Dom zu Mailand
In Liebe zu Christus. Der Weg besteht in einer Begegnung
Joseph Ratzinger
Predigt von Joseph Kardinal Ratzinger, Präfekt der Glaubenskongregation
Liebe Mitbrüder im Bischofs- und Priesteramt,
„Da freuten sich die Jünger,
dass sie den Herrn sahen“. Diese Worte des Evangeliums, die wir
soeben gehört haben, weisen uns auf den Mittelpunkt der
Persönlichkeit und des Lebens unseres lieben Don Giussani hin.
Don Giussani wuchs – wie er selbst sagt – in einem Haus auf,
das arm an Brot, aber reich an Musik war, und so war er von Anfang an
berührt, ja sogar verwundet von der Sehnsucht nach Schönheit.
Und er gab sich nicht mit irgendeiner Schönheit zufrieden, mit
einer banalen Schönheit: Er suchte die Schönheit an sich,
die unendliche Schönheit. Und so hat er Christus gefunden, und
in Christus die wahre Schönheit, den Weg des Lebens, die wahre
Freude.
Schon als junger Mann hat er mit anderen Jugendlichen eine Gemeinschaft ins
Leben gerufen, die sich Studium Christi nannte. Ihr Programm
bestand darin, von nichts anderem als Christus zu sprechen, weil
ihnen alles andere als Zeitverschwendung erschien. Natürlich hat
er es später verstanden, eine gewisse Einseitigkeit zu
überwinden, aber als Substanz blieb ihm doch immer, dass nur
Christus allem in unserem Leben Sinn gibt. Er hat den Blick seines
Lebens und seines Herzens immer fest auf Christus gerichtet. Er hat
so verstanden, dass das Christentum kein intellektuelles System, kein
Bündel von Dogmen, kein Moralismus, sondern eine Begegnung ist,
eine Liebesgeschichte: Es ist ein Ereignis.
Dieses Sichverlieben in Christus,
diese Liebesgeschichte, die sein ganzes Leben ist, war dennoch weit
entfernt von jedwedem oberflächlichen Enthusiasmus, von jeder
Art vager Gefühlsseligkeit. Indem er Christus sah, hat er
wirklich gewusst, dass Christus zu begegnen Christus folgen heißt,
dass diese Begegnung ein Weg ist, ein Pfad. Ein Pfad, der – wie
wir es im Psalm gehört haben – auch die „finstere
Schlucht“ durchquert. Und im Evangelium, im zweiten Evangelium,
haben wir gerade von der letzten Dunkelheit des Leidens Christi
gehört, der scheinbaren Abwesenheit Gottes, der Finsternis der
Sonne der Welt. Er wusste, dass nachzufolgen eine „finstere
Schlucht“ zu durchqueren bedeutet, das heißt auf dem Weg
des Kreuzes zu gehen und dennoch in der wirklichen Freude zu leben.
Warum
ist das so? Der Herr selbst hat dieses Geheimnis des Kreuzes, das in
Wirklichkeit das Geheimnis der Liebe ist, mit einer Formel übersetzt,
in der die ganze Wirklichkeit unseres Lebens zum Ausdruck kommt. Der
Herr sagt: „Wer sein Leben zu bewahren sucht, wer das Leben für
sich haben will, wird es verlieren, wer es dagegen verliert, wird es
gewinnen.“ Don Giussani wollte wirklich das Leben nicht für
sich haben, sondern er hat das Leben hingegeben. Und gerade dadurch
hat er das Leben nicht nur für sich, sondern für viele
andere gewonnen. Er hat das verwirklicht, was wir im ersten
Evangelium gehört haben: Er wollte nicht Herrscher sein, sondern
er wollte dienen. Er war ein treuer Diener des Evangeliums. Er hat
den ganzen Reichtum seines Herzens verteilt. Er hat den göttlichen
Reichtum des Evangeliums, von dem er durchdrungen war, ausgeteilt.
