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Aufmacher
Was ist das Christentum
Luigi Giussani

Treffen des CLU in Chiesa Valmalenco, 31. August 1978

Beitrag: Thema der Versammlung ist die Lage der Bewegung, das Leben der Bewegung.

Don Giussani: Der Titel ist deshalb so allgemein gewählt, damit alle Punkte aufgegriffen werden können. Aber egal von welchem Punkt wir ausgehen, müssen wir doch zu einem "bestimmten" Punkt kommen...

Beitrag: Ich bin mir in diesen letzten Monaten einer sehr wichtigen Sache bewusst geworden. Ich habe plötzlich verstanden, dass mir noch nicht klar war, was die Bewegung ist. Aber das war nichts Schlechtes, sondern etwas Anziehendes: Mir eröffnete sich ein Raum neuer Erkenntnisse über mich, die Tiefe des Lebens und ein Geschmack am Leben, den ich noch nicht kannte. Anders gesagt: Die Aussage, dass ich die Bewegung noch nicht kannte und noch nicht kenne, bedeutet, dass ich in mir die Möglichkeit einer anderen Tiefe des Lebens entdecke, die ich noch nicht kenne. Dazu bin ich aufgerufen, weil ich sie in anderen lebendig sehe.
Der wichtigste Aspekt dessen, was ich lebe, besteht in der Spannung, von den anderen zu lernen, so dass sich noch klarer offenbart, dass das Christentum die Möglichkeit für mich ist, ganz Mensch zu werden. Ich habe verstanden, dass dies das Herz des Christentums ist. Das Herz des Christentums und das Herz der Bewegung stimmen überein. Und das Christentum und die Bewegung sind für mich die Möglichkeit, ganz Mensch zu sein.

Don Giussani: Es wurden hier zwei Beziehungen hergestellt, deren wir uns bewusst sein müssen. Und wir dürfen diese Spur nicht verlassen, sonst verlieren wir Zeit. Jeder ist frei, einen Beitrag über seine Erfahrung - besonders in diesem Jahr - zu geben. Ich möchte diese Spontaneität nicht unterbinden. Ich will aber vorwegnehmen, dass der Punkt, zu dem wir kommen müssen, zwischen diesen beiden Ufern, zwischen diesen beiden Verbindungen liegt. Gerade wurde die Verbindung zwischen der Bewegung und dem Christentum und die Verbindung zwischen dem Christentum und der Menschlichkeit, der eigenen Menschlichkeit hergestellt. Wenn wir diese beiden Bezüge oder diese "Synonyme" aufgeben, dann gelangen wir auf Irrwege.
Ja, wir könnten vielleicht zu einem anderen Thema wechseln. Sollen wir das Thema wechseln? Entscheidet selbst... Wechseln wir das Thema! Denn für alle ist klar, dass die Bewegung eine freie Beschaffenheit hat: Wer ihr zustimmt, tut es auf Grund einer Erfahrung oder der Hoffnung auf eine Bereicherung. Aber es ist gleichsam eine zufällige Beschaffenheit. Auch die Begegnung mit ihr war zufällig, für alle. Es ist eine zufällige Beschaffenheit, um sich dem christlichen Faktum reifer und würdiger einzufügen. Was wäre die Bewegung sonst? Der Wert der Bewegung liegt in ihrer erzieherischen Aufgabe mit Blick auf das christliche Faktum. Und das ist es, was uns interessiert.
Ich schlage vor, dass wir das Thema, das ich heute Morgen vorgegeben habe, verlassen und uns ohne Umschweife fragen: Was ist das Christentum für uns? Wäre dies möglich? Das heißt: Wir machen unser Treffen zu einer Versammlung über die Glaubenslehre - wie ein Katechismusunterricht.
Was ist für uns das Christentum? Wenn jemand auch nur mit dem kleinen Finger in der Bewegung ist und dies nicht als Suche nach einer Antwort auf diese Frage versteht, als Suche nach einer intelligenten Antwort, die ihn existenziell herausfordert und ihm dabei praktisch hilft; wenn jemand auch nur einen Spalt breit in der Bewegung ist und dies nicht als Antwort auf diese Frage verstehen würde, dann wäre er wirklich dumm, oder?
Fragen auch wir uns, wann wir uns diese Frage gestellt haben. Aber nicht als spontanen Einfall, sondern mit dem Willen zu einem systematischen Verständnis. "Systematisch" nicht im scholastischen Sinne des Wortes, sondern im vitalen Sinne. Denn das Leben ist ein Organismus. Es ist ein System. Wenn ihr dies als einen etwas anmaßenden und harten Wechsel empfindet, können wir zum vorigen Thema zurückkehren. Ich schlage aber diesen Wechsel vor, weil er mir nicht wirklich wie ein Wechsel erscheint. Vielleicht hilft er uns auch, überflüssige Schritte zu überspringen. Denn uns interessiert nicht die Bewegung. Was uns interessiert, ist eine Antwort auf das Leben. Und das Christentum ist für uns diese Antwort auf das Leben. Seid ihr einverstanden? Dann kommen wir gleich zum Kern der Sache. Was ist für uns das Christentum?

Beitrag: Ich wurde aufgefordert, diesen Ort als Ort der Gegenwart des Herrn und damit meiner Wahrheit zu verstehen. Und nicht als einen Ort von Leuten, die sich treffen, weil sie alle dieselbe Meinung zu einer bestimmten Frage haben. Ich habe also verstanden, dass hier, mit diesen Gesichtern, mit diesen Personen, mein Heil auf dem Spiel steht.

Don Giussani: Ja und? Ich habe nicht verstanden, welche unmittelbare Beziehung diese Aussage mit der Frage hat, die wir uns gestellt haben.

Beitrag: Die unmittelbare Beziehung liegt darin, dass hier...

Don Giussani: Aber was ist das Christentum?

Beitrag: Es ist die Wahrheit meines Lebens.

