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Aufmacher
Eucharistie: eine vertraute und gegenwärtige Wirklichkeit
Luigi Giussani

Aufzeichnungen einer Meditation, die Don Luigi Giussani im November 1967 bei Exerzitien für Studenten und Schüler im schweizerischen Fribourg hielt.

1. Das Geheimnis, das vertraut geworden ist
"Einer von den Jüngern lag an der Seite Jesu; es war der, den Jesus liebte. Simon Petrus nickte ihm zu, er solle fragen, von wem Jesus spreche. Da lehnte sich dieser zurück an die Brust Jesu und fragte ihn: Herr, wer ist es? Jesus antwortete: Der ist es, dem ich den Bissen Brot, den ich eintauche, geben werde. Dann tauchte er das Brot ein, nahm es und gab es Judas, dem Sohn des Simon Iskariot. Als Judas den Bissen Brot genommen hatte, fuhr der Satan in ihn. Jesus sagte zu ihm: Was du tun willst, das tu bald! Aber keiner der Anwesenden verstand, warum er ihm das sagte. Weil Judas die Kasse hatte, meinten einige, Jesus wolle ihm sagen: Kaufe, was wir zum Fest brauchen!, oder Jesus trage ihm auf, den Armen etwas zu geben. Als Judas den Bissen Brot genommen hatte, ging er sofort hinaus. Es war aber Nacht." (Joh 13, 23-30).
In dieser kurzen Szene zeigt sich das gesamte christliche Drama, wie es sich seit zweitausend Jahren abspielt. Es handelt sich dabei nicht in erster Linie um ein gesellschaftliches Drama. Es geht um das Drama, das sich in der Beziehung zwischen Gott und der einzelnen Person, zwischen Gott und dir abspielt. Denn das christliche Drama spielt sich auf der Ebene der einzelnen Person ab, alles Übrige leitet sich daraus ab.
Richten wir unsere Aufmerksamkeit auf jene Szene, jenen Augenblick, in dem einer von jenen zwölf, der ganz nahe bei Jesus saß, sein Haupt auf dessen Schulter legte und ihn fragte: "Wer ist es?"
Sehen wir einmal für einen Augenblick von der Frage nach der Wahrheit des Christentums ab. Stellt euch nur vor, was eine derartige Begebenheit bedeutet: Gott, der Schöpfer, das Fundament, das Geheimnis, das alle Dinge schafft, ist ein Mensch geworden, an den sich ein anderer Mensch anlehnt. Johannes ist etwas jünger als die anderen, er wird damals etwa zwanzig Jahre alt gewesen sein. Er ist ganz nahe bei ihm und legt sein Haupt auf seine Schulter, um ihn zu fragen: "Wer ist es?" Und jener sagt es ihm, antwortet ihm, so innig und vertraut waren sie miteinander, und so außerordentlich war Jesu Vorliebe für ihn. Eine menschliche, physische, sichtbare Wirklichkeit: das ist die Umgebung, zu der Gott sich für den Menschen gemacht hat. Der Mensch findet sich angesichts Gottes in dieser Umgebung wieder: Es ist nicht mehr "Gott", sondern es ist diese Umgebung, es ist jemand, eine Wirklichkeit, an die man sein Haupt lehnen kann. Genau dies ist die religiöse Situation des Menschen von damals. In der Art und Weise, wie wir leben, in unserer Existenz ist Gott derart gegenwärtig, dass die Beziehung zu ihm von der geschilderten Situation objektiv dargestellt wird. Es ist nicht eine Ausnahmesituation, es ist die Regel. Diese Situation ist für alles, was sich danach ereignet, beispielhaft.
Jenes "Mehr", das jeder ersehnt, jenes vage, aber drängende "Mehr", jenes unbekannte "Mehr", dessen sich der Mensch oft oder sogar in der Regel nicht bewusst ist und das er nie in seiner Bedeutung zu erfassen vermag, jenes "Wesentliche" , von dem Jewtuschenko spricht (ohne sagen zu können, was es ist), jenes vage "mehr", wird in einer solchen Situation zu einer Wirklichkeit, die ebenso wägbar, physisch wahrnehmbar und bestimmbar, realisierbar, vertraut und klar ist wie eine Person, mit der man sich Tag für Tag bei Tisch unterhält, mit der man unter demselben Dach wohnt, isst und spricht. Jenes "Mehr" wird von da an zu einer Evidenz, zu einem selbstverständlichen Bedürfnis. Es wird zu einer Evidenz auch in der Art und Weise des Handelns. Von da an weiß man, wie man zu handeln hat, man muss wissen, wie man zu handeln hat.
Das, was unbekannt und ein Geheimnis war, wird von da an zu einer präzisen Norm, die man versteht und umsetzt, zu einer realen Sache. Diese Caritas, diese Liebe zum Sein - zu Gott oder zum Kosmos, zu Jesus oder zu den Menschen -, diese Liebe wird normativ, sie wird zu einem evidenten Stachel, sie wird für einen jeden zur Möglichkeit und zur Pflicht. Sie wird zur bewussten und klaren Inspiration jeder Handlung.
Das größte Vergehen, unser wahres Vergehen liegt darin, Jesus Christus zu vergessen! Die Haltung, in der man an Gott denkt, die Vorstellungskraft, mit der der Mensch stets seine Ideen und sein Denken instinktiv durchdringt, diese Vorstellungskraft muss sich auf das Bild richten, das in diesen wenigen Zeilen beschrieben wird.
Denn dies ist die normale Haltung, in der du dich befindest. Das Vergehen liegt im mangelnden Bewusstsein, mit dem es dir normalerweise gelingt, auch dies aus deiner Existenz, deinem Leben auszuradieren.
