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Aufmacher
Eine Gegenwart im jeweiligen Lebensumfeld
Luigi Giussani

Aufzeichnung eines Beitrags von Luigi Giussani über Gioventù Studentesca Reggio Emilia, 1964

Ich möchte aus dem Stegreif kurz darüber berichten, was wir in Mailand zu tun versuchen. Es ist also eher ein Zeugnis als eine Lektion oder eine Darlegung von Prinzipien. Wenn ich mit Priestern spreche, die in einem anderen Umfeld oder in anderen Regionen tätig sind, wird mir immer besonders bewusst, wie wahr die eben gemachte Beobachtung ist: Unsere christliche Verkündigung muss auf die jeweilige Situation antworten, und in den stets unterschiedlichen Situationen muss man auch unterschiedlich vorgehen. Das ändert nichts daran, dass es Überlegungen und Richtlinien gibt, die eine allgemeine Gültigkeit haben können.
Bevor ich mich dem eigentlichen Thema zuwende, möchte ich eine Vorbemerkung machen. Es wurde vorhin von «Programmgestaltung» gesprochen: Aus katholischer Sicht ergibt sich die «Programmgestaltung» automatisch aus dem Faktum der Kirche, die eine um den Bischof versammelte Gemeinschaft ist. Daher gehört das, was ein Priester im Krankenhaus mit den Kranken einer bestimmten Pfarrei und eines bestimmten Pfarrers macht, mit zu einem einzigen Gestus. Es gehört zu demselben Gestus, mit dem jener Pfarrer diese Personen getauft und auf die Erstkommunion vorbereitet hat. Es gibt daher nichts, was wir von vornherein ausgrenzen sollten. Es gibt meiner Meinung nach kein schlimmeres und offensichtlicheres Vergehen gegen unser gemeinsames Christsein als gewisse Spaltungen und gewisse Aufteilungen in «das hier ist meine Angelegenheit, das andere ist deine Angelegenheit», oder «die Leute müssen hierher kommen und nicht dorthin». Mit derartigen Kriterien und Sorgen («die Leute müssen hierher kommen und nicht dorthin») kann man das Problem nicht lösen. Wir müssen vielmehr dorthin gehen, wo die Leute sind!
Hierin liegt der zweite Aspekt der Vorbemerkung, die ich machen wollte. Das christliche Leben ist eine konkrete Gemeinschaft, die um den Bischof versammelt ist. So ist zum Beispiel die Pfarrei ein Teil dieser Gemeinschaft. Sie ist selbst Gemeinschaft. Wenn daher jemand krank wird und an Ostern nicht in die Kirche kommen kann, um die Kommunion zu empfangen, so kommt der Pfarrer zu ihm nach Hause oder schickt den Kaplan dorthin, um die Kommunion zu spenden. Doch es ist ein einziges Leben, das Leben einer einzigen Gemeinschaft, und diese beiden Gesten - in der Kirche die Kommunion austeilen oder zu jemanden nach Hause gehen, um ihm die Kommunion zu spenden - sind ein einziger Gestus.
Ganz analog verhält es sich bei den jungen Leuten. Sie gehen zur Schule und werden dort in die Welt des Wissens eingeführt. Sie können sich dort der Umstände und Bedingungen, in denen sie leben, auf viel bessere Weise bewusst werden, als dies zu Hause, in der Pfarrei oder in irgendwelchen Vereinen möglich wäre. Also schickt der Bischof im Auftrag der Kirche einen Kaplan dorthin, nicht mehr, um einem Kranken die Kommunion zu spenden, sondern um in der Schule Religion zu unterrichten. Der Gestus ist ein einziger. Es liegt im Interesse des Pfarrers, dass die jungen Leute in dem Umfeld, das den größten Einfluss auf sie hat, auf christlich angemessene Weise behandelt werden und dort dazu bewegt werden, Christus zu begegnen. Es ist ein und derselbe Gestus! Ebenso ist es, wenn ein Junge zu mir in die Schule kommt und mir - weil ich ihm unsympathisch bin - nicht zuhört, sich im Religionsunterricht die Ohren zustopft und Latein lernt (und ich kann nichts daran ändern, weil ich ihn mir sonst nur noch mehr zum Feind machen würde, und so versuche ich, diskret vorzugehen und den Fall nicht aufzubauschen). Doch nehmen wir mal an, der Junge habe eine gewisse Sympathie für den Kaplan seiner Pfarrei und er geht dorthin, bereitet sich auf die Erstkommunion vor und geht in eine dortige Jugendgruppe, während er sich der Bewegung, die ich an meiner Schule zu initiieren versuche, nicht anschließt. In diesem Fall werde ich doch sagen: «Gott sei Dank, dass er dorthin geht!» Es ist ein und dieselbe Sache! Für jemanden, der für das Reich Gottes - das ein Einziges ist! - arbeiten möchte und für seinen Bischof (denn es gibt nur die um den Bischof versammelte Kirche und keine andere), für so jemanden besteht die größte Demütigung darin, von seinen eigenen Mitbrüdern als Überläufer und «Umstürzler» betrachtet zu werden oder als jemand, der sich seine eigene Welt zu schaffen versucht und sonst nichts. Während es doch in Wirklichkeit um ein und denselben Gestus geht! Nach welchem Kriterium wollen wir denn unsere Betätigungsfelder voneinander abgrenzen? Nach welchem Kriterium wollen wir entscheiden, was zu tun ist, in welche Richtung man gehen soll, ob man die Leute hierher oder dorthin holen soll? Das Kriterium ist das grundlegende christliche Prinzip der Inkarnation. Dem Christentum ist eine bestimmte Methode zueigen, und zwar die Methode der Inkarnation. Denn als Wahrheit hätte das Wort Gottes nicht Fleisch werden müssen, es hätte auch so als Wahrheit fortbestanden. Doch das Christentum ist von einer bestimmten Form der Mitteilung bestimmt, und das erste Charakteristikum dieser Mitteilungsform ist gerade die kenosis, die condescendentia, wie der heilige Hieronymus sagt, das heißt die Tatsache, dass Gott sich in die menschliche Wirklichkeit hineinbegeben hat.

