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Aufmacher
Eucharistie: Das große Gebet
Luigi Giussani

Mitschrift eines Vortrags von Luigi Giussani vom 22. März 1996 in der Pfarrei San Vittore in Mailand.

Ich danke den Organisatoren dieses Treffens für die Herausforderung, die der Titel unserer Zusammenkunft darstellt: "Die Eucharistie: das große Gebet". Um ehrlich zu sein, es ist das erste Mal, dass ich diese so nüchterne und wesentliche Bemerkung höre. Ich hoffe, dass der Herr es mir gestattet, euch einige der Gedanken mitzuteilen, die diese Worte in mir erweckt haben. Denn es handelt sich hier um eine Provokation, die alles zusammenfasst, was Ausdruck des Menschen ist, der sich nach der Begegnung mit dem Sohn an den Vater wendet.

1. Eucharistie. Die Methode Gottes
Ich erlaube mir zunächst, euch einen Abschnitt aus dem Zibaldone von Leopardi vorzulesen: "In unserer heutigen Zeit gibt es nicht viele Übel, aber auch kein wahres Gut; und dieser Mangel stellt ein großes, fortdauerndes, unerträgliches Übel dar. Er macht das ganze Leben leidvoll, auch dort, wo die kleinen Übel nur einen Teil des Lebens betreffen. Wenn die Liebe zu sich selbst, und somit die brennende Sehnsucht nach Glück, der ständige und existenzielle Gefährte des menschlichen Lebens, nicht in einer wahren, lebendigen Freude Befriedigung findet, so trifft dies unsere Existenz in brutaler Weise, auch wenn es ansonsten keine Übel gibt. Und die Übel sind weniger schädlich für das Glück als die Langeweile; manchmal sind sie sogar hilfreich, um eben dieses Glück zu finden. Die Gleichgültigkeit ist nicht die ursprüngliche Haltung des Menschen; sie widerspricht unmittelbar seiner Natur und somit seinem Glück" (Zibaldone, 1554-5). Und ebenfalls über das Glück schrieb Leopardi im Jahre 1823 an einen französischen Freund: "Wenn es das Glück nicht gibt, was ist dann das Leben?". Das Glück ist in der Tat das Ziel dieser ruhelosen Dynamik, die der Mensch darstellt.
Der Satz aus dem Zibaldone hat mir die Tatsache in Erinnerung gerufen, dass der Mensch das Geheimnis nicht auszuloten vermag. Die natürliche Religiosität ist darauf ausgerichtet, die Existenz von etwas Letztem, einer letzten Wirklichkeit zu erkennen: "Es gibt ein Ziel, aber keinen Weg", so sagte Kafka. Aber welcher Weg kann dorthin führen? Man kann Gott als den Sinn des Lebens nicht völlig erfassen. Der Sinn des Lebens lässt sich nicht ausloten. Die Fragen, die man sich über den Sinn des Lebens stellt, wenn man sie sich überhaupt stellt, sind eher Fragen der Neugier oder Wissensfragen als wirkliche Fragen nach dem Wahren oder nach der Wahrheit. Die Frage nach der Wahrheit müsste in der Tat ihrer Natur nach eine religiöse Frage sein. Wenn es in dieser Frage darum ginge, Gott durch eine Definition zu erkennen, dann müssten wir sie finden. Aber die Anmaßung, Gott zu definieren, käme einer Preisgabe der Frage gleich; letztlich wäre der Versuch, in das Geheimnis einzudringen, es zu verstehen, es zu definieren, soweit es möglich ist, sogar eine Gotteslästerung. Es sei denn, dass Er sich offenbart! Das Geheimnis teilt sich entweder mit, oder es bleibt unverstanden. Wenn das Geheimnis sich zeigt, wandelt sich das Leben in eine Erwartungshaltung und