Ich habe heute Morgen von der Tatsache gesprochen, dass der Mensch, der dieser physischen Begegnung, dieser physischen Wirklichkeit begegnet, unmittelbar und unvorhergesehenerweise spürt, dass er Bestand gewinnt. Ich sprach ferner davon, dass sich jenes "Mehr" auf unglaubliche Weise klärt. Und so stellt sich das Bedürfnis nach dem ein, was ansonsten das vage Objekt der Dichtung oder gelegentlicher bewegender Augenblicke bliebe, einer Unruhe jedenfalls, die keine Erklärungsmöglichkeit lässt und unfruchtbar und ebenso ängstlich wie steril bleibt. Diese Begegnung aber, so sagte ich, ist das Sakrament.
Es gibt in der Tat keinen Unterschied zwischen der "Menge" an Geheimnis, die in diesem "Bild" liegt, das heißt in der Tatsache, dass Gott dieser Mensch ist, dem ich gefühlsmäßig so verbunden bin, mit dem ich so befreundet bin, der es gut mit mir meint, der mir so familiär und vertraut ist, jener Mensch hier, der mit mir isst, und andererseits der "Menge" an Geheimnis, die in der Tatsache liegt, dass das Geheimnis Gottes in diesem Gestus ist, den die Gemeinschaft der Kirche vollzieht und der sich Sakrament nennt. Welchen Unterschied gibt es zwischen dem ersten Aspekt des Geheimnisses und diesem zweiten? Keinen. Der zweite Aspekt, das heißt die Sakramente der Beichte oder Kommunion, ist nicht geheimnisvoller als jenes "Bild" des Evangelisten Johannes an der Seite Jesu Christi. Es gibt keine Ungleichheit in diesem zweifachen Aspekt des einen Geheimnisses. Und das Geheimnis des Sakraments ist in der Tat genau das gleiche wie das Geheimnis, das der Evangelist Johannes lebte. Es hat das gleiche "Schema". Es ist der unsichtbare, unbegreifliche und unermessliche Gott, der sich zu etwas sinnlich Wahrnehmbarem macht: nicht als Gott, denn Gott kann sich nicht als Gott zu etwas sinnlich Wahrnehmbarem machen. Doch er macht sich zu einer Gegenwart, zu einer gegenwärtigen Wirklichkeit, der ich begegne, zu einer völlig menschlichen Wirklichkeit. Jesus war ein Mensch, der redete und handelte, so wie auch jene, die im Geheimnis des Sakraments sprechen und handeln, Menschen sind. Und das Geheimnis des Sakraments ist ebenso ein von Menschen vollzogener Gestus, wie Jesus Christus und seine Jünger Menschen waren, die Handlungen vollzogen und so der reinen Vorstellung der Pharisäer vom unbegreiflichen und unvorstellbaren Gott widersprachen. Genauso mag dem Rationalisten von heute der Anspruch absurd erscheinen, dass gerade dies der Gestus sein soll, mit dem Gott einen Menschen wieder aufrichtet, und mit dem die Macht des Anderen tausend Mal am Tag aus mir ein neues Wesen macht, bis diese Bekehrung sichtbar wird. Denn ich, der ich wie du sein könnte, bin nicht wie du. Wenn du so weiter machst, wirst du mit vierzig Jahren nicht sehen und spüren, was ich sehe und spüre. Während ich das, was du siehst und spürst, auch selbst sehe und spüre, denn auch ich war einmal wie du. Nur dass ich jetzt weiter bin als du auf Grund von etwas, das mir widerfahren und in mich gekommen ist. Ich habe es mir nicht selbst gegeben, habe es nicht mir selbst entnommen: dieses Etwas ist in mich gekommen durch die Nähe zu einer physischen Wirklichkeit.
Die Behauptung, dass die Beichte jemanden verwandelt, ist völlig haltlos bei dem, der sie nicht oder nur falsch praktiziert, das heißt als reine Frömmigkeitsübung, anstatt in der Einfachheit dieses Geheimnisses. Und es kann eine völlig haltlose und abstrakte Behauptung sein, dass die Kommunion verwandelt und einen neuen Menschen schafft, der soziologisch wahrnehmbar ist, weil er eine andere Mentalität hat und eine unendlich viel tiefere Sensibilität gegenüber dem Menschen und den Fragen seiner Bestimmung. Es reicht schon, die Kommunion nicht zu leben, weil man sich ihr nicht oder nur falsch nähert, das heißt als reine Frömmigkeitsübung, anstatt wie ein Bettler, der sich ganz in das Geheimnis Gottes versenkt, ohne jeglichen Anspruch, aber mit der Gewissheit, dass die Erlösung seiner selbst geschehen wird, wann und wie es Gott gefällt. Doch sie geschieht schon jetzt in ihm. Wenn jemand an diesen Gesten teilnimmt, kann er danach nicht genauso sein wie vorher. Für den, der sich den Sakramenten nähert, besteht die größte Gefahr somit darin, sich nicht der Sache als das, was sie ist, zu nähern, sondern als das, was er sich darunter vorstellt, indem er etwas, das pures Geheimnis ist, rationalistisch oder moralistisch verkürzt.
Die Position des Evangelisten Johannes, jenes jungen Mannes, der sein Haupt objektiv und wirklich an jenen Menschen lehnt (ich bekräftige das nicht etwa, weil ich schwachsinnig wäre), diese Position kehrt im Sakrament wieder. Und wenn jemand treu und kontinuierlich auf diesem Weg ist und an dieser Begegnung teilnimmt, wird er anders, er wird hinsichtlich seiner Mentalität, seiner Sensibilität und seiner Lebensenergie ein anderer.