Don Giussani: Du hast auch ein weiteres Wort benutzt: das Wort "Heil". Freilich: Dieses Wort will durchdrungen sein! Man kann ein Wort nicht verstehen, wenn man nicht seine "Dichte", wie ihr sagt, seine "existenzielle Dichte" wahrnimmt. Ein Wort ist wie ein Zeiger: Es ist ein Zeichen, ein Zeichen für eine Wirklichkeit. Ein Wort ist das Zeichen einer Wirklichkeit. Ein Zeichen, genauso wie ein Pfeil... Man versteht also ein Wort nicht, wenn man nicht die Wirklichkeit wahrnimmt, auf die es hinweist.
Deshalb ist die Frage "Was ist das Christentum?" meines Erachtens die wichtigste, mit der wir uns bisher beschäftigt haben. Doch dies gilt für die ganze Welt - wenn auch nur als Hypothese -, wenn man das Christentum als Vorschlag der Geschichte für eine größere Authentizität des menschlichen Lebens und für eine Gewissheit über die Bestimmung ansieht.
Deshalb muss man das Wort "Heil" wie auch das Wort "Wahrheit" aus der Hülle des Formalen befreien. Denn alles, was der Mensch gebraucht, tendiert zum Formalismus. Jede Revolution und jede Reform - jede! - verfallen unmittelbar dem Formalismus in der Standardisierung oder der Schematisierung. Im menschlichen Streben liegt ein Augenblick der Trägheit, auf Grund dessen der Reichtum dieses Strebens sofort auf den Tod hingelenkt wird! Das sagt uns die Lehre von der Erbsünde.
Die Erbsünde ist scheinbar das Wort in unserer Sprache, auf das man am meisten verzichten könnte. Und in der Tat haben es viele Theologen in der nachkonziliaren Zeit völlig verbannt. Denn das Wort ,Erbsünde' scheint sich mit nichts zu verbinden. Es scheint mit nichts in der Erfahrung übereinzustimmen, keinerlei Bezug zu ihr in einem Faktum im Leben zu haben. Das gesamte moderne Denken empfindet es somit abstrakt und versucht, diesen Begriff mit einem Graben, mit dem Abstand zwischen dem, was der Mensch ist und was er sein sollte, zu identifizieren. Die Erbsünde wäre damit die Evolution, die noch nicht so weit gekommen ist, wie sie sollte. Habt ihr das verstanden? Aber das Gegenteil ist der Fall! Die Erbsünde ist ein wesentlicher Gedanke des christlichen Verständnisses vom Menschen. Und sie weist auf Folgendes hin: Jede Anstrengung, jede Initiative, die der Mensch in Angriff nimmt (egal ob sie intellektuell, praktisch, auf eine Lehre bezogen oder affektiv ist), ist existenziell gefährdet. Sie neigt dazu, in den Tod abzugleiten, in den Formalismus, in die völlige Erstarrung.
Vielleicht erinnert sich noch jemand von euch an das Beispiel von dem Seil, das ich in der Schule gemacht habe: Wenn ich am Boden über ein Seil laufe, dann gelingt mir das gut. Nimmt man aber dasselbe Seil und spannt es hundert Meter über dem Boden aus, dann schaffe ich es nicht mehr. Also besitze ich zwar die theoretische und strukturelle Fähigkeit, dies zu tun. Wenn aber die existenziellen Bedingungen sich verändern, bin ich dazu nicht mehr in der Lage. Wenn ihr das Seil in hundert Meter Höhe aufspannt, dann braucht es einen Artisten.
Das ist nur ein Vergleich. Die katholische Lehre von der Erbsünde sagt Folgendes: Der Mensch müsste strukturell in der Lage sein, bestimmte Dinge zu tun. Existenziell ist er aber in einer solchen Situation (seine existenzielle Verfassung), dass er unfähig ist, den Idealen zu folgen, die aus seinem Inneren erwachsen. Der ideale Antrieb wird korrumpiert und treibt auf den Tod zu, sofort!
Es ist beeindruckend, wie diese christliche Vorstellung die eigene Existenz erhellt, wenn man sie darauf anwendet.
Wenn jemand in sich noch nicht diese Korruption seiner nobelsten Ideale in den ursprünglichen Antrieben festgestellt hat: die Liebe zur Frau, die Aufmerksamkeit gegenüber dem anderen, das Mitleid mit dem anderen, die Leidenschaft für die Wahrheit, die Faszination, mit der die Wirklichkeit den Menschen anzieht und deren unmittelbarer Ausdruck die Neugier ist, die hinreißende Faszination der Neugier... Wenn jemand diese unmittelbare Korruption in sich noch nicht entdeckt hat, die diese erhabenen Ideale unmittelbar annehmen, (es ist so, als ob sie nicht an den Tag kommen, als ob es ihnen nicht gelinge, auf der Höhe des Bestrebens zu bleiben), der ist noch nicht erwachsen, er ist noch ein Kind.
Erinnert ihr euch, wie oft wir in den Exerzitien ein bestimmtes Beispiel über die menschliche Erfahrung gemacht haben, als wir uns fragten, welche menschlichen Erfahrungen am meisten beeindrucken, welche am menschlichsten sind? Und ihr habt geantwortet: die Liebe von Mann und Frau, die Liebe zwischen Eltern und Kindern, die Leidenschaft für die Politik, im platonischen, umfassenden Sinn des Wortes - also die Leidenschaft für einen wirksamen Dienst am Zusammenleben, damit es besser zum Ausdruck kommt und eine Hilfe für den Menschen, für alle Menschen ist. Dann haben wir uns gefragt, welche Quellen des Egoismus und der Instrumentalisierung noch unbändiger und unbezähmbarer sind als diese drei? Menschlich gesprochen wäre es die reine Verzweiflung, denn man kann daran nichts ändern. Und je mehr man sich anmaßt, ein System zu schaffen, um die tragische Bestimmung dessen, was man als Bestes in sich wahrnimmt, zu korrigieren, desto mehr bringt man sich in eine illusionäre Lage, die letztendlich die Frage noch verschärft. Die Anmaßung des Menschen, sich selbst zu retten, liegt am Ursprung von allem Terrorismus, aller Despotie und jeder Intoleranz. Das gilt in der Gesellschaft wie im familiären und gemeinschaftlichen Leben oder in Freundschaftsbeziehungen.
Im Christen, dem die Verkündigung der Rettung zuteil wurde, wird diese Verzweiflung aufgehoben und es bleibt eine Traurigkeit, die aber erhellt und voller Hoffnung ist.

Beitrag: Lagerkvist beschreibt in seinem Roman "Barabbas", wie Petrus ihm unter dem Tor begegnet und ihn nicht wiedererkennt. Barabbas fragt ihn nach dem Schicksal Jesu, darauf antwortet Petrus: "Er ist von den Toten auferstanden: Wir erwarten ihn." Barabbas glaubt das nicht, und Petrus sagt ihm: "Einige sagen, dass er der Sohn Gottes ist. Und es ist möglich..." Daraufhin empört sich Barabbas noch mehr. Und Petrus sagt ihm: "Einige sagen, er sei der Sohn Gottes. Es könnte auch sein. Aber mir liegt am meisten daran, dass er so zurückkommt, wie er vorher war."
Mich hat diese Sehnsucht des Petrus überrascht: Er wünschte sich, dass die Erfahrung, die er mit diesem Menschen gemacht hat, noch gegenwärtig sei: Das ist es, was ihn interessiert. Für mich ist das christliche Faktum etwas Ähnliches: Es ist die Erfahrung einer umfassenden Menschlichkeit, der man nachfolgt. Und die Nachfolge ist "der kritische Vergleich mit einem Vorschlag, der einem gemacht wird", wie du einmal gesagt hast.

