Logo Tracce


Religionsfreiheit - Interview mit Giorgio Feliciani
Die Suche nach der Wahrheit:
Ein Menschenrecht, das sich nicht unterdrücken lässt

Carlo Dignola

Ohne Religionsfreiheit, die Synthese aller Menschenrechte, wird der Mensch in seiner tiefsten Sehnsucht unterdrückt. Der Staat muss sie daher schützen und fördern in angemessenem Rahmen und einer "gerechten natürlichen Ordnung". Zu den oft schwierigen Beziehungen zwischen Staat und Religion nimmt Giorgio Feliciani Stellung.

"Das Recht auf Religionsfreiheit ist in vielen Staaten weiterhin nicht hinreichend oder angemessen anerkannt. Aber das Streben nach Religionsfreiheit kann nicht unterdrückt werden. Solange es lebendige Menschen gibt, wird es lebendig und drängend bleiben." So Papst Johannes Paul II. in seiner Ansprache an das beim Heiligen Stuhl akkreditierte diplomatische Korps am 10. Januar.
Dieser Warnruf entging auch Giorgio Feliciani nicht. Er lehrt kanonisches und Staatskirchenrecht an der Katholischen Universität Mailand und war lange Zeit Vorsitzender des internationalen Dachverbands dieser Fächer.

Als Europäer halten wir die freie Wahl der Religion für selbstverständlich. In vielen Teilen der Welt ist die Lage aber weniger erfreulich.
Die Religionsfreiheit wird in vielen Ländern schwer unterdrückt. Es gibt islamische Staaten, wo die Sharia auf die ganze Bevölkerung angewandt wird. In anderen Staaten sind alle christlichen Gebetsstätten illegal, und sogar in Privathäusern muss man sich heimlich zum Gebet treffen. Dafür ist allerdings nicht immer der Staat verantwortlich. Auch Einzelne und Gruppen haben ihren Anteil daran. So sind die Bombenanschläge in Bagdad und wie unlängst die Entführung eines Bischofs, aber auch einfacher Gläubiger ganz offensichtlich Angriffe auf die Religionsfreiheit. Es gibt aber auch Situationen, wo diese Angriffe weniger ausgeprägt sind. Erzbischof Giovanni Lajolo, der Sekretär für die Beziehungen zu den Staaten, hat unlängst betont, dass es nahezu kein Land gibt, in dem sich die Kirche aller Rechte erfreut, die ihr ihrer Meinung nach legitimerweise zustehen.

In Ländern die durch eine christliche Kultur geprägt sind, hat sich hingegen eine größere Freiheit durchgesetzt, nicht nur für die Christen, sondern für alle.
Sagen wir es so: Heutzutage kann man nicht von der Freiheit der Kirche sprechen, ohne auf das Thema der Religionsfreiheit im Allgemeinen Bezug zu nehmen. Johannes Paul II. hat einen großen Teil seines Lehramtes gerade diesem Thema gewidmet. Aber schon das II. Vatikanische Konzil hat der Religionsfreiheit eine ganze Erklärung gewidmet, nämlich Dignitatis Humanae.

Warum ist es so wichtig, diese Freiheit zu verteidigen?
Der Mensch hat das Recht und die Pflicht, nach der Wahrheit zu suchen. Und sobald er sie erkannt hat, muss er ihr anhängen und sein Leben nach ihren Erfordernissen ausrichten können, und zwar in einem Zustand der Freiheit von jeglichem äußeren Zwang. Der Bereich des Religiösen ist letztlich der Bereich der Wahrheit. Wo keine Religionsfreiheit herrscht, ist der Mensch in seinem Suchen und in seiner Sehnsucht begrenzt, eingeschränkt und unterdrückt.

Geht es hier um eine sehr persönliche, private Angelegenheit?
Nicht nur. Religionsfreiheit kommt den einzelnen Personen zu, gerade auch dann, wenn sie in gemeinschaftlicher Form handeln.

Heutzutage steht, wenn überhaupt, der individuelle Aspekt im Vordergrund. Die Freiheit der Kirche als Institution wird nicht als Gut erachtet, das es zu verteidigen gilt.
Genau. Auch in internationalen Verträgen kommen die individuellen Freiheiten üblicherweise vor und werden garantiert. Der Freiheit der Religionsgemeinschaften wird deutlich weniger Aufmerksamkeit entgegengebracht. Auch die Formulierungen in der neuen Europäischen Verfassung sind hierzu eher vage. Die Behandlung der Frage der Religion ist schon einzigartig: Die Verwirrung geht so weit, die Konfessionen auf eine Ebene mit philosophischen Organisationen zu stellen?

Die Menschenrechte erfahren zunehmend Aufmerksamkeit und Sensibilität. Auch unter Katholiken werden sie als politisches Banner der Öffnung gegenüber anderen Kulturen betrachtet. Die Religionsfreiheit hingegen wird als vergleichsweise unwesentlich empfunden. Wie greifen diese Bereiche ineinander?
Es geht um mehr als ein Ineinandergreifen, es handelt sich um dasselbe Problem. Religionsfreiheit ist ein Menschenrecht. Mehr noch: Sie bezieht die anderen Menschenrechte am umfassendsten mit ein. Religionsfreiheit bedeutet Gewissensfreiheit, Meinungsfreiheit, Freiheit, für diese Meinung öffentlich zu werben; Vereins- und Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, Freiheit der Erziehung und Freiheit, dem eigenen Glaubensbekenntnis entsprechend kulturelle und wohltätige Initiativen zu gründen. Die Religionsfreiheit stellt die Grundlage, man kann aber auch sagen die Zusammenfassung aller Menschenrechte dar. Man kann feststellen, dass dort, wo sie in vollem Umfang respektiert wird, auch alle anderen Rechte wirklich respektiert werden.