begünstigt so letztlich in jedem eine kindliche Einfachheit. In diesem Anliegen richtet Jesus im elften Kapitel des Matthäusevangeliums sein großes Gebet an den Vater: "Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast. Ja, Vater, so hat es dir gefallen". Gott hat sich gezeigt. Die Erwartung, die jeder von uns einfach in sich trägt, wie auch Leopardi stets unterstreicht, und das Bedürfnis des Herzens nach Wahrheit haben eine Antwort gefunden. Das gilt auch wenn selbst dieser Tatsache gegenüber letztlich eine gewisse Gleichgültigkeit möglich ist, wie es im Zibaldone ausgedrückt wird. Es ist, als ob ein letzter Mangel an Ernsthaftigkeit uns daran hindert, Vorteil aus dem zu ziehen, was im Inneren vorzufinden ist, aus dem, was die Beziehungen an Innerlichkeit, an Empfindsamkeit, an Verzeihungsbereitschaft und an geteilter Freude erfordern. Gott hat sich gezeigt, das Geheimnis hat sich selbst enthüllt. Der Begriff "Eucharistie" lädt uns gerade dazu ein, festzustellen, durch welche Methode Gott sich erweist. Auf welche Weise möchte sich Gott den Menschen und der Welt, der gesamten menschlichen Existenz und der Geschichte offenbaren? Gerne rufen wir die Tatsache in Erinnerung, dass das Geheimnis als Methode der Selbstmitteilung sich mit einer Zeit und einem Raum identifiziert. Es ist, als ob das Geheimnis immerzu versuchen würde, sich mit einem Raum und einer Zeit zu identifizieren, mit einer Gegenwart, die Gegenwärtigkeit ist, also mit einem Ereignis - wie man heutzutage Gott sei Dank immer öfter sagen hört.
In diesem Sinne ruft unsere Betrachtung unvermeidlich die Gestalt Abrahams als Anfang in Erinnerung. Denn im Geschehen an Abraham hat der Kontakt Gottes mit dem Menschen einen Weg hervorgebracht - einen Weg, der erst mit dem Ende der Weltgeschichte aufhören wird und der auch uns betrifft. "Der Herr sprach zu Abraham: Zieh weg aus deinem Land, von deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir zeigen werde. Ich werde dich zu einem großen Volk machen, dich segnen und deinen Namen groß machen. Ein Segen sollst du sein. Ich will segnen, die dich segnen; wer dich verwünscht, den will ich verfluchen. Durch dich sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen [welch universelle Bedeutung hat dieses Geschehen: "Durch dich sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen"!]. Da zog Abraham weg, wie der Herr ihm gesagt hatte, und mit ihm ging auch Lot. Abraham war fünfundsiebzig Jahre alt, als er aus Haran fortzog. … Der Herr erschien Abraham und sprach: Deinen Nachkommen gebe ich dieses Land [das Land bezeichnet die Welt]. Dort baute er dem Herrn, der ihm erschienen war, einen Altar."
Nach Abraham wendet sich unsere Betrachtung der Gestalt des Moses zu, der aus dem brennenden Dornbusch den Namen vernahm, mit dem er zu seinen Brüdern in Ägypten gehen sollte, um ihnen alles mitzuteilen, was Jahwe von ihnen verlangte. "Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt." Der Gott eurer Väter, jener Gott, der sich durch ein Geschehen, das Geschichte wird, ein Geschehen, das stets gegenwärtig ist, manifestiert hat und sich konsequent weiter manifestiert. "Das ist mein Name für immer." Auch hier finden wir eine universelle Bedeutung.
