt, sondern dass das Leben eine fortwährende Erfahrung von Kreuz und Auferstehung gemeinsam ist. Wir verstünden das, wenn wir aufmerksam auf das wären, was wir leben, denn das Kreuz leben, bedeutet nicht, dass es nicht auch die Freude gebe, dass es nicht den vollen Sinn des Lebens gebe. Man muss sich dazu erziehen, im Geheimnis von Kreuz und Auferstehung zu lesen, welches unser Leben ist. Wenn wir in den kleinen Gesten treu sind, bemerken wir, dass uns das Hundertfache geschenkt ist: Das Hundertfache als Bewusstsein, dass wir nicht uns selbst überlassen sind, sondern dem Herrn gehören. Die Gnade besteht für mich darin, dass ich durch den Schmerz dieser langen Jahre, durch dich, gelernt habe, den Herrn zu lieben. Der Herr erleuchte stets dein Leben, Mamma.»
Cristina, Genova

Das Hundertfache jetzt
Lieber Don Carrón,
im Juni wurde unser Sohn Riccardo geboren. Er hat das Down-Syndrom und eine ernsthafte Herzerkrankung. Im fünften Schwangerschaftsmonat hatte der Arzt einige Anomalien entdeckt. Er sagte uns: «Es ist besser, eine Fruchtblasenpunktierung vorzunehmen, um herauszufinden, worum es sich handelt.» Entgegen unserem wiederholten und entschiedenen Nein legte er sogar den Termin dafür fest. So wechselten wir den Arzt. So lernten wir Dr. Vergani kennen, die unser Abenteuer Tag für Tag mit mütterlicher Liebe begleitete. Sie verheimlichte uns nie die Wahrheit, aber was für ein Unterschied! Da war Liebe für uns und unseren Sohn. Riccardo wurde am 3. Juni geboren. Die Dinge sind nicht so gelaufen, wie wir sie für ihn und uns im Kopf hatten, wie wir bis zuletzt gehofft hatten. Er hatte nicht nur das Down-Syndrom, sondern weitere Probleme, weshalb er in wenigen Monaten am Herz operiert werden sollte. Wir fühlten uns von der Verheißung des Glücks, die uns gemacht worden war, völlig verraten. Wo ist gegenüber einer Tatsache wie dieser das Hundertfache? Wir sahen nur einen großen Widerspruch. Die ersten Tage waren für uns wirklich hart, ich würde sagen, verzweifelt. Die Wirklichkeit, das, was uns widerfahren war, überrollte uns förmlich. Dann begannen die Dinge sich Tag für Tag ein bisschen zu ändern. Jesus verlangt viel, aber er lässt uns nie allein. Niemals. Eine Reihe von Beziehungen, Personen, unsere Freunde ... Alle waren um uns herum, konkret und mit ihren Gebeten. Sie sorgten abwechselnd dafür, dass wir bereits ein Abendessen vorfanden, wenn wir spät abends vom Krankenhaus zurückkehrten. An einem Tag hatten die Freunde von der Bruderschaft das monatliche Treffen in eine Bar gegenüber dem Krankenhaus gelegt, sodass auch wir daran teilnehmen konnten. Daran sieht man, dass Jesus uns niemals allein gelassen hat. Er zeigte sich, er blieb bei uns durch alle diese Personen. Es gab weiterhin Momente der Mühe und des Ärgers und es gibt sie weiterhin, aber das letzte Wort ist nicht eine blinde Verzweiflung, sondern eine beständige Bitte: «Jesus, du verlangst viel von uns, alles, aber jetzt bleibe bei uns. Lass uns nicht allein.»
Mit drei Monaten musste Riccardo sich einem gewagten Eingriff am Herzen unterziehen. Wir haben ihn eiligst im Krankenhaus taufen lassen, damit er in dieser anstrengenden Prüfung besser begleitet sei. Ein ganzes Volk hat für uns gebetet. Sich daran in schrecklichen Augenblicken zu erinnern, ist wirklich befreiend. Der Eingriff verlief gut und nach 10 Tagen kehrte Riccardo nach Hause zurück. Es ist bewegend, ihn jeden Tag anzuschauen und zu begleiten. Die Mutter eines Kindes, die mit Riccardo eingeliefert wurde, bat darum, dass ihr Kind ebenfalls das Sakrament erhalte, nachdem sie gehört hatte, dass wir ihn hatten taufen lassen. Zu Beginn dieses Abenteuers haben wir nicht verstanden, worin das Hundertfache bestehen sollte, wir bezweifelten vielmehr, dass es da sei. Jetzt leben wir es. Riccardo ist unser Kind, aber es ist so, als ob er der Sohn all unserer Freunde ist. Das, was uns geschehen ist, bleibt ein Geheimnis, das uns zugedacht wurde, aber wenn wir Riccardo anschauen, sind wir wirklich gewiss, dass der Herr gewonnen hat.