Dem Einzelnen dort begegnen, wo er ist
Das ist also das Kriterium: Die christliche Botschaft, das christliche Leben, die christliche Gemeinschaft muss den Einzelnen dort treffen, wo er ist: wo er ist! Doch bei diesem «wo er ist» kommt es klarerweise nicht so sehr auf den physischen Ort an, auch wenn dieser natürlich stets von Bedeutung ist, da der Mensch nicht wie ein Engel in der Luft schwebt. Den Menschen dort «abzuholen», wo er ist, bedeutet aber besonders, ihn in dem Kontext und der Umgebung «abzuholen», wo die Entwicklung seiner Person am maßgeblichsten bestimmt wird.
Nun reicht bereits eine kleine Beobachtung, darin werden mir alle zustimmen, für folgende Feststellung hinsichtlich eines Jugendlichen - und hier bedarf es nicht mehr wie vor zehn Jahren der Unterscheidung zwischen kleinen und großen Städten -, der auf die Schule geht und bis zu einem bestimmten Alter dort bleiben wird (auch das hat eine besondere Bedeutung, denn bei einem Jugendlichen entscheidet sich im Alter von vierzehn, fünfzehn, sechzehn Jahren, wohin er sich öffnet und wofür er Sympathie entwickelt, welche Beziehungen er eingeht und wie er sein Leben «anlegt»): Das Umfeld, das mit Abstand am meisten die Richtung bestimmt, die seine Persönlichkeit im Laufe des Lebens nehmen wird, ist zweifellos die gymnasiale Oberstufe, nach der Mittelschule oder der Berufsschule. Heutzutage beginnt diese richtungsgebende Lebensphase sogar noch ein paar Jahre früher als bisher.
In der Schule geht es nicht nur darum, dem Schüler Wissen zu vermitteln. Vielmehr wird er auf autonome Weise und mit persönlicher Verantwortung in das Wissen eingeführt. Eigentlich geschieht das zu diesem Zeitpunkt zum ersten Mal mit Bewusstsein und persönlicher Verantwortung. Stellen wir uns nur vor, welchen Einfluss eine Gemeinschaft von Jungen, die für ein, zwei oder fünf Jahre zusammenleben, für diese Jungen hat! Die Beurteilung der Filme, die sie anschauen, die Mädchen, mit denen sie zusammen sind oder nicht, die Freizeit, die Spiele, der Sport, ja sogar - in den großen Städten - die Gestaltung der Ferien, all das wird bestimmt von den Gesprächen mit den Klassenkameraden!
Das ist ein Faktum. Der einzige mögliche Einwand hierzu wäre der folgende: Es stimme nicht, dass die Schule und das Zusammenleben dort - also die Schule nicht beschränkt auf vier Mauern, sondern verstanden als Ausgangspunkt für ein ganzes Netz von Interessen, Beziehungen, Kenntnissen, Anregungen und Reaktionen -, es stimme nicht, dass das Umfeld der Schule einen Einfluss auf die Jugendlichen habe. Mit scheint dieser Einfluss offensichtlich: sowohl hinsichtlich des Unterrichts als auch hinsichtlich der Beziehungen unter den Klassenkameraden. Dieser zweite Faktor ist übrigens von enormer Bedeutung, vielleicht sogar noch mehr als der Unterricht selbst, da der Unterricht stets gleichsam gefiltert wird durch die Mentalität und die Reaktionen in der Klasse. Viele von uns werden selbst diese Erfahrung gemacht haben. Wie oft werden die Worte des Lehrers von jedem, auch von einem guten Jungen unter dem Einfluss der Reaktionen der Klasse aufgenommen! Wenn zum Beispiel in der Klasse ein entschieden christliches Klima vorherrscht, werden die Zweifel weniger. Wer skeptisch und atheistisch denkt, hat sozusagen weniger Selbstsicherheit. Wenn dagegen die ganze Klasse skeptisch, distanziert oder atheistisch ist, so kommen jedem Zweifel, auch dem besten Jungen von der Katholischen Aktion (die damals größte katholische Jugendorganisation in Italien, AdR).
Es ist daher richtig, wie bereits gesagt wurde, dass die Schule immer mehr zum maßgeblichen Instrument der Formung des Menschen von morgen wird: nicht nur für die, die auf das humanistische oder naturwissenschaftliche Gymnasium gehen, sondern für alle. Hierbei wird der Einzelne in seinen persönlichen Aktivitäten, in seiner Sensibilität, im Zusammenleben und in seinem Gemeinsinn immer stärker geprägt.
Es wurde vorhin gesagt, dass man die authentischen, gut herangebildeten Christen im Zusammenleben mit den anderen in verantwortliche Positionen bringen sollte. Doch ist das wirklich die entscheidende Frage? Wo bilden wir denn diese Christen heran? Wo findet man sie? Denken wir an unsere jungen Leute beispielsweise in Mailand, Bologna oder Turin. Sollen wir sie heranbilden, indem wir sie zusammen mit den Kommunisten, Sozialisten und den anderen in deren Beratungsorgane schicken? Wie und wodurch werden sie dort dann herangebildet? Klarerweise müssten sie bereits herangebildet sein, ehe sie dorthin gehen, denn dort müssten sie Stellung beziehen. Unser wahres Problem, ja unser einziges Problem ist das einer christlichen Erziehung! Der Rest braucht uns nicht zu interessieren, denn er ergibt sich hieraus von selbst, wenn wir erst einmal dieses Problem gelöst haben. Denn sie sind allesamt Christen und Christdemokraten, doch im öffentlichen und sozialen Leben artikulieren sie sich nicht als solche! Ist es uns in den letzten zwanzig Jahren, bei allem guten Willen und mit all den Leuten in hohen Positionen, gelungen, eine aus christlicher Sicht angemessenere Gesellschaft zu schaffen? Das wahre Problem ist letztlich: Dort, wo ich erziehen kann, muss ich christlich erziehen. Unser erstrangiges Problem in gesellschaftlicher und öffentlicher Hinsicht ist die Freiheit der Erziehung, die Möglichkeit der Erziehung.