Wir entwickeln uns zu einer multikulturellen Gesellschaft. Wird es damit auch nötig, andere Religionen zu schützen?
Selbstverständlich. Dabei gilt es, keine von ihnen zu benachteiligen. Es ist inakzeptabel zu sagen: Da die Rechte der Kirche in islamischen Ländern nicht gewahrt werden, dürfen wir die Rechte der Muslime in Italien nicht anerkennen. Das ist wirklich Blödsinn. Es ist so, als würde man sagen: Da es im Irak oder Ost-Timor, und auch in China Menschenrechtsverletzungen gibt, sollten wir die Menschenrechte auch in Europa verletzen. Natürlich entbindet das unsere Staatsführung nicht davon, sich hartnäckig um Ausgleich und Gegenseitigkeit in den Bedingungen zu bemühen.

Würden Sie in Italien die katholische Kirche, Islam und Buddhismus auf eine Stufe stellen?
Aus der Tradition und Bedeutung heraus, die eine bestimmte Religionsgemeinschaft in einem bestimmten Land gehabt hat und auch weiterhin besitzt, kann diese durchaus einen besonderen Status verlangen, der in einem gewissen Sinne "bevorzugt" ist. Allerdings nur insofern, als dies nicht eine Einschränkung der Freiheit der Andersgläubigen und der anderen Religionsgemeinschaften mit sich bringt. Aber Vorsicht: Unserer Verfassung sagt nicht, dass alle Religionsgemeinschaften "gleich" vor dem Gesetz sind, sondern "gleichermaßen frei" sind.

Und was ist, wenn die Religionsfreiheit mit einem Grundprinzip des Staates in Konflikt gerät?
Es ist festzuhalten, dass sie weder für Individuen noch für Gemeinschaften unbegrenzt gilt. Sie muss sich in die Grenzen fügen, die dem Wesen der Menschenrechte entsprechen. Das Konzil hat von einer "gerechten natürlichen Ordnung" gesprochen. So kann die Forderung nach freier Ausübung eines Glaubensbekenntnisses, das Menschenopfer verlangt, unmöglich erfüllt werden. Menschenwürde, Demokratie und Gleichheit können unmöglich in Frage gestellt werden.

Also gesteht die katholische Kirche zu, dass der Staat religiösen Praktiken Grenzen auferlegen kann?
Das Konzilsdokument Dignitatis humanae sagt das sogar ausdrücklich.

Zurzeit fordern in Italien viele eine klarere Trennung von Kirche und Staat.
Eine saubere Trennung ist nicht möglich - aber eine Unterscheidung der Zuständigkeitsbereiche schon. Kirche und Staat sind unabhängig und selbstständig. Aber da sie sich im Wesentlichen an dieselben Menschen wenden, muss eine gesunde Zusammenarbeit vereinbart werden, die der Förderung des Menschen und dem Wohl der Nation dient. Sie können einander nicht ignorieren. Aus der Tatsache, dass ein Staat nicht konfessionell gebunden ist - und er sollte es auch nicht sein - folgt nicht, dass er dem Phänomen Religion gleichgültig oder gar feindlich gegenüberstehen sollte. Ganz im Gegenteil: Der Staat muss die Freiheit diese Phänomens garantieren und es in all den Aspekten aufwerten, die ihm im gesellschaftliche Zusammenleben nützlich und förderlich sind.

Besteht heutzutage noch das Risiko eines katholischen Fundamentalismus?
Schon in der Apostelgeschichte widersetzt sich Petrus dem Hohen Rat, der ihm verbieten will, von Jesus Christus zu sprechen, mit den Worten: "Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen." Hier wird der Vorrang des Gewissens eingefordert - sowohl vor der staatlichen als auch vor der religiösen Autorität, was der Hohe Rat ja war.

Soll das heißen, dass der Christ auch von der institutionalisierten Religion Selbstbestimmung einfordert?
Es ist katholische Lehre, dass das höchste Kriterium das eigene Gewissen ist. Es muss nur auf rechte Weise gebildet sein. Wir müssen eingestehen, dass es auch in der Geschichte der Kirche zu Auswüchsen von Fundamentalismus gekommen ist. Aber gerade die unbedingte Anerkennung der Würde der einzelnen Person schützt eine authentische katholische Position vor dem Abgleiten in eine solche Haltung. Der gebotene Respekt vor der Würde jedes Einzelnen sorgt dafür, dass die Kirche allen ohne Unterschied Aufmerksamkeit und Wertschätzung schenkt.
Dies scheint mir auch der Papst zu tun. Er hat sich in den vergangenen Jahren nicht nur gegen den Krieg ausgesprochen, er ist auf internationaler Ebene auch der Einzige, der die Rechte aller verteidigt.
Es ist die Aufgabe der Christen, der Menschheit auf ihrem Weg beizustehen, in allen ihren Ausdrucksformen und Lebensumständen.
Wenn Religionsfreiheit voll und ganz ernst genommen und in die Tat umgesetzt wird, schützt sie nicht nur die Christen, sondern alle Menschen.
Und sucht auch den Dialog mit allen religiösen Menschen. Zumindest mit denen guten Willens.