Indem er so, sein Leben hingebend, gedient hat, hat sein Leben reiche
Frucht gebracht, wie wir in diesem Moment sehen. Er ist wirklich
Vater von vielen geworden und hat gerade dadurch, dass er die
Personen nicht zu sich, sondern zu Christus geführt hat, die
Herzen gewonnen. Er hat dazu beigetragen, die Welt besser zu machen,
die Tore der Welt für den Himmel zu öffnen.
Diese
Zentralität Christi in seinem Leben hat ihm auch die Gabe der
Unterscheidung gegeben: die Gabe, die Zeichen der Zeit auf rechte Art
und Weise in einer schwierigen Zeit voller Versuchungen und Irrtümer,
wie wir wissen, zu entschlüsseln. Denken wir auch an 1968 und
die Folgejahre, als eine erste Gruppe der Seinen nach Brasilien ging
und sich dort mit dieser extremen Armut, mit diesem Elend
konfrontiert sah. Was tun? Wie antworten? Und die Versuchung war
groß, zu sagen: Jetzt müssen wir für einen Augenblick
von Christus absehen, von Gott absehen, weil es noch größere
Dringlichkeiten gibt. Wir müssen zunächst anfangen, die
Strukturen zu verändern, die äußeren Umstände,
wir müssen zuerst die Welt verbessern, dann können wir auch
den Himmel wiederfinden. Es war die große Versuchung dieses
Augenblicks, das Christentum in einen Moralismus zu verwandeln, den
Moralismus in eine Politik, den Glauben durch das Tun zu ersetzen.
Denn was bewirkt der Glaube? Man kann sagen: In diesem Moment müssen
wir etwas tun. Und doch verliert man sich auf diesem Weg in
Einzelheiten, wenn man den Glauben durch den Moralismus, den Glauben
durch das Tun ersetzt. Man verliert vor allem die Kriterien und die
Orientierungspunkte, und am Ende baut man nicht auf, sondern man
spaltet.
Monsignore
Giussani hat mit seinem unerschütterlichen und unfehlbaren
Glauben gewusst, dass auch in dieser Situation Christus, die
Begegnung mit Christus, zentral bleibt. Denn wer nicht Gott gibt,
gibt zu wenig. Wer nicht Gott gibt, wer nicht hilft, Gott im Antlitz
Christi zu finden, baut nicht auf, sondern zerstört, weil er –
wie wir nur zu gut gesehen haben – bewirkt, dass die
menschliche Handlung sich in ideologischen und falschen Dogmatismen
verliert. Don Giussani hat die Zentralität Christi bewahrt
und der Menschheit gerade so mit sozialen Werken und dem notwendigen
Dienst in dieser schwierigen Welt, in welcher die Verantwortlichkeit
der Christen für die Armen der Welt sehr groß und drängend
ist, geholfen. Wer glaubt, muss – so haben wir gesagt –
auch die „finstere Schlucht“ durchqueren, die finsteren
Schluchten der Unterscheidung, und damit auch der Widrigkeiten, der
Widersprüche, der ideologischen Abneigungen, bis hin zu
Drohungen, die Seinen physisch aus dem Weg zu räumen, um sich
von dieser anderen Stimme zu befreien, die sich nicht mit dem Tun
zufrieden gibt, sondern eine größere Botschaft bringt und
damit auch ein größeres Licht.
Monsignore
Giussani hat in der Kraft des Glaubens unerschütterlich diese
finsteren Schluchten durchquert, und natürlich hatte auch er
innerhalb der Kirche Standortschwierigkeiten wegen der Neuheit, die
er mit sich brachte. Immer wenn der Heilige Geist gemäß
den Bedürfnissen der Zeit das Neue hervorbringt, das in
Wirklichkeit die Rückkehr zu den Ursprüngen ist, ist es
schwierig, sich zu orientieren und das friedliche Miteinander der
großen Gemeinschaft der universalen Kirche zu finden. Die Liebe
Don Giussanis zu Christus war auch Liebe für die Kirche, und so
ist er immer treuer Diener geblieben, treu dem Heiligen Vater, treu
seinen Bischöfen. Mit seinen Gründungen hat er auch das
Geheimnis der Kirche neu gedeutet.