Don Giussani: Was du gesagt hast, ist ansatzweise richtig, aber nur ansatzweise. Denn man muss Rechenschaft ablegen, so wie der heilige Petrus sagt: "Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt." Und wir müssen in der Lage sein, darüber Rechenschaft abzulegen.
Die Frage "Was ist das Christentum?" ist keine formale Frage. Es ist die Frage schlechthin. Denn eine der größten Gefahren ist gerade der Mangel an Gründen. Diese Gefahr bedroht zwar nicht unsere Zustimmung. Denn unsere Zustimmung ist eine Wirklichkeit, egal wie unzureichend sie gelebt wird. Und sie ist menschlich gesprochen so reichhaltig, dass man versteht, wie schnell man sich verlieren würde, wenn man sie aufgäbe... Aber es ist eine Gefahr für unsere Fähigkeit, präsent zu sein. Denn das, was die Gesellschaft derzeit am meisten herausfordert, kann nur ein Grund sein, eine Erfahrung, die ihre Gründe einschließt und vor sich her trägt.
Aber deine letzte Aussage führt zu dem, was ich sage. Die Nachfolge ist ein kritischer Vergleich zwischen dem Bündel ursprünglicher Bedürfnisse, die wir in uns tragen, und dem Vorschlag, der uns gemacht wird. Allerdings schließt der kritische Vergleich zwischen dem Bündel ursprünglicher Bedürfnisse, die in uns sind, und dem Vorschlag, der uns gemacht wird, eine durchaus anstrengende Arbeit ein.
Sie ist in keiner Weise einfach, weil zunächst die Entdeckung der ursprünglichen Bedürfnisse, die in uns sind, keine unmittelbar instinktive Sache ist. Sie müsste eigentlich unmittelbar sein, ist es aber nicht. Warum? Weil unser Kopf ganz von der Mentalität der Gesellschaft durchdrungen ist. Die vorherrschende Kultur prägt auch unsere Mentalität. Deshalb ist unsere ursprüngliche Struktur völlig überlagert. Sie ist begraben unter den verschiedenen Schichten des geschichtlichen und gesellschaftlichen Einflusses. Wir müssen all diese Schichten durchdringen, wir müssen sie aufbrechen! Dazu braucht es mehr als eine Atombombe! Denn die Armut des Geistes hat eine wesentlich größere Sprengkraft als eine Atombombe.
Zum Zweiten braucht es eine aufrichtige Aufmerksamkeit gegenüber dem Vorschlag, der uns gemacht wird. Und das ist schwierig. Denn in der fieberhaften Angst oder Furcht oder dem Wunsch, eine Antwort auf seine richtigen Empfindungen zu finden, schafft sich der Mensch Bilder und Formen oder stimmt dem zu, was ihm unmittelbar am besten gefällt (das sagte bereits der heilige Paulus).
Deshalb bedarf es einer Arbeit. In diesem Sinne wird deutlich, dass die Nachfolge die Bezeichnung der vielschichtigen Arbeit ist, die vor uns steht. Die Nachfolge ist der verständliche, angemessene Begriff für diese Arbeit oder der Begriff, der die Gesamtheit der Arbeit bezeichnet, die wir machen müssen. Entsprechend ist eine Entdeckung nur im Rahmen der Nachfolge möglich, und ebenso ist ein neuer Geschmack am Leben nur in der Nachfolge möglich. Ansonsten bleibt man stehen und kommt nicht über seine eigenen Ansichten hinaus. Das Verharren bei den eigenen Ansichten ist aber etwas Bürgerliches, das, wenn ihr wollt, eine bürgerliche Zufriedenheit erlaubt. Es ist eine Zufriedenheit ohne Atem, so als hätte man Asthma. Das bürgerliche Leben ist gleichsam asthmatisch.

Beitrag: Für mich ist das Christentum, wie ich gelernt habe, um allem leidenschaftlich zu begegnen, auch den banalsten Dingen, und die Bedeutung von allem aufzunehmen, ohne von irgendetwas versklavt zu werden (etwa von den eigenen Ideen oder Ansichten oder den Vorurteilen meines Lebens). Als ich hörte, was du sagtest, habe ich verstanden, dass dies durch die Nachfolge möglich ist.

Don Giussani: Mit deinem Beitrag hast du eine Konsequenz aufgezeigt. Dies ist eine Folge dessen, was das Christentum ist. Es kann auch ein Kriterium der Diagnose, ein Kriterium der Erkenntnis sein.

Beitrag: Die Frage, die du gestellt hast, hat mir klar gemacht, dass dies alles andere als formal ist. Und die Antwort ist schwierig. Ich möchte folgenden Vergleich ziehen. Wenn du dich fragst, was das Leben ist, hätte ich unmittelbar dieselben Schwierigkeiten. Und ich würde antworten: Es ist doch das, was ich bin und was weitergeht.
Was ist nun das Christentum für mich? Mir ist es nicht möglich, an mich selbst außerhalb des christlichen Faktums zu denken. Das Christentum ist die Tatsache, dass mich jemand wirklich ergriffen hat. Dieser ,Jemand' ist zu einer Gegenwart in meinem Leben geworden. Damit konnte mein Leben wirklich zu einem Leben werden.
Diese Gegenwart in meiner Existenz, auf Grund derer ich nicht mehr im Schatten der Einsamkeit und damit letztlich im Schatten des Todes lebe, hat eine weitere bedeutende Konsequenz. Diese Gegenwart wird zu einem Urteil in meinem Leben. Ich weiß nicht, ob das zuvor gebrauchte Wort "Wahrheit" hier dieselbe existenzielle Bedeutung hat, aber meine Menschlichkeit verlangt danach, das wieder zu entdecken und anzuerkennen, was wahr ist und meiner Existenz eine Richtung gibt, das, wofür es sich zu leben und zu handeln lohnt.
Diese Person, die in meinem Leben gegenwärtig geworden ist, ist zugleich ein Urteil über meine Existenz, es ist die Quelle dessen...