Die Schule ist also das maßgebliche Instrument für die Heranbildung der Jugendlichen, und sie ist staatlich. Die staatliche Schule kann, so wie sie derzeit konzipiert ist, berechtigterweise nicht die katholische Erziehung der Jugendlichen zum Ziel haben, denn hiergegen müssten sich ein Protestant, ein Jude oder ein atheistischer Kommunist wehren. Die staatliche Schule bezeichnet sich als «neutral» (verwenden wir das Wort in seinem nicht negativen Sinn, sozusagen im Sinne der Diskretion): Die staatliche Schule hat also eine solche Erziehung und so, wie sie konzipiert ist, nicht die katholische Erziehung zur Aufgabe. Wenn nun die Jugendlichen von sechs bis sechzehn Jahren in der Schule sind und wenn die Schule für sie alles ist oder jedenfalls im Leben der Jugendlichen immer mehr dazu werden wird, wo finden wir dann die Jugendlichen?
Die Schule wird in der Tat immer mehr zu etwas gemacht, das für die Jugendlichen alles ist in ihrem Leben: Das ist das Bestreben aller laizistischen Bewegungen, das von unserer Seite, sei es aus Oberflächlichkeit oder aus Naivität, allzu schnell akzeptiert wird. Durch die Schulverbände und die comitati di istituto [SMV - Schülermitverwaltung] versucht man, die Schule zum alleinigen Zentrum im Leben der Jugendlichen zu machen. Was für die Größeren die Jugendberatungsstellen des Stadtviertels sind, sind für die jungen Schüler die comitati di istituto. Und damit sind wir ziemlich außen vor! In diese Instituten, in die SMV und die Verbände müssten wir unsere Jugendlichen schicken, um unsere Ideale zu vertreten. Doch wann und wo vermitteln wir ihnen «unsere Ideale»? Wo bilden wir unsere Jugendlichen heran? Man kann nicht abstrakt irgendwelche Ideale vermitteln, das geht nicht! Ein Ideal lässt sich nur durch das Leben vermitteln. Vorhin war von einem wirksamen Ideal die Rede. Ein wirksames Ideal ist ein Ideal im lebendigen Vergleich mit dem Interesse an den Dingen, mit dem Interesse, das die Dinge erwecken.
Ich habe diese Vorbemerkung nicht um ihrer selbst willen gemacht, sondern es sind eben diese Sorgen und Befürchtungen, die die Gestalt unseres erzieherischen Versuchs bestimmt haben.
Ich möchte nun in zwei grundlegenden methodischen Hinweisen die konkrete Ausgestaltung dieses Versuchs zusammenfassen.

Die Kirche in jedem Lebensumfeld präsent werden lassen
Wie bereits vorhin gesagt wurde, entsteht das Reich Gottes nicht durch unser Wirken, sondern durch die Macht Gottes (non in persuasibilibus humanae sapientiae verbis sed in potentia Spiritus). Das sich Mitteilen des Geheimnisses ist von einer anderen Dimension als unser normales, menschliches Wirken. Wie wirkt nun diese Macht Gottes in der Welt? Durch Jesus Christus. Doch nicht durch den Menschen Jesus, der vor 2000 Jahren gelebt hat, sondern durch den ganzen, auferstandenen Christus in seinem mystischen Leib, der Kirche. Das Christentum breitet sich daher durch die Gegenwart der Kirche als solcher aus. Durch die Gegenwart der Kirche als solcher: Man muss die Kirche in jedem Lebensumfeld präsent werden lassen. Doch die Kirche besteht nicht in der einzelnen Person, die an gewisse Dinge glaubt und am Sonntag in die Pfarrei geht, um bestimmte Funktionen auszuüben. Die Kirche ist mehr als das! Um in einem Lebensumfeld präsent zu sein, muss die Kirche in diesem Lebensumfeld ihre Wesensmerkmale konkretisieren und übersetzen, die sich methodologisch auf die beiden folgenden zurückführen lassen: Die Einheit, eine spürbar zum Ausdruck kommende Gemeinsamkeit, eine Gemeinschaft von Christen in diesem Umfeld; und zweitens eine Gemeinschaft, die an den Bischof gebunden ist und von einer Autorität geführt wird.
Wie gesagt wollte ich den Hinweis, um den es hier geht, vom methodologischen Gesichtspunkt her auf diese zwei Punkte zurückführen. Ich erlaube mir jedoch, den Wert des ersten Punktes in Erinnerung zu rufen. Das Christentum ist ein neues Leben, eine andere Lebensweise, eine andere Art zu leben, und zwar nicht allein, sondern von seinem Wesen her als Gemeinschaft. Dass die Kirche in einem bestimmten Umfeld präsent ist, bedeutet daher, dass in diesem Umfeld die christliche Gemeinschaft als Leben präsent ist; das heißt die Christen leben das Leben dieses Umfelds voll und ganz, redlich und bis auf den Grund, sie leben die Interessen, die dieses Umfeld ausmachen, doch aus einem anderen Gesichtspunkt. Kurz gesagt bedeutet es, dass es in der Welt diese andere Welt gibt. Man mag mich vielleicht als «Integralist» bezeichnen, aber ich würde gerne nachgewiesen bekommen, dass das oben Gesagte nicht stimmt. Bislang haben mich die Einwände nicht überzeugt.
In dem jeweiligen Umfeld muss ein Stück der Kirche präsent sein. Man muss die Christen dazu anregen, sich zusammenzutun, um gemeinsam jene Interessen, die das Leben in diesem Umfeld bestimmen, von einem anderen Gesichtspunkt aus und auf andere Art und Weise zu leben. «Gemeinsam», denn dieses «gemeinsam» ist für das Christsein wesentlich. Auch wenn jemand in seiner Klasse ganz allein ist, so wird sein Wirken nur in dem Maß zu einem Zeugnis, in dem er sich als Teil seiner Gemeinschaft auszudrücken versucht und ganz darauf ausgerichtet ist, dass die Gnade Gottes ihm auch andere Leute zur Seite stellen möge. Andernfalls nehmen wir Positionen ein, die vielleicht sozial entwickelt, psychologisch ausgefeilt und in ihrer Askese nervenaufreibend, aber noch nicht typisch christlich sind.
Ich habe erläutert, wie wir begonnen haben und wie wir kontinuierlich versuchen, neu zu beginnen: indem wir die Jugendlichen, die sich Christen nennen und entscheiden wollen, ob sie Christen bleiben sollen, an Folgendes erinnern, gerade, um sie in die Lage zu versetzen, objektiv das Christentum zu beurteilen: «Tut euch zusammen, unter der Leitung der vom Bischof eingesetzten Autorität, um gemeinsam - unter dieser Autorität - all die Interessen zu leben, aus denen euer Leben als junge Schüler besteht.»