Es gibt Möglichkeiten im Bereich der Moral, die außerhalb eines gelebten Christentums absolut unvorstellbar sind (nicht außerhalb einer gelebten Moral oder Religion, sondern außerhalb des gelebten Christentums, das heißt des Geheimnisses, das man als gegenwärtig anerkennt, das man empfängt und darum bittet, in Fleisch und Blut und in jede Handlung einzugehen, immer mehr in das eigene Leben einzugehen): zum Beispiel die Treue in der Liebe; zum Beispiel die Liebe zur Wahrheit; zum Beispiel die Unmöglichkeit, stehen zu bleiben, die Unmöglichkeit, dass alles, was geschieht, zu einem Hindernis und Ärgernis wird und einen auf dem Weg bremst; und insbesondere die Möglichkeit der Kontinuität, nicht im abstrakten Sinn, sondern der Kontinuität einer nicht zu bremsenden Wiederaufnahme, die Kontinuität des immer gegenwärtigen Lebens, die Kontinuität des realistischerweise immer gegenwärtigen Lebens, die Kontinuität der Auferstehung.
Jetzt werdet ihr verstehen, wie sich meiner Meinung nach eure Haltung diesen Dingen gegenüber ändern und wandeln muss, diesen Momenten des Lebens gegenüber, die der Kern sind, so wie Christus der Kern unserer Geschichte ist. Wir wären nicht hier, um über derlei zu sprechen, wir hätten uns nie gefunden, wenn es nicht dieses Faktum gäbe.
Der erste Aspekt unserer Bekehrung, die erste Möglichkeit, um in unser Leben das brennende Bewusstsein von jenem "Mehr" einzusenken, um jenes "Mehr" konkret werden zu lassen, zu etwas, das unsere praktische Existenz verwandelt und beseelt, um jenes "Mehr" bei unseren täglichen Tätigkeiten und Pflichten zu spüren, beim Bodenwischen, beim Studium oder beim Essen (wie Sinjavskij von einem anderen Gesichtspunkt aus sagte, als er von dem Bauern sprach, der vor dem Essen das Kreuzzeichen macht); damit dieses "Mehr" eindringt, bewusst und immer vibrierender, immer stärker verändernd, immer freundschaftlicher, immer familiärer, immer anerkannter, damit wir immer weniger im Nebel gehen müssen, hierfür müssen wir uns nicht in erster Linie anschicken Gott weiß was zu tun. Die erste Möglichkeit, um jenes "Mehr" zu realisieren, um die Umkehr zu realisieren, ist die Teilnahme an den Sakramenten.
Es geht mir nicht darum, bei euch eine religiöse Praxis anzustoßen, sondern das Bewusstsein eines Gestus, einer Wirklichkeit, die Geheimnis ist, und die dich verändern wird, wenn du aus ihr schöpfst. Ich verspreche euch daher eine Erfahrung, die ihr machen werdet, wann und wie Gott will. Ich rufe euch nicht zu einer frommen Praxis auf, sondern zu einem Gestus, der Geheimnis ist.

2. Das Bewusstsein der eigenen Nichtigkeit und die Sehnsucht nach Erfüllung
Wie gehst du auf das Geheimnis zu? Indem du Abmachungen triffst? Indem du einen Vertrag machst? Indem du dich "vorbereitest" und dann sagst: "Jetzt habe ich das Recht, zu kommen und mich dir zu nähern"? Du näherst dich dem Geheimnis, wobei du es bist, der vorher alles in Ordnung bringt und dann sagt: "Jetzt bist du also gezwungen, mich hier zu akzeptieren"? Das wäre ein Anspruch und eine Anmaßung.
Das Geheimnis zu empfangen, erfordert nur eins: das Bewusstsein unserer eigenen Unfähigkeit, die mehr ist als bloße Nichtigkeit, das Bewusstsein unserer grundlegenden Unfähigkeit und unseres ständigen Verrats, unserer schuldhaften Armseligkeit, unserer gewollten Armseligkeit, unseres weniger Werdens, unserer stillschweigend einverstandenen Unfähigkeit, unserer Nichtigkeit. Doch das Wort "nichts" drückt noch nicht aus, was wir sind. Es gibt nur diese eine Bedingung: das Bewusstsein dessen, was man ist, und nichts weiter. Um das Geheimnis zu empfangen, gibt es nur diese eine Notwendigkeit.
Natürlich ist die Art und Weise, auf die man sich dem Geheimnis im Sakrament nähert, anders, als wenn man mit ihm zusammen beim Essen ist und ihm das Haupt auf die Schulter legt, wenn man es vom Ende der Welt und vom Gericht sprechen hört und bei dieser Stimme erzittert, die einen schon beurteilt. Und doch handelt es sich nur um zwei unterschiedliche Formen, sich ein und demselben Geheimnis zu nähern.
Christus hat uns in unserer Existenz eine Fortdauer seiner selbst in bestimmten Formen hinterlassen. Die Beichte und die Kommunion sind die zwei grundlegenden Formen, mit denen wir uns dem Geheimnis nähern: zwei grundlegende Formen, weil die eine am Beginn und die andere am Grund unserer Haltung steht. Es sind zwei dialektische Faktoren einer einzigen Haltung. Die unter diesem Gesichtspunkt klarste Stelle im Evangelium ist sicher diejenige, die von dem Zöllner erzählt, der im Tempel Vergebung gefunden hatte, obwohl das Evangelium durchaus nicht berichtet, dass er den Beruf des Zöllners und somit das Betrügen aufgegeben hätte.
