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Die Hoffnung hat uns nicht zugrunde gehen lassen
Isabella Alberto

Im September verbrachte Don Julián Carrón einige Tage in Brasilien: eine Begegnung, die es ermöglichte, den Wert der Werke tiefer zu verstehen

Brasilien ist in fünf ganz unterschiedliche geographische Gebiete unterteilt. Es ist ein riesiges Land mit mehr als 170 Millionen Einwohnern. Die Kluft zwischen Reichen und Armen ist tief. Vor mehr als 40 Jahren wurde hier der Same einer neuen Menschlichkeit gesät, als 1962 die ersten Freunde Don Giussanis eintrafen, um das Leben der Kirche in Belo Horizonte zu unterstützen. Mit den Jahren kamen noch weitere Freunde hinzu. Ihr Einsatz galt vor allem der Universität. Die Bewegung wuchs und ist nun in 28 Städten in den verschiedensten Gesellschaftsschichten anzutreffen. Die Fähigkeit, Werke zu verwirklichen, entspringt allein der Tatsache, dass Christus im Zentrum des Lebens steht - heute so wie am Anfang.

Salvador
Der beeindruckendste Augenblick des Besuchs von Don Carrón war eindeutig die Eröffnung der Kinderkrippe "Monsenhor Luigi Giussani" durch den salvadorianischen Ministerpräsidenten Paulo Souto in der Bucht von Ribeira Azul. Dort werden neue Wohnviertel für 33.000 Familien errichtet. So können sie ihre Pfahlbauten verlassen und in modernen Wohnung leben. Das Projekt wird von der Weltbank und vom italienischen Außenministerium finanziert. Aufgrund der erstaunlichen Ergebnisse ist es zu einem Musterbeispiel für Brasilien und einem Aushängeschild in der Welt geworden. Der Unterschied zu anderen erfolglosen Unternehmungen der Vergangenheit in dieser Region besteht in der Anwendung einer neuen Methode: die Zentralität der Person, das Zusammenwirken mit den Einwohnern und die Positivität in der Grundhaltung. Und das ist auch der großartige Beitrag Don Giussanis, der uns diese Methode beigebracht hat. In Salvador besichtigte Carrón drei Werke: die Kinderkrippe von Novos Alagados, wo Kinder bis zum 6. Lebensjahr gepflegt werden, das pädagogische Zentrum Johannes Paul II., das Hausaufgabenbetreuung für Schulkinder anbietet und schließlich das Zentrum zur Unterstützung der Familie. Dort finden junge und erwachsene Menschen eine Hilfe bei ihrer Arbeitssuche, erhalten Ausbildungskurse und können kleinen Arbeitsgenossenschaften beitreten. Diese Werke entstanden durch Personen, die ihre Kraft aus der "Caritativa" schöpften, also der freien Anteilnahme an den Nöten besonders bedürftiger Menschen. Don Carrón traf sich auch mit Kardinal Geraldo Majella Agnelo, dem Erzbischof von Salvador und Vorsitzenden der Brasilanischen Bischofskonferenz, der ihn mit großer Sympathie empfing. Dabei äußerte der Kardinal seine tiefe Dankbarkeit für die Gegenwart der Bewegung in seiner Diözese. Zu Beginn fand eine Versammlung mit allen Freunden der Bewegung sowie Gästen im Kongresssaal des Hotels Fiesta statt. Viele wollten den spanischen Priester und Nachfolger Giussanis in der Leitung der Bewegung kennen lernen. Unter den rund 230 Besuchern waren auch Mitglieder der Gemeinschaften in Fortaleza, Cruz das Almas und Vitória da Conquista. Sie waren bis zu 1.400 Kilometer gefahren, um an der Versammlung teilzunehmen. Auch Priester und Freunde aus anderen Bewegungen hatten die Einladung angenommen. Alle staunten vor allem über die Einfachheit von Don Carrón. Er betonte immer wieder, dass er gekommen sei, um das Wichtigste im Leben mit ihnen zu teilen: die Gegenwart Christi. "Das Entscheidende im Leben besteht in der Tatsache, dass wir uns vom Wirklichen erziehen und bewegen lassen. Johannes und Andreas hatten eine unvergleichlich tiefe Erfahrung des Lebens, weil sie sich von jener außerordentlichen Gegenwart haben anrühren lassen, einer Gegenwart, die ihnen entsprach. Wir machen die gleiche Erfahrung. In der Früh, wenn wir die Augen aufschlagen und möglicherweise unser Kind weint oder wenn wir zur Arbeit gehen, wenn wir Kopfschmerzen haben oder Langeweile empfinden: Immer sind wir in Berührung mit der Wirklichkeit. Das Wirkliche ist der wahre Verbündete in unserem Leben."

