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CL - Berufung
Ein Zusammentreffen von Indizien
Pater Sergio Massalongo

Zunächst danke ich euch für eure Einladung und Wertschätzung. Und vor allem danke ich euch dafür, dass ihr da seid. Denn für uns seid ihr Bezugspunkt, was Glaubenserfahrung und Selbsthingabe angeht: wie Don Giussani uns immer gesagt hat, sind wir im Kloster, um unser Leben für die Memores Domini anzubieten. Unser Leben ist sehr arm, aber ich will euch erzählen, was der Herr mir und uns in diesen Jahren geschenkt hat. (...)
Nach dreißig Jahren im Kloster staune ich immer mehr über den Anfang, und immer mehr fühle ich mich am Anfang. Darin ist alles enthalten, auch die zukünftige Entwicklung. Dieser Anfang birgt die Gründe meines jetzigen Lebens, Gründe, die nicht ich gefunden habe, sondern die mir ein Anderer gegeben hat. Sonst wäre ein solches Leben Wahnsinn. In der Tat sind wir letztlich im Kloster, um aufzuzeigen, dass die Bewegung eine Lebensform wie die benediktinische wieder beleben kann, dass sie in einer Gesellschaft wie der heutigen angesichts des Geheimnisses das Antlitz einer menschlichen Schönheit neu zeichnen kann.

17. Mai 1971
Und das ist besonders für mich eine Gnade und eine unglaubliche Herausforderung. Don Giussani hat diese Aufgabe am 17. Mai 1971 den ersten jungen Männern, die sich anschickten, in die Cascinazza einzutreten, ganz klar aufgezeigt: «Vor dem Schritt, den ihr tun wollt, vor dem Wirken der Vorsehung, steht man nur staunend wie vor einem Wunder. Das Wunder steht nicht im Widerspruch zum Ablauf der Ereignisse, zu den offensichtlichen Geschehnissen, sondern besteht in einem Zusammentreffen so bedeutungsvoller Anzeichen und Ereignisse, dass es etwas bewirkt, das nicht von uns kommt. Aber das Wunder geschieht nicht um seiner selbst willen, sondern um eine Geschichte auf den Weg zu bringen und es ist ein Zeichen dafür, dass man auf dem Weg zu Gott ist. Es ist in der Tat die Geschichte, die alles hinführt zu seinem Sinn, zu Christus. Der Schritt, den ihr tut, eröffnet eine Möglichkeit, die benediktinische Erfahrung zu erneuern. Und das ist etwas Großes, das man nicht leichten Herzens aussprechen kann. Aber die Rückkehr zu einer ernsthaften Erwägung der Ideale ist eine Auferstehung, und nur durch das Kreuz kann man zur Auferstehung gelangen. Und der erste, der Hauptaspekt des Kreuzes, ist der Gehorsam bis zum Tod des eigenen Empfindens. Diese Abtötung - und hier sagt er etwas Wunderbares - ist jedenfalls kein Beschneiden, sondern das, wodurch das Leben größer wird, und das gilt ohne Wenn und Aber. Keine Begrenztheit, keine Engherzigkeit kann dagegen als Einwand dienen. Man kann sich nicht vor den Abt stellen und sagen: «Er versteht nichts, er begreift nicht meine Genialität». Wer berufen ist, ins Kloster einzutreten, tut das für den Tod, damit er lebt. Wenn aber die Wiederergewinnung der ursprünglichen Werte der erste Faktor unserer Erfahrung ist, dann ist der zweite Faktor bei diesem Wunder die Treue zur Bewegung. Treue zur Bewegung heißt nicht Treue zu Gruppen oder Personen. Treue zur Bewegung heißt vielmehr Treue zum Wirken Gottes in meinem Leben und zur Art und Weise, wie er mich ergriffen hat. Einheit ist nicht Zusammensein, um die gleichen Dinge zu tun und zu sagen, sondern ist das Zusammenschweißen, das in dem Maße geschieht, in dem wir uns bemühen, ganz für das Wirken Gottes in unserem Leben da zu sein.»

1971-79 Das Ende einer Form
In vier Punkte unterteilt erzähle ich euch jetzt kurz gefasst von den dreißig Jahren, die ich im Kloster La Cascinazza gelebt habe.
1. Die ersten Jahre des Klosters reichen von 1971 bis 1979. Für mich waren es aber nur die letzten vier, denn ich bin 1975 eingetreten. Sie waren aber ähnlich wie die ersten Jahre.