Don Giussani: Auch dein Beitrag verweist auf eine mögliche Konsequenz dessen, was das Christentum ist. Das Christentum ist etwas, das dies in dir hervorgerufen hat. Und indem es dieses Phänomen in dir hervorgerufen hat, ist es zu einem Urteil über dein Leben geworden. Aber das ist eine Folge. Wir versuchen hier zu verstehen, was das Christentum ist.

Beitrag: Wenn ich an die vergangenen Monate denke, möchte ich sagen, was die christliche Erfahrung ist. Ich würde sagen, dass sie die Art und Weise ist, die im Leben nicht erlaubt...

Don Giussani: Nein, entschuldigt! Vielleicht ist die Frage zweideutig. Wir fragen uns, was das Christentum ist! Deshalb müssen wir eine Antwort finden, die für mich auch dann gültig wäre, wenn ich Atheist wäre. Versteht ihr mich? Ich würde ihr zwar nicht zustimmen, aber sie müsste auch für mich gelten. Habt ihr verstanden?
Was ist (ist!) das Christentum?

Beitrag: Seine Gegenwart in meinem Leben anerkennen, in den Dingen, in den Fakten, die geschehen: Die Gegenwart eines anderen anerkennen.

Don Giussani: Dann ist das Christentum ein eminent subjektives Phänomen. Subjektiv bedeutet, dass du es bist, der eine Gegenwart anerkennt. So wie damals, als don Franzoni nach Busto Arsizio ging, um über die Scheidung zu debattieren, und ihm eine Frau widersprach. Er hatte zunächst das Thema "Wer ist der Christ " behandelt (es ist der, der Gerechtigkeit für die Armen verlangt) und dann "Wer ist der Marxist" (es ist der, der Gerechtigkeit für die Armen will) entwickelt und kam zu dem Schluss, dass der Christ heutzutage der eigentliche Marxist ist. Eine alte Dame erhob ihre Hand und bemerkte: "Worin liegt dann aber der Unterschied?" Und Franzoni antwortete etwas unbeholfen: "Nun, der Christ sieht Christus im Armen, während der Marxist das nicht tut". Daraufhin sagte einer unserer Freunde: "Dann ist der Christ also ein Visionär!"
Ich möchte hier nicht polemisch werden. Eure Antworten sind vollkommen richtig. Aber es geht darum, die Frage zu vertiefen. Im Verständnis unseres Freundes wäre das Christentum ein subjektives Faktum, denn er sprach ja von der "Wahrnehmung" einer realen Gegenwart unter uns. Versteht ihr?

Beitrag: Ich würde folgendermaßen antworten: Das Christentum ist die objektive und lebendige Tatsache der Kirche, sie ist für mich vernünftig, bedeutend und verheißungsvoll für mein Leben in geschichtlichen Begegnungen geworden, die die Bewegung sind. Es ist der Vorschlag der Kirche, so wie er uns erreicht hat: in seinen Gesten, in seinem Leben, in seiner Wahrheit, die für meine Menschlichkeit in Begegnungen offensichtlich geworden sind. Denn wenn ich nicht Personen begegnet wäre, hätte jede objektive Wirklichkeit keine Bedeutung für mich gewonnen und sie wären nicht verheißungsvoll für mich geworden.

Beitrag: Mir ist es fast unmöglich zu sagen, was das Christentum ist, wenn ich nicht einbezogen werde. Ich kann das Bewusstsein vom Christentum nicht von der Nachfolge unterscheiden. Damit meine Intelligenz sich dem neuen Maß der Nachfolge unterwerfen kann, muss sie eine Evidenz, eine Einsicht erfahren. Denn wie kann ich sonst beginnen, eine Nachfolge zu leben? Das Wesen des Christentums besteht in der Anerkennung, dass Gott ein geschichtliches Faktum ist, das bedeutet, dass die Bedeutung, die Gesamtheit dessen, wonach ich verlange und wonach ein jeder von uns verlangt, eine geschichtliche Tatsache ist.

Beitrag: Aber das ist der Glaube.

Don Giussani: Sicherlich, ich bin völlig mit dir einverstanden, dass dies der Glaube ist. Wir aber sollen auf die Frage antworten: "Was ist das Christentum?". Ich bin völlig einverstanden: Man versteht nur in der Nachfolge, was das Christentum ist. Die Frage, die wir uns gestellt haben, ist aber gerade ein Test, wie wir der Bewegung folgen. Versteht ihr? Darin besteht die Verbindung!
Die Schwierigkeit, die wir offensichtlich haben, auf diese Frage zu antworten, bedeutet, dass longa enim tibi restat via: Es bleibt noch ein weiter Weg in der Bewegung zu gehen. Denn wenn die Bewegung das Instrument ist, um in das Christentum einzuführen und ihm zuzustimmen... Wir haben es bereits gesagt: Die Bewegung ist das Instrument, um in das Christentum einzutreten. Denn das ist es, was uns interessiert, und nicht die Bewegung. Wenn also die Bewegung dieses Instrument ist, um in das Christentum einzutreten, dann lässt uns die Frage "Was ist das Christentum?" etwas hilflos zurück, weil sie selbstverständlich zu sein scheint - etwas Offensichtliches. Doch wie wir sehen, ist sie alles andere als offensichtlich. Und das bedeutet, dass das Leben der Bewegung mit noch wesentlich größerer Intelligenz und Treue gelebt werden muss. Machen wir uns also auf!

Beitrag: Ich möchte von der zuvor gestellten Frage ausgehen: Wann beginnt jemand sich zu fragen, was das Christentum für ihn ist? Ich habe diese Frage gestellt, als ich einer Person begegnet bin, die mich an einem bestimmten Augenblick meines Lebens herausgefordert hat, indem sie mir eine Hypothese für meine Existenz vorschlug. Sie sagte mir, dass Christus eine umfassende Antwort auf mein Leben sein könnte. Ich bin bei dieser Sache geblieben... (auch wenn mir die Kirche und das, was sie sagte, nicht gerade als Antwort auf mein Leben erschienen). So habe ich angefangen zu verstehen, was das Christentum ist, indem ich ihm gefolgt bin und denen, die mit ihm gemeinsam diese Erfahrung lebten. Ich habe versucht, die Hypothese zu erproben, indem ich der Weggemeinschaft zustimmte; indem ich versucht habe zu verstehen, wie Christus in der Erfahrung dieser Personen, die im Namen Christi lebten, gegenwärtig war; indem ich die Hypothese erprobt habe, dass Christus die Antwort auf mein ganzes Leben ist. Denn dies ist das Christentum. Wenn ich also einem Freund oder einer Person an der Universität begegne und wir über etwas Derartiges reden, sage ich: "Ich habe Folgendes erfahren: An einem bestimmten Punkt meines Lebens hat mir jemand gesagt: "Die Hypothese, die dich im Leben glücklich sein lässt, kann darin bestehen, dass Christus eine Antwort ist."

