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Editorial
Die Kraft des Ideals
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«Wenn aus dem Spiel Ernst wird, beginnen die Ernsten zu spielen», heißt es in einem Sprichwort. Vieles deutet derzeit darauf hin – ein Blick in die Presse belegt es überdeutlich –, dass man in Europa schwierigen Zeiten entgegengeht, besonders in wirtschaftlicher Hinsicht. Erste Auswirkungen auf das Privatleben machen sich bereits bemerkbar und werden künftig wohl noch stärker werden. Aus dem Spiel wird eben Ernst. Und die Europäer haben ihrem Unmut bereits verschiedentlich Ausdruck verliehen, zuletzt in den jüngsten Wahlen und Abstimmungen: Protestaktionen und bisweilen auch überzogene, taktische Denkzettel (wie die gescheiterten Abstimmungen zur Europaverfassung in Frankreich und den Niederlanden zeigen) sind an der Tagesordnung.
Wie immer, wenn sich die Lage verschlechtert, scheint es unausweichlich, dass ein Klima der Resignation und des Protests das persönliche und gesellschaftliche Leben zu prägen beginnt. Nicht dass es keinen Grund hierfür gäbe. Doch ist das wirklich unausweichlich? Ist es wirklich ein Zeichen von Ernsthaftigkeit, in den Chor der Verbitterten einzustimmen? Scheint die Ernsthaftigkeit im Leben nicht vielmehr in einer gewissen Hartnäckigkeit zu bestehen, in etwas, auf das man bauen kann, das einen widerstandsfähig macht und neuen Schwung verleiht?
Das, was uns Ernsthaftigkeit verleiht, ist unsere «Sehnsucht». Auf sie kann man bauen, selbst wenn sich die Welt um einen herum drastisch verändert. Im Unterschied zu vagen Zukunftsträumen macht sie sich auf die Suche nach einem Ideal, an dem sie sich messen kann und das ihr jederzeit als Kriterium jene Erfüllung vor Augen stellt, die sie sucht.
Was wir heute daher brauchen, ist eine Kultur der Sehnsucht sowie ein Ideal, das sie wach hält, damit die Verzweiflung zurückgedrängt wird und wir nicht allesamt zu Opfern von Sparzwängen, Kleinkariertheit oder Stress werden. Wer seiner Sehnsucht hartnäckig auf den Grund geht und das Ideal hochhält, ist in der Lage weiterzumachen. Er blickt Schwierigkeiten mutig ins Auge und bewertet mit Realismus, was geändert und was beibehalten werden muss.
Worauf es angesichts der allgemeinen Verzagtheit und der kommenden Herausforderungen – denen nur sehr wenige Privilegierte (erfolgreich?) aus dem Weg gehen können – ankommt, sind Menschen am Werk. Ohne sie nimmt Spaltung, Neid und Besitzstandswahrung überhand. Diese Menschen am Werk leben «auf eigene Verantwortung» und nehmen – worauf es besonders ankommt – ihre Sehnsucht ernst: die Sehnsucht nach dem Glück für sich und ihre Kinder. Es sind Menschen, die von einem Ideal aufgerichtet werden, das in ihrer Mitte erfahrbar gegenwärtig ist. Sie allein sind das Gegenmittel für eine Gesellschaft, deren Aufbaukraft vom Gift der Resignation und des leeren Protests gelähmt ist. Wir wollen deswegen den Blick auf die nicht wenigen Beispiele richten, die belebend sind und nachahmenswert.