Diese Jahre gehören für mich zu den reinsten meines Lebens. Eine äußerste Armut - bedenkt, dass es nicht einmal einen Novizenmeister gab. Und der Abt war wegen seiner Verpflichtungen immer unterwegs. Arbeit vom Morgen bis zum Abend nahm fast die ganze Zeit in Anspruch, also größte Armut, ein wirklich von Herzen kommender Gehorsam gegenüber dem Geheimnis, ganz dem Willen Gottes unterworfen. Denke ich an diese Jahre, dann war mein Leben dem Geheimnis vergleichbar, ein Leben wie ein Wunder, denn es war einzig und allein geboren aus der vollständigen Hingabe an Gott. Diese ersten Jahre waren also einerseits gekennzeichnet von einer Schönheit, einer außerordentlichen Reinheit, wie eine Gnade. Andererseits endete die Erfahrung dieser Jahre mit einer schmerzlichen Spaltung der Gemeinschaft. So fand ich mich nach vier Jahren im Kloster eines schönen Morgens mit wenigen anderen wie auf einem Floß mitten im Meer, ohne zu wissen, wohin die Reise geht. Aber nicht nur das, auch noch mit einer schönen Aufregung an Bord. Wir haben alle um Hilfe gebeten, aber nur Don Giussani hat uns geholfen und ohne den Rettungsring, den er uns zugeworfen hat, weiß ich nicht, ob ich hier wäre. Ich verdanke ihm wahrhaftig das Leben.
In diese Jahre fiel für mich etwas, das entscheidend war für den Wiederbeginn eines Weges, und zwar eine Begegnung mit Carlo Wolfsgruber am Ende der 70er Jahre. Ich hatte ihn zu Hilfe gerufen und bei dieser Begegnung sagte er mir etwas, das ich nie bedacht hatte: Zur Einheit genügt eine einzige Person. Statt dessen war ich ständig auf der Suche nach einem anderen Menschen mit meinen eigenen Eigenschaften, der deshalb, so dachte ich, dem Bedürfnis entspräche, das ich in mir hatte. Aber ich traf diesen Menschen nie und deshalb war ich immer unzufrieden. Die Aussage Wolfsgrubers ist wie eine Bombe in mein Leben eingeschlagen. Es war nicht die Aussage eines Hochmütigen, der sagt: «Sieh nur, wie tüchtig du bist, der Beste», nein! Es war die Aussage eines Vaters, der dich mag. Ich habe gespürt, dass an meinem chaotischen Horizont auch Platz war für mein ach so kleines, zerbrechliches Ich. Das Ja, das ich in diesem Augenblick gesagt habe, hat mir die Sehnsucht nach dem Unmöglichen wiedergegeben: Dass die Bewegung in meinem Nichts entstehen möge.

1980-90 Von der Einheit wird man geboren
2. Der zweite Punkt betrifft die Jahre 1980-90. Wenn ich in der ersten Periode das Ende einer traditionellen Form religiösen Lebens miterlebt habe, so habe ich im zweiten Jahrzehnt meinem eigenen Scheitern beigewohnt. Dieses zweite Jahrzehnt ist von zwei wichtigen Ereignissen gekennzeichnet. Das erste: Don Giussani hat uns quasi adoptiert und wir hatten in diesen Jahren viele Begegnungen mit ihm. Don Giussani hat nie ein Benediktinerkloster gründen wollen, aber er hat sich so sehr auf unsere Freiheit eingelassen und uns gezwungen, dem was uns geschehen war, auf den Grund zu gehen, dass er das Wachsen der Erfahrung begünstigte, die dann auch den Fortgang der Geschichte geprägt hat. Das erste Kennzeichen dieses Jahrzehnts ist also die große Hilfe, die wir von ihm erhalten haben.