Elisa und Andrea, Mailand

Ein Schrei auf der Mauer
Ich arbeite in einer Einrichtung zur Verwaltung von Sozialwohnungen und ich kümmere mich um die technische Verwaltung und um Sicherheitsinspektionen. Oft bewege ich mich in den Kellerräumen der Gebäude. Eines Tages, als ich eine Kontrolle mit meinem Team durchführte, fiel mein Blick auf einen Satz, der in einer Ecke stand, wo sich die Jugendlichen treffen, um zu rauchen und Drogen zu nehmen. «Ich möchte nicht das Paradies, wenn ich einmal tot bin; ich will es, während ich auf der Erde lebe.» Sofort drang ein Schrei aus meiner Brust: «Ich auch!» Dieser Schrei, der so stark und wahrhaftig war, hat mich zutiefst bewegt und berührt. Dieses Bedürfnis nach Wahrheit und Glück ist stärker als alles. Das Herz dieser Jugendlichen konnte nicht anders, als den Drang auszudrücken, woraus die Tiefe ihres Selbst besteht. Die Gesellschaft und die zynischen Erwachsenen können ruhig so reden und so leben, als ob sie nichts mehr erwarteten, aber das Herz gibt sich damit nicht zufrieden. Ein lebendiges Herz, das Herz eines Jugendlichen kann nicht anders, als diesen Schrei auszustoßen. Alle sagen: «Was suchst du? Was fehlt dir? Finde dich damit ab! Es ist der Mühe nicht wert, du hast bereits alles, mach' dir keine falschen Probleme! Bist du wirklich sicher, dass du ein Bedürfnis oder eine Frage hast? Nimm das mit, was du kannst, denn wir alle müssen sterben!» Aber alles weckt in uns die Sehnsucht nach Leben! Ich danke diesen Jugendlichen, ihrem herzzerreißenden und aufrichtigen Schrei. Was könnte ich geben für mein Leben, mein Glück, für mich selber? Ich wünsche mir, das Glück überall zu suchen und zu finden, ich kann ohne es nicht leben, ich kann nicht! Diese Jugendlichen sind wie ich, sie sind meine Gefährten auf der Suche. Wenn man das Leben trifft, kann man sich nicht mit mehr mit weniger zufrieden geben!
Elena, Paris

Neue Kraft
Lieber Don Carrón,
ich bin Lehrerin und glaubte bisher, eine glückliche Ehe zu führen, die mit Kindern gesegnet ist. Mein Ehemann war Angestellter in der Pfarrei und ehrenamtlich tätig. Vor vier Jahren entdeckte ich dann, dass er eine andere Geschichte am Laufen hatte, sogar mehr als eine ... . Dies war vernichtend, genauso wie die Anmaßung, ihm dabei helfen zu können, dies zu überwinden. Das hat mich langsam zerstört. Nach zwei Monaten war ich völlig am Boden, am Rande der Essensverweigerung, und nichts im Leben hat mich mehr interessiert. Ich wollte für meine Kinder kämpfen und endete als Opfer einer Depression. Nur eine Freundin blieb in meiner Nähe (sie ist von der Bewegung) und hat mich mit dem Verantwortlichen von CL in unserer Stadt bekannt gemacht, denn ich musste das wahre Gut meines Lebens finden. Wir drei haben begonnen, zu beten und das Seminar der Gemeinschaft zu lesen. Auch wenn ich manchmal geweint habe und die Fragen, die in mir hochkamen, noch zu groß und ohne Antwort waren, habe ich mich langsam verändert. Ich erinnere mich an den Brief von Don Giussani an die Fraternität von 2003, der geradezu für mich geschrieben schien. Ganz langsam habe ich damit begonnen, andere gemeinschaftliche Momente zu besuchen, wie die Ferien oder die Exerzitien der jungen Arbeiter. In den Gesichtern dieser Freunde, die mich gelehrt haben, mein Kreuz zu tragen und den Herrn immer mehr zu lieben, habe ich wirklich Christus getroffen. Nun kann ich sagen, dass das Charisma von CL mein Leben verändert hat. Es hat mich kämpferischer gemacht und mir die Kraft verliehen, für meine Kinder zu kämpfen. In der Tat sind sie das wahre Wunder: Sie haben das Trauma der Trennung überwunden und sind, dank der