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Thema - Hoffnung
Ein Leben, das wieder Leben zeugt
Alberto Savorana

"Es ist undenkbar, dass der Herr als unser Vater uns böse will. Wenn also meine Krankheit auch als eine Strafe scheinen mag, so ist sie es nicht. Denn hinter allem, so schön oder hässlich es auch sein mag, verbirgt sich ein Plan des Herrn. Und ich habe das Glück, ihn wahrzunehmen. Jedenfalls hat mich bei allem am meisten bewegt, im Leid das Leben neu zu entdecken. Und das lässt mich oft an Tod und Auferstehung Christi denken, so als wäre dieser Augenblick mein Ostern." Als Andrea diesen Brief schreibt, ist er 18 Jahre alt. Er besucht im süditalienischen Syrakus das Gymnasium und leidet an einer Form der Leukämie, die wenig Hoffnung auf Heilung lässt.
Im September 2004 nimmt Andrea an der "Equipe" von GS, der Schüler-Jugend von CL, teil. "Sofort beeindruckte mich seine Lebenslust", erzählt Don Giorgio, der ihn während der Monate begleitet hat, in denen er in Pavia im Krankenhaus lag. "Andrea war beeindruckt von der Entschlossenheit der jungen Leute, denen er begegnete, und kehrte begeistert nach Hause zurück. Er begann, sein Leben zu ändern, auch die Art, mit seiner Krankheit umzugehen."
Andrea sprach wenig und beobachtete viel. Wer ihn besucht hat, erinnert sich an seinen durchdringenden, forschenden Blick. Nach langem Schweigen fragte er eines Tages Don Giorgio: "Warum ist ausgerechnet mir diese Sache zugestoßen?" - "Ich weiß nicht", antwortete ich, "aber eines weiß ich mit absoluter Gewissheit: Alles, was geschieht, ist für Gott und zu unserem Besten."
Sehr bald bemerkt man im Krankenhaus, dass dieser junge Mann etwas Besonderes hat, er wird als Beispiel hingestellt. Sein Leiden ist unübersehbar, dennoch zeigt sein Gesicht weder Missmut noch Unwille. Nach einem Jahr verschlimmert sich die Krankheit und Andrea ist für vierzig Tage ans Bett gefesselt. "Er hatte den großen Wunsch, nach Hause zurückzukehren …. nach Syrakus, ans Meer", erinnert sich Don Giorgio. "Siehst du", sagte ich ihm eines Tages, als wir allein waren, "wir müssen um die Genesung bitten und in der Genesung um das Glück, das Paradies. Auch das Meer ist endlich, und doch sehnen wir uns danach wegen der Weite, die es uns schenkt. Er sagte nur ja, es strengte ihn an, aber auf seinem Gesicht schienen die Zeichen des Leidens schwächer zu werden."
Genau an seinem Todestag kam ein Brief im Krankenhaus an, der zum Anlass für diesen Bericht wurde: Fünf Häftlinge aus Brucoli in Sizilien hatten von einem Lehrer, der ihnen im Gefängnis Unterricht erteilte, von Andrea gehört. Er hatte sie gebeten, für Andrea zu beten, und die fünf hatten einen Brief geschrieben, der eher aus einem Kloster zu kommen schien als aus einem Gefängnis. "Eine Freundin hat ihn Andrea vorgelesen", erzählt Don Giorgio, "und dann ich noch einmal. Ich sagte ihm: Siehst du, die Hoffnung ist die Vollendung der Mühe; wie sie im Gefängnis froh sind und hoffen, so auch wir in unserem Gefängnis, dem Leib, der Krankheit. Er war wie beruhigt und ist wenige Stunden danach gestorben. In diesem Augenblick habe ich verstanden, was der Empfang des Allerheiligsten bedeutet: Vor diesem jungen Mann zu stehen, war, als stehe man vor Christus."
Während all der Monate im Krankenhaus war Andrea fast immer still aber spürbar gegenwärtig. Don Giorgio erinnert sich noch: "Jedes Mal, wenn ich das Krankenhaus betrat, kam jemand auf mich zu, mal ein Arzt, mal eine Krankenschwester, mal ein Patient, und fragte: "Entschuldigen Sie, sind Sie Don Giorgio, der Freund von Andrea?" Einmal hat mich ein junger Mann von 19 Jahren angehalten. Er heißt auch Andrea. Er lag im Zimmer gegenüber dem meines jungen Freundes. Er näherte sich mir und sagte: "Ich würde gern einmal mit Ihnen sprechen. Sehen Sie, ich beginne gerade den gleichen Weg, den Andrea geht." Ich sagte: "Lern von ihm." Und er: "Wissen Sie, ich muss meine Reifeprüfung machen." Darauf ich: "Die Reifeprüfung des Lebens." Und er: "Jetzt fangen Sie nicht an, mir von Gott zu reden, das interessiert mich nicht." Am Todestag von Andrea erkannte mich dieser junge Mann: "Sagen Sie, würden Sie zu einem Gespräch zu mir kommen? Sie wissen, diese Sache mit Gott ..." Wenn Leute mich mit einer Frage anhielten, dann nicht meinetwegen, sondern weil Andrea gegenwärtig war: Nur die Neugier nach ihm ließ sie mich aufsuchen". Don Giorgio erinnert an einen Satz, den er von Don Giussani gehört hatte: "Wenn jemand zugehört, braucht er nur zu atmen und ist schon Gegenwart".
Andrea ist am Dienstag, dem 24. Mai, im Alter von 19 Jahren von uns gegangen. An diesem Tag waren alle da, in seinem Zimmer in der Gegenwart dieses jungen Mannes, der den Fußball und das Meer von Sizilien liebte. "Das Personal staunte vor allem über die Eltern, weil gerade sie, die scheinbar am meisten Trost brauchten, alle anderen trösteten. "Das scheinen nicht die Eltern eines Sohnes zu sein, der eben gestorben ist", sagte das Personal des Krankenhauses." Am Schluss des in Syrakus gefeierten Begräbnisses kam die Klasse von Andrea geschlossen zu Don Giorgio, um ihn zu begrüßen: "Kommen Sie wieder, denn das war kein Begräbnis, sondern ein Fest." In ihrem Brief haben die fünf Häftlinge von Brucoli geschrieben: "Wir haben dich in Gedanken in unsere Arme genommen und betrachten dich als unseren Bruder … Mut Andrea, kämpfe zusammen mit uns." Gibt es etwas Erstaunlicheres als ein Leben, das nicht endet und das im Tod wieder Leben zeugt, Verlangen nach Leben, sogar hinter dicken Gefängnismauern?