Don Giussani: Das beschreibt die Art und Weise, wie jemand zum Christentum findet! Entschuldigt, aber wir dürfen nicht von einer Antwort zur anderen ohne ein kritisches Bewusstsein wechseln. Ich habe den vorhergehenden Beitrag über die Kirche offen gelassen. Und ich habe auch bewusst die Antwort offen gelassen. Wir werden sie später wieder aufnehmen.
Das, was gerade berichtet wurde, dokumentiert das, was richtigerweise zuvor gesagt wurde: Man kann nur in der Nachfolge verstehen und nur durch eine Begegnung. Wenn man in diesem Jahr ernsthaft dem Seminar der Gemeinschaft gefolgt ist - Spuren christlicher Erfahrung - (aber ihr müsst es stets lesen, bis ihr es auswendig könnt), das eine Dokumentation in diesem Sinne ist, würde man diesen Punkt besser verstehen.

Beitrag: Für mich ist das Christentum durch Menschen gegeben, die anerkennen, dass...

Don Giussani: ...das heißt das Christentum sind die Gläubigen - und damit ist es einmal mehr subjektiv. Die Objektivität wäre dann allein soziologisch und statistisch. Sie wäre allein soziologisch und statistisch: Das Christentum sind die Gläubigen.

Beitrag: Für mich ist das Christentum die Tatsache, dass Jesus Christus auf die Erde gekommen ist. Und ich sehe dies in euch. Und ich sehe und anerkenne dies aus der Tatsache, dass mein Leben sich verändert. Es verändert sich nicht nur menschlich gesehen unter uns, sondern auch in den Entscheidungen.

Don Giussani: Einverstanden, das ist die Konsequenz. Du sagst: Das Christentum ist die Person Jesus Christus, die auf die Erde gekommen ist. Das sehe ich an euch, und das verändert mich. Ist dies so? Lassen wir auch diese Antwort offen.

Beitrag: Der erste Gedanke, der mir bei einer solchen Frage in den Sinn kommt, ist der, dass sie dramatisch ist und alles andere als selbstverständlich.

Don Giussani: Die Dramatik besteht darin, sie zu stellen. Es ist dramatisch, diese Frage zu stellen! Denn als solche wäre sie einfach, so als würde ich fragen, was ist dies oder jenes? Die Fragen sind in sich einfach. Es ist aber dramatisch, sie zu stellen. Die Fragestellung ist dramatisch, nicht die Frage an sich. Versteht ihr? Denn sie wird als selbstverständlich abgetan.
Freunde! - Das Problem der Bewegung besteht darin, dass für hundert Prozent (abgesehen von knapp 0,1 Prozent) der Leute das, woraus die Bewegung besteht, als selbstverständlich angesehen wird. Dadurch entfällt der wahre Gegenstand der Bewegung in allen Beziehungen und Bezügen, in allen Handlungen, die die Bewegung herausfordert oder die man in der Bewegung vollzieht. Er wird als selbstverständlich angesehen. Deshalb werden alle Aktionen zerfahren wahrgenommen, aufgenommen und vollbracht. Und es ist noch das geringste Übel, dass man deshalb zehn Jahre statt einen Tag braucht, um ein bestimmtes Ergebnis zu erhalten.

Beitrag: Die erste Antwort, die mir in den Sinn kommt, besteht darin zu sagen, dass das Christentum ein Faktum ist, das vor mir steht. Das heißt, dass dieser Mensch, der vor 2000 Jahren starb und auferstand, der die Macht hat, mich in der Taufe ihm einzugliedern, der mich rettet und befreit, eine Tatsache ist, die sich von mir unterscheidet, mich aber vollkommen betrifft. Ich spüre die Dramatik in der Antwort darauf, denn es ist in keiner Weise selbstverständlich, was du mir seit einem Jahr sagst: Entweder diese Tatsache geschieht auf menschliche Weise oder sie ist abstrakt und theoretisch.

Don Giussani: Auch dies ist eine Darlegung der Konsequenzen, es betrifft die Konsequenzen der Antwort.

Beitrag: Meines Erachtens ist das Christentum eine andere Art und Weise, die Dinge der Welt zu leben.

Don Giussani: Also eine Ethik.

Beitrag: Nein, auf andere Art und Weise...

Don Giussani: ...auf andere Art und Weise zu leben bedeutet, ein anderes Verhalten zu haben.

Beitrag: Als Ergebnis!

Don Giussani: Genau!

Beitrag: Für mich ist das Christentum ein Weg zur Wirklichkeit der Dinge.

Don Giussani: Ein Weg zur Wirklichkeit der Dinge...

Beitrag: ...zur Wirklichkeit und zur Wahrheit der Dinge, und darin liegt der Wert meines Lebens.

Don Giussani: Eine Methode, es ist eine Methode, um sich der Wirklichkeit zu nähern.

Beitrag: Es ist eine Form der Erkenntnis.

Don Giussani: Es ist eine Methode, sich der Wirklichkeit zu nähern, sie zu erkennen und zu gebrauchen.

Beitrag: Und sie zu leben.

Don Giussani: Eine Weisheit, wie es die Weisheit der Buddhisten gibt, so wie die Weisheit...

Beitrag: Nein, es ist nicht nur eine Weisheit: Es ist etwas, das dem entspricht, was ich bin.

Don Giussani: Eine Weisheit, die deinem Maß entspricht.

Beitrag: Es gibt einen Aspekt, auf Grund dessen mir die bisherigen Definitionen unzureichend erscheinen. Denn es bleibt noch offen, was ich bin. Mir scheint, dass das Christentum eine Gegenwart ist. Und eine Gegenwart bedeutet die Gegenwart von etwas anderem, das nicht nur ich bin mit meinem Verlangen und meiner Menschlichkeit, die sich erfüllt, sondern es ist die Gegenwart der Bedingung, auf Grund derer sich auch meine Menschlichkeit entwickelt. Meine Menschlichkeit, und dies nicht im abstrakten Sinn, sondern in der Beziehung zu dieser Gegenwart.

Don Giussani: Eine Bedingung, jedenfalls eine Bewegung, um menschlich zu sein.

Beitrag: ... oder besser: die Bedingung, die es mir erlaubt, meine Menschlichkeit anzuerkennen und wieder aufzunehmen. So ist die Begegnung, die ich mit der Bewegung gemacht habe, beispielsweise nicht nur die Antwort auf mein Verlangen nach Menschlichkeit: Sie war sogar eine Herausforderung, mein Verlangen wahrzunehmen, etwas, das mich zwang, die Traurigkeit aufzubrechen.