vielen Personen um uns herum, sehr frohe Kinder. Wir nennen sie «unsere Freunde». Sie beten mit uns und teilen mit uns den einzig möglichen Weg zum Glück. Nach dem Tod von Don Giussani begann ich, für meine Kinder zu beten, und darum, dass mein Mann Frieden finden möge. Denn ich bin mir bewusst, dass aus diesem ganzen Drama eine große Sache hervorgegangen ist: Die Gnade, etwas für das Leben getroffen zu haben. Vor Kurzem bin ich mit einer großen Erwartung des Herzens in die Bruderschaft eingetreten und die Personen, die mir nahe stehen, und die auf meine Sehnsucht nach Erfüllung antworten, sind für mich das menschliche Antlitz Christi. Die Schwierigkeiten sind nicht verschwunden, aber ich versuche, sie in anderer Weise anzugehen. Ich weiß, dass ich nicht allein bin. Ich vertraue mich Gott an und bete viel zur Gottesmutter, dass sie als Frau und Mutter meine Handlungen lenken möge. Ich weiß nicht, was morgen mit meinen Kindern oder meinem Mann sein wird. Aber ich weiß, dass ein Anderer in meinem Leben wirkt, der mich durch andere so liebt, wie ich bin, mit meinem Elend und meinem Nichts und der meine Wunden nicht geheilt, mir aber neue Lebenskraft verliehen hat.
Unterzeichneter Brief

Die Gemeinschaft der 4 Steine
Liebe Leser,
ich möchte Euch meine persönliche Erfahrung mit der Gruppe der Ritter der 4 Steine [Gruppe von Schülern der Bewegung im Alter von 11 bis 14 Jahren, A.d.R.] erzählen. Alles begann vor einem Jahr, als ich zur Kaffeemaschine ging und ein Junge, den ich bereits kannte, mir auf die Schulter klopfte und sagte: «Hör' mal, Giacomo, am Freitag treffen wir uns mit den 4 Steinen. Wir essen eine Pizza und schauen einen Film an. Möchtest du auch kommen?» Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Ich wollte nachdenken, wie ich es normalerweise tue, aber unerwarteterweise kam aus meinem Munde: «Ich bin dabei.» So kam es, dass ich auf den Vorschlag einer Freundschaft einging, denn genau das wollte ich: in einer Gemeinschaft von Freunden sein. Abgesehen davon: Wenn eine Gemeinschaft nicht von Freunden gebildet wird, was für eine Gemeinschaft ist das dann? In den ersten Wochen fühlte ich mich nicht richtig wohl. Nicht, dass ich von der Gruppe ausgeschlossen wurde, aber mir war ein bisschen unbehaglich: Bis auf einen waren alle Jungen älter als ich. Ich musste mir meinen Platz suchen, was mir aber rasch gelang. Bereits nach kurzer Zeit mussten wir eine anstrengende Prüfung durchlaufen: Die Verheißung. Dabei handelt es sich um einen starken Gestus, um konkret sagen zu können, «wer dazugehört». Die Verheißung hilft uns, ebenso wie die verschiedenen Ferien, die wir während des Jahres machen, uns besser kennen zu lernen. Mit am schönsten sind die Sommerferien, denn dort treffe ich auch die alten Freunde aus der Grundschule. Freitags treffen wir uns gemeinsam mit Don Carlo, haben Spaß und spielen Fußball, dann gibt es einen Augenblick der Reflexion und schließlich lernen wir gemeinsam und machen die Hausaufgaben für Samstag. Um Don Carlo und unseren Verantwortlichen zu helfen, gibt es Jugendliche, die dieselbe Erfahrung wie wir gelebt haben und die jetzt eine noch größere leben: die Giessini [ältere Schüler der Bewegung von 14-19, A.d.R.]. Ich wünsche allen Kindern meines Alters, dass sie bei einer dieser Gemeinschaften mitmachen können, denn es ist wirklich schön. Glaubt nicht, dass man etwas «Besonderes» sein muss, um mitmachen zu können. Schaut einfach mich an: Ich bin ein normaler Junge der siebten Klasse wie tausend andere. Eine wahre Gemeinschaft nimmt dich nicht so auf, wie du gerne wärest, sondern so, wie du bist.
Giacomo, Mailand