Die Beichte kann, um mehr ins Detail zu gehen, nicht in der Weise betrachtet werden, von der ich spreche; sie kann nur dann in dieser Weise betrachtet werden, wenn es sich um eine Frömmigkeitsübung aus dem üblichen Moralismus heraus handelt. Das heißt: "Um zur Beichte zu gehen, muss ich entschlossen sein, sonst bin ich ein Betrüger und Heuchler: ich gehe dorthin, wohl wissend, dass ich möglicherweise nach einer Stunde nochmals sündigen werde; wenn sich die Gelegenheit ergibt, werde ich nach drei Minuten nochmals sündigen. Also werde ich erst dann zur Beichte gehen, wenn ich ganz entschlossen bin". Hier würde ich dich fragen: Wozu musste das Geheimnis Gottes in dein Leben kommen, wenn du schon fähig bist, von dir allein aus zu entscheiden. Ein anderer Anspruch besteht darin, nur dann zur Beichte zu gehen, wenn eine innere Befindlichkeit, eine Gefühlslage gegeben ist, die bereits eine Umkehr impliziert: dass einer seine Verfehlungen bitter beweint, dass er voller Kummer seine Verfehlung verspürt. Hierzu jedoch sage ich: Wenn du schon verändert bist, ist es unnütz, zur Beichte zu gehen. Du beanspruchst ein formalistisches Siegel, das ist in der Tat ein Formalismus.
Statt dessen geht es um etwas ganz anderes. Du gehst zu dieser Begegnung, weil du zu nichts fähig bist und somit insbesondere nicht fähig bist, dich für das Gute zu entscheiden. Du gehst zu dieser Begegnung, weil du von deinem Irrtum blockiert bist; daher gehst du zu dieser Begegnung wie zu einer fremden Sache, für die du undurchlässig bist, und du bist voll von deiner schlechten Gesinnung; du bist voll davon und gehst zu dieser Begegnung gerade weil du anerkennst, dass du ein armer Mensch bist. Das ist die einzige Voraussetzung. Um anzuerkennen, ein armer Mensch zu sein, unfähig, armselig und unglücklich, um anzuerkennen, ungerecht zu sein - dies ist das diskreteste und zugleich klarste Wort -, um anzuerkennen, nicht du selbst zu sein, musst du jenes "Mehr" anerkennen, von dem vorhin die Rede war. Du musst anerkennen, dass du mit allen deinen Handlungen zu einem größeren Zusammenhang gehörst, den du nicht präsent hast, den du nicht präsent haben kannst. Dies musst du anerkennen, und ebenso, dass du dich nicht von allein zurechtrücken kannst, dass du absolut unfähig bist, dies oder jenes zu lassen, dass du zu nichts fähig bist. Dies ist die Voraussetzung, nur dies. Und du gehst hin, um darum zu bitten, dass sich dies ändern möge.
Der Schmerz bei der Beichte ist kein Gefühl, sondern ein Urteil: die Anerkennung, dass die Handlung nicht Liebe war, nicht Freiheit, nicht Öffnung auf das "Mehr" hin, nicht Teil eines Ganzen, sondern der Anspruch, sich selbst Gesetz zu sein. Der Schmerz ist ein Urteil, und der Vorsatz ist nicht ein Programm, dessen Herr du bist (du bist nicht auf einmal Herr über dich selbst geworden!). Es wäre unnütz, du würdest das Geheimnis Christi außen vor lassen und dich selbst zu retten versuchen. Der Vorsatz ist der Schrei des letzten Rests an Aufrichtigkeit in dir: "Ich bin nicht dazu fähig, Gott, ändere du mich. Ich weiß nicht, wie ich es machen soll, ich weiß nicht, wie ich mich ändern kann, rette du mich!" Der Vorsatz ist jener letzte Rest an Aufrichtigkeit, der zum Geheimnis Gottes, zur Allmacht Gottes aufschreit, weil er nicht in sich selbst die als notwendig erkannte Lösung findet. Denn soviel ist offensichtlich: Gott ist mächtiger, die Macht Gottes ist größer als unsere Unfähigkeit und Schlechtigkeit.
Die Barmherzigkeit Gottes ist größer als die Sünde. Das heißt nicht, dass Gott ein Lügner wäre und sagt: "Du bist gut, wenn du schlecht bist." Gott erkennt nicht etwa ein Gutsein von dir an, wenn du das Schlechte willst. Gott braucht lediglich einen Anhaltspunkt in dir, einen unendlich kleinen Rest an Wahrheit, um darauf mit seiner Allmacht deine Bekehrung aufzubauen. Um dich neu zu schaffen! Nur die Allmacht Gottes kann dich neu schaffen, doch sie braucht dazu einen Anhaltspunkt, einen einzigen Anhaltspunkt von Wahrheit in dir. Denn Gott kann nicht auf einer Lüge aufbauen. Und dieser unendlich kleine Rest an Wahrheit in dir besteht in jener Bitte, nichts weiter.
Die Beichte ist ein Gebet, das heißt eine Bitte, nicht ein vorgefertigtes Programm. Die einzige Bedingung ist die Aufrichtigkeit dieser Bitte. Ich frage euch: kann es diese Aufrichtigkeit nicht auch bei einem geben, der sich so sehr in eine Situation verstrickt fühlt, dass er sicher ist, weiter zu sündigen! Wenn einer nicht zur Beichte geht, weil er sich in eine Situation verstrickt fühlt, macht er zwei schwere Fehler: erstens vertieft er völlig seine negative Situation, er verstärkt sie noch; und zweitens entfernt er sich auch immer mehr von der Religion. Das ist die logische Entwicklung der Sünde: anstatt eine schlechte Tat zu bleiben, wird es eine schlechte Geschichte, und am Ende dieser Geschichte steht die Lüge. Man verlässt auch die Wahrheit, auch wenn man weiter in die Kirche geht, doch all das ist ein leeres Anhängen und Anerkennen.