Don Giussani: Jedenfalls ist die Kategorie der Antwort jene der Erfahrung. Es handelt sich aber um eine Erfahrung, die im Unterschied zu anderen angemessen ist.

Beitrag: Es gibt einen Aspekt, auf Grund dessen das Wort Erfahrung mir unzureichend erscheint, um die Wirklichkeit des Faktums zu definieren. Denn es handelt sich um ein Geheimnis: Es ist die Erfahrung, die auf etwas fußt, das nicht allein eine Erfahrung ist.

Beitrag: Ich denke, dass das Christentum das Ereignis Gottes ist, der Mensch geworden ist, und dieser Mensch hat von sich gesagt, dass er Gott ist und hat gewählt...

Don Giussani: Das genügt vollkommen: Wir haben es! Denn nur dies ist das Christentum! Das Christentum ist dies: Es ist ein Faktum! Ein Faktum. So als würde ich dir einen Schlag versetzen und dabei die Brille kaputt machen. Es ist ein Faktum, dass ich ihm die Brille kaputt gemacht habe. Auf diese Weise ist es geschehen: Ein Mensch hat sich als Gott bezeichnet, oder Gott ist Mensch geworden und deshalb sagt dieser Mensch: "Ich bin Gott."
Die existenzielle Kategorie einer Antwort auf die Frage "Was ist das Christentum?" ist die eines Faktums: ein Faktum, so wie die Existenz von Moskau oder ein Faktum, so wie er Priester ist, denn er wurde geweiht - das ist ein Faktum.
Es ist ein Faktum! Seid euch bitte bewusst, dass es keine Frage des Geschmacks ist. Es ist eine Frage intellektueller Klarheit, es geht darum, die Dinge an ihren richtigen Ort zu stellen. Es ist eine Bedingung, es ist die wesentliche Bedingung jedes christlichen Denkens und jedes christlichen Verhaltens. Die Kategorie "Faktum" wird zur wesentlichen Kategorie des christlichen Weges.
Was also ist das Christentum? Es ist ein Mensch, der von sich gesagt hat, er sei Gott; das heißt es ist ein Mensch, der gesagt hat: "Ich bin die Rettung des Lebens. Ich bin die Bedeutung des Lebens."
Das Wort "Erfahrung" und alles Übrige sind nur die Konsequenzen dessen, versteht ihr? Das Christentum selbst ist aber genau dies.
Nachdem ich nun die Antwort erhalten habe, die ich für richtig halte, möchte ich nun nicht mehr von dieser Einsicht abrücken - es sei denn es gibt Einwände oder Fragen.

Beitrag: Das ist der grundlegende Glaube unserer Väter. Mein Vater und meine Mutter haben mich vor allem dies eine gelehrt, während wir hingegen sehen und entwickeln...

