Thema - Berufung
Paraguay
Giovanna Tagliabue
Das Leben beginnt für Giovanna Tagliabue in dem Maße faszinierend zu werden,
wie sie für alles verfügbar wird. So führt sie der Weg nach Afrika und
Paraguay. Die Freunde begleiten sie stets in ihrem Herzen.
Seit meiner Kindheit war mein größter Wunsch, dass mein Leben nützlich sei. Ich
habe nie gerne Zeit verloren. Das kommt sicherlich auch daher, dass ich meine
Eltern immer bei der Arbeit sah und man in einer so großen Familie wie der
unseren mit sieben Kindern nie untätig bleiben konnte. Wenn meine Mutter mit
der häuslichen Arbeit fertig wurde, nahm sie uns Kleine mit zu Besuchen bei
ihren Freundinnen oder bei irgend einem Kranken oder ins Armenhaus, um dort
etwas vorbeizubringen. Ich denke, dass die Sehnsucht Missionar in "fremden
Erdteilen" zu werden, tatsächlich durch eine gleichsam organische Weitergabe
wächst.
Ich habe Don Giussani im Juli 1968 in Campestin di Fassa kennen gelernt. Diese
Begegnung war wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Ich konnte den Grund dafür
nicht genau benennen, aber ich erahnte, dass ich einem solchen Menschen folgen
musste, um dorthin zu gelangen, wohin mein Herz zu gehen ersehnte. Nachdem ich
die Schule für bildende Kunst abgeschlossen hatte, ging ich im Oktober
desselben Jahres zu Giussani, um ihm zu sagen, dass ich bereit wäre, nach
Brasilien zu gehen. Aber er antwortete: "Jetzt ist es noch nicht möglich, aber
ich lade dich zu einem Treffen ein, das dir helfen kann." So geschah es, dass
ich meine Berufung fand, indem ich ihm meinen größten Wunsch anvertraute. Im
folgenden Jahr gab ich meine Arbeit in einem Architekturbüro auf, um eine
Schule für Krankenschwestern in Mailand zu besuchen. Ich wollte mich auf die
Mission vorbereiten. Alles, was ich in der Bewegung erlebte, faszinierte mich
immer mehr: die Freunde aus Gudo, die Schule der Gemeinschaft, die Ferien der
Angestellten im Gesundheitswesen, die Kranken, der Gesang und so weiter. So
dachte ich schließlich nicht mehr an die Abreise. Ich hatte den Wunsch, meine
Freiheit ganz Don Giussani anzuvertrauen. Sie sollte zu der "Ganzheitlichkeit
des Blicks" seines Lebens erzogen werden und somit zur Erfahrung der Freude und
Unendlichkeit, von der er mir Zeugnis ablegte. Ich wünschte brennend, ihm bei
der Errichtung der Kirche durch sein Charisma zu helfen und für seine Hinweise
verfügbar zu sein.
Erfülltes Versprechen
Es war im August 1973, während meiner ersten Exerzitien mit den Memores Domini
in Pianazze, als der Herr die Verheißung endgültig erfüllte. Eine Gruppe von
uns brauchte im Kongo (damals hieß er noch Zaire) Unterstützung von einer
Krankenschwester und einem Arzt, um ihr Hilfsprogramm in einem Zentrum, das sie
gegründet hatte, fortzusetzen. An diesem Abend habe ich mir Mut zugeredet, habe
an Giussanis Tür geklopft und ihm gesagt, dass ich bereit wäre zu fahren. Er
hat mich angelächelt und mir gesagt: "Ich wünschte, du bliebest hier, aber ich
verstehe, dass es wichtig für dich und für uns ist, dass du gehst."
Wir haben uns umarmt, und von da an hat das große missionarische Abenteuer
angefangen. Zehn Jahre in Afrika und achtzehn Jahre in Paraguay mit einem
Abstecher nach Belgien, um tropische Medizin zu studieren und zwei nach Rom, um
den Papst zu hören, der dazu aufrief, in die ganze Welt zu gehen und um meinen
Glauben in der Begegnung mit dem Charisma zu stärken.
Wenn man mich fragt, ob mich dies von meinen Freunden entfremdet hat, dann sage
ich nein, weil ich sie immer bei mir hatte. In unserer Erfahrung ist die
Gemeinschaft nicht abstrakt, sondern eine Erfahrung der Einheit, die das Herz
berührt. Man kann allein in Kiringye sein, aber in sich ein "unendliches Wir"
tragen, das dich wie Jesus begleitet. Die Erziehung, die uns Don Giussani
bezeugt hat, ist die eines Mannes, der um 9 Uhr abends zum Bahnhof kommt, um
dich vor der Abfahrt nach Brüssel zu grüßen, und der dir einen Brief schreibt,
in dem er dich daran erinnert, einen Ofen zu kaufen, weil er weiß, dass es bei
uns in Villaricca kalt ist. Wie kann man sich einsam fühlen, selbst wenn man
10.000 Kilometer entfernt ist? Wenn dem so wäre, wären wir nicht würdig,
Menschen genannt zu werden.