Auch für jemanden, der so sehr in etwas verstrickt ist, dass ihm klar wird, nicht alleine herauszukommen, für jemanden, der sicher ist, weiterhin zu sündigen, was ist für den der letzte Rest an Wahrheit seiner selbst? Zu Gott zu schreien: "Gott, verändere mich, denn ich bin nicht fähig, mich von mir aus zu ändern. In einer Stunde werde ich wieder sündigen, diesen Abend werde ich sündigen, morgen werde ich sündigen." Ich gebe euch nicht etwa eine Norm von der Art: "Beugt nur dafür vor, dass ihr immer wieder sündigen werdet, es reicht, wenn ihr so zu Gott schreit", denn das wäre kein aufrichtiger Schrei. Der Schrei ist aufrichtig, die Bitte ist aufrichtig, wenn jemand wirklich nicht anders handeln kann. Dieser Schrei ist aufrichtig, wenn jemand ganz danach strebt, das zu tun, was er tun kann, auch kurzen Prozess zu machen, wenn er es schafft. Es geht nicht darum, deine Mitarbeit auszuschalten, sondern es geht um eine realistische Einschätzung deiner Energie und deiner Lage.
Erinnert euch an jene Episode bei Bruce Marshall, die ich immer an dieser Stelle zitiere. Es ist eine sehr scharfsinnige Erzählung von einer letzten Klarheit, wie ich meine. Abbé Gaston, der Protagonist des Buchs Keiner kommt zu kurz, muss einem Deutschen die Beichte abnehmen, den die französischen Partisanen gefangen genommen haben und der hingerichtet werden soll. Da er katholisch ist und am ganzen Leib zittert, erlauben die Partisanen, obwohl sie Kommunisten sind, dass er beichtet. Abbé Gaston sagt zu ihm: "Mein Junge, beichte gut, denn du musst gleich sterben. Was also waren deine Sünden?" Und jener sagt natürlich: "Die Frauen". "Dann wirst du jetzt also bereuen, weil du vor dem Gericht Gottes erscheinen musst." Und jener sagt ganz verlegen: "Wie soll ich das bereuen? Es hat mir gefallen. Wenn ich die Gelegenheit dazu hätte, würde ich es auch jetzt machen. Wie soll ich es da bereuen?" Da kommt dem Abbé Gaston, der ganz besorgt ist, da er diese Person nicht ins Paradies zu befördern vermag, eine geniale Idee: "Aber tut es dir Leid, dass es dir nicht Leid tut?" Und jener sagt ganz spontan: "Ja, es tut mir Leid, dass es mir nicht Leid tut." Dies ist der letzte Rest an Wahrheit in jenem Individuum, es ist die Anerkennung des Wahren. Auf diesem unendlich kleinen Ausgangspunkt errichtet Gott die Verteidigung des Menschen. "Vater, sie wissen nicht, was sie tun" - nach drei Jahren der Verfolgung durch sie, die er erlitten hatte.
Wenn ihr nicht zum Beichten geht, seid ihr unentschuldbar. Unentschuldbar, weil euch nicht etwa das, was ihr getan habt, von der Beichte abhält, und auch nicht euer Gemütszustand. Weder das eine noch das andere kann euch in irgendeinem Fall einen angemessenen Grund liefern, nicht zum Beichten zu gehen. Nur eines hält euch davon ab: die Lüge euch selbst gegenüber. Es ist die Verleugnung des "Mehr", die Verleugnung Gottes, die Verleugnung Jesu Christi. Es ist der andere Teil des Evangelienabschnitts von heute: "Es war aber Nacht." Vielleicht seid ihr sogar ganz ruhig dabei. Ihr fühlt euch gut, weil ihr dem Christentum vorwerft, keine angemessenen Gründe mehr nennen zu können, um seine Position aufrecht zu erhalten. "Es war aber Nacht."
Es handelt sich in erster Linie um einen Verrat an euch selbst, nicht an Jesus Christus oder Gott, gemäß der Akzentuierung der Tradition, in der ihr erzogen worden seid. Oder besser gesagt: noch vorher verleugnet ihr zwar Gott und Christus, Gott und seine Offenbarung, aber insofern sie in eure Menschlichkeit, in euer Fleisch eingeschrieben sind; jenes "Mehr" verneint ihr. Es geht um die Lüge gegen sich selbst, um die Sünde gegen die Wahrheit. Das ist die Wurzel von allem. Dies hält euch von der Beichte ab: dass ihr nicht das Gute ersehnt, dass ihr nicht akzeptiert, das Gute zu erbitten, nur dies. Nicht etwa die Tatsache, dass ihr vorausseht, morgen nochmals zu sündigen, falls kein Wunder geschieht. Denn das Wunder kann sich ereignen, und ihr müsst es erbitten, wenn ihr das Gute wollt, wenn ihr das "Mehr" wollt, wenn ihr wahr sein wollt. Das Wunder kann sich in zwanzig Jahren ereignen, wenn die Konkubine einmal stirbt. Das sage ich natürlich nicht, um einen systematischen Ehebruch zu rechtfertigen. Ich will nur das Problem in seinem wesentlichen Kern erfassen, in seiner letzten Wahrheit.