1. Gemeinschaft und Befreiung lässt uns sofort an diese
eigene Entdeckung der modernen Zeit denken, die Freiheit, und es
lässt uns an das Wort des heiligen Ambrosius „Ubi fides
est libertas“ [Wo Glaube ist, ist Freiheit] denken. Kardinal
Biffi hat unsere Aufmerksamkeit auf die beinahe Übereinstimmung
dieses Wortes des heiligen Ambrosius mit der Gründung von
Gemeinschaft und Befreiung gelenkt. Indem Don Giussani so die
Freiheit als eine dem Glauben eigene Gabe hervorgehoben hat, hat er
uns auch gesagt, dass die Freiheit der Gemeinschaft bedarf, um eine
wahre menschliche Freiheit, eine Freiheit in Wahrheit zu sein. Eine
isolierte Freiheit, eine Freiheit nur für das Ich, wäre
eine Lüge und müsste die menschliche Gemeinschaft
zerstören. Die Freiheit braucht die Gemeinschaft, um wahr und
damit auch wirksam zu sein, und zwar nicht irgendeine Gemeinschaft,
sondern letztlich die Gemeinschaft mit der Wahrheit selbst, mit der
Liebe selbst, mit Christus, mit dem Dreifaltigen Gott. So baut man
eine Gemeinschaft auf, die Freiheit schafft und Freude schenkt.
2. Die andere Gründung, die Memores Domini, lässt uns
erneut an das zweite Evangelium von heute denken: Das Gedächtnis,
das der Herr uns in der heiligen Eucharistie gegeben hat, ist ein
Gedächtnis, das nicht nur Erinnerung des Vergangenen ist,
sondern die Gegenwart schafft. Das Gedächtnis, in dem Er selbst
sich in unsere Hände und in unsere Herzen gibt und uns so leben
lässt. Finstere Schluchten durchschreiten: In der letzten Etappe
seines Lebens musste Don Giussani die finstere Schlucht der
Krankheit, des Gebrechens, des Schmerzes und des Leidens
durchschreiten. Aber auch hier war sein Blick auf Jesus gerichtet.
Und so blieb er in allem Leiden wahr. Indem er Jesus sah, konnte er
sich freuen, war die Freude des Auferstandenen gegenwärtig, der
auch im Leiden der Auferstandene ist und der uns das wahre Licht und
die wahre Freude schenkt. Während er dieses Tal durchschritt,
wusste er – wie es der Psalm sagt: „Ich fürchte kein
Unheil; denn du bist bei mir und im Haus des Herrn darf ich wohnen
für lange Zeit“. Dies war seine große Kraft, zu
wissen: „Du bist bei mir“.
Meine
lieben Gläubigen, vor allem meine lieben Jugendlichen, nehmen
wir uns diese Botschaft zu Herzen, verlieren wir Christus nicht aus
den Augen und vergessen wir nicht, dass man ohne Gott nichts Gutes
aufbaut und dass Gott rätselhaft bleibt, wenn er nicht im
Antlitz Christi erkannt wird.
Jetzt
ist euer lieber Freund Don Giussani in der anderen Welt angekommen,
und wir sind überzeugt, dass sich die Tür des Hauses des
Vaters geöffnet hat. Wir sind überzeugt, dass sich dieses
Wort vollständig erfüllt: Die Jünger freuten sich,
dass sie den Herrn sahen; er freut sich mit einer Freude, die ihm
niemand nehmen kann. In diesem Augenblick wollen wir dem Herrn danken
für das große Geschenk dieses Priesters, dieses treuen
Dieners des Evangeliums, dieses Vaters. Vertrauen wir seine Seele der
Güte seines und unseres Herrn an.
Amen.
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