Don Giussani
Die Freiheit an der Wurzel des Werkes
Luigi Giussani
L. Giussani, „Werke entstehen nur, wenn jemand den Mut hat, „ich“
zu sagen“, Litterae 2/1992
Ich erinnere an einen Satz von
Kierkegaard, in dem er sagt, dass die Werte so lange abstrakt
bleiben, bis jemand den Mut hat, „ich“ zu sagen. Werke
entstehen nur, wenn jemand den Mut hat, „ich“ zu
sagen. Ihr habt den Mut gehabt, „ich“ zu sagen und in
gewisser Weise und unter den unterschiedlichsten Umständen
habt ihr es riskiert.
Dabei kommt mir auch der Satz
des Philosophen Nietzsche in den Sinn, in dem er die Christen
angreift und sagt, dass sogar ihre Tugenden sehr bescheiden
seien, weil sie genau so wie alle anderen nichts anderes tun,
als die eigene Bequemlichkeit zu suchen. Doch niemand von euch
ist der Regel der eigenen Bequemlichkeit gefolgt, um ein Werk zu
schaffen. Welches Werk auch immer ihr geschaffen habt, ihr seid nicht
auf der Suche nach der eigenen Bequemlichkeit untergegangen.
Was aber ist es, dem ihr Raum,
Stimme und Handlungsform gegeben habt? Das Wort, das wir uns immer
wiederholen müssen, das Wort, das die Größe des
Menschen im Vergleich zur gesamten Wirklichkeit definiert -
so klein und unbedeutend er auch scheinen mag angesichts aller
Phänomene, welche die umgebende Wirklichkeit ausmachen - ist das
Wort Freiheit. Es ist eure Freiheit, der ihr Raum gegeben und der ihr
zum Durchbruch verholfen habt. Dies ist das heiligste Wort, das die
Kirche und die christliche Erziehung uns zur Betrachtung und zur
Verehrung gegeben haben. Es ist das Wort, das unmittelbar nach dem
Wort Gott kommt. Die Unausweichlichkeit der Bestimmung, die das
Wort Gott beinhaltet und zum Ausdruck bringt, stellt sich der
Freiheit des kleinen Menschen, ja sie drängt sich ihr auf. Der
kleine Mensch ist in der Tat jene Ebene der Wirklichkeit, auf der die
Wirklichkeit das Bewusstsein ihrer unendlichen Bestimmung, das
Bewusstsein der Unendlichkeit besitzt. Die Freiheit ist die
Sehnsucht nach einer vollständigen und vollkommenen
Erfüllung, aber im Menschen kann diese Sehnsucht nur in der
Beziehung mit dem Unendlichen ihre Erfüllung finden.
Wer deshalb von der Freiheit spricht, der spricht von der
Religiosität, wie sie das Christentum versteht, wie
sie uns Christus zu verstehen gelehrt hat.
Die Freiheit ist Bedürftigkeit,
Sehnsucht, Spannung zum Unendlichen, auf das Unendliche hin.
Aber das Unendliche, diese unendliche Bestimmung, die wir haben,
verwirklicht sich durch die realen Bedürfnisse, in denen sich
der eigene Durst artikuliert und konkretisiert. Die täglichen
Bedürfnisse rufen uns auf zu Schritten auf die Unendlichkeit
hin. Das Bedürfnis nach einer bestimmten Sache ist die Art und
Weise, in der die Bestimmung, das Unendliche, uns berührt, und
wir reagieren auf diese Sehnsucht nach etwas Bestimmtem. In diesem
Reagieren wird der Mensch normalerweise versuchen, den Bedürfnissen
mit einer gewissen systematischen Ordnung gerecht zu werden -
sofern es wirklich ein „Ich“ ist, das sich einsetzt und
nicht allzu „bescheiden“ im Sinne Nietzsches ist, d.h.
nicht auf die Bequemlichkeit ausgerichtet ist. Dies ist nun der
Ursprung des Werkes: der Versuch, systematisch auf ein Bedürfnis
zu antworten, das das eigene Leben im Alltag drängt.
Aber so wie man nicht alleine
geboren werden kann und so wie man auch nicht alleine leben kann, so
kann man auch nicht alleine auf das eigene Bedürfnis antworten -
welches auch immer dies sein mag, auch das denkbar individuellste;
es bedarf dazu einer Weggemeinschaft, d.h. der Hilfe einer
Gemeinschaft. Alleine kann keinem einzigen Bedürfnis
Rechnung getragen werden mit jener Systematik, die die organische
Gestalt unseres Lebens verlangt.
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