Don Giussani: Ja. Darin liegt unsere Gefahr, es ist das Pathetische unserer Position (denn es ist wirklich pathetisch), dass wir in der Lage sind, darauf aufzubauen - so wie alle unsere Antworten gezeigt haben - dabei aber das, worauf wir aufbauen, als selbstverständlich hinnehmen, so als wären wir uns dessen bereits bewusst. Während wir also aufbauen, vergessen wir den Eckstein. Deshalb sind unsere Gedanken etwas schief und die Grundlage unserer Aktionen stets leicht zweideutig.
Ich hatte die Antwort auf die Frage nach der Bedeutung der Kirche offen gelassen, weil die Kategorie "Kirche" zum Faktum gehört. Jetzt kommen wir aber darauf zurück und versuchen eine Antwort zu geben. Mit welcher Kategorie muss man die Kirche bezeichnen? Es ist ein Faktum! Sie ist ein geschichtliches Faktum des Zusammenschlusses von Menschen, die sagen: "Wir sind Christus", das heißt der "Leib Christi". Deshalb muss die Kirche als eine Ausführung der Antwort verstanden werden: Das Christentum ist das Faktum, das Ereignis, ein solches Ereignis... Ein Ereignis geschieht an einem bestimmten Ort, zu einem bestimmten Augenblick in der Zeit - versteht ihr? Es besteht aus Zeit und Raum.
Die Antwort auf die Frage "Was ist das Christentum?" ist ein Stück Zeit und Raum, dieses Stück Zeit und Raum, und dieses Sein, das aus einem Mädchen an jenem Ort in Palästina hervorging. Es wurde in jener verlassenen Ortschaft von Palästina empfangen und in jener Ortschaft, die Bethlehem heißt, geboren. Das Christentum ist dieses Ereignis! Nur dass diese Zeit und dieser Baum sich ausweiten. Mein Vorname und Nachname sind jene eines Seins, das an einen bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit geboren wurde. Nur dass sich dies verlängert, und von 1922 ist es bislang bis zum Jahr 1978 gelangt.
Dieses Ereignis ist aber nicht von 22 bis 78 gelangt, sondern es hat sich über 2000 Jahre ausgeweitet bis heute. Und es ist dazu bestimmt, bis zum Ende der Geschichte fortzudauern. Wie und wann, weiß ich nicht. Es könnte sich ausweiten oder schrumpfen bis auf 12 Personen, so wie sich Solowjev das Ende der Geschichte mit dem letzten Papst, Petrus II., vorstellt. Das spielt keine Rolle, es liegt im Geheimnis Gottes beschlossen. Aber dieses Ereignis ist ein Ereignis, das sich ausweitet wie ein Knall. Er beginnt und wird größer wie ein Donner, der sich ausbreitet, aber anstatt abzunehmen und schließlich zu verhallen, hat dieser Donner begonnen und wächst weiter. Es geht weiter. Diese Fortführung nennt sich Kirche, während sich die Zeit von 1922 bis 1978 auf ein menschliches Leben, auf mein Leben bezieht. Dies nennt sich also Kirche. Das Leben Christi. Andererseits benutzt der heilige Paulus sogar den Ausdruck "die Erfüllung der Reife Christi": Die Kirche verwirklicht die Reife Christi, deshalb ist sie gerade das Leben Christi.
Es ist also ein Ereignis auf Grund der Aussage eines Menschen, der gesagt hat: "Ich bin Gott und werde in der Geschichte in einer sichtbaren Wirklichkeit von Personen fortfahren, die mir zugehören und untereinander eins sein werden." Kurz - die Kirche. Es handelt sich um ein Faktum! Man kann daran glauben oder nicht, aber es ist ein Faktum!
Seit dem Humanismus hat man versucht, das Christentum auf eine Weisheit zu verkürzen (die beste Art zu leben, die größte menschliche Philosophie). So wurde es verkürzt, und die Vernunft wird stets versuchen, es auf solche Weise zu verkürzen. Denn ansonsten wird sie von ihm beherrscht. Wenn es ihr aber gelingt, das Christentum zu verkürzen, kann sie es beherrschen: Die Vernunft beurteilt es dann. Doch das Christentum ist ein Faktum. Man kann sich darüber ärgern, weil es existiert, weil es geschehen ist. Man kann sich darüber aufregen, man kann fluchen, man kann sich hysterisch die Haare raufen, weil man will, dass es nicht existiert, aber factum infectum fieri nequit: Aus einem Faktum kann man kein Nicht-Faktum machen.
Es ist ein Faktum, das Elemente der Herausforderung für die Zukunft enthält. Denn das Morgen gibt es noch nicht. Und dieses Faktum, das aus 2000 Jahren auch uns ereilt und in das auch wir einbezogen sind, sagt: "Seht, in 34.000 Jahren werde ich immer noch da sein, und in 3.400.000 Jahren werde ich immer noch da sein."
Es ist ein Faktum! Das Christentum ist ein Faktum! Deshalb ist unser Glaube, unser Christsein vor allem ein Faktum. Deshalb könnt ihr es euch nicht aus dem Leib reißen, denn ihr seid durch die Taufe einbezogen. Es ist ein Gestus, der euch ergriffen und euch in das Faktum einbezogen hat. Und ihr könnt nicht heraus. Ich bestehe darauf, weil es nichts gibt, was unserem Leben die Kraft der Gewissheit und die Energie der gewissen Dinge geben kann wie dieses Faktum. Es vereinfacht alles! Es hängt nicht von unserem Gemütszustand ab, von dem, was du fühlst, von dem, was du gefühlt hast, von deiner Ansicht, von dem, was in dir hell und klar oder dunkel ist. Das Christentum ist ein Faktum mit folgendem Inhalt: Das Gesicht des Faktums, die Form des Faktums ist ein Mensch, der sich in der Geschichte ausweitet, indem er Menschen ergreift und sich gleich gestaltet. Und der Inhalt dessen besteht darin, dass dies die Gegenwart der Rettung des Menschen für den Menschen, die Gegenwart der Bedeutung der Geschichte ist. Die Gegenwart der Bedeutung der Geschichte und des Menschen in all seinen Zusammenhängen. Denn die Geschichte bin ich, in der Gesamtheit der Zusammenhänge, entsprechend der Gesamtheit meiner Verbindungen. Dies ist die Geschichte. Ohne mich gäbe es keine Geschichte.
So kann man auch die zwei wichtigsten Folgerungen dieser Antwort verstehen - die wesentlichen Folgen. Die erste: Wenn du nicht auf eine Person oder eine christliche Wirklichkeit stößt, die dieses verkündet, wenn du nicht auf einen prophetischen Augenblick stößt (prophetisch: eine Person oder Wirklichkeit, die dies verkündet; die Prophetie ist diese Verkündigung); wenn du nicht auf eine Person oder eine Wirklichkeit stößt, die dir dies verkündet, dann ist es für dich so, als würde es nicht existieren. Das ist das Phänomen der Begegnung.
Das Phänomen in der Begegnung verhält sich zu unserem Christsein, wie Pfingsten sich zur Beziehung der Jünger zu Christus verhält. Denn wenn es Pfingsten nicht gegeben hätte, wären alle betrogen geblieben mit einer großen, unnützen und tragischen Erinnerung im Herzen. Deshalb ist die Begegnung der Geist dieses Menschen oder dieses Faktums, das sich dir mitteilt. Die Begegnung ist der Geist jenes Faktums, das sich dir mitgeteilt hat. Und der Geist dieses Faktums teilt sich dir durch etwas sehr Banales mit: durch Feuerzungen, ein Feuer, einen Donner, so wie die vergängliche Banalität irgendeines Menschen oder irgendeiner Gruppe. Ich bin einmal nach Brescia gefahren, um über "Comunione e Liberazione und die Gottesmutter" auf dem Nationalen Marianischen Kongress zu sprechen. Als ich ankam, sagte Don Maggioni (einer der wenigen, der die Dinge ernsthaft beim Namen nennt) in einer Debatte mit einem Priester, der soeben gesprochen hatte, dass das große Vergehen in der Kirche von heute, das große Unvermögen in der Kirche von heute, darin bestehe, dass es eine Kirchlichkeit ohne Ereignis gibt. Die Begegnung ist jenes Faktum, das zu einem Ereignis für das Leben wird. Denn, so sagte er, ohne Ereignis ist es so, als hätte es jenes Faktum nie gegeben - so, wie ich es jetzt wiederholt habe.
