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Gesellschaft - Familie
Gelebte Treue. Für eine Aufgabe
Marco Bardazzi

Die Wahrnehmung der Rolle der Familie erfährt derzeit einen starken Wandel. Während der internationalen Equipe in La Thuile fand ein Forum zu diesem Thema statt. Einen Einblick in das Gesagte geben Zeugnisse aus vier Kontinenten.

In Europa wird die Institution «Familie» zunehmend vom herrschenden Zeitgeist ausgehöhlt, für den Freiheit immer mehr auch Unabhängigkeit von Bindungen bedeutet. Ein ähnliches Phänomen beobachten wir in Afrika. Hier werden die ursprünglich unerschütterlichen Beziehungen innerhalb des Familienclans von der Mentalität eines erbarmungslosen Individualismus bedroht. Während die Familien in Lateinamerika einer immer stärker werdenden Konsumorientiertheit ausgesetzt sind, rüttelt in den Vereinigten Staaten eine beständig ansteigende Scheidungsrate (inzwischen wird beinahe jede zweite Ehe geschieden) an den Grundfesten der Familie, wozu auch Gesetzesänderungsvorhaben zugunsten der Eheschließung homosexueller Paare ihren Teil beitragen.
An keinem Ort der Welt ist die Familie jetzt zu Beginn des 21. Jahrhunderts intakt sein und daran scheinen sich auch die meisten nicht zu stören. «Das größte Übel für die Familien sind die Einsamkeit, in der sie leben, und der Nihilismus, von dem sie umgeben sind», so Mario Dupuis, der in Padua zusammen mit Jugendlichen aus schwierigen Familienverhältnissen in der «Ca' Edimar» lebt, ein Haus, das Jugendlichen, die in der eigenen Familie keinen Rückhalt mehr haben, ein neues Zuhause geben will.
Und doch gibt es Familien, die eine andere Erfahrung machen, auch wenn sie an Orten leben, die geographisch meilenweit voneinander entfernt sind. Dadurch dass sie Christus anerkennen, können sie auch «die unmögliche Treue» in der Ehe leben; dadurch, dass sie von einer Gemeinschaft mitgetragen werden, ist es ihnen möglich, auch sehr schwierige Situationen in Gelassenheit anzugehen.

AIDS und wirtschaftliche Schwierigkeiten
Pippo Ciantia lebt seit 25 Jahren in Uganda und arbeitet dort für die Avsi: «In Afrika ist die Familie konfrontiert mit der modernen Mentalität, die bestrebt ist, mit allen Bindungen zu brechen; in der Erziehung wird die Rolle der Familie nicht gestärkt, im Gegenteil.» Zugleich bleibt die Familie «der Ort, an dem gegen die Armut sowie die Geißel von Krankheiten wie Aids angekämpft werden kann und der Einzelne Unterstützung erfährt. Ich bin immer wieder überrascht und erstaunt angesichts der Tatsache, dass die Afrikaner, obwohl sie selbst schon große Familien haben, noch weitere Kinder aufnehmen. Es ist geradezu eine Selbstverständlichkeit, dass Kinder, die ihre Eltern verloren haben, von Tanten und Onkeln, von den Großeltern oder anderen Verwandten aufgenommen werden. Wir dürfen nicht vergessen, dass das, was in Afrika die Familie zerstört, nicht nur modernes, westliches Gedankengut ist, sondern auch Krankheiten wie Aids.»
Das, wogegen die Familien in Lateinamerika anzukämpfen haben (vor allem in Argentinien), ist dagegen die sklavische Abhängigkeit von der wirtschaftlichen Situation. Der Konsumrausch hat die argentinischen Familien von innen her zerrüttet, erklärt Alejandro Bonet, Vater von sieben Kindern, der als Anwalt in Rafaela, einer Stadt in der Provinz von Santa Fe, tätig ist. «Außerdem ist die Erwartung an den Staatsapparat in Argentinien wahnsinnig groß: eine politische Richtung, die ihre Wurzeln im Peronismus hat, bewirkt, dass der Einzelne und die Familie sich die Lösung aller grundlegenden Probleme (Bildung, Gesundheit) allein vom Staat erwarten. Daraus resultiert, dass man das Glück davon abhängig macht, dass man vom Staat beziehungsweise dem, der die politische Macht innehat, protegiert wird.»