Solange bis uns die Gegenwart Christi den Blick und das Herz festhält, wie uns das Johannesevangelium sagt: Das ist das Werk Gottes, "den zu erkennen, den du gesandt hast", denn "Ich und der Vater sind eins". An jenem Abend, wenige Stunden, bevor er gefangen genommen wurde - das Schweigen der Apostel war angespannt, ungleich stärker als gewöhnlich -, sagte jener Mann völlig unerwartet unter den anderen Punkten seiner Rede: "Getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen", seid ihr nichts. Quid est veritas? Was ist Wahrheit? Denn die Wahrheit ist der Sinn des Lebens, die Wahrheit ist das einzige, dem Leopardi bereitwillig das Glück als Synonym zuweisen würde. Was ist die Wahrheit der Welt, der Geschichte, des Menschen und seiner Existenz? Quid est veritas? Vir qui adest. Die wirksamsten Begriffe in uns sind diejenigen, die wir gezwungen sind, uns häufig zu wiederholen. Denn jedes Mal, wenn sie betrachtet werden, erweitert sich unweigerlich ihr Bedeutungsgehalt. Das ist das Werk Gottes, das ist die Bedeutung der Welt: "An den zu glauben, den er gesandt hat". In der Tat, die Wahrheit ist dieser Mensch, der gegenwärtig ist.

2. Die Hingabe
Nun aber möchte ich meine und eure Aufmerksamkeit zurücklenken auf ein weiteres Element des Ereignisses als Methode der Mitteilung, die Gott in der Geschichte angewendet hat - das Geschehen an Abraham, an Moses, an Christus: Es ist die Geschichte, die sich fügt, der Fluss, der auf seine Mündung zufließt. Es handelt sich dabei zwar um ein Detail, das allerdings meiner Meinung nach äußerst wichtig ist, nicht zuletzt im Hinblick auf die Geistesgeschichte der Menschheit. Ihre größte und schlimmste Versuchung war stets, einen Spalt zwischen dem Spirituellen und dem vorübergehenden Zufälligen zu schaffen. Und je größer jemand in Geist und Herz war, desto mehr schien er geneigt, diese Trennung hinauszuschreien als das eigentliche Problem der Reinheit der Vernunft und der Wahrheit des Menschen. Wenn nun das Werk Gottes ist, an den zu glauben, den der Vater gesandt hat - an jenen Menschen! -, dann bedeutet dies, dass die sinnlich erfahrbare Wirklichkeit, Fleisch und Blut, keine Grenzen darstellen und sich einer letzten und wahren Wirklichkeit, dem Ewigen, dem Geist, nicht entgegensetzen.
Johannes und Andreas schwiegen überwältigt von der Evidenz jenes Blickes, der zu sprechen vermochte und der an jenem Nachmittag zu ihnen sprach. Zachäus ließ sich von jenem Menschen erobern, von dem er so viel hatte reden hören, der aber nun vor dem Maulbeerfeigenbaum halt machte und zu ihm sprach: "Zachäus, ich muss heute bei dir zu Gast sein". Die Samariterin hingegen traf auf ihn als einen Juden, der am Brunnen saß: Vir qui adest. Offensichtlich ist die Wahrheit hier nicht mehr Ergebnis einer zufällig erfolgreichen Forschung über das Geheimnis, sodass der Mensch sich damit begnügen könnte, wenn er kein Interesse mehr hat fortzufahren. Die wahrnehmbare Wirklichkeit steht nicht mehr im Gegensatz zum Geheimnis. Durch Christus, der mit der Geburt aus Maria wahrnehmbare Wirklichkeit wird, gibt es keinen Gegensatz mehr zwischen beiden Seinsebenen des Wirklichen - im Gegenteil: Christus ist ihre Einheit.
Die jüdische Religion und jede authentische Religiosität kennen als das größte Zeugnis ihres Gebetes die Vorstellung der Hingabe. Was aber bedeutet "Hingabe" als üblicherweise höchster Ausdruck des Gebetes in der religiösen Erfahrung eines Volkes? Es bedeutet, dass alles, wirklich alles in Gott seinen Bestand hat. Die Erde und der Felsen, Fleisch und Blut, alles besteht in Gott, in Christus, von dem gesagt werden wird: "Alles hat in ihm Bestand". Aber das ist noch nicht alles. Hingabe ist nicht nur die Feststellung, dass alles in Gott besteht - was im Übrigen den Menschen in einem gewissen Sinn gegenüber der Gewalt des Seins zwar nicht für nichtig erklärt, aber doch seine Geringfügigkeit wahrnehmbar werden lässt. Sie umfasst als ihr Gegenüber auch eine gefühlsmäßige Kehrseite: die Sehnsucht, dass das Antlitz Gottes sich zeigen möge. Es handelt sich also um ein doppeltes Gefühl, das der "Hingabe" Kraft verleiht: Wenn alles durch Gott gemacht ist, muss Gott sich auch in allem erweisen.
