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Thema - Berufung
Die Vollendung der Berufung
Roberto Vivarelli

Am 19. März starb Milena Schibuola Stefanini. Sie war 47 Jahre alt und kämpfte seit sieben Jahren mit einem Tumor. Sie hat ihr Leben dafür eingesetzt, ein anderes Leben hervorzubringen, jenes ihrer Kinder und aller Jugendlichen, die sie getroffen haben.

Seit über sieben Jahren kämpfte sie gegen einen besonders aggressiven Tumor, der ihr keine Ruhe ließ. Milena war sich über ihr Schicksal immer im Klaren, indem sie das, was ihr zustieß, annahm und die Umstände bis auf den Grund durchlebte. Und dies war oft mit schrecklichen körperlichen Schmerz verbunden. Sie wusste, dass sich ihre Krankheit verschlimmern würde und sie lebte sie bis ins Letzte. Sie zog sich nie in die Rolle der "unglücklichen Kranken" zurück oder in die der Trost- und Mitleidbedürftigen. Sie war es, die den anderen mit der schwachen, kaum hörbaren Stimme, die ihr in den letzten Monaten geblieben war die Gründe der Hoffnung nannte. Und sie gab sogar die Anweisungen für ihr Begräbnis - von den Liedern bis zu den Lesungen. Sie wollte es schön und fast strahlend haben. Und ebenso wollte sie für ihren Ehemann Paolo und ihre Kinder Maria, Carlo und Pietro ein bis in alle Einzelheiten hinein schönes und gepflegtes Haus. Ihre Familie hat sie bis zum Ende begleitet.
Milena Schibuola Stefanini wurde am 19. März von Jesus zu sich gerufen. Sie war 47 Jahre alt. Ihr ganzes Leben lang, und noch mehr in den letzten Jahren, war sie für denjenigen, der sie kennen gelernt hat, das offensichtliche Zeichen dafür, wie die konkrete Erfahrung des gegenwärtigen Christus jemandem ein Antlitz verleihen kann, das anders ist und das gezeichnet ist von Freude am eigenen Leben, auch in den schwierigsten Zeiten.

Ein gastfreundliches Haus
Mit ihren Eltern Giuseppe und Amelia und ihrer Schwester Roberta lebte Milena seit den frühen siebziger Jahren, den Anfängen der Gemeinschaft von Comunione e Liberazione in Bozen, den Wert der Gastfreundschaft. Gastfreundschaft war einer der Angelpunkte ihres Lebens. Die Wohnung ihrer Familie war im Laufe der Jahre für zahlreiche Grundwehrdienstleistende von CL aus der Lombardei und ihre Kameraden Anlaufstelle und Bezugspunkt. Die jungen Soldaten, die in Bozen oder Meran ihren Wehrdienst absolvierten und hier oft orientierungslos und entfremdet waren, fanden während der Ausgangsstunden in Milenas Familie Aufnahme. Einige von ihnen kehrten - heute fünfzigjährig - zur Beerdigung nach Bozen zurück.
Beim Begräbnis betonte Pater Gigi Cassaro, dass Milena ihr Leben dafür eingesetzt habe, "anderes Leben hervorzubringen, von jenem ihrer Kinder bis zu jenem aller Jugendlichen, denen sie in der Schule als Lehrerin begegnet ist oder die sie als Kameraden ihrer Kinder kennen gelernt haben". Schon erkrankt, war sie tief gerührt, als sie von einigen albanischen Kindern hörte, die unter den Brücken von Bozen hausten. Sie kümmerte sich damals um die erste Aufnahme ausländischer Kinder in der Schule. Die albanischen Kinder waren mit ihren Eltern in Italien angekommen und lebten, wie es sich gerade ergab. Derartiges war bis dahin im reichen Südtirol unbekannt. "Es war offensichtlich, dass sie als erstes ein Haus brauchten, jemanden, der sie dabei begleitet, ihre Zukunft aufzubauen", erklärte Milena in einem Interview mit Spuren (Dezember 2003). "Meine Menschlichkeit und unsere Hoffnung konnten einem bestimmten Ort Gestalt verleihen. Gott vertraut einem jeden von uns die Aufgabe an, ein ‚Vorläufer' der Hoffnung zu sein. Aus dieser Überzeugung heraus ist das Haus Puntoliberatutti entstanden." Milena blieb bis zum Ende Vorsitzende dieser Einrichtung. Heute nimmt das Haus täglich 23 Kinder auf, die Schwierigkeiten im familiären, sozialen und schulischen Bereich haben. Die Pfarrei von Oltrisacro bietet hierbei die notwendigen Räumlichkeiten.