Gleichzeitig war diese Periode von einer großen Anmaßung gekennzeichnet, von dem Gedanken nämlich, dass wir fähig sind, die Einheit selbst zu errichten, wenn wir erst einmal die Schlüssel des Problems in der Hand halten. Aber die Einheit errichtet man nicht selbst, man wird von der Einheit geboren. Das ist aber keine bloße Idee, sondern man muss von einem Menschen geboren werden. Das Scheitern war aber wichtig, denn dadurch habe ich begriffen, dass man schon etwas nach allen Regeln der Kunst aufbauen kann, aber ich ..., wer rettet mich? Wie es in Brand von Ibsen heißt: «Die ganze Willenskraft eines Menschen reicht nicht aus, auch nur ein winziges Stückchen Heil zu errichten». Diese Unfähigkeit hat mich anfangs empört, war eine Enttäuschung. Es war als verstehe man, dass der Herr stärker ist, dich besiegt, dass man dies aber nicht akzeptiert. Aber mit der Zeit begriff ich, dass man nicht lange in diesem Zustand verharren kann, so nicht lange in einer Gemeinschaft bleiben kann. Vielmehr muss man mit klaffender Wunde vor dem Geheimnis stehen, wie die Opfer, die Abraham und der Prophet Elias auf dem Berg darbrachten, damit Gott vorbeikomme und das ganze Opfer verbrenne, auch das Böse. Das war der entscheidende Schritt.
Das alles hat mich dazu gebracht, vor dem Geheimnis Christi niederzuknien, mich dem Ereignis erneut anzubieten, anzuerkennen, dass Er gesiegt hat, und zuzulassen, dass er mich so benutzt, wie Er will; zuzulassen, dass meine Begrenztheit der Ort ist, an dem ich berufen bin, den Ruhm Christi in die Welt zu tragen. In dieser Kapitulation vor Christus habe ich die Erfahrung gemacht, dass das Leben zu meinem wird, es vollzieht sich eine unglaubliche Zärtlichkeit sich selbst gegenüber. Wenn man fühlt, wie man geboren, wiedergeboren wird, dann beginnt man zu merken, dass man dessen fähig geworden ist, was man am meisten ersehnt und dessen man am wenigsten fähig war: zu lieben, kraft Dessen, der mich positiv macht, obwohl ich ein Nichts bin. Das ist eine so schöne, so freie menschliche Einstellung, dass sie ansteckt und schöpferisch macht, es ist eine Menschlichkeit, die einen Zauber weckt, eine Neugier, eine unglaubliche Anziehungskraft. Dafür spricht, dass am Ende der 90er Jahre sich diese Einstellung unter uns explosionsartig ausgebreitet hat.

1990 bis heute. Die Zeit der Gnade
3. Der dritte Punkt betrifft den Zeitraum von 1990 bis heute. Diese Zeit möchte ich die Zeit der Gnade nennen. Angesichts einer so offenen menschlichen Einstellung, wie ich sie gerade beschrieben habe, beginnt Gott zu wirken. Und die innere Haltung, die ich als die wahrhaftigste empfinde, ist genau die des Psalms 38, 10: «Ich schweige, ich tue den Mund nicht auf, denn Du bist es, der handelt.» Ich beginne, unglaubliche Dinge zu sehen. Gott macht die Dinge besser als ich, und es ist ein Schauspiel, ihn am Werk zu sehen. Wir müssen betrachtend auf ihn schauen, wenn er unter uns wirkt und annehmen, was Er tut. Und wie geschieht das? Für mich fällt das zusammen mit der Entdeckung, welche Bedeutung das Haus, das Kloster hat. Mir ist bewusst geworden, dass das Haus immer mehr der Ort ist, wo ich Antwort auf Fragen bekomme. Stelle ich eine Frage, dann muss ich nicht drei, fünf oder tausend Tage auf die Antwort warten: Sie kommt sofort, hier und jetzt. Das ist eine wahrlich außerordentliche Entdeckung gewesen, denn das Geheimnis wird eins mit Personen: Der andere wird Ort meiner Erbauung, meiner Korrektur, sagt mir, wer ich bin, dass ich Christus gehöre.
Ich erwähne nur einige völlig ungeschuldete, also unvorstellbare Ereignisse aus diesem Zeitraum, die Gottes Gnade uns geschenkt hat. Ein jedes von ihnen war ein Schritt zur Erziehung und stärkte die Gemeinschaft unter uns. An erster Stelle war das die Anerkennung unserer Statuten durch den Heiligen Stuhl, der Kardinal Martini ermächtigte, unsere Gemeinschaft nach Diözesanrecht als Priorat sui iuris zu errichten. Es war weltweit der erste Fall nach der Veröffentlichung des neuen Kirchlichen Gesetzbuchs von 1983. Dann rief mich Don Giussani zur Teilnahme an Studium Christi, neue Berufungen kamen und das Kloster wurde dank der Hilfe Don Giussanis und Vittadinis auf das Doppelte erweitert. So finde ich mich heute, wenn ich durch mein Haus gehe, quasi gedemütigt von der Tatsache, dass darin nichts mir gehört. Alles ist Geschenk, Gnade, und ich bin da, um dieser Geschichte der Gnade zu dienen. Vor zwei Jahren kam dann die Ausstellung über den heiligen Benedikt beim Meeting. Wir wurden überraschend darum gebeten, und sie erwies sich für unsere Gemeinschaft als ein entscheidender Schritt nach vorn. Die Ausarbeitung der Gründe und Ursachen des Charismas war die Gelegenheit für ein tieferes Verständnis dafür, auf welcher Ebene die Entscheidung für Christus gefällt wird, die zugleich die endgültige Annahme der Berufung ist. Wenn man nämlich das eigene Charisma, seine Begründung, nicht auch mit der Vernunft erfasst, bleibt die Entscheidung für Christus schwach.