Wir versuchen also, soweit wie möglich dem Kriterium zu folgen, so weit wie möglich von der Methode auszugehen, die die Kirche benützt und vorschreibt. Warum hat denn die Kirche die Pfarreien geschaffen? Jesus Christus mit den Aposteln hat die Pfarrei wahrlich nicht gegründet! Warum hat die Kirche es dann getan? Um Sein Geheimnis im jeweiligen Lebensumfeld des Menschen Fleisch werden zu lassen. Wenn die Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse auch den Kontext verändert, von dem der Mensch beeinflusst wird, muss man auch die Vorgehensweise und die Art des kirchlichen Wirkens im Leben der Menschen ändern. In Italien beispielsweise, wo der Einzelne noch sehr stark an die Familie gebunden ist, stehen auch die Pfarreien noch auf festem Boden. Im Ausland dagegen, wo die Verhältnisse anders sind, haben es die Pfarreien sehr viel schwerer. Doch auch bei uns lohnt es sich nur, die Pfarrei zu verteidigen, wenn sie auch nützlich ist. Ansonsten wäre sie kein sinnvolles Angebot mehr, und das Gesetz würde nicht mehr dem Menschen dienen, sondern der Mensch dem Gesetz.

Sich unter einer Autorität zusammenschließen
Wir sagen daher den Jugendlichen, und ich sage ihnen das auch ganz offen in der Schule: Um das Christentum zu verstehen und beurteilen zu können, musst du als Kommunist oder als Christdemokrat oder als Mitglied der Katholischen Aktion, müsst ihr euch zusammenschließen und gemeinsam zu erkennen versuchen, wie das Leben mit all seinen Interessen. Nur so kann man es kritisch ablehnen oder mit Intelligenz anerkennen. Denn das Leben besteht aus Interessen. Und es kann erklärt und «wertgeschätzt» werden, wenn man es vom christlichen Standpunkt aus angeht. Ferner betone ich: Schließt euch unter einer Autorität zusammen, denn omnes docibiles Dei (alle werden von Gott unterwiesen werden). Nicht unser Gehirn ist das Kriterium des Christentums, sondern das Kriterium des Christentums teilt sich stets durch die Autorität mit. Der Christ ist, insofern sich in ihm die Gemeinschaft mit Gott entwickeln muss, auf eine Erziehung angewiesen, das heißt er braucht einen Lehrer (nichts von wegen «Demokratie» also, außer innerhalb der Gruppe, damit nicht auch wir uns gewissen Werten unterwerfen, die zu Idolen geworden sind, und ihnen «Opfer darbringen»). In diesem Handeln musst du erzogen werden, deshalb musst du demjenigen folgen, der die Leitung innehat. Der Priester, der Religionsunterricht erteilt, müsste daher quasi von selbst der Hirte dieses Teils der kirchlichen Gemeinschaft werden: zwar nur für diese Zeit und vorläufig, doch das Maß dieser Vorläufigkeit darf nicht schematisch bestimmt werden, sondern muss sich an den Bedürfnissen orientieren. In diesem Sinn ist der Religionsunterricht wie die Predigt des Pfarrers oder der Katechismusunterricht am Sonntagnachmittag ein Moment eines Lebens. Natürlich kann es hierbei Schwierigkeiten geben. Zum Beispiel könnte jemand zunächst abgeneigt sein, sich einer Gruppe anzuschließen. Doch diese Schwierigkeiten lassen sich überwinden, und ich kann sie nicht als derart schwerwiegend einstufen, dass ich mich deshalb von meinem Versuch abbringen lassen müsste. Andererseits kann ich hinsichtlich des Kriteriums nicht nachgeben, weil ich die Jugendlichen nicht täuschen kann. Ich sage ihnen: «Seht her, ihr könnt nicht den christlichen Glauben eingehend prüfen, indem ihr mit in der Schule diskutiert oder die Geschichte der Leben- Jesu-Forschung von Schweitzer lest oder Der Ursprung des Christentums von Loisy oder Das Leben Jesu von Strauss, oder indem ihr mit eurem Philosophielehrer diskutiert. Und dasselbe gilt für die Lektüre anderer Bücher, wie zum Beispiel die von Grandmaison oder Braun. Denn dadurch könnt ihr vielleicht verstehen, dass Jesus Christus gelebt hat und dass es wirklich so gewesen sein muss. Doch das christliche Leben würde bei euch keine Wurzeln schlagen. Es würde nicht zu einer Mentalität werden. Es bestünde in purer Gelehrsamkeit, wäre aber es kein Leben». Daher sind sie keine wirklichen Christen mehr, auch nicht, wenn sie zugeben, dass Jesus Christus Gott ist! Ich meine, sie sind von der «Mentalität» her «keine wirklichen Christen mehr», sie haben keine christliche «Persönlichkeit» mehr.
Wenn ich das den Jugendlichen einmal gesagt habe, achte ich - wie es die Kirche immer getan hat - sorgsam darauf, von ihnen nichts zu verlangen supra quam possunt. Wozu verpflichtet die Kirche die Christen? Zur Teilnahme an den Sakramenten und zur Anerkennung der Dogmen. Von dieser Gemeinschaft, die an der Schule entsteht und sicher vorläufig und zeitlich begrenzt ist, aber doch auch sehr real und entscheidend für die Heranbildung einer christlichen Mentalität, von dieser Gemeinschaft verlange ich als Minimum die Teilnahme an der Messe und an den Sakramenten. Doch den Jugendlichen zeigt sich hierbei ein anderer Gesichtspunkt: die Teilnahme an der Messe und an den Sakramenten wird zu einer Verpflichtung, die diese Dinge gleichsam zu einer Erfahrung werden lässt. Es geht also darum, sich um eine Erfahrung zu bemühen, wobei die Jugendlichen mit der ihnen möglichen Aufmerksamkeit versuchen, sich gewisse Ideen klarzumachen, die im Katechismusunterricht abstrakt geblieben sind.