Der Kommunion bleibt ihr nicht etwa wegen eures Gemütszustands fern oder weil ihr nichts spürt - und daher sagt, es wäre eine Heuchelei. Ihr seid in der Tat heuchlerisch, aber nicht aus diesem Grund. Ihr seid heuchlerisch, weil die Heuchelei darin besteht, nein zu sagen zu dem, was in uns ist. Es ist vielleicht schüchtern, weil es eingeschüchtert wurde, es ist vielleicht voller Angst, weil ihm Angst gemacht wurde, es ist vielleicht nebulös und vage, da es von dem sozialen Umfeld, in dem wir leben, nicht gefördert und erzogen wurde; aber es ist da. Weil ihr zu diesem "Mehr" nein sagt und es mit Füßen tretet, weil ihr euch unablässig das Beste von euch selbst versagt und nicht das Gute ersehnt, deshalb bleibt ihr der Kommunion fern. Und ihr seid Heuchler, wenn ihr sagt: "Ich bleibe fern, weil es Heuchelei wäre." Denn sich der Kommunion zu nähern, ist ein Schrei, der Schrei eines armen und verlassenen Menschen, der nichts mehr versteht und spürt und sich daher an die Kraft wendet, an das Geheimnis, an die Macht, die alles schafft und ihn bekehren wird. Er wendet sich an jenes Geheimnis Gottes, das Mensch geworden und in sein Leben eingetreten ist, das ihn durch das Geheimnis der Kirche mit Worten und Fakten erreicht hat und ihm sagt: "Hier bin ich." Es hat schon so viele verändert und kann daher auch dich verändern. Ein Urteil und eine Sehnsucht nach dem Guten, ein Schrei nach dem Guten: das ist die Kommunion. Es geht nicht um einen Gemütszustand, um ein Gefühl, um einen Gefallen, um einen Handel.
In diesem Sinn also lade ich euch ein, jenes "Mehr" wieder anzufachen, um endlich Menschen zu werden, um menschlich zu leben, um unseren Handlungen den Geist zu geben, der ihnen normalerweise fehlt. Jenes "Mehr" zu leben, damit unsere Angst erleuchtet und geleitet werde, damit die Caritas, das heißt die Liebe, die Richtschnur unseres Lebens sei, damit unser Tun immer mehr in der bewussten Beziehung zu dem großen Zusammenhang lebe, für den es sich entwickelt und in dem es sich vollzieht; damit unser Leben christlich sei, um zu verstehen, was Gott ist und dass Gott Mensch geworden ist; um zu verstehen, was die Macht Gottes ist; um zu erfahren, dass Christus wahr ist und dass die Macht Gottes unter uns sichtbar geworden ist. Für all das lade ich euch besonders zur Begegnung mit dem Sakrament ein. Es ist eine Begegnung mit einer Wirklichkeit, die ihr nur undeutlich wahrnehmen könnt, die ihr nicht verstehen könnt. Dass wir uns diesen Gesten nähern, ist daher nur die schwer verständliche Folgerung aus etwas anderem. Und indem wir sie leben, erhellen sie sich und verweisen unseren Geist auch immer klarer auf eine Lebensmethodik, die es in all unseren Beziehungen und Handlungen anzuwenden gilt: Das Sakrament im Leben zu leben und all unsere Beziehungen Kommunion werden zu lassen. Doch das sind Ziele, die erst später kommen.
Die erste wichtige Sache ist das Beginnen. Wichtig ist es, diese Gegenwart anzuerkennen, zu dieser Gegenwart zu schreien, denn in dieser Gegenwart ist die Macht dessen, der alles erschafft. Genauso wie jene Macht im Antlitz Christi gegenwärtig war, im Menschen Christus. Die Pharisäer haben sie beseitigt, genauso wie wir die Sakramente, Seine physische Präsenz aus unserem Leben beseitigen. Wir begrenzen sie etwa auf die Version einer Empfindung von uns, wir reduzieren sie auf unsere Gefühle, auf unsere theologischen Theorien oder auf historische Kenntnisse. Statt dessen geht es um eine Gegenwart: so schwer zu realisieren, als Wirklichkeit so transzendent und ungewöhnlich, so unangleichbar und undurchdringlich, so "absurd" und unbekannt als Wirklichkeit. Hier liegt das Christentum, und auch das Verständnis und die Erleuchtung wachsen hier. Dies freilich führt mich zu dem letzten Punkt, den ich ansprechen wollte.

3. Das Sakrament, die einfachste Form des Gebets
Der erstrangige Weg, um das "Mehr" in uns wieder zu erwecken und zu nähren, jenen Gärstoff, durch den sich unser Tun wandelt, obwohl es dasselbe bleibt. Den Boden fegen bleibt den Boden fegen, studieren bleibt studieren, als Arzt arbeiten bleibt als Arzt arbeiten, den Menschen lieben bleibt den Menschen lieben, Kinder großziehen bleibt Kinder großziehen: es wird nichts anderes, auch wenn anderes wächst, doch es gibt besonders eine Neuheit innerhalb dieser Dinge, jenes "Mehr", das diese Dinge zum Gären bringt und öffnet; man fühlt sich als anderer Mensch, als Neugeborener. Der Abschnitt von Péguy, den wir heute Vormittag gelesen haben, beschreibt dies hervorragend, indem er die Worte Jesu gegenüber Nikodemus im dritten Kapitel des Johannesevangeliums aufgreift. Das erste aber, was es zu tun gilt, ist nicht eine Anstrengung, um die eigenen Handlungen zu ändern, keine psychologische Analyse, kein spirituelles Programm, es ist nichts, was wir selbst tun müssten: das erste, was wir tun müssen, ist das Gebet, das heißt das Bitten hierum, das Bitten, dass jene Bekehrung in uns geschehe, auch wenn wir nicht verstehen, was diese Bekehrung bedeutet.
Ich bemühe mich, mit Nachdruck den Widerschein von etwas mitzuteilen, was ich empfinde, weniger irgendwelche Konzepte oder Ideen. Es geht um eine Empfindung, die ich gestern darlegen wollte und heute von neuem, es geht - besser gesagt - um das Erahnen von etwas, das sich im gewöhnlichen Leben ändern muss: in der Art zu schreiben und zu essen, in der Art, die Freundin an der Hand zu halten. Es geht um etwas, das sich ändern muss.
Damit diese Vorahnung sich nährt, groß wird, dich wirklich von innen heraus zu ändern beginnt und dich in kurzer Zeit verändert fühlen lässt, ist in erster Linie das Gebet nötig, die Bitte, dass dies geschehe. Du musst dich nicht daranmachen, irgendetwas zu tun, du musst nur darum bitten.