Das große Gebet der Hingabe verschafft sich deshalb durch eine konkrete Wirklichkeit Ausdruck: Von der Opferung von Lämmern und Stieren, die das Vermögen des Menschen und seine Besitzmächtigkeit über die Wirklichkeit symbolisieren, bis hin zur hingebungsvollen Aufopferung der Lebensumstände und des Augenblicks, die den eigentlichen Stoff des Lebens und die gesamte Existenz des Menschen symbolisieren. Noch einmal kommen uns die Beiträge der Literatur zu Hilfe. Was in der Frau an Schönheit erscheint, so Leopardi in seinem Aspasia, ist etwas, das über ihre körperliche Erscheinung hinausgeht und gleichsam durch sie hindurchscheint, sodass der Mann "selbst noch während des Beischlafes" das liebt und ehrt, was über das Körperliche hinausgeht, was im Inneren und jenseits des geliebten Aussehens verborgen ist, während die Frau als der Bezugspunkt feuriger Leidenschaft dies nicht verstehen kann. Allerdings handelt es sich um einen Hauch und eine Eingebung an Wahrheit, die auch vom Grund des antiken heidnischen Denkens herkommen, wenn Seneca zum Beispiel schreibt: "Du musst für einen anderen leben, wenn du für dich selbst leben möchtest". Wenn du die Wahrheit über dich und über deine Beziehungen finden möchtest, musst du einen anderen bejahen.
Den Gipfel der Hingabe, den Gipfel dieses erhabenen "Gestus" im buchstäblichen und ursprünglichen Sinne des Wortes, hat Christus uns offenbart. Und das macht die Hingabe der armen Frau, die den einzigen Groschen gibt, den sie besitzt, mit der Hingabe desjenigen gleichrangig, der sein Leben für den erhabensten Freund hingibt, nämlich für Gott: Die Hingabe besteht in der Anerkennung, dass alles von Gott stammt, dass alles von Gott und aus Gott gemacht ist, dass alles Gott gehört und aus Gott besteht. Eine Freundin von uns sagte in ihrem vom Leid geprägten Leben: "Die Berufung, von Christus gerufen zu sein, ist wie das Licht, das die dunkle Nacht der Umstände erhellt". Denn die Umstände sind stumpf und undurchsichtig, und der Augenblick ist wie ein Nichts. Die Hingabe durchdringt diesen Strich, dieses Jota, diesen Augenblick, indem sie anerkennt, dass er aus Gott besteht. So ermöglicht uns die Hingabe, den Augenblick als natürlichen Ausdruck unserer Person zu verspüren. Der Augenblick ist das erste Maß dafür, wie ich mich als Mensch zum Ausdruck bringe.