Bindungen als Hindernis
In den USA hat die Familie im Allgemeinen immer noch einen hohen Stellenwert. «Man kann viele Kinder haben, ohne dabei von anderen schief angesehen zu werden», so Pater Jerry Mahon, Pfarrer in Rochester (Minnesota). In den USA scheinen auch Ängste überwunden zu sein, dass eine Familie grundsätzlich nicht damit vereinbar sei, dass beide Elternteile berufstätig sind. «Vor vierzig Jahren hätten wir dies noch für vollkommen undenkbar gehalten. Aber die Erfahrung zeigt, dass es kein Hindernis ist», bemerkt Pater Mahon.
Die wirklichen Probleme in den USA wie überall - sind Ehen, in denen die Ehepartner nicht bereit oder nicht fähig sind, schwierige Zeiten gemeinsam durchzustehen und Scheidungen infolge dessen der einzige Ausweg scheinen, und die Tatsache, dass neue Lebensmodelle versuchen, sich in der Gesellschaft durchzusetzen wie die Beziehungen zwischen Personen desselben Geschlechts. Mahon zeigt sich allerdings überzeugt, dass die Eheschließung homosexueller Paare in den ganzen USA nie durchkommen wird. Dazu habe die Gesellschaft zu klare moralische Vorstellungen.
«In Italien - so Mario Dupuis - wird den jungen Leuten in der Schule beigebracht, Bindungen eher als Hindernis wahrzunehmen. So leben sie statt der Bindungen, die das Fundament des Familienlebens ausmachen, mehr und mehr eine Art Zeitvertrag: "Wir bleiben zusammen, so lange wir davon etwas haben." Dazu kommt, dass es an einer Erziehung mangelt, weil die Familien nicht anerkennen, dass sie innerhalb einer Tradition, in der Geschichte eines Volkes stehen. Die Familie wird so losgelöst von der Vergangenheit betrachtet. Die unschuldigen Opfer dieser Auflösung der Familie sind die Kinder. Ohne die Erfahrung, dass sie in ihrer Freiheit wahrhaft geliebt sind, ohne die Leidenschaft für ihre Bestimmung und ohne Erziehung stehen die Kinder schon mit zehn, elf Jahren allein da, verlassen, verletzlich, wie ich es in unserem Werk in der «Ca' Edimar» erlebe. Die herrschende Mentalität hat die Familie als Ort einer Freiheit in den Beziehungen und der Lebensfreude darüber, dass man zusammengehört, zerstört.»

Anvertraut
Aber es gibt Erfahrungen, die neue Horizonte erschließen. Pippo und seine Frau haben sich für die Mission entschieden, weil sie im Christentum eine Erziehung erfahren haben, für die die Armut eine wichtige Rolle spielt: «Wenn du deine eigenen Kinder in Afrika großziehest musst, mit all den Schwierigkeiten, die das mit sich bringt, dann entdeckst du, dass die Treue zur Erfahrung der Bewegung es dir erlaubt, auch die Beziehung zu den Kindern auf eine besondere Weise zu leben. Die Freundschaft innerhalb der Bewegung hat es unseren Kindern ermöglicht, zum Studium nach Italien beziehungsweise nach Amerika zu gehen. Don Giussani hat immer wieder betont, dass die Familie nicht alles ist: Es bedarf einer Gemeinschaft, die uns "umarmt", die uns begleitet und unsere Kinder mehr wachsen lässt, als wir es uns je vorstellen könnten. So lernst du auch, dass sie nicht dein Eigentum sind, du bist allenfalls jemand, dem sie anvertraut sind.»
Die Tatsache, dass Alejandro in wenigen Jahren zehn Mal den Arbeitsplatz wechseln musste, was für die Familie mit seinen sieben Kindern des öfteren auch einen Umzug in andere Städte mit sich brachte, hätte ihn auch erdrücken können. «Dieses Abenteuer Familie in einer 20-jährigen Ehe wäre unmöglich gewesen, wenn meine Frau und ich nicht die Gnade erfahren hätten, am Anfang unseres gemeinsamen Weges der Bewegung zu begegnen. Jedes Mal, wenn ich vor der Dramatik des Alltags stehe, bestätigt sich erneut für mich, wie die Erfahrung, an der wir teilhaben, uns aufzeigt, wie wir in der Wirklichkeit leben können. Das heißt nicht, dass sich gleich automatisch alle Probleme von allein lösen, aber man kann auch die Probleme mit der Hypothese leben, dass sie eine Bedeutung haben, und dann werden sie zu einer Möglichkeit, eine Fülle, sogar Erfüllung zu erfahren.»

Wahre Treue
In Rochester hat die Begegnung mit dem Charisma von Don Giussani - so erzählt Pater Mahon - dazu geführt, «dass ich auf radikal andere Weise auf die Ehe schaue. Wenn heute ein Paar zu mir kommt, weil es sich scheiden lassen will, dann gehe ich diese Entscheidung in dem Bewusstsein an, das ich von Don Giussani gelernt habe, nämlich dass sich die zwei ein Ja für die Ewigkeit gegeben haben. Auch in der Vorbereitung auf die Ehe hat diese Frage für mich einen zentralen Stellenwert, weil ich glaube, dass das die beste Möglichkeit ist, den jungen Leute dabei zu helfen, das Sakrament zu leben.»
«Als ich geheiratet habe», schließt Mario, «habe ich meiner Frau das Jawort für immer gegeben, nicht weil ich sicher war, dass ich dieses Ja halten könnte, sondern weil ich mir dessen gewiss war, dass, wenn ich Christus in meinem Leben weiterhin anerkennen und erkennen wollte, dass es dann auch nicht an der Möglichkeit fehlen würde, diese sonst unmögliche Treue zu leben. Unsere Treue ist Antwort auf die Treue Christi. Das ist mir in einem dramatischen Umstand bewusst geworden, der das Leben meiner Familie vollkommen verändert hat: die Krankheit und dann auch der Tod unserer Tochter Anna. Durch ihren Tod haben wir gelernt, nicht beim Schein der Dinge stehen zu bleiben, sondern die Wirklichkeit anzuschauen, bis darin das Geheimnis aufscheint, aus dem alles hervorgeht. Das hat die Art und Weise verändert, mit der ich nun auf meine Frau, meine Kinder, auf alles schaue. Es ist, als würde ich das Ja zu meiner Frau durch das Opfer, das der Tod von Anna für mich bedeutet, in einer größeren Treue leben können.»