Der Tod Don Giussanis
4. Ich komme zum letzten Punkt. Für mich ist das der Tod Don Giussanis. Jenseits von Schmerz und Glorie seines Todes ist dieses Ereignis etwas Neues. Ich fühle, dass sein Tod ein Wendepunkt ist, er muss ein Wendepunkt für mein Leben sein. (...)
Ich spüre, dass ich hier wirklich zu einem neuen Schritt aufgerufen bin. In der Tat hat Jesus zu den Aposteln gesagt: «Der Heilige Geist wird euch alles lehren.» Jetzt lässt uns der Heilige Geist die ganze Geschichte tiefer und neu verstehen, das heißt alles, was Du gelebt hast, gibt er dir tiefer und neu wieder. Es ist ein weiterer Schritt, in den Don Giussani uns einführt, die Möglichkeit einer totalen Liebe, bis zum Äußersten. Da ist ein Mann, der mich ehrlich angeschaut hat, um meines Schicksals willen, so wie ich bin, und da ist der Punkt, an dem die Wahrheit, die nicht trügt, die Lüge besiegt. Und dieser Punkt ist mir gegeben, wird mein, wenn ich in Freiheit ständig darum bitte. Das ist die Herausforderung: unaufhörlich darum zu bitten, nicht als etwas Vergangenes, sondern als eine jetzt gegenwärtige Gemeinschaft. Jetzt vor Don Giussani zu stehen, ist wie vor Gott zu stehen. Und das war schon so, als er noch lebte, aber jetzt ist es endgültig so. Alles, vom Essen bis zum Trinken, von der Arbeit bis zum Gebet wird wahr, vollkommen, wirksam in der Art und Weise, wie Don Giussani gelebt hat, und die ich für mich ersehne und erbitte. Nur wenn man in der Gnade dieses Charismas bleibt, ist es uns möglich, die Schönheit und Aktualität der Tradition der Kirche zu erahnen und, wenn Gott will, wiederzuentdecken.
Ich schließe mit der Bemerkung, dass das Haus der Ort ist, an dem all diese Dinge wie eine Schwangerschaft den neuen Menschen hervorbringen. Das Haus ist der Ort, wo Christus mich nach seinem Gleichnis erschafft. Ich weiß nicht, wer ich bin, aber ich weiß Tag für Tag, wie das Haus mich erschafft. Und das ist das Staunen, das mich jeden Morgen mit Neugier und Sehnsucht aufstehen lässt. Ich habe verstanden, dass das Haus nicht Haus ist, sondern das Gedächtnis eines Ereignisses. Es ist die Gegenwart Christi unter uns, und wir leben und sind im Kloster einzig und allein, um uns zu helfen, für einander Zeichen dieser Gegenwart zu sein, in der wir ständig geborgen werden. A. De Vogué, ein Benediktiner, der viel über die Regel des heiligen Benedikt veröffentlicht hat, hat in einem letzten Kommentar geschrieben: «Das Kloster ist nicht ein Kreis auserwählter Menschen, sondern eine Krankenstation, wo Gott sich liebevoll über die Verletzten beugt», also ein Ort des Erbarmens. Christus heilt auch durch den Skandal des anderen meine und seine Wunden. Und gerade indem er das Menschliche bis zu diesem Punkt annimmt, wird ein Haus Zeichen dafür, dass Gott in der Geschichte gegenwärtig ist, dass das Reich Gottes unter uns ist, wird das Haus ein Ort des Gebets. Ich schließe mit diesem Satz Don Giussanis: «Das Bewusstsein der Heiligkeit dieses Ortes, des Hauses, entzündet das Fragen des Menschen, entzündet unsere Fackel und statt matt und schwer von Talg wird sie eine Fackel des Fragens.