Auch die evangelischen Schüler lade ich ein, zur Messe zu kommen. «Willst du sehen, was das Christentum ist? Dann komm mit uns zur Messe!» Das sagen wir in allen unseren Gruppen. Wir haben in 62 Mailänder Schulen Gruppen, die kontinuierlich tätig sind; einige größere mit 200 bis 300 Schülern, einige kleinere. Es gibt kleine Gruppen, die über Jahre hinweg mit drei, vier, fünf oder sechs Schülern durchhalten, denn wir müssen unabhängig vom Erfolg den Prinzipien und dem, was richtig ist, treu bleiben. Der Erfolg - das heißt das Reich Gottes - muss aus einer Treue zu dem, was authentisch ist, hervorgehen. Allein die Treue zu dem, was authentisch ist, bringt Erfolg hervor. Mit allem Einfallsreichtum unserer Intelligenz und allem Gespür für unsere moderne Welt, doch mit Treue zu dem, was authentisch ist. Jeglicher Erfolg, der nicht hieraus hervorgeht, ist von zweifelhafter Natur: Er geht sofort zugrunde. Wie viele Gruppen von Jugendlichen und Schülern haben dank der Fähigkeit einer bestimmten Person über ein, zwei Jahre floriert! Doch dann ist diese Person in eine andere Pfarrei versetzt worden, und nichts ist geblieben.
Ich sage auch einem evangelischen Schüler: «Wenn du beurteilen willst, was das Christentum ist und das Gebet eines Katholiken, so komm mit uns zur Messe.» In meiner Schule feiern wir die Messe am Freitag. Da wir nur zwei oder drei Priester sind, die für all die Treffen, Gruppen und Morgenmessen von Schule zu Schule fahren, haben wir pro Woche jeweils eine Messe festgelegt. Wir legen Wert darauf, dass an dieser einen Messe alle teilnehmen, die sich als Christen fühlen oder sich für das Christentum interessieren. Und ich sage denen: «Nicht am Sonntag, denn zur Sonntagsmesse seid ihr schon vom Kirchenrecht her verpflichtet. Hier geht es um einen freieren Gestus, zu dem euch vielleicht jemand sagen wird - eure Mutter, euer Vater, eure Tante oder eure Großmutter: "Warum stehst du eine halbe Stunde früher auf, um dorthin zu gehen? Bist du verrückt?" (zumal wenn es im Winter ist)». Der Gestus muss möglichst frei sein. Ich kann jetzt nicht auf alle Aspekte der Sache eingehen, doch den Aspekt der Freiheit möchte ich unterstreichen. Eine Aktivität, eine Mühe ist umso erzieherischer, je mehr sie die Freiheit impliziert. Dadurch wird sie zu einer persönlichen Angelegenheit.
Zu dieser wöchentlichen Messe in meiner Schule sind oft auch jüdische und evangelische Schüler gekommen. Denen sage ich: «Versucht, euch in unsere Lieder hineinzuversetzen - wir machen natürlich bei der Messe möglichst viel gemeinsam, es ist ein möglichst weitgehend von der Gemeinschaft getragener Gestus -, versucht auch ihr, euch in die Worte hineinzuversetzen, sagt auch ihr Amen.» ... Das sage ich immer wieder. Natürlich muss man das den Jugendlichen tausendmal in Erinnerung rufen. Auch bei uns war das so, als wir Kinder waren. Wenn mein Vater mir nicht tausendmal die Hand ausgestreckt hätte, um mich «Guten Morgen» sagen zu lassen, so hätte ich nicht gelernt, den Leuten «Guten Morgen» zu sagen. Daher muss man ihnen immer wieder und unermüdlich wiederholen, dass sie bei den Antworten versuchen sollen, sich in die Worte hineinzuversetzen und so wirklich teilzunehmen. «Warum sagen eure Klassenkameraden das jetzt? Warum lässt man euch diese Worte sagen?» Es ist letztlich ein Aufruf, möglichst bewusst teilzunehmen. «So bist du - sage ich zum Beispiel zu dem evangelischen Schüler - ... in der Lage, besser zu beurteilen: Du bist mehr in dieses Faktum involviert und kannst daher besser ein kritisches Urteil darüber abgeben». Zu den Katholiken sage ich und insistiere hierauf: «So ist das keine wahre Teilnahme an der Messe, wenn es keine Beteiligung an einer Einheit ist. Die Kommunion ist das Zeichen, dass du an der Messe teilnimmst. Solange du nicht zur Kommunion gehst, ist deine Teilnahme an der Messe nicht vollständig, das sich Einlassen deiner Person auf diesen Gestus ist noch nicht vollständig, und du kannst noch nicht verstehen, welchen Wert er letztlich hat.» Auf diese Weise wurde eine zahlreiche Beteiligung erleichtert. Zu diesen Messen kommt eine ziemlich hohe Anzahl von Jugendlichen, und zwar mit großer Treue. Wenn einer einmal nicht kommen kann, oder viermal nicht, oder wenn er nur gelegentlich kommen will, dann soll er eben gelegentlich kommen! Es ist wie bei der Kirche, die die Tore ihres Tempels öffnet, und es kann kommen, wer will und sooft er will. Die Bedingung dafür, dass dieses In-die-Kirche-Kommen nicht unmoralisch ist, besteht nicht darin, bis zu einem gewissen Grad zu glauben oder nicht zu glauben; die einzige Bedingung besteht darin, mit Aufrichtigkeit zu versuchen, sich in das, was dort geschieht, hineinzuversetzen und es zu verstehen.
Ich insistiere also auf der Messe und dem Sakrament. Die ersten Jahre über wagte ich noch nicht, die Jugendlichen zur Messe oder zur Kommunion einzuladen, weil ich glaubte, das sei erst das letzte Ziel. Doch es hat sich gezeigt - und Pater Emmanuel, der Kapuzinerpater, der uns sehr viel hilft und jede Woche von Montag bis Freitag den Jugendlichen die Beichte abnimmt, wird das bestätigen können -, dass dieses Instrument viel stärker ist als eine Diskussion über Kant oder über die Soziologie, denn es geht hier um den existenziellen Einsatz bei einem Problem - dem Problem der eigenen Bestimmung, dem Problem des Bewusstseins, dass einem etwas fehlt, worum man betteln muss, dass man also abhängig ist -, das alle Menschen gemeinsam haben. Denn es ist der elementare und grundlegende Punkt, an dem der religiöse Sinn entsteht, der alle anderen Interessen mit umfasst.