Einem größeren Gut gehorchen
Die größte Herausforderung für mich war immer die Beziehung zu den Personen vor
Ort, die eine andere Kultur leben. Sie haben eine andere Art zu denken und sie
gehen die Dinge des Lebens auf unterschiedliche Art und Weise an. Und so stellt
die Beziehungen zu den Personen in den meisten Fällen deine Geduld auf die
Probe. Denn einem "anderen" zu begegnen, zwingt dich, dich zu fragen, warum du
mit ihm zusammen bist. Und wenn es nicht um einer Liebe zur Bestimmung des
anderen willen ist, wird ein Zusammenleben unmöglich. Wenn ich an die Jahre in
Afrika zurückdenke, sehe ich mich selbst voller Enthusiasmus, jung, den
sprachlichen Schwierigkeiten trotzend, voller Sehnsucht nach dem Guten, ohne
Unterlass mit meinen Freunden zu arbeiten, um in der Ebene von Ruzizi einen
menschlicheren Ort aufzubauen, mit Kooperativen, Gesundheitszentren und Schulen
zur Alphabetisierung. Auch hier hat mir der Blick Don Giussanis nie gefehlt. In
Begleitung von Don Ricci kam er uns sogar trotz seiner Angst vor wilden Tieren
für 24 Stunden besuchen, um uns zu helfen, unsere Berufung in der Öffnung auf
ein anderes Charisma bis auf den Grund zu leben. Zudem erreichten uns die
Kassetten von den Exerzitien, die unsere tägliche geistliche Arbeit der Askese
begleiteten.
Wir waren an der ersten Evangelisierung beteiligt, und die Leute hatten uns
sehr gerne. Doch mit dem Ende des Vertrages mussten wir zurück, was mir schwer
fiel. Denn es ging mir gut dort und wäre es nach mir gegangen, dann wäre ich
nie zurückgekehrt. Aber ich verstand, dass das wahre Gut bedeutete, dem
größeren Gut, dem ich begegnet war, zu folgen, auch wenn es mich etwas kostete.
Ein erneutes Ja
Die Erfahrung in Paraguay hat mich gezwungen, ernsthaft an mir zu arbeiten.
Dieses Mal war nicht ich die, die abreisen wollte, sondern es wurde mir von Don
Giussani ausdrücklich nahe gelegt.
Zur damaligen Zeit erlebten wir gerade mit einer Gruppe von Krankenschwestern
von CL einen Moment bedeutender missionarischer Arbeit in den Krankenhäusern.
Es war die Zeit der Kartage. Zudem lebte ich in Gudo mit vielen Freunden
zusammen.
Was tun? Entweder man erneuert das Ja zu Christus oder nichts von dem, was man
gelebt hat, ist wahr. Entweder gibt man das Leben ganz oder man gibt es nicht.
So bin ich nun seit achtzehn Jahren hier in Paraguay, obwohl ich Giussani nach
sechs Monaten gesagt hatte, dass ich nach Hause zurück wollte. Dieses erneute
Ja hat mir eine große berufliche Erfahrung ermöglicht, etwa die Mitarbeit an
der Errichtung eines Uniklinikums oder die Eröffnung einer Schule für
Krankenschwestern und von peripheren Gesundheitszentren. Aber am meisten
überraschte mich das Vertrauen, das Giussani mir entgegenbrachte, bis zu dem
Grad, mir die kleine Gemeinschaft der Bewegung anzuvertrauen, die in der
Zwischenzeit in Asunción gewachsen war. Gott fordert dich so heraus, indem er
alles auf deine Nichtigkeit setzt und deine Freiheit auf die Probe stellt, wohl
wissend, dass er nie dabei verlieren kann.
So ist das Antlitz Christi und die Liebe zu ihm gewachsen und wächst Tag für
Tag in mir, mit und durch die mir anvertraute Gemeinschaft, aus der
mittlerweile ein Volk geworden ist, das Häuser der Memores Domini, karitative
Werke und auch eine Grundschule hervorgebracht hat.
All dies konnte geschehen, weil Gott unvorhersehbar barmherzig ist und alles
zum Bau seiner Kirche benutzt. Und wie Don Gius immer sagte: "Wer hätte je
gedacht, dass aus diesem Mädchen …"
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