Das Sakrament ist die objektive und einfachste Form dieses "Bittens"; einfach, weil das Sakrament nur ein Gestus ist. Man geht dorthin und das genügt. Beim Gebet dagegen muss man sprechen, sich etwas ausdenken, Meinungen entwerfen, besonders Worte finden.
Das Sakrament ist die ursprüngliche und einfachste Form. Es ist ein stiller Gestus. In diesem Sinn geht es um die reine Präsenz, um das Dasein. Wie jemand, der vor einem anderen steht und nicht weiß, was er sagen soll. Er steht da und bittet durch sein bloßes Dasein.
Beim Sakrament geht es - daher hat Jesus es obligatorisch gemacht und nicht etwa das Vater unser - um ein Dasein. Doch gerade das gelingt euch nicht. Jemand kann auch folgendermaßen zur Beichte und zur Kommunion gehen: indem er bei der Beichte lediglich auf etwas antwortet, das der Priester aufgrund seiner Menschenkenntnis sagt oder ihn fragt; vielleicht antwortet er sogar nur mit einem Kopfnicken, das reicht. Und die Kommunion ist ein reines Empfangen, ein reiner Gestus, den ein Bauer und ein Universitätsprofessor auf ein und dieselbe Weise ausführen können. Das Gebet dagegen ist schon von der Unterschiedlichkeit der Kultur und des Bewusstseins geprägt.
Jedenfalls ist das Gebet das grundlegende Phänomen. Denn auch das Sakrament ist Gebet, es ist die einfachste Form des Gebets. Und das Gebet ist nichts anderes als die Bitte, man selbst zu werden, vollkommen zu werden, die Erfüllung zu finden. Es ist die Bitte, dass sich jenes "Mehr" ereigne, die Bitte, das zu werden, was man werden soll, die Bitte um jenes "Wesentliche", dessen Fehlen Jewtuschenko beklagt hat; die Bitte um die Freiheit, um die Caritas, um die Liebe, um das Leben als Liebe; die Bitte, dass sich unsere schweren und banalen Tätigkeiten wandeln mögen (banal im Sinne von gewohnt: die bekannten, üblichen banalen Dinge). In diesen banalen Dingen muss sich das Neue ereignen: in eurer Art zu studieren, in eurer Art, den Boden zu fegen oder mit eurer Freundin zu plaudern, wie auch im politischen Wagnis, das ihr eingehen müsst, wenn ihr vollständige Menschen sein wollt, und zu dem euch die Caritas zwangsläufig animieren wird.
Die erste Voraussetzung ist also das Gebet. Hierauf zu verzichten, führt unweigerlich zu Armseligkeit und Schrecken, Armut und Wüste in eurem Leben. Auch hier liegt es daran, dass ihr eine seltsame Vorstellung vom Gebet habt: ihr meint, das Gebet sei gleichbedeutend mit einem bestimmten Gefühl, das ihr empfindet. Stattdessen geht es um ein Urteil und einen Ritus, nichts weiter. Je mehr ich mich ausgedörrt, kalt, entfernt und unfähig fühle, je mehr ich meine, nichts sagen zu können und kaum mehr Glauben zu haben, desto mehr schreie ich. Im Extremfall, wenn einer bewusst zum Atheisten geworden ist, muss er immer noch bitten: "Gott, wenn es dich gibt, zeige dich mir."
Man beginnt Mensch zu sein, wenn man an diesen Punkt kommt. Wer nicht dorthin kommt, ist ein unglückseliger Verbrecher, der in all seinen Handlungen nur Schlechtes tut. Alles, was er tut, macht er schlecht. Er ist eine tödliche Gefahr für jeden, der in seine Nähe kommt und mit ihm zusammenlebt.
Umgekehrt kann dort, wo jener Schrei sich kontinuierlich durch das Leben zieht, jeglicher Mangel, jegliches Laster, jegliche Müdigkeit, jegliche Armseligkeit und Schwäche, jegliche schlechte Gewohnheit zu etwas Gutem werden - mit Blick auf die eigene Bestimmung, die sich natürlich erst nach der von Gott festgesetzten Zeit erfüllen wird, deshalb braucht es Geduld. Allerdings ändert sich sofort das Verständnis der anderen Menschen, die Art und Weise, wie man sie behandelt und besonders, wie man sie beurteilt. Das erste, was sich in uns ändert, ist das Urteil über andere. Das erste, was geschieht, ist etwas Seltsames, nämlich das Verständnis: Verständnis bedeutet ganz unmittelbar und quasi physiologisch, dass dein Geist sich weitet, weil du den anderen umarmst, verstehst, ihn zu lieben beginnst. Dies ist eine Bekräftigung deiner selbst, du beginnst, dich selbst zu verwirklichen, auch wenn die ganze Liste deiner Fehler sich mechanisch fortsetzt. Es geht um Christus, der in die Welt und die Geschichte eingetreten ist wie ein Same. Und man muss ihn wirklich verraten haben, um zu behaupten, er habe in zweitausend Jahren nichts bewirkt. Wer ihm nur einen Meter weit folgt, versteht schon, dass sich etwas zu ändern beginnt. Wenn du aber die Veränderung, die Christus in dir bewirkt, nicht wahrnimmst, dann kannst du natürlich auch sagen, er habe in zweitausend Jahren nichts bewirkt.