Alle Interessen des Lebens
Damit wären wir beim zweiten Hinweis. Die Gruppe schließt sich also in absoluter Freiheit zusammen und ist Bezugspunkt für die Jugendlichen. Sie wird vom Religionslehrer oder einer anderen Person geleitet und muss versuchen, alle Lebensinteressen zu umfassen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Deshalb regt man den Jugendlichen zu einem Einsatz an, der ihn in Bewegung setzt und dazu bringt, alles in Betracht zu ziehen. Ich sage den Jugendlichen oft - was in einem klassischen Gymnasium eher unüblich ist- : «Du musst dich auch im Sinne einer Arbeitshypothese darum bemühen, dich mit allen Fragen auseinanderzusetzen, und zwar nicht nur theoretisch: Das betrifft die Organisation eines Ausflugs ebenso wie das Hören der Musik (du interessierst dich für Musik?), den Sport (du interessierst dich für Sport?), die Beziehung zu deiner Freundin, die Fragen, die du mit deinem Lehrer in der Schule behandelst (es gibt den Kommunisten, den Sozialisten, den Neutralen), die Fragen, die sich in der Philosophie auftun, Fragen, die die Geschichte aufwirft, oder die sozialen Probleme, für die sich jetzt eine immer größere Sensibilität entwickelt, wie etwa für die soziale Gerechtigkeit. Du musst versuchen, alle Interessen gemeinsam zu leben und soweit es geht, auch entsprechend der gemeinsamen Mentalität zu beurteilen.»
Deshalb besteht das Leben der Gruppen nicht in Seminaren - auch wenn es solche Treffen gibt -, sondern im ganzen Leben. In der Tat ist der größte Einwand der Eltern, dass die Jugendlichen die Aktivitäten von Gioventù Studentesca zum Lebensmittelpunkt haben. Und dies ist für sie in einem mir durchaus verständlichen Sinne ein Vorbehalt: Es ist das Ergebnis einer gewissen Bitterkeit, wenn man sieht, dass sich die Kinder von den Eltern lösen. Und unter uns gesagt, hängt dies letztlich von einem einzigen Faktum ab: Sie wurden als Eltern und gute Christen nicht zum Verständnis des Christentums erzogen, als das, was es wirklich ist, das heißt ein ganzes Leben in Gemeinschaft, eine gelebte Gemeinschaft. Jene Eltern, die dies verstehen, unterstützen ihre Kinder darin. Ich denke an eine Mutter, die einen Sohn hat, der nun in Brasilien ist. Denn die Jugendlichen haben Geschmack an internationalen Beziehungen. Und deshalb haben wir auch dies verwirklicht: Wir haben zehn Jugendliche ständig in Brasilien. Es ist eine feste Gruppe von Studenten, also eine missionarische Aktivität im traditionellen Sinn des Wortes, die von den Jugendlichen vollkommen erdacht, verwirklicht und unterstützt wurde und wird. Denn das Christentum hat mit absolut allem zu tun! Wenn das Christentum wahr ist, dann kann es kein Interesse geben, das es nicht umfassen und wertschätzen könnte.
Du bist Christi und überzeugst dich vom Christentum nur in dem Maße, in dem du erfährst, dass das Christentum dein Leben aufwertet: «Meister, wohin sollen wir gehen, wenn wir von dir weg gehen? Du allein hast Worte ewigen Lebens.» Die Überzeugung ist nicht allein Frucht einer Überlegung, sondern einer inkarnierten Idee, einer wirksamen Idee, einer Idee, die im Leben Fleisch wird. Und das gesamte Leben der Gruppe wird durch dieses Kriterium beseelt: Man versucht, den Jugendlichen daran zu gewöhnen, alles in gemeinschaftlichen Begriffen zu denken, und mit diesen Kriterien alle seine Interessen anzugehen.
Ich habe entdeckt, dass dieses der Inhalt des Wortes metanoia ist, das sich im Wort «Umkehr» übersetzt. Metanioa besagt also: ein neuer Mensch. Nicht ein neuer Mensch, weil er einfach eine bestimmte Ethik hat. Diese konnten auch Sokrates oder Gandhi haben. Es handelt sich stattdessen um ein neues Verständnis des Menschen, nach dem Abbild des Geheimnisses Gottes, der einer und dreifaltig ist. Es ist ein neues Verständnis seiner selbst und des eigenen Lebens, der eigenen Existenz. Darin liegt die wahre Revolution, die einzige Revolution der Geschichte. Eine Revolution des Verständnisses des «ich», eine Revolution des Verständnisses von «einem selbst», eine Revolution im Verständnis von «Sein», von «Existenz»: Das ist die Offenbarung des Geheimnisses der Dreifaltigkeit durch Jesus Christus. Das ist die Teilhabe des Geheimnisses Gottes am Menschen.
Das, was ich euch zu tun empfehle, ist nicht unfehlbar. Aber ich sage einfach, dass das, was mich beseelt, das, was mir diktiert, was ich euch zu tun empfehle, besteht allein darin, soweit wie möglich die grundlegende Methode der Kirche zu «kopieren», die Physiognomie der Kirche, die Methode, mit der Jesus Christus sein Kriterium in die Welt getragen hat.
Kurz, der Jugendliche wir von Montag bis Sonntag, von morgens bis abends einbezogen und das ohne jeden Zwang. Wir haben niemals gesagt: «Tut dies und jenes», und dennoch beten alle die Gebete, sie beten die Stundengebete (die Prim, die Terz, die Laudes, die Komplet. Wir haben in zwei Jahren mehr als 5.000 Stundenbücher gedruckt). Es geht aber nicht nur um das Gebet, sondern um alles. Auch das berühmte Problem des Zusammenlebens von Jungen und Mädchen, das nicht eigens behandelt wird (das überlasse ich den Psychologen und Moralisten), sondern entsprechend dem zu Anfang genannte Kriterium behandelt wird: Wenn sie in der Klasse zusammen sind, dann ist das Christentum nicht wahr, wenn es nicht in der Lage ist, dies ebenfalls aufzuwerten. In diesem Sinn wird die Beziehung im Zusammenleben durch ein bestimmtes Klima geprägt.