Wenden wir uns nun einer anderen Betrachtung zu. Den Gipfel der Hingabe, der höchsten Ausdrucksform des Menschen, stellt die Hingabe Christi dar. Er hatte das tiefste menschliche Bewusstsein, und niemand liebte den Vater und dessen Geschöpfe mehr als er. "Christe, cunctorum dominator alme" . Die Eucharistie, das "große Gebet", stellt den Gipfel der Hingabe der Menschheit an Gott dar. Denn in ihr wird durch die Hingabe Christi bis zum Tod am Kreuz die Ungerechtigkeit besiegt, die am Ursprung der Geschichte steht. Sie erscheint als Ungerechtigkeit Gottes, doch in Wirklichkeit geht es dabei um das Aufbegehren des Menschen, der von Anfang an danach gestrebt hat, wie Gott zu sein, und so der Lüge und dem Satan als dem Vater der Lüge den Weg bereitet hat. Es gibt einen tief liegenden Unterschied zwischen dem Übel, das vom Menschen ausgeht, und dem Übel, das im Satan und aus ihm heraus entsteht. Neulich fragte mich ein junges Mädchen: "Bestand also die erste Sünde, die Erbsünde darin, dass der Mensch danach gestrebt hat, wie Gott zu sein und so Gott gegenüber sein Ich zu behaupten?" Ich habe sofort mit ja geantwortet, doch dann dachte ich mir: Es gibt einen Unterschied. Die ursprüngliche Sünde, die Erbsünde, die niemand sich je hätte ausdenken können, und die doch so real ist, dass man ohne diese Hypothese nichts vom Menschen und der Welt verstehen würde, diese Erbsünde war natürlich durchaus auf Seiten von Adam und Eva, die von Satan hierzu angestachelt worden waren, eine Selbstbehauptung des eigenen Ichs oder jedenfalls ein Wunsch danach. Doch in diesem Geschehen spielte noch etwas anderes eine Rolle. In Adam und Eva gab es etwas, das sie vom "verabscheuenswerten Wesen", vom "Vater der Lüge", wie Jesus Satan nannte, geerbt hatten, nämlich die Neigung, Gott herauszufordern. Es ging nicht nur um den Wunsch, Gott gegenüber sich selbst zu behaupten. Die eigentliche Boshaftigkeit bestand darin, Gott herauszufordern. Die Boshaftigkeit, Gott herauszufordern, kann nicht vom Menschen stammen, sie ist typisch für Satan. Ich verstehe daher die Erbsünde als jenes Gift, das der menschlichen Natur, dem menschlichen Blut injiziert wurde, Gott herauszufordern. Einen Akt der Selbstbehauptung zu vergeben, ist noch mehr oder weniger vorstellbar, denn auch wir müssen unsern Schuldigern vergeben. Doch wenn man Gott herausfordert, gilt das nicht mehr! Hier ist eine Vergebung nicht mehr möglich, man bräuchte noch mehr, man bräuchte etwas für den Menschen Unbeschreibliches und Unvorstellbares. Man bräuchte die Barmherzigkeit. Man braucht die Barmherzigkeit. "Felix culpa", sagt daher der heilige Augustinus.
In der Hingabe Christi stimmt die sinnlich wahrnehmbare Wirklichkeit des Brotes und Weines, die zum Geheimnis des Glaubens - das heißt zum Fleisch und Blut des fleischgewordenen Wortes - werden, buchstäblich mit dem Geheimnis des Sohnes Gottes überein. Das Geheimnis stimmt mit dem Zeichen überein: Wo erreicht diese höchste und Ehrfurcht gebietende Einheit, die man nur mit Furcht und Zittern aussprechen kann, ihren Gipfel, wenn nicht in der Eucharistie? Das Geheimnis identifiziert sich hier mit dem Zeichen, und so wird das Zeichen, die sinnlich wahrnehmbare Wirklichkeit von Fleisch und Knochen, zu etwas, das dem Geist nicht mehr entgegensteht.
Die Eucharistie - dies als letzter Gedanke zu diesem Punkt - impliziert auch den Triumph der Wahrheit im Menschen, denn in ihr wird der vergänglich erscheinende Augenblick als etwas anerkannt, in dem das Göttliche zum Ausdruck kommt. Ich zitiere immer wieder einen Freund von mir, der seit langem in all seinen Briefen von der "Dichte des Augenblicks" spricht. Für den gestorbenen und auferstandenen Christus stellen Zeit und Raum keine Grenze mehr dar, der Augenblick ist nicht mehr Gefängnis oder Grab. Auch für uns sind Zeit und Raum ein Instrument unserer reichhaltigen Ausdrucksfähigkeit. Ohne sie könnten wir uns gar nicht ausdrücken, unsere Worte könnten gar nicht existieren. Doch zugleich stellen sie eine Begrenzung dar: Zeit und Raum schaffen die Möglichkeit unseres Sprechens und zugleich engen sie uns ein. Für den gestorbenen und auferstandenen Christus dagegen sind Zeit und Raum keine Grenze mehr, sondern der göttliche "Grund" für Seine Gegenwart. Der göttliche Grund dafür, dass Er für mich und für uns alle gegenwärtig wird, ist dieser Augenblick oder dieser Umstand, ohne dass man noch etwas anderes hinzufügen müsste.