Belo Horizonte
In Belo Horizonte traf Carrón Rosetta Brambilla, eine der ersten Italienerinnen der Bewegung, die damals nach Brasilien gingen (vgl. Spuren, Februar 2005). Sie verwaltet heute drei Kinderkrippen Jardim Felicidade, Dora Ribeiro und Etelvina Caetano de Jesus. Dort leben über 300 Kinder bis zum Alter von sechs Jahren. Es gibt dort auch ein sozial-pädagogisches Zentrum - Centro Alvorada -, das 240 Kinder und Jugendliche zwischen 6 und 15 Jahren außer einer Hausaufgabenbetreuung auch Theater-, Musik-, Informatik- und Handwerkskurse zusammen mit Freizeitaktivitäten anbietet. Zwischen den Jugendlichen und Cristina sowie mit den anderen Erziehern entstand eine enge Freundschaft. Viele Jugendliche nehmen an den Initiativen der Bewegung für die Realschüler teil. Um auf die vorhandenen Bedürfnisse zu antworten, wurde im Dezember 2001 die Casa Novella errichtet. Auch dort werden Kinder aufgenommen, die persönlich gefährdet oder familiärer Gewalt ausgesetzt sind. Die Mitarbeiter der Casa Novella kümmern sich um die psychologische und soziale Betreuung der Familien. Die Einrichtung will die Gefährdungssituation überwinden und den Heranwachsenden eine Rückkehr in die Familien ermöglichen. Vergangenes Jahr wurde das Werk von der Stiftung Abrinq für seine Methode ausgezeichnet, die von Realismus, Vernünftigkeit und Moralität bestimmt ist. Don Carrón konnte auch das neue Centro Virgilio Resi besichtigen. Es wurde im Oktober 2004 anlässlich des dritten Todestages von Don Virgilio eröffnet, der seit den 80er Jahren als Missionspriester in Brasilien wirkte. Hier besuchen bereits 50 Schüler Ausbildungskurse für den Gärtner- und Kellnerberuf. Da Don Carrón den Schülern als Freund von Don Virgilio vorgestellt wurde, ließen sich diese spontan auf ihn ein und fragten ihn sogar um Rat etwa für Entscheidungen im eigenen Leben. Don Carrón forderte sie auf, alles mit den Bedürfnissen des eigenen Herzens zu vergleichen, eine Regel, die für alles im Leben gelte: "Selbst wenn du Schuhe kaufen willst, kannst nur du allein entscheiden, ob sie bequem sind." Danach besuchte Don Carrón den Priester Pigi Bernareggi, der ebenfalls zu den allerersten gehörte, die nach Brasilien gingen. Er empfing Carrón bei sich zu Hause, neben der Pfarrei, im Stadtteil "1. de maio". Pigi erzählte von seiner Arbeit über die kirchliche Soziallehre, die er gemeinsam mit der Gemeinschaft veranstaltet, sowie von neuen Projekten. Er will zusammen mit Rosetta eine Kinderkrippe für die bedürftigen Familien des Bezirkes errichten. Außerdem wurde mit der Unterstützung der CL-Gemeinschaft von Turin ein Informatik-Zentrum errichtet.

Rio de Janeiro
Eine weitere Etappe der Reise von Don Carrón in Brasilien galt der "zauberhaften Stadt" Rio de Janeiro. Auch dort leitete er zusammen mit dem Bischof von Petropolis, Filippo Santoro, eine Versammlung mit der Gemeinschaft und anderen Freunden. Der Erzbischof von Rio, Kardinal Eusebio Oscar Schied, hatte sich eigens entschuldigt und folgendes Telegramm gesandt: "Gott segne die Sendung der Bewegung Comunione e Liberazione für die Verbreitung des Evangeliums und der Gemeinschaft vor allem unter den Jugendlichen, die nach Christus suchen - oft, ohne sich dessen bewusst zu sein." Leider konnte Don Carrón die beiden Kinderkrippen nicht besichtigen, die von AVSI in Morro dos Cabritos, einer Favela an der Copacabana, errichtet wurden. An jenem Ort gehört die Gewalt zum Alltag: Dank der Tagesstätte können die Familien ihre Kinder an einem sicheren Ort abgeben. Ferner wurde hier ein pädagogisches Zentrum für Heranwachsende mit Hausaufgabenbetreuung gegründet. Hier wird einmal mehr die Leidenschaft für das Leben der Kinder, der Jugendlichen und ihrer Familien deutlich und eine Anteilnahme an ihren Nöten, der eine wirkliche Entwicklung ihrer Person am Herzen liegt. Aus diesem Grund treffen sich alle Mitarbeiter, die zumeist selbst in den Favelas wohnen, mit einigen Eltern zum Seminar der Gemeinschaft.