Noch in den ersten Jahren wollte ich mit den Jugendlichen nicht auf Ausflüge gehen. Ich sagte mir: «Das ist ein überflüssiger Zeitvertreib». Und jetzt fördere ich die Ausflüge, wann immer es geht. Denn ich bin nicht von einem einzigen Ausflug zurückgekehrt, ohne dass neue Jugendliche eine Veränderung verspürt hätten und seitdem zu uns kamen. Es waren jeweils ein oder zwei pro Bus. Aber mit welchem Kriterium und zu welchem Preis macht man diese Ausflüge? Der gesamte Weg ist durch folgende Kriterien bestimmt: Man betet, und alles, was man tut, tut man gemeinsam. Ich sage: «Einen Ausflug auf eure Kosten könnt ihr auch alleine machen. Ich mache einen besonderen Ausflug, um euch den Wert des Christentums deutlich zu machen, ich zeige euch die Fähigkeit des Christentums, selbst einen Ausflug aufzuwerten.»
Dasselbe gilt für das Interesse für das Kino. Es gibt einen Film-Verein. So leiht GS Filme bei der Nationalen Filmgesellschaft aus. Weshalb? Um die Studenten zu bewegen, ein Cineforum zu veranstalten, bei dem sie die Leistung des Schauspielers oder Laiendarstellers bewerten können? Das können auch die Kommunisten machen und zwar besser als ich. Wenn ich in einer Pfarrei gewesen wäre, hätte ich kein Kino geschaffen, um die Leute anzuziehen. Denn dies rettet mir nicht das Christentum. Und dennoch gebrauche ich das Kino. Aber wie? Ich rufe die Jugendlichen ausschließlich, um ihnen zu zeigen, wie man aus einem christlichen Blickwinkel einen Film sieht. Und ich tue das nur, wenn ich sicher bin, dass ich die Dinge auf diese Art gestalten kann. Ansonsten nicht. Denn alles, was ich mit den Jugendlichen mache, ist erzieherisch. Was heißt «erzieherisch»? Ich zeige ihnen in der Erfahrung, dass das Christentum das einzige Phänomen ist, das das Leben aufwertet.
Für die Kultur machen wir nicht nur Konferenzen. Sondern 99 Prozent unserer kulturellen Aktivitäten machen wir in Gruppen. Die Kulturarbeit ist unermesslich. Jetzt haben wir Gott sei dank unsere Studenten, die über die ersten Jahre hinaus sind. Zunächst hatte ich noch die Fuci (Federatione Universitaria Cattolica Italiana) um Hilfe gebeten. Aber es waren wenige, und sie konnten mir nicht helfen. Nun haben wir eine schöne Gruppe von rund zwanzig Jugendlichen, mit denen ich systematisch das gesamte Problem der Schule aus christlichem Blickwinkel nochmals durchgehe. Ist etwa ein katholischer Jugendlicher von GS ... an einer Schule und der Professor hat in der Geschichtsstunde erklärt, dass die Päpste in der Zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zurückgeblieben seien und so weiter, dann erstellen die Jugendlichen ein Thesenpapier über Pius IX . mit einer Dokumentation und verteilen sie an die ganze Klasse. Und wenn es ein Problem ist, das die ganze Schule betrifft, dann verteilen sie es an die ganze Schule. Von diesen Thesenpapieren haben wir inzwischen rund 50 über die verschiedensten Themen: Die grundlegenden Fragen des gesamten Lehrplans aller Schultypen. Oder nehmen wir an, ein Jugendlicher von GS muss in einem humanistischen Gymnasium etwas über Kant vortragen. Dann lädt er seine Freunde ein, um bei sich zu Hause Kant zu studieren. Und einer von unseren Studenten geht zu ihm nach Hause, um ihnen Kant aus einem christlichen Blickwinkel heraus zu erklären. Diese Aktivität vollzieht sich ununterbrochen, weil sie genau dem Leben des Jugendlichen folgt.
So kann der Jugendliche seine Freizeit füllen, wo ansonsten Langeweile oder das Übel eindringen. Es ist deshalb wichtig, dass er versteht, was christliche Nächstenliebe ist, dass das Gesetz des Lebens die Nächstenliebe ist, dass also nicht «er» lebt, sondern dass das, was er lebt ein «wir» ist. Um das zu verstehen, gibt es kein besseres Mittel, als zumindest hin und wieder, am Sonntagnachmittag mit den Kindern in den Armenquartieren außerhalb von Mailand in der so genannten Bassa zu spielen (eines der sozialen Brennpunkte Europas). Man geht also dorthin und verbringt den Nachmittag mit den Kindern. Das Ziel besteht nicht zuerst darin, die Sozialmoral jener Bevölkerung aufzubauen, sondern dein Leben mit ihnen zu leben. Denn die Nächstenliebe lernt man nicht, indem man «weggibt», sondern indem man teilt: Christus, Gott ist gekommen, um uns zu retten. Er hat mit uns gelitten und ist mit uns gestorben. Die Caritas ist ein Mit-leiden, eine Gemeinschaft. Die Gabe ergibt sich später. Wenn ich mehr habe, dann dient das automatisch sowohl mir als auch dem anderen. Aber das ist nur eine Konsequenz. Deshalb habe ich das San Vincenzo beiseite gelassen, denn dort ist es für den Jugendlichen schwieriger, den erzieherischen Prozess zu verstehen. Denn diesem Verständnis entsprechend braucht es eine gewisse Reife, um es gut zu machen. Aber es ist bereits eine gewisse geistliche Reife vorhanden. Dieses Jahr sind rund 1.600 Jugendliche aus Mailand in 67 Pfarreien der Bassa von Mailand gegangen. Nach fünf Jahren hat sich die Form ihrer Aktivität bereits gewandelt. Es gibt Orte, wo man anfängt, und dort sind Gymnasiasten und Studenten zusammen, um mit den Kindern zu spielen und das Leben zu teilen. Nach ein oder zwei Jahren empfinden sie selbst das Bedürfnis, etwas anders zu machen und jenen Menschen, die sie schätzen gelernt haben, nützlicher zu sein. Und so halten sie mit ihnen Katechismusunterricht. So ist unter ihnen eine Gruppe entstanden, die in diesem Jahr alle Katechismusstunden entwickelt hat. Vielleicht werden wir das als Buch veröffentlichen. Alle Stunden sind in bestimmter Weise gestaltet. Dann, nach einigen weiteren Jahren, werden sie erwachsen und es kommen andere Jugendliche und so werden weitere Jugendgruppen entstehen. So werden dort, wo die männlichen und weiblichen Gruppen der Azione Cattolica versagt haben, und nichts mehr existiert, Jugendliche, die nicht von der Azione Cattolica sind, neue Gruppen der Azione Cattolica gründen. Und dasselbe gilt bei den Erwachsenen. Es gibt bereits Gruppen von Männern und Frauen, die sich unter der Woche treffen und unterschiedlichste Initiativen machen.