Stellt euch vor, welche Schwindel erregende Bedeutung die Banalität einer Begegnung bekommt! Stellt euch vor, wie verehrungswürdig die Gegenwart von so hinfälligen Dingen wie die Namen, die Gesichter, denen wir begegnet sind, oder wie unsere Gruppen, unsere Gemeinschaften sind! Stellt euch vor, welchen ewigen Wert diese "Lächerlichkeiten" haben.
Die Begegnung war die erste Konsequenz: Wenn es ein Faktum ist, dann wird dieses Faktum bekannt, innotescit, es wird dir durch eine Begegnung bekannt. Das ist Pfingsten, das heißt das Faktum wird für dich zu einem Ereignis in deinem Leben. Das geschichtliche Ereignis wird zu einem Ereignis in deinem Leben durch eine Begegnung.
Zweite Konsequenz: Da das christliche Faktum ein Mensch oder eine Wirklichkeit, eine menschliche Gegenwart (eine menschliche Gegenwart!) ist, die beansprucht, die Bedeutung deines Lebens und der Geschichte zu sein, die Bedeutung deines Lebens entsprechend der Gesamtheit seiner Zusammenhänge (...erinnert euch daran, dass mein Leben und der Kosmos dasselbe sind, weil der Kosmos und die Geschichte mein Leben in der Gesamtheit seiner Zusammenhänge sind, deshalb sind sie mein wahres Leben). Der Inhalt dieser Tatsache ist die Gegenwart eines Menschen, eine menschliche Wirklichkeit, die von sich sagt: "Ich bin die Bedeutung der Geschichte, des Kosmos und damit von dir; ich bin Bedeutung deiner Existenz sowie die Existenz aller Dinge." Dieses Faktum ist die Bestimmung, die gegenwärtig geworden ist, es ist die Bestimmung, die zur Gegenwart geworden ist. Es ist die Gegenwart der Bestimmung, der Bestimmung von mir, von dir, von ihnen, von allen - wer ihn also durch die Begegnung anerkennt... Was ist das Wichtigste in deinem Leben? Die Bestimmung. Was ist das Wichtigste in meinem Leben? Meine Bestimmung. Wenn deine Bestimmung und meine Bestimmung dasselbe sind, leben wir dieselbe Sache. Das ist die Gemeinschaft, es ist die Einheit unter den Menschen: Was normalerweise unmöglich ist, wird hier so real, dass es ein moralisches Gesetz wird. Das einzige moralische Gesetz ist die Einheit oder die Barmherzigkeit. So wird dieses Faktum in der Gemeinschaft zum neuen Gesicht des Menschseins, der Gesellschaft, der Geschichte. Damit habe ich auch die Bewegung beschrieben. Die Bewegung besteht allein aus diesen Dingen (allein aus diesen Dingen!)
Ich weiß nicht, ob wir in Rom, Pescara oder Bologna und so weiter die Bewegung im Bewusstsein dieser Dinge gelebt haben. Ich möchte nur sagen, dass das Eindringen dieser Dinge in das Bewusstsein die Faszination, die einzige Faszination der Einladung ist, die an uns ergeht. Und es ist auch die einzige Kraft gegenüber jedem und allem, auch wenn wir allein bleiben würden.
"Dies ist der Sieg, der die Welt besiegt: der Glaube", denn das, was die Welt besiegt, ist die Bedeutung der Welt.
Deshalb ist die Frage, mit der wir jene von heute Morgen ersetzt haben, nicht einfach ein Austausch von Begriffen. Denn die Antwort auf die Frage "Was ist das Christentum?" ist die Antwort auf die Frage "Was ist die Bewegung?" Eigentlich lautete die Frage: "Wie läuft die Bewegung?" Aber jetzt haben wir meines Erachtens Kriterien, um zu erkennen, wie die Bewegung läuft und wie wir weitermachen können.
Ich weiß nicht, ob ihr euch an die Zeilen aus Jeremias von gestern erinnert, wo es heißt, ich werde dein Gesicht vor ihnen hart machen wie eine Wand aus Bronze. Sie werden dich angreifen, aber nicht besiegen. Eine Wand aus Bronze, ein Gesicht aus Bronze gegenüber jedem Angriff, gegenüber jedem Angriff des Andersartigen, das heißt gegenüber jedem Angriff, der nicht die Bedeutung ist. Weil das andere von dem das ist, was nicht ist, es ist die Sünde. "Die Welt ist der Sünde unterworfen. Denn die Welt sind nicht die schönen Sterne, das schöne Gesicht der Frau, die Kinder, die aufwachsen... Es geht um die Frage nach der Bedeutung, auf Grund derer der Mensch die Beziehung zur Frau lebt, zu den Sternen und zum Kind. Denn der Mensch ist das Tier, das allem begegnet, einschließlich sich selbst, im Horizont der Interpretation einer Bedeutung.
Deshalb ist das, was dem nicht entspricht, die Lüge! Das, was uns zu einer "Mauer aus Bronze" gegen das Andersartige werden lässt, ist der Glaube, das heißt die Anerkennung dieser Gegenwart, die zu einem Ereignis in unserem bewussten Leben geworden ist und zwar durch eine Begegnung (und hier beginnt die Reife). Und es lebt in meinem Leben nur in dem Maße, wie es in Einheit mit eurem Leben ist, das heißt in der Gemeinschaft - also in meinem Leben, in dem Maße, wie es mit eurem vereint ist, nicht weil ich mich einmal am Tag mit euch treffe, um mit euch die Laudes zu beten, oder weil ich mich mit euch 44 Mal am Tag treffe oder 44 Versammlungen abhalte. Es wäre auch gültig, wenn ich für sechs Monate alleine in den USA wäre! Die Beziehung zum Geld, die Beziehung zur Zeit, die Beziehung zur Arbeit, die Beziehung zur Frau, die Beziehung zum Fremden... und zu euch wird im Bewusstsein meiner Zugehörigkeit empfunden, verstanden, angegangen und gelebt.
Und es hat mit allem zu tun, was ich tue. Weshalb geht man zur Arbeit? Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen oder in außergewöhnlichen Fällen wegen der Neugier an der Wissenschaft oder Technik. Weshalb heiratet man? Man heiratet... halt so. Weshalb zeugt man Kinder? Weil... Weil... eben so. Weshalb isst man? Um zu leben. Gut, alle diese Antworten müssen zerbrochen und ersetzt werden oder besser, etwas anderes muss aus ihnen erwachsen: Dieses Phänomen nennt sich im christlichen Sinne Verklärung.
Man tut alles, um das Zeugnis für Christus, das heißt die Einheit, die Gemeinschaft in der Welt aufzurichten. Oder wie es der Psalm heute früh ausdrückte: "Ich liebe dein Haus, der Ort, wo deine Herrlichkeit wohnt". Es geht darum, dies aufzurichten!
Durch das, was wir tun, errichten wir dies. Deshalb wird nichts verdrängt oder zensiert. Dafür lebt man das Verständnis der Verklärung: weil man von einem anderen "Geschäft" ergriffen wurde. Daher soll, "wer eine Frau hat, sich in Zukunft so verhalten, als habe er keine (...) wer kauft, als würde er nicht Eigentümer kaufen, wer sich die Welt zunutze macht, als nutze er sie nicht." Denn es geht nicht um den unmittelbaren Eindruck der Dinge. Es ist wie eine andere Welt.
Abschließend - wenn auch nur vorläufig - möchte ich sagen, dass es wirklich die Erfahrung einer anderen Welt ist, die man macht.
Deshalb ist auch das Verständnis der Erfahrung und alles Übrige richtig. Denn alle Beiträge haben etwas Richtiges gesagt: Es ist die Erfahrung eines anderen Menschseins. Dies mag so anfänglich sein, wie ihr wollt. Aber die Gerechtigkeit, das, wonach die ganze Menschheit verlangt, ist diese Menschlichkeit, die in uns Raum greift: Die Gerechtigkeit ist die Vollendung.
Dies ist nicht etwas anderes neben dem Problem der sozialen Gerechtigkeit: Die Gerechtigkeit bezieht auch das Problem der sozialen Gerechtigkeit ein und verwandelt und verklärt das Verständnis davon. Sie verdrängt nichts und zensiert nichts. - Also, wie haben unsere Gemeinschaften dieses Jahr gelebt?