Es ist ein Same, der in die Geschichte eingetreten ist und sie durchsäuert gemäß der Fristen und den Plänen Gottes. So ist es auch mit dem Schrei, der in euch angelegt ist, diesem Gestus, der besonders im Sakrament zum Ausdruck kommt. Es ist ein Same, der die Geschichte eures Lebens gemäß der Fristen und Pläne Gottes verändern wird. Das gibt mir eine große Gelassenheit, denn ich kann nicht beanspruchen, Gott meine eigene Eile zu diktieren. Das wäre im Grunde eine letzte unberechtigte Art und Weise, mich selbst zu behaupten und vor der Demütigung zu bewahren.
Zum Abschluss möchte ich euch eine bekannte Stelle aus dem Evangelium vorlesen, da ihr euch ohnehin nie daran macht, sie zu lesen.
"Jesus betete einmal an einem Ort; [Stellt euch vor, wie er dort betete und seine Jünger ihm aus einer gewissen Entfernung zusahen, denn es war großartig. Der Mensch, der bewusst lebt, ist etwas Großartiges, man sieht es ihm geradezu physiologisch an. Wenn es dem Menschen zur Gewohnheit wird, bewusst zu leben, wenn der Mensch beginnt, dauerhaft ein wahrer Mensch zu sein, dann beginnt er eine Faszination auszuüben, die noch keiner von uns unter seinesgleichen gesehen hat, so selten ist das. Die Faszination eines Menschen beginnt an diesem Punkt. Hier beginnt man auch die Dimension des Geistes zu verstehen, der bestimmend wird und die Materie zu durchdringen vermag. Ein Mensch wandelt sich: die physikalischen und biologischen Daten bleiben dieselben, doch werden sie in die Kraft und Attraktivität dieses anderen Faktors mit hineingezogen. Was wollt ihr eurer Frau, eurem Mann, euren Kindern geben, wenn ihr nicht nach diesem Weg strebt und darum bittet?]. und als er das Gebet beendet hatte, sagte einer seiner Jünger zu ihm: Herr, lehre uns beten, wie schon Johannes seine Jünger beten gelehrt hat. "Da sagte er zu ihnen: Wenn ihr betet, so sprecht: Vater, / dein Name werde geheiligt. [Name bedeutet auf Hebräisch soviel wie Macht: möge deine Macht in der Welt wirken] / Dein Reich komme. Gib uns täglich das Brot, das wir brauchen. Und erlass uns unsere Sünden; / denn auch wir erlassen jedem, was er uns schuldig ist. / Und führe uns nicht in Versuchung. Dann sagte er zu ihnen: Wenn einer von euch einen Freund hat und um Mitternacht zu ihm geht und sagt: Freund, leih mir drei Brote; denn einer meiner Freunde, der auf Reisen ist, ist zu mir gekommen, und ich habe ihm nichts anzubieten!, wird dann etwa der Mann drinnen antworten: Lass mich in Ruhe, die Tür ist schon verschlossen und meine Kinder schlafen bei mir; [damals schlief die ganze Familie in einem Bett] ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben? Ich sage euch: Wenn er schon nicht deswegen aufsteht und ihm seine Bitte erfüllt, weil er sein Freund ist, so wird er doch wegen seiner Zudringlichkeit aufstehen und ihm geben, was er braucht. Darum sage ich euch: Bittet, dann wird euch gegeben; sucht, dann werdet ihr finden; klopft an, dann wird euch geöffnet. Denn wer bittet, der empfängt; wer sucht, der findet; und wer anklopft, dem wird geöffnet. Oder ist unter euch ein Vater, der seinem Sohn eine Schlange gibt, wenn er um einen Fisch bittet, oder einen Skorpion, wenn er um ein Ei bittet? Wenn nun schon ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gebt, was gut ist, wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist denen geben, die ihn bitten. (Lk 11, 1-13)
Ich bitte euch, jetzt eine Viertelstunde in Stille zu verbringen, ohne ein Wort zu sprechen. Schaut in diesen Minuten den Dingen ins Auge, die ich mit Nachdruck betont habe. Ich möchte euch besonders dazu einladen, eure Aufmerksamkeit auf etwas zu richten, das ungemein real, wirksam, praktisch, ganz offensichtlich menschlich ist: es gibt nichts Menschliches, das nicht von einer Bitte unterfangen wäre, von der Bitte um ein "Mehr", das heißt vom Bewusstsein von etwas, das wir in dem, was wir tun und sind, noch nicht haben. Achtet auf Folgendes: auf den Teil eures Tagesablaufs, oder besser gesagt auf den Teil, den in eurer üblichen Handlungsweise das Gebet haben muss, das heißt die Bitte. Achtet auf die Möglichkeit, jenen erhabenen Punkt zur Gewohnheit werden zu lassen, in dem allein sich unsere Menschlichkeit in ihrer ganzen Größe verwirklicht (ansonsten wird sie von einem seltsamen Masochismus oder Sadismus erdrückt und zerquetscht; von der Erbsünde, wie die katholische Kirche lehrt). Diese Bitte muss so sehr zu einer Gewohnheit werden - wie ich immer wieder sage -, dass es so ist, als wäre sie immer da. Ihr macht alles wie immer, doch in eurem Augenwinkel gibt es immer das Licht, den Schatten oder die Silhouette dieser gegenwärtigen Bitte. Es ist aber besonders nötig, dass ihr euch entscheidet, in eurem Tagesablauf zumindest einen kurzen Moment herauszuschneiden, in dem ihr euch selbst wiederfinden wollt, in dem ihr wahr sein wollt, in dem ihr ersehnt, dass in eurer so zerstreuten Alltäglichkeit wenigstens ein Moment des Wahren sei. Und dieser Moment des Wahren ist nicht ein konfuses Schreien zu einem quid, das sich Gott nennt, sondern es ist eine Bitte um Bekehrung: "Dein Reich komme", auch wenn man die einzelnen Faktoren dieses Ereignisses nicht im Detail kennt. Doch das werdet ihr noch lernen.