Nach fünf Jahren hat die Kernidee also bereits Früchte getragen: Man muss von der Caritas, vom Teilen ausgehen und nicht hingehen, um Sozialreformen umzusetzen. Ansonsten wird der Einsatz zweideutig. Man muss sich zu diesen Konsequenzen erziehen. Und nach fünf Jahren gibt es sie - Gott sei Dank.
Es ist ferner ein Chor entstanden. Und er hat auch in der Kommune von Bologna mit Erfolg gesungen. Es ist ein Chor von rund dreißig Personen und er singt alles, was die Musikgeschichte bietet. Denn auch dies ist ein Genus und auch er braucht seine Antwort und seinen Lebensstil.
Es gibt eine Künstlergruppe, die bereits ein gemeinsames Atelier gegründet hat. Denn Jugendlichen werden erwachsen und die Schüler des Kunstgymnasiums werden Architekten, Künstler und so weiter. Also haben sie «gemeinsam» ein Atelier aufgemacht. Denn die Idee der Gemeinschaft bleibt, und behält stets ihren Wert. Inzwischen haben sie auf der Messe von Mailand in diesem Jahr zwei Ausstellungen zusammengestellt, die im Palazzo Reale mit großem Erfolg gezeigt wurden. Selbst der so kritische Corriere della Sera hat ihnen ein großes Lob ausgesprochen. Diese Leute gründen eine Bewegung, eine Gemeinschaft unter den christlichen Künstlern, unter Leuten, die einen christlichen Blickwinkel haben. Sie haben vergangenes Jahr auch angefangen in Subiaco, einer der ersten Niederlassungen des heiligen Benedikt, für drei Monaten acht- bis fünfzehntägige Kurse anzubieten. Sie beten, malen und leben gemeinsam. In diesem Jahr haben ungefähr 50 Künstler daran teilgenommen.
Und Ähnliches machen viele andere. In diesem Jahr haben wir am Ende des Semesters eine Abschlussversammlung an der technischen Fakultät angeboten, für alle, die kommen wollten. Und aus dem Feltrinelli- und Conti-Institut kamen mehr als 200 Studenten mit folgendem Ziel: Man wollte sich organisieren, um die eigene Zukunft gemeinsam anzugehen. Denn allein widersteht man nicht der vorherrschenden Mentalität im Lebensumfeld. Sind es aber drei oder vier, so breiten sie sich nach unserer Erfahrung aus. Und sie haben in diesen letzten zwei Jahren eine analoge Bewegung mit denselben Kriterien in der Arbeitswelt gegründet: die Gioventù Lavoratrice. Die Acli (die offizielle katholische Arbeiterjugend, A.d.R.) gründet statistisch gesehen in Mailand alle zwei Jahren eine Jugendgruppe. Diesen jungen Erwachsenen ist es hingegen gelungen, eine Bewegung zu gründen, die wöchentlich mehr als 2.500 junge Arbeiter versammelt, und das ohne unsere Hilfe, weil es hierfür keine Priester gibt.

Das christliche Leben ist ein «wir»
Kurz, es handelt sich um die Wiederentdeckung, dass das christliche Leben nicht ein «ich" und "Gott» ist, sondern ein «wir»: mihi vivere Christus est, für mich ist Christus mein Leben. Das Zitat wurde vorhin erwähnt, und es ist die Einsicht in folgende Wahrheit: Dass wir eins sind, eine Sache, denn wir essen dasselbe Brot und sind eine Welt in der Welt, eine Gemeinschaft, eine Gesellschaft in der Welt. Ist das Integralismus? Mir erscheint das eine klare theologische Definition des Christentums.
Deshalb sagte Jesus Christus: "«Ich bitte dich Vater, dass sie eins sind, damit die Welt erkennt, dass du mich gesandt hast.» Die Welt erkennt Christus, die christliche Botschaft allein im dem Maße, in dem die Welt uns gemeinschaftlich leben sieht, indem sie dieses absolute Wunder, - dieses absolute Wunder! - sieht. Unter natürlichen Gesichtspunkten ist eine solche gemeinschaftliche Verwirklichung bei dem vorherrschenden Egoismus unvorstellbar.
Was mir am Herzen liegt, ist genau dies. Der Hinweis, die erste Direktive, die ich vorhin nannte, lautet: «Schließt euch zusammen». Und wenn die Gemeinschaft einmal entstanden ist, dient sie den anderen als Hinweis. Und zum zweiten, geht es darum das ganze Leben einzubeziehen. Es geht also nicht nur um einzelne Handlungen, sondern um einen habitus. Der Dialog mit der Welt, für den ich mich einzusetzen versuche, und mein ganzes Leben einsetzen werde, der Dialog mit den anderen in einer pluralistischen Gesellschaft, bedeutet nicht, diese Gemeinschaft unter uns zu vergessen oder aufzubrechen. Während die Weltanschauung der anderen ihr Leben in ein «ich» verwandelt, übersetzt sich unser Lebensverständnis in ein «wir». Der Dialog zwischen mir und den anderen, zwischen mir als Christen und den anderen, ist der Dialog zwischen «wir» und «dir».
Die Demokratie ist der Respekt vor der Meinungsfreiheit. Es ist aber keine Demokratie, wenn man beansprucht, dass ich Christ «in Gemeinschaft» nur in der Kirche sein darf oder wenn ich mich in Verbänden zusammenschließe, im öffentlichen Leben aber nur ein «ich» bin. Das würde meiner Lebensauffassung widersprechen.