Erzieherische Sorge
"Ihr ganzes Leben", betonte Don Pino in seiner Predigt bei der Beerdigung, "ist in folgendem Satz aus dem Evangelium enthalten: Petrus, liebst du mich? Und wie Petrus hat sie geantwortet: Herr, Du weißt alles, Du weißt, dass ich Dich liebe." Die beeindruckendste Eigenschaft ihrer Lebensgeschichte war ihre unbegrenzte Leidenschaft für Christus. Sie wurde für Milena zur Quelle einer Fruchtbarkeit und Liebe zu ihrer Familie und zu allen Jugendlichen, denen sie begegnete. So entstand das Werk der Menschlichkeit, das sie hervorgebracht hat. In der Begegnung mit dem Charisma von Don Giussani wurde sie Protagonistin eines Lebens, das ganz von der Sehnsucht nach Christus geprägt war, mit einer Liebe zum Menschen voller Schönheit und Poesie, inmitten einer zerrissenen Welt ohne Hoffnung. Die Gastfreundschaft und Aufnahme waren immer ihr fester "Bezugspunkt", begleitet von der ständigen Aufgabe der Erziehung. Zunächst die Erziehung ihrer eigenen Kinder, aber gemeinsam mit ihnen auch einer ganzen Reihe von Kindern und Jugendlichen, denen sie in den vielfältigen Umständen des Lebens begegnet ist. Von den verschiedenen Schulen, an denen sie Religion unterrichtet hat, bis zu den Jugendgruppen, um die sie sich in den verschiedenen Phasen ihrer Entwicklung kümmerte, innerhalb und außerhalb der Bewegung von CL. Mit dieser großen erzieherischen Sorge hat sie zahlreiche Mütter begleitet. Dabei half sie ihnen in den oft schwierigen Beziehungen zu ihren Kindern.
Für die Caritas von Bozen hatte sie gemeinsam mit zwei Kolleginnen, die wie sie Religionslehrerinnen waren, ein Buch für Grundschüler und Mittelschüler geschrieben, das ihnen die Erfahrung des Teilens näher bringen sollte. Es heißt An den Wurzeln der Solidarität und wird inzwischen in verschiedenen italienischen Schulen und auch in Katechismuskursen benutzt. "Es ist eine Arbeit, auf die wir stolz sind", betont der Direktor der Caritas, Mauro Randi, im Bozener Diözesanblatt Il Segno (Das Zeichen). "Milena hatte das Buch mit Nachdruck verteidigt, als ein bedeutendes Verlagshaus aus Mailand es abändern wollte, um es besser verkaufen zu können. Dadurch erlebte es zwar keinen größeren Vertrieb, doch bewahrte es die ethische und erzieherische Stringenz, die Milena und ihre Kollegen ihm gegeben hatten. An den Wurzeln der Solidarität wird jetzt von der Caritas vertrieben, um uns daran zu erinnern, dass es wichtig ist, vom Geben der Dinge zur Hingabe seiner selbst überzugehen, genau so, wie es Milena getan hat". Patrizia und Adriana, die beiden Lehrerinnen, die mit ihr das Buch verfasst haben, erinnern sich an Milena: "Wir nannten sie Gruppenleiterin, denn unter uns war sie der Kopf. Und während wir an dem Buch arbeiteten, hatte sie schon anderes entworfen, mit einer unerbittlichen Hektik und Eile, aus Angst, nicht genug Zeit zu haben, alles fertig zu stellen, was sie sich vorgenommen hatte: das Kinderheim, das dank ihrer Hartnäckigkeit und vor allem dank ihres unerschütterlichen Glaubens entstanden ist. Sie hat an unzählige Türen geklopft, voller Verlangen und Beharrlichkeit in den wenigen Momenten körperlicher Kraft zwischen den verschiedenen Zyklen der Chemotherapie."

Deborah und Alessia
Die mehreren hundert Menschen, die an dem Trauergottesdienst im Dom teilnahmen, und die rund zwanzig Priester, die konzelebrierten, waren das unmittelbarste Zeichen ihrer Fruchtbarkeit. "Jeder einzelne von uns", sagte Pater Gigi, "ist ihr in anderer Art und Weise und bei unterschiedlichen Gelegenheiten begegnet, aber jeder fühlte sich von ihr ins Spiel gebracht. Aus diesem Grund sind wir hier, um von Grund auf zu verstehen, wie Milena ihre Berufung erfüllt hat, indem sie allen half, Personen zu sein."
Unter den mehr als Tausend Personen, die ihr beim Begräbnis die letzte Ehre erweisen, sind auch Gabriella und Roberto. In ihrer Begleitung sind die zwei kleinen Schwestern Deborah und Alessia. Seit wenigen Monaten sind die beiden Mädchen in jeder Hinsicht Töchter von Gabriella und Roberto. Sie hatten sie vor vier Jahren von einem Tag auf den anderen als Pflegeeltern angenommen, nachdem sie Milena darum gebeten hatte. Ein Sozialarbeiter hatte Milena um Hilfe gebeten. "Und dank ihrer sind wir heute Mutter und Vater", erinnert sich Gabriella dankbar, "und dank ihrer haben diese beiden Mädchen endlich eine wirkliche Familie." Das ganze Leben von Milena war eine Erfahrung der Gegenwart Christi. Sie hat es gelebt in der Gemeinschaft der Bewegung, der sie vor über 35 Jahren am Ende der Mittelschule begegnet war. Ein volles, intensives Leben, dessen Tod, wie es ihr Ehemann Paolo in der Todesanzeige schrieb, "die Vollendung ihrer Berufung" war. Aus diesem Grund wollte Milena in ihrem Hochzeitskleid begraben werden. Auf dem Erinnerungsbild, das am Ende der Beerdigung ausgeteilt wurde, steht ein Satz, den sie selbst geschrieben hat, genau mit Blick auf diesen Tag: "Sprecht nicht von dem, was ich gemacht habe, sondern von der Gemeinschaft, die entstanden ist."