So wird die Eucharistie zum Anfang des Triumphes Christi in Zeit und Raum, das heißt in der Geschichte. In der Eucharistie erfahren wir anfanghaft die Antwort des Vaters, die er seinen Kindern nur dann immer neu geben kann, wenn diese sie erbitten, wie es bei Lukas in den Kapiteln elf und achtzehn steht. Gleichzeitig wird in der Eucharistie die Lüge besiegt, die in der Ungerechtigkeit und dem hoffnungslosen und somit unvernünftigen Schmerz besteht. Die Eucharistie ist der Tod und die Auferstehung Christi, sie ist der Sinn der Auferstehung Christi in jedem Augenblick der Geschichte und insbesondere innerhalb meiner persönlichen Lebensgeschichte. Denn in jedem Augenblick ist der Sinn von mir, der ich mich mit irgendeiner vergänglichen Sache beschäftige, nichtig und kraftlos! Doch der Sinn der Auferstehung Christi besteht in jedem Augenblick in Zeit und Raum, in meiner Existenz und unserer Geschichte. Das geschieht in jedem Augenblick, wie das Buch des russischen Pilgers sagt. Doch hieran müssen wir uns zehn, hundert, tausend mal am Tag erinnern, bis zu zehntausend mal, das heißt so lange, bis uns die Erinnerung an Christus vertraut wird. Das Stoßgebet, das es zu wiederholen gilt, lautet: "Christus, der am Kreuz für mich gestorben ist". Die Auferstehung Christi ist die Dichte und die Bedeutung eines jeden Augenblicks, der vergeht.

3. "Berufen als Glieder des einen Leibes"
Gemäß der Geschichte, die der Vater vorausbestimmt und der Heilige Geist verwirklicht hat, schließt Christus in der Definition Seiner eigenen Person all jene mit ein, die er auserwählt hat. Vielleicht sollten wir noch mal das Gebet Jesu nachlesen im 17. Kapitel des Johannesevangeliums, Vers 1 bis 6 zur Hand nehmen. In der Definition Seiner eigenen Person schließt Christus all diejenigen mit ein, die er auserwählt hat: "Vater, die Stunde ist da. Verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrlicht. Denn du hast ihm Macht über alle Menschen gegeben, damit er allen, die du ihm gegeben hast, ewiges Leben schenkt. Das ist das ewige Leben: dich, den einzigen wahren Gott, zu erkennen und Jesus Christus, den du gesandt hast." Diese Auserwählung dehnt ihre Wirksamkeit aus in eine vom Geist des Vaters und seinem Willen vorbestimmte Zeit hinein. Innerhalb der Geschichte vollzieht sich diese Auserwählung in der Taufe durch die allmächtige Kraft Gottes, des Schöpfers aller Dinge.
