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Editorial
Gott kam um die Menschlichkeit zu retten
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Die menschlichen Sehnsüchte und Bedürfnisse haben in unserer Zeit, zumal seit dem zu Ende gegangenen Jahrhundert, Hochkonjunktur. Alle berufen sich auf sie: Philosophen, Mediziner, Politiker, Wirtschaftsexperten und Werbefachleute. Allerdings führt die ständige Bezugnahme nur zu einer fortschreitenden Entleerung. Ja, je mehr die Sehnsüchte zu Machtzwecken missbraucht werden, desto tiefere Feindschaft und Gewalt stiften sie.
Man glaubt sogar, den Schlüssel zur menschlichen Seele gefunden zu haben, ja es scheint möglich, sie zu entziffern. Aber mit der viel beschworenen Sehnsucht, ist schließlich nichts weiter gemeint als Reiz-Reaktions-Mechanismen, instinktives Handeln, Projekte, Träume, Utopien. Die Folge ist eine zunehmende Verwirrung, die bewusst oder unbewusst herbeigeführt wird.
Die Sehnsucht ist eine natürliche Eigenschaft des Menschen. Sie ist wie der Raum des Ichs, den es aus eigener Kraft nicht füllen kann. Man sehnt sich nach etwas, das man sich selbst nicht geben kann. Folglich öffnet die Sehnsucht den Menschen. Sie ist ein unstillbarer Hunger und Durst. Auch wenn sie auf etwas trifft, das sie zuvor für ihre Erfüllung hielt, hält sie doch nicht an: "Was auch immer du sagst oder tust / im Innern ruft es: / Nicht hierfür, nicht hierfür!" (C. Rebora).
An der Sehnsucht scheiden sich die Geister. Der bedeutende italienische Dichter Leopardi hat die Grundfrage, die sie an uns richtet auf den Punkt gebracht: Wenn nun unser Leben so übervoll von Sehnsucht nach Erfüllung und Glück ist, ist dies Zeichen eines letzten Irrtums, eines inneren unauflöslichen Widerspruchs? Oder erster, leiser, doch ganz untrüglicher Hinweis auf ein Ziel, für das wir geschaffen wurden?
Die christliche Verkündigung stößt nicht zuletzt deshalb oft auf Ablehnung, weil sie die menschliche Sehnsucht ernst nimmt. Sie tut die Sehnsucht eben nicht als Irrtum ab, sondern nimmt sie zum Ausgangspunkt für das Abenteuer der Erkenntnis, zum Ausgangspunkt jeder Zivilisation und - was seine Gegner besonders erstaunt - zum Ausgangspunkt des Heils: Die Sehnsucht ist immer wieder der erste Schritt auf unserem Weg, was auch immer die Umstände sein mögen. In der Sehnsucht tut sich jene Menschlichkeit kund, die Gott zu retten gekommen ist und für die er den Tod auf sich genommen hat. Denn ein Gott, der die größte Sehnsucht des Menschen - die Sehnsucht, nicht für den Tod geschaffen zu sein - nicht retten und erfüllen würde, wäre nutzlos.
Und diese Erfüllung der Sehnsucht vollzieht sich innerhalb einer Gegenwart: in der Kirche, in der Gott seine Weggemeinschaft mit den Menschen in der Zeit fortsetzt. Das bezeugt Papst Benedikt XVI. unserer Welt. Und deshalb stärkt er unsere Hoffnung.