São Paolo
Die Reise von Don Carrón endete mit einem Besuch bei einer neuen Gruppe von Freunden in São Paolo. Die Leute erzählten von den Erfahrungen und vom Reichtum, den sie im Charisma von CL erkannt haben, von dem "Weg zum einzigen Punkt, der allein die Traurigkeit, die Angst und die Müdigkeit aus dem Alltag hinwegnimmt: Jesus Christus, der in einer Gemeinschaft von Freunden gegenwärtig ist." Die eine Gruppe lebt im Westen der Metropole: Es ist die Gruppe um Cleuza und Marcos Zerbini (vgl. Spuren Juli/August und September 2005), die ein üppiges Mittagessen zu Ehren von Don Carrón organisiert hatten. Carrón dankte ihnen für ihre Zuwendung und betonte mehrfach: "Wir sind da, um euch zu dienen". Die Zerbinis schenkten ihm eine Gedenktafel als Zeichen der Dankbarkeit für seinen Besuch und für seine Hingabe an den Herrn. Auf der anderen Seite der Stadt, im Osten, wohnt Pater Ticão. Er empfing Don Carrón zusammen mit einer Gruppe aus seiner Gemeinschaft. Sie sind im Gesundheitswesen tätig oder Sozialarbeiter und Freiwillige und stehen Pater Ticão im Bezirk Ermelino Matarazzo bei. Der Ordensmann wirkt hier als Pfarrer und wird vom Volk gleichsam als Leader betrachtet. In diesem Bezirk wohnen rund zwei Millionen Menschen und die Pfarrei allein zählt 30.000 Mitglieder. Pater Ticão besichtigte mit Carrón die Bauarbeiten des neuen Zentrums für Sozialhilfe und Ernährungserziehung. Das Werk wird von der Nationalbank für wirtschaftliche und soziale Entwicklung mit Unterstützung der AVSI und der Provinzregierung des Staates São Paolo errichtet. Es liegt in der Nähe einer großen Favela, wo die Leute in äußerster Armut leben. Ende des Jahres soll es offiziell eröffnet werden. Don Carrón besuchte auch die neue dem heiligen Franziskus geweihte Pfarrkirche und die Gemeinschaft vom Giardino Keralux. Diese hat mit Hilfe einiger Freunde der Bewegung eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die sich mit dem Buch Das Wagnis der Erziehung befasst, und eine Genossenschaft für Schneiderinnen gegründet. Inzwischen haben sie ihre Einrichtung so weit ausgebaut, dass sie dieses Jahr einige Taschen nach Rimini zum Meeting "exportieren" konnten. Auch in São Paolo fand eine Versammlung mit den Freunden von CL statt. 400 Personen kamen, um Carrón einige Fragen über ihren Alltag zu stellen.

Manaus und Brasilia
Der nächst Besuch galt der Gemeinschaft in Manaus, einer der ersten Städte, die Don Giussani in den 60er Jahren besucht hatte. In Manaus befindet sich die Landwirtschaftsschule Königin der Apostel. Einheimische lernen hier Ackeranbau und Handwerk. Vor einigen Jahren geschah hier etwas, das die Gemeinschaft tief geprägt hat. 1992 lernte ein Straßenjunge, Edimar, eine Lehrerin der Bewegung kennen. Daraufhin entschloss er sich, seine Lebensweise zu ändern. Zwei Jahre später, nachdem er dem Boss seiner Gang bekundet hatte: "Ich töte niemanden mehr", wurde er selber ermordet. Aus Edimars mutiger Entscheidung sind in den letzten Jahren ein Haus der Memores Domini und die Kinderkrippe Nossa Senhora Mãe dos Homens entstanden. Zurzeit baut man am Zentrum Edimar, das Berufsausbildungskurse und Hausaufgabenbetreuung für Jugendliche anbieten wird. Dieses Werk entspringt genau dem Wunsch, weitere Jugendliche wie Edimar aufzunehmen und zu begleiten. All dies sind nur kleine Beispiele der vielen Wunder, die der Heilige Geist durch das Charisma von Don Giussani in Brasilien gewirkt hat. In einem Augenblick politischer Ungewissheit und angesichts einer schweren Regierungskrise waren die Gegenwart von Don Carrón, sein persönliches Zeugnis und seine Worte eine große Hilfe, um jenes wieder aufzugreifen, was uns ermöglicht, die Hoffnung nicht zu verlieren: die christliche Erziehung. Die Hoffnung, die uns nicht zugrunde gehen lässt.