Daher ist das Subjekt der Eucharistie, gemäß seiner gesamten Gestalt, der "mystische Leib Christi", wie man in der Theologie sagt: Eine Wirklichkeit, deren letzte Vollendung sich am jüngsten Tag vollziehen wird, nämlich die abschließende Verherrlichung Christi, kraft der Barmherzigkeit, die alles vollenden wird. Doch Er ist in der Geschichte der Menschen schon gegenwärtig. In der Geschichte jener Menschen, in denen sich der Blick von Johannes und Andreas widerspiegelt, wie an jenem Nachmittag am Jordan, als sie sich dem Antlitz Jesu zuwandten; in der Geschichte jener Menschen, in denen sich diese Blicke von Johannes und Andreas widerspiegeln, als Möglichkeit der Liebe zu Christus. Denn die Zeit besteht Augenblick für Augenblick aus der Liebe Christi. Sie erweist sich als einzige Bedeutung aller Unsicherheiten und Fehler, als einzige Bedeutung aller verlassenen und verlorenen Kinder sowie des reifen Bewusstseins des Menschen, der über die Verfolgung in der Welt weint, über seine Einsamkeit, über seine Fremdheit in einer Welt, die ihn verfolgt. Das Subjekt der Eucharistie ist also dieser mystische Leib Christi. Seine Vollendung vollzieht sich im geheimnisvollen und von einer unendlichen Kraft bewirkten Ähnlichwerden all jener, die der Vater auserwählt. Der Vater gibt sie Christus, und Christus zieht sie an sich. Er macht sie in der Taufe sich ähnlich, und sie werden Glieder seines Leibes, eine absolut neue Wirklichkeit: "Wisst ihr nicht, dass ihr Glieder eines Leibes seid?" . Wenn dies nur Worte wären, dann gäbe es nichts - weil alles nur leere Worte wären - außer dem Zynismus, der alles zunichte macht.
Dieses Volk entwickelt sich in der Geschichte, sei es so groß wie im Mittelalter oder so unscheinbar wie in einer kleinen, vergessenen Pfarrei, wo gerade mal zwanzig oder dreißig Leute am Sonntag in die Kirche kommen. Aber wie manifestiert es sich, welches Ziel hat es in der Gesellschaft, was macht es in der Gesellschaft? Denn es gibt keinen Ministerposten, der ihm zustünde, keine Gewerkschaft, die darum bäte, von seinem Herzen, seiner Gegenwart und seinem Glauben geleitet zu werden. "In eurem Herzen herrsche der Friede Christi", sagt der heilige Paulus in seinem Brief an die Kolosser - "dazu seid ihr berufen als Glieder des einen Leibes. Seid dankbar!" Der Friede ist die Frucht der Gegenwart dieses "einen Leibes". Sei es in der Zeit der Benediktiner von Cluny oder in der Zeit von Charles Péguy: Das christliche Volk stellt in der Welt eine Quelle des Friedens dar, einen ausgleichenden Faktor, der den Frieden gewährleistet, einen Faktor des Friedens. Beim Lesen zahlreicher Texte unseres Kardinals (Carlo Maria Martini, seinerzeit Erzbischof von Mailand, AdR) scheint mir, dass dieses Credo den innersten, verborgensten und leidenschaftlichsten Teil seines Denkens darstellt. Ein Faktor des Friedens, der sich nicht zurückdrängen lässt, der einen nicht still stehen lässt, sondern immer wieder voller Wertschätzung auf alles und alle zugehen lässt und die Gemeinschaft unter uns aufrechterhält.
Ich erlaube mir, euch zu Ostern das zu wünschen, was ich gerne auch allen anderen wünschen würde: dass die Hoffnung eine Gewissheit über die Zukunft kraft einer gegenwärtigen Wirklichkeit sein möge. Nicht kraft irgendeiner beliebigen Gegenwart. Es geht um die Gegenwart Christi, die dank der Muttergottes bekannt gemacht wurde und die uns der Zukunft gewiss sein lässt. Daher können wir ständig voranschreiten, ohne Stillstand, die Alten ebenso wie die Jungen. Wir können ohne Stillstand weitergehen und unbegrenzt voranstreben, ausgehend von der Gewissheit, dass Er, der die Geschichte besitzt, sich auch in ihr manifestieren wird. Diese Erwartung kommt besonderes in einem Moment des Tages zum Ausdruck, an dem teilzunehmen wir von der ganzen christlichen Geschichte her immer aufgerufen wurden: der Eucharistie, der Hingabe des gestorbenen und auferstandenen Christus, an den Vater, denn Christus stammt vom Vater, dem ich in den Stunden und